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Trennung
Sein Freund hatte ihm Mut gemacht und aber auch beschimpft. „Merkst Du denn nicht, dass Ihr in die Katastrophe steuert?“ Albert hatte ja recht.
Heute musste er die Entscheidung herbeiführen. Wenn er das Gespräch mit Julia weiter vor sich hinschob, würde die Zwangsversteigerung unausweichlich. Warum nur hatte er dem neuerlichen Hauskauf zugestimmt.
Das dritte Kind sollte die Ehe retten, jetzt das zweite neue Haus. Nachdem sie das erste mit kanpper Not verkaufen konnten. Er hatte es doch gewusst, dass das nicht klappt. Ach, nur mit diesem Stück Papier hatte er dem Kauf zugestimmt, auf dem sie ihm vor einem Jahr schriftlich zugesichert hatte, 700 € zur Hausfinanzierung dazu zuverdienen.
Warum nur hatte er jetzt so eine Angst vor der Wahrheit. Nein, vor der Konfrontation.
Es gab ja auch Gespräche mit ihr, die er genoss. Die Gespräche über die Kinder waren so wunderbar. Sie spürte so viel, sie ahnte und wusste so oft um das Verborgene. Neue Phasen der Kinder erkannte sie früh, benannte sie, und wenn sie ihn dann um Rat fragte, war er ihr so nah. Die Kinder, das war ihre Brücke, ihre Verbindung.
Aber dann diese Finanzgespräche. Nur der Wein half weiter. Und wenn er ihr dann nachgegeben hatte, der Konfrontation ausgewichen, den Ausgleich, und das hin-und-her-buchen mit ihr so bewerkstelligte, dass sie beide wieder ruhig wurden, ihre Schulden unter den Teppich gekehrt hatten, dann schlief sie manchmal mit ihm. Das, was sie beide im Geld verschwenden an Problemen schufen, wurde durch die verschwenderische Lust weggespült, die sie ihm bereitete. Voller Verführung, mit immer neuen Phantasien, Bildern, Höhepunkten, aber selbst immer kontrolliert und irgendwie hinter dem Schleier.
Jetzt also das andere Gespräch. Sagen, was gesagt werden muss. Wissen, dass es scharf werden wird. Und ahnen, dass es ihre Lust für weitere Wochen abtöten würde.
„Julia, ich möchte von dir heute ein Zusage, dass du dir sofort was zum Arbeiten suchst.“
Schon ihr Gesichtsausdruck kündigte ihm an, was nun folgen würde.
„Du wirst nie begreifen,“ zischte sie scharf, „was es heißt, drei Kinder groß zu ziehen...“
„Darum geht es doch gar nicht“, unterbrach er sie, „Du hast auf diesem Zettel unterschrieben, dass Du bis Ende letzten Jahres 1500 Mark monatlich dazu verdienst. Und dies Geld fehlt uns jetzt jeden Monat“
„Geh doch selber zum Arbeitsamt und lass dich mal so entwürdigen, wie ich letzte Woche...“
„Julia, das weiß ich doch, aber es geht jetzt nicht um Entwürdigung, sondern dass monatlich 700 € fehlen“.
„Was soll ich denn noch tun?“ Sie wurde gereizter, lauter. „Lars war letzte Woche krank, davor war Romans Konfirmation, und davor bin ich operiert worden“. Und wieder reihte sie ärgerlich die vielen Aufgaben als Hausfrau und Mutter auf, die sie hasste, die sie ungern tat, und die sie ihm immer wieder zum Vorwurf machte, wenn sie stritten.
Ihr Ton wurde lauter, hysterischer, diese Frequenz, die ihn lähmen konnte, die ihn an früher erinnerte, an seine Mutter, und die jenen Punkt traf, wo er hilflos wurde.
„Nächsten Monat mache ich einen Computer-Kurs für Frauen, um selber vernünftige Bewerbungs-Unterlagen schreiben zu können.“ Für kurze Zeit wurde ihre Tonlage normaler, sachlich, ja fast ein wenig flehentlich.
Warum nur traute sich sowenig selbst. Sie hatte solche Fähigkeiten, als Lehrerin, als Therapeutin, als Seminar-Leiterin. Ihre Kompetenz war Gold wert, und könnte das Haus retten...
„Nein, Julia, von so nem Kurs kriegen wir auch kein Geld...“ Er atmete tief und er hatte das Gefühl, nun erst das Wesentliche auszusprechen, das was ihm so unendlich schwer fiel.
„Du musst jetzt und sofort Geld verdienen, und wenn es putzen oder verkaufen bei ALDI ist.“
Er hielt inne. Er konnte nicht weitersprechen, sie war aufgesprungen, lief in den Flur und er – hilflos wie so oft - ihr hinterher – da öffnete sie mit pathetischer Geste die Haustür.
„Raus mit dieser Gemeinheit, diese Schamlosigkeit darf in diesem Haus nicht bleiben,“ rief sie und jetzt überschlug sich ihre Stimme.
Und wieder dachte er, dass die Kinder alles hören könnten, dass sie nie Rücksicht darauf nahm. Aber nun, da er den Weg beschritten hatte, ließ er sich nicht aufhalten Auch nicht, wenn Sie seinen Forderungen die Tür wies.
„Hör auf, mit diesen Spielchen, du hast ein Versprechen abgegeben, schriftlich, und du hältst es nicht ein. Das ist der Grund, warum die Zwangsversteigerung droht.“
„Und was ist mit dem Geld, das du für Pornofilme auf Deinen Geschäftsreisen ausgibst?“
Da hatte sie ihn, packte sie ihn bei seiner Scham und seiner Verklemmung, sie hatte die Quittungen für Pay-TV in seinen Taschen gefunden. Das saß. Und für eine Sekunde war er platt.
Aber jetzt konnte sie ihn nicht mehr treffen.
„Das sind 20 € im Monat, davon kann man keine Hypothek bezahlen.“ Im gleichen Augenblick war er unendlich befreit, diese Leiche aus dem Keller geworfen zu haben.
„Und dein ganzes Computerkrimskrams, das du dir ständig anschaffst?“
Noch so ein Messer. Nie zuvor hatte sie das angesprochen. Er wusste, jetzt musste alles raus, jetzt konnte alles raus.
„Werd nicht albern,“ bellte er scharf. „Das sind 30 € im Monat, du lenkst ab.
Das ändert nichts daran, dass du vor dir selber davon läufst. Du kannst und du musst endlich Geld verdienen!“
Ihr Brustkorb hob sich wütend.
Nun hatte er keine Angst mehr von ihr. Nicht vor dem Konflikt, nicht vor der Stimme. Nicht vor den Folgen.
Es war ihm, als würde das Herz von den Fußsohlen bis zur Kopfhaut schlagen, aber eine tiefe Ruhe war von ganz weit hinten zu spüren.
Noch mal holte sie tief Luft, gab die größte Abscheu, der sie fähig war, in ihre Stimme und schrie ihn an: „Nur weil ich acht Wochen die Beine nicht breit gemacht habe, behandelst Du mich wie das letzte Stück Dreck. Was ist es nur außer deiner unstillbaren sexuellen Gier, die dich so unmenschlich gemein werden lässt?“
Nun das auch noch.
Für einen Bruchteil einer Sekunde, wirkte diese Keule. Aber nur kurz. Warum musste sie auch noch die Nächte zerstören. Die Illusion töten, dass sie es gern tat, wenn sie ihm auf ihre unvergleichliche Art Wollust schenkte. Nein, dieses Messer stach. Es traf. Und es zerschnitt
So grausam der Gedanke war, der ihm ins Bewusstsein schoss, so schön war er: Das war das Ende. Nun wusste er es.
Es gab kein Zurück. Dies Ding war unheilbar. Das Haus musste schnellstens verkauft werden. Die Trennung war unausweichlich.
Sie selbst hatte das Band endgültig zerschnitten.
„Ach Julia,“ sagte er, und er war müde, traurig und ruhig zugleich, „das ist doch alles sinnlos. “
Es war nur ein Schritt in sein Zimmer. Er drückte die Tür fest zu, legte sich auf sein Bett und umgeben vom wilden Pochen seines klopfenden Herzens, genoss er die Vorahnung einer neuen Autonomie