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Uferlos

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15.06.2005
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Uferlos

Es heißt immer, der Mensch lerne aus seinen Fehlern. Das hieße, dass ich eigentlich schon sehr viel hätte lernen müssen. Ich bin ja schließlich unbestreitbar ein Mensch. Außerdem heißt es, der Mensch sei ein Gewohnheitstier. Ich glaube, ich lebe in der Gewohnheit Fehler zu machen. Soviel zu meinem Menschenbild. Ich will Sie jedoch damit nicht weiter behelligen. Eigentlich will ich Ihnen nur eine Geschichte erzählen. Meine Geschichte. Diese Geschichte habe ich noch niemandem erzählt. Sie sind der Erste.

Es begann vor sechs Wochen. Mir hingegen kommt es aus heutiger Sicht vor wie sechs Ewigkeiten. Ich saß wieder einmal in einer langweiligen Vorlesung. Ich hatte wie immer alles zurechtgerückt. Auf dem Tisch lag mein Federmäppchen, mein Block, mein Handy usw.

Wissen Sie, was ich meine? Es liegt alles auf seinem Platz. Das Federmäppchen rechts oben, das Handy orthogonal zu Ebene des Tisches in meinem Federmäppchen, der Block in der Mitte, mit der Tischkante abschließend.

Nun ja, auf jeden Fall stand ich noch mal auf und sagte zu Thea, dass ich mir die Beine vertreten gehe.

Ach ja, Thea ist eine Kommilitonin von mir. Ein faules, aber durchaus liebenswertes Miststück mit unvergleichlichem Humor. Sie ist 22 und im gleichen Semester wie ich. Im Ersten. Außerdem spielt Sie erwähnenswerterweise unglaublich gut Querflöte.
Also ich vertrat mir die Beine und ein Kommilitone ruft noch: „Achtung!“, als ich auch schon im Dreck lag. Unter jemandem.

Nebenbei bemerkt ist „Achtung!“ die dämlichste Warnung überhaupt. Ich glaube nicht, dass „Achtung!“ schon mal jemandem weitergeholfen geschweige denn, das Leben gerettet hat.
Während ich nun also im Begriff war, am Boden liegend, den auf mir liegenden Übeltäter die Schimpftirade seines Lebens zu verpassen, stockte mir der Atem. Das lächelnde Gesicht, der Körper, der sich an meinen schmiegte, kurz bevor er sich erhob. Die Welt, die aus den Fugen geriet. Ich verdrängte Kälte, Nässe und den Schmerz. Verlor mich in den blauen Tiefen seiner Augen, als hätte mich ein Sog erfasst. Eine halbe Ewigkeit später stand ich vor ihm, klopfte mir den Schnee vom Steiß und den Beinen und hörte mich, „Geht.“ antworten, während der Fremde sich unter Eile und „Sorry.“ entfernte.

Ich bin der Meinung, man kann sich in einen Menschen innerhalb von Sekunden verlieben. Alles was man nach diesem entscheidenden Augenblick an ihm wahrnimmt, verstärkt das Gefühl nur noch. Fehler werden zu kleinen Edelsteinen, die noch ungeschliffen sind. Die Welt ist durchsetzt von rosenzarter Vollkommenheit.

Die Welt schien sich leider wieder zu drehen. Kälte, Nässe und Schmerz drängten sich in mein Bewusstsein. Und Markus. Ein weiterer Kommilitone, der sich meiner Situation vollauf bewusst war. Er hatte die verräterischen Anzeichen sofort entlarvt. Das entrückte Lächeln, die Stammelei. Der Übeltäter, der sich mir artig mit Tim vorgestellt hatte, sich entschuldigte, nach meinem Wohlbefinden fragte und sich dann mit einem „Sorry“ verabschiedete, hatte es mir angetan. Mein Herz wurde im Sturz erobert. Und Markus wusste es, noch bevor ich es mir eingestehen wollte.

Wir gingen in die Vorlesung. Tim war hier das Thema Nr. 1. Dank Markus, der sich sogleich mit Thea angeregt darüber unterhielt. Ihre Sticheleien und seine Zweideutigkeiten verliehen mir den gesunden Teint einer Tomate. In den letzten zwei Tagen Uni in dieser Woche, sollte Tim in physikalischer absentia mein Färbemittel bleiben. Ich sah ihn nicht, doch Thea und Markus riefen ihn mir bei jeder Gelegenheit ins Gedächtnis.

Endlich Arbeiten. Auf der Maloche war mal wieder Telefonterror angesagt, da Neuigkeiten, die den Kunden nicht schmecken dürften und uns gerade erst selbst offiziell bekannt gegeben wurden, von diesen Kunden wütend zur Sprache gebracht wurden. Das Arbeiten machte mir den Kopf jedoch klar. Die mangelnde Vorbereitung durch den Arbeitgeber, machte ich wie immer durch souveränes Reagieren wett. Während sich der Kunde noch beschwerte, hinterbrachte ich ihm die Vorteile der Programme, die wir anboten. Nach einer Viertelstunde hatte der Kunde ein neues Angebot angenommen und einige entschuldigten sich sogar halbherzig und dankten mir für meine kompetente Hilfe.

Ich neige nicht zu Selbstlob, kenne jedoch meine Stärken. Ich bin ein Gott am Telefon. Glauben Sie mir einfach. Noch bevor Sie auflegen, haben Sie drei unserer Produkte gekauft und hoffen, dass ich Sie bald wieder anrufe. Meine Schwäche ist das persönliche Gespräch. Niete. Das Wort steht mir dann auf die Stirn geschrieben. Am Telefon konnte ich ruhig bleiben. Besonnen. Natürlich regte ich mich auf, aber obszöne Gesten am Telefon, das Wort „Wichser“ auf einem Zettel und schon war ich die Freundlichkeit in Person. Im Kundengespräch vis a vis war ich deswegen aufgeschmissen. Die Worte waren zwar die richtigen, aber der Ton spielte nicht immer mit. Man wusste immer, was ich dachte. Und meistens denkt man sich nun mal: „du dummer Wichser.“ Deswegen habe ich auch keine Kundengespräche, es sei denn, es ist Not am Mann.

So wie an jenem Tag. Ab an den Schalter und versagen, hieß die Devise. Zwei Kunden hielt ich durch und dann: Die Krönung. Ich hasse Klugscheißer.

Das können Ihnen alle Klugscheißer bestätigen. Klugscheißer mögen keine Klugscheißer.

Ich erkläre also den Sachverhalt haarklein. Der Kunde zerlegt es in Einzelteile. Am Telefon wäre das ein schwieriger Kunde, hier am Schalter konnte er zum Jobverlust führen. Ich presste hervor, dass ich mir das Ganze noch mal anschauen würde und ihn dann zurück riefe. Er setzte zu einem Protest in Form eines Ultimatums an, als mich eine Stimme erlöste.
„Komm, Pa, wir gehen. Ich habe keine Lust mehr hier rumzusitzen und du wirst ja dann noch mal zurück gerufen.“ Ich erkannte die Stimme sofort. Tims Stimme. Kaum dass sein Vater raus war, zwinkerte er mir zu, gab mir einen Zettel und meinte: „ Wir sind quitt! Umgerannt zu werden ist ein Vergnügen gegen die Attacken meines Vaters. Mehr als ein „Danke.“ brachte ich nicht hervor. „ Falls du mal Lust hast, eine Mehr-als-ein-Wort-Kommunikation mit mir zu führen, kannst du mich ja mal anrufen. Pas Nummer und meine hast du ja jetzt.“ „Ich ruf Dich an.“, murmelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart, während er ging.

Den ganzen Abend verbrachte ich vor dem Telefon. Unschlüssig, ob ich anrufen sollte. Ich wählte, legte schnell auf, wählte wieder. Ich ließ es natürlich nicht klingeln. Das wäre peinlich gewesen. Nach dem ca. elften Mal beschloss ich, es klingeln zu lassen. Vielmehr war ich vom Fallen meines Wasserglases zu abgelenkt, um das Klingeln zu verhindern. Und Auflegen wäre feige. Also wartete ich, während das Wasser in meinem Teppich versickerte. Als er sich schließlich meldete, war ich erst mal baff. Ich brauchte Sekunden, mich zu fangen.

Millisekunden. Ein zweites ‚Hallo’. Ich meldete mich, sagte, dass ich ihn so schlecht gehört hätte, es jetzt aber besser wäre. Und das ich auf sein Angebot bezüglich der Mehr-als-ein-Wort-Kommunikation gerne zurückkommen würde. Das Telefon ist mein Element. Charme und Funken sprühten durch die Leitung. Der Gedanke ‚Zweites Standbein: Telefonsex’ schoß mir durch den Kopf, während wir Zeit und Ort für ein Date festhielten und ich Sterne, Herzen und Smilies in meinen Kalender zeichnete. Der perfekte Rahmen für seinen Namen.

Meine Woche hatte nun ein Ziel. Am Samstagabend wäre es soweit. Erst Essen gehen, dann vielleicht noch Tanzen. Was auch immer mich erwartete, ich blickte dem gleichzeitig voll panischen Entsetzens und freudiger Erwartung entgegen. Was würde ich anziehen, was bestellen. Was für Themen würden wir beim Essen haben. Ich kann nicht gut tanzen, tue es aber mit Begeisterung. Würde ihn das irritieren?

Hölle, Hölle, Hölle röhrte es durch den Raum. Vaters Wolle-Petri-Koller. Dass ich übers Wochenende nach hause fuhr, hatte ich doch erwähnt, oder?

Verzeihen Sie, das ist etwas kompliziert. Ich arbeite und studiere hier, wohne aber übers Wochenende auch noch zu Hause. Zweitwohnsitze, die Stütze der modernen, jungen, erwachsenen Gesellschaft. Das Wohnen bei meinen Eltern, knapp 60 km von der Universität und 70 km von meiner anderen Wohnung entfernt, gestaltet sich eher zweckmäßig. Ich bringe meine Dreckwäsche dorthin, bleibe eventuell über Nacht, nehme saubere Wäsche mit. Essen kann man dort auch super. Und so günstig. Meine Eltern sind, trotz aller Liebe zu Ihnen, für mich zu einer Institution zum Lösen logistischer Probleme verkommen.

So langatmig sich das nun anhörte, so zog sich das Warten dahin. Unkonzentriertes Lernen. Zapping. Zusammenhanglose Gespräche mit Vater und Mutter. Ich war dieses Wochenende nicht verabredet. Dabei war ich immer freitags verabredet. Manchmal auch Samstagvormittag. Doch diesmal war der Wurm drin. Bis auf Tim hatte ich keine Höhepunkte für das Wochenende.

Wir sollten uns also endlich treffen. Ich saß schon am Tisch und hatte mein erstes Glas auf Ex geleert, nachdem er sich verspäten sollte. Zum Glück hatte er angerufen, sonst wäre ich schon nach zehn Minuten schreiend davon gerannt. Der Wein brachte mein Blut in Wallung und dämpfte die aufkommende Nervosität. Er stieß zu meinem - unserem Tisch vor und entschuldigte sich wort- und gestenreich. Ich glaubte in diesem Moment, ihm alles vergeben zu können. Vermutlich sogar auf Vorrat. Wir redeten also über das Wetter, wechselten im Galopp zu Fernsehen und landeten danach bei Musik. Die Chemie stimmte. Mehr als das. Wir teilten Interessen. Ich verlor immer mehr die festgesteckte Perspektive, mich vielleicht nicht gleich zu sehr auf ihn einzulassen und wurde frecher, aber auch charmanter und natürlicher.

Nach dem Essen war Disco angesagt. Ein kleiner Verdauungsspaziergang und dann Tanzen. Er kannte da eine nette kleine Disse, deren Namen ich nie gehört hatte. Seine Hand fand die meine. Wir tanzten und tranken und ich ließ all die kleinen Vertraulichkeiten zu, bei denen ich sonst schon längst einen Rückzieher gemacht hätte, wenn ich nicht genau gewusst hätte, wie ernst es noch werden würde. Es war voll dort. Ein Szeneschuppen vor dem Herren.

Berauschende Musik und wilder Tanz forderten meine Aufmerksamkeit. Mit ihm zu tanzen ließ ich nach dem zweiten Fauxpas meinerseits bleiben. Zu hohes Verletzungsrisiko für Tim.
Auch auf dem Heimweg sprachen wir über Gott und die Welt, über Gefühle und Sehnsüchte, Träume und Schäume. Er übernachtete bei mir. Auf der Couch natürlich. Sie haben ja hoffentlich nicht gedacht, ich würde den perfekten Mann gleich in der ersten Nacht ranlassen? Geküsst haben wir uns. Und Küssen beschreibt nicht im Entferntesten das, was seine Zunge in meinem Mund anstellte. Es war so sinnlich und meine Entschlossenheit wäre fast dahin geschmolzen. Aber heute Nacht sollte Tim nicht mehr zum Schuss kommen. Das machte ich deutlich und darum küssten wir uns eben nur stundenlang und waren es zufrieden. Ein wenig Bedauern seinerseits, dass es nicht dazu kam. Er hatte mich fast schon soweit. Seine Hand wurde im letzten Moment aus meinem T-Shirt verbannt.

Verdammte gesellschaftliche Konventionen. Leider ließ mir meine Sozialisation da keinen Freiraum. Sie verbannte Tim auf die Couch und mich in ein einsames Bett. Wir redeten noch. Dann schliefen wir bis in den frühen Nachmittag hinein. Es war alles so intensiv, so wundervoll, so rosarot.

Im Nachhinein war diese erste Woche mit Tim wohl die glücklichste. Wir beide hatten zwar viel zu tun, jedoch waren so die seltenen Juwelen unserer Zweisamkeit umso wertvoller.
Sich dreimal die Woche mit dem geliebten Mann zu treffen, fand ich zumindest recht wenig.
Wir trafen uns im Kino, auf der Uni-Party und schließlich bei mir daheim. Ich fiel bei dieser Gelegenheit geradezu über ihn her. Aber er hatte angefangen! Er küsste mich auf den Mund und plötzlich waren seine Hände auf meinem Körper und ehe ich es mich versah, leckte er genüsslich meine Brustwarzen. Ich warf ihn aufs Bett, wälzte ihn auf den Rücken. Klamotten flogen durch die Gegend, meine Zunge erforschte den leicht salzigen Körper unter mir. Seine Nippel ragten wie Festungstürme in den Himmel, sein erregierter...

Moment. Ich glaube nicht, dass Sie sich für derartige Intimitäten interessieren. Das Mysterium dieser Nacht sollte lieber von Ihrer Phantasie statt durch meine hohlen Worte aufgedeckt werden. So viel kann ich Ihnen verraten: Zwei junge gesunde Männer in der Blüte Ihres ach so jungen Lebens belassen es nicht bei einem Mal, so fantastisch es auch ist. Sie treiben es immer weiter, überschreiten Grenzen, fröhlich und versaut, die ganze Nacht.

Als er sich morgens anziehen wollte, zog ich ihn wieder ins Bett. Kaum lagen wir ein weiteres Mal schweißgebadet und glücklich nebeneinander, als er sich zu mir umdrehte, ein ernstes Gesicht machte und zu sprechen anhob. Konfus begann er von seinem Vater zu erzählen, der ihn zwinge, ein Praktikum zu absolvieren. Im Ausland. Vier Wochen lang. England. Es täte ihm leid, aber er könnte sich dem nicht entziehen. Ich strahlte ihn an. Voller Zuversicht meinte ich nur, ich würde ihn besuchen, egal, ob ich es mir leisten könne oder nicht. Welche Grenzen solle denn die Liebe respektieren und wer wolle sie ihr setzen? Er ging ungeduscht und einigermaßen beruhigt heim. Ich dachte nach. Die erste postkoitale Euphorie war verflogen. Würde ich es mir wirklich irgendwie leisten können? Ein Praktikum musste ich zwar auch ableisten, aber so lange würde es nicht dauern. Und geduldig war ich ja auch. Ich rief ihn an, versicherte mich seiner Bereitschaft zu ewiger Liebe und ging beruhigt dem restlichen Sonntag nach.

Ich hatte seine Nummer in England. Ich wollte ihn sofort am Montag dort anrufen, hielt mich aber an die vereinbarte Woche. Beinahe. Mittwoch rief ich an. Wir erzählten uns, was so passiert war- zwei Stunden. Telefonsex - halbe Stunde. Armselig, aber besser als gar nichts. Ich hatte noch ein T-Shirt von ihm, an dem ich ab und zu zärtlich roch, um den Geruch nicht zu verbrauchen. Sein duft haftete immer noch daran. Ein Stück von ihm.

Ich rief ihn wieder an. Und dann alle zwei Tage wieder. Zwei Wochen lang. Bis ich begann, ihn zu verpassen. Sein Mitbewohner Paul richtete mir das aus. Einmal, zweimal. Ich sprach jetzt öfter mit Paul als mit Tim. Immer eine andere Ausrede. In der vierten Woche rief er mich an. Am Ende dieses zermürbenden Gesprächs kam der Knaller: Es sei im Grunde meine Schuld. Hätte Paul ihn nicht beim Telefonsex mit mir überrascht, auf der Suche nach dem Telefon, wäre nie was zwischen ihnen gelaufen. Ich gab mir tatsächlich die Schuld, war richtig fertig. Ich hatte alles schon gebucht und nun? Ich heulte, schrie rum. Wie dieser verdammte Pauly aussah und was das alles solle?

Mir seinen Kosenamen zu sagen war meiner Meinung nach nicht nötig gewesen.

Ich flog dennoch hin. Ohne mich anzukündigen, zwei Tage früher als vor alledem geplant, kam ich dort an. Am überraschten Pauly vorbei stürmte ich die Wohnung. Er war nicht da. Also knöpfte ich mir gleich mal Pauly vor. Pauly war höchstens siebzehn, beim besten Willen gerade mal achtzehn geworden. Hatte mich Tim mit einem Kind betrogen? Erst jetzt fiel mir auf, dass Pauly völlig verschlafen in einem weißen Slip vor mir stand. Er war verdammt gut ausgestattet. Ich wollte auch nicht dorthin schauen, aber ich konnte nicht anders. Sein Körper war fast unbehaart, wirkte jedoch dennoch sehr männlich, aber auch noch sehr knabenhaft.
Er bot mir was zu trinken an, ich nötigte ihn, reinen Wein einzuschenken. Ich redete so wild auf ihn ein, dass er mir die Geschichte erzählte. Wie er Tim beim Telefonsex überrascht hatte. Wie er schon gehen wollte und dann von Tim heran gewunken wurde. Wie Tim Paulys Hand in seinen Schritt führte. Seinen Kopf schließlich zwischen Tims Beine drängte...

Ich war verwirrt. Pauly schien die Wahrheit zu sagen. Er gestand, von Anfang an in seinen charmanten Mitbewohner verschossen gewesen zu sein. Er war sehr schüchtern und dass er sein erstes Mal vor Tim kniend erlebt hatte, war für ihn bestürzend und berauschend zugleich gewesen. Manchmal drohte meine Selbstbeherrschung in sich zusammenzufallen, aber Pauly war ein netter Kerl. Ein lieber Junge. Sensibel und für sein Alter erstaunlich reif.
Er wollte mich nicht verletzen, gestand er traurig. Hätte Tim sich nicht so präsentiert, hätte Pauly sich nicht hinreißen lassen.

Pauly war einfach hinreißend. Tim hatte einen guten Geschmack für seinen Liebhaber bewiesen.

Der auf mein Anraten hin angezogene Pauly und ich unterhielten uns immer noch, als Tim nach hause kam. Er schickte Pauly für eine halbe Stunde spazieren, kaum dass er mich sah. Wir redeten. Vielmehr redete er. Ich hörte mit wachsendem Unmut zu. Zwei widerstreitende Geschichten. Der Mann, der von einem notgeilen Bengel fast vergewaltigt wurde und sich nicht wehren konnte und der Junge, der gestanden hatte, mit Tim nicht nur einmal Verkehr gehabt zu haben, seit dem ersten Mal und der Tim als Initiator, sich selbst jedoch als Mitschuldigen ansah. Tim war so charmant, so witzig, so verführerisch. Er machte mich fast vergessen, wie ich mich noch vor 27 Stunden gefühlt hatte. Pauly war ernsthaft, verschüchtert und traurig. Sollte ich wählen, was ich hören wollte oder was ich glauben konnte?

Pauly kam zurück. Völlig durchnässt und durchfroren. Er war wirklich die halbe Stunde lang draußen geblieben. Trotz des strömenden Regens, der kürzlich eingesetzt hatte. Ich schickte Tim ins Bad, er sollte heißes Wasser in die Wanne laufen lassen. Pauly zog sich indes aus und ich schimpfte wie ein Rohrspatz mit dem jungen Mann, in seiner hoffnungslos romantischen Verlorenheit. Ich brachte ihn ins Bad, nachdem ich ihn zunächst mit einem Handtuch trocken gerieben hatte. Während ich Tim zum Teekochen verdonnerte, verfrachtete ich Pauly in die Wanne. Ob ich noch was für ihn tun könne, fragte ich. Meine Fürsorge, ich wage kaum von Mütterlichkeit zu sprechen, entfaltete sich vollends.

Leider muss ich zu meiner Schande gestehen, dass der junge, nackte, gut bestückte Mann in Not schon immer eine meiner Lieblingsphantasien war.

Ich ging energisch über die Begehrlichkeiten hinweg, die sich in mir Bahn brechen wollten und erkundigte mich nach seiner Gesundheit. Er lächelte nur durchfroren. ‚Tee’, bringt er unter heftigem Zittern hervor. Ich begebe mich also in die Küche, zu Tim. Dieser benahm sich seltsam. Was ich denn so lange im Bad getrieben hätte? Ob sich Pauly nicht alleine ausziehen könne? Seine patzigen Fragen weckten Zorn in mir. Ich explodierte förmlich: „Was erlaubst du dir eigentlich? Erst lässt du dir von dem Jungen einen blasen und wer weiß, noch alles, obwohl du mir all diesen Scheiß von wegen Liebe und Treue versprochen hattest und dann machst du einen auf eifersüchtig, weil ich dem Jungen aus dem von dir eingebrockten Schlamassel helfe und versuche, ihn vor einer Erkältung oder Schlimmerem zu bewahren. Was meinst du wohl, warum Pauly eine halbe Stunde lang auf deinen Wunsch draußen im strömenden Regen stand? Nachdem was du hier geliefert hast, glaube ich nicht, dass du es auch nur annähernd begreifst. Liebe! Und verdammt will ich sein, wenn ich aus Rücksicht auf deine Eitelkeit“, meine Stimme war von einem ätzenden Kreischen auf ein unterkühltes Flüstern gesunken, „einem Jungen nicht helfe, der sich den Tod wegen dieser dummheit hätte holen können.“ Energisch schnappte ich mir Kanne und Tasse und ging mit hochrotem Kopf, Tim einfach stehen lassend, ins Bad.

Ich neige nicht dazu Szenen zu machen, vor allem nicht mit solchem Temperament, aber das Maß war nun mal voll. Vielleicht habe ich Tim nie geliebt, aber ich hatte starke Gefühle für ihn. So starke Gefühle, dass ich zumindest glaubte, ihn geliebt zu haben. Und mein Zorn auf meine eigene dummheit hatte sich hier Bahn gebrochen.

Ich gab Pauly wortlos eine Tasse Tee. Er sah mich erschrocken an und ich zwang mich zu einem Lächeln. „Es tut mir leid.“, stammelte er elendig heraus. Eine Träne kullerte über seine Wange und weitere folgten. Ich nahm in unwillkürlich in den Arm. „Hör zu, Darling. dir muss nichts Leid tun. Tim ist älter und reifer und kann die Konsequenzen seines Handelns eher abschätzen als du. du magst zwar mit ihm geschlafen haben, aber daran bist nicht du alleine Schuld. Und du hast schon genug gebüßt. Die Verkühlung sollte Strafe genug sein.“ Ich strich liebevoll über seine Wange, während ich mich reden hörte, wie die Mutter aller Tunten. „Soll ich dir was zum Anziehen bringen oder noch ein Handtuch?“

Ich gab ihm den verlangten Bademantel und ging in die Küche, da ich wusste, dass er allein sein wollte. Tim lag vor dem Badezimmer auf dem Boden. Ich hatte das ‚Plop’ der aufgehenden Tür und das Fallen seines Körpers ignoriert. Ich stellte nur flüchtig eine Beule bei dem eifersüchtigen Lauscher fest und ließ ihn liegen. Kaum war ich in der Küche, zupfte er an meinem Ärmel. Ob ich mich jetzt mit Pauly verbrüdern wollte. Warum ich das gesagt hätte. Er zerdepperte wütend eine Tasse. Ich antwortete ihm: „Ich glaube Pauly. Ich kenne ihn seit knapp zwei Stunden und weiß mehr über seinen Charakter, als ich über Dich zu wissen glaubte. Das Bild, das ich von dir hatte, war wohl mehr als falsch. Ich liebe Dich und du hast mir sehr wehgetan. Was auch immer du sagen magst, es wird nichts daran ändern. Das ist keine Frage der Schuld!“ Er sah mich überrascht an. Starrte mit offenem Mund in meine Richtung. „ du meinst doch nicht ernsthaft...“ Er grinste, seine Züge entgleisten ihm und die Augen füllten sich mit Tränen. Sein Kopf wurde puterrot. Dann prustete er los, lachte lauthals. Lauter und lauter. Eine Ohrfeige brachte ihn zum Verstummen. Ich war selbst überrascht. „ Ich.. ich lache Dich nicht aus... das ist nur alles so albern. Mich lieben? Nach einer Woche und dreimal treffen kannst du so etwas entscheiden? du warst ja ganz nett, im Bett und im Ganzen, aber Lieben?“

Kennen Sie das Gefühl, wenn jemand einem den Boden unter den Füssen wegzieht. Das Gefühl völliger Perplexität? Ich war am Ende. Und damit meine ich den Gefühlstiefpunkt den man erreicht, wenn alles so überwältigend über einen hereinbricht, der ganze Mist dieser ach so schönen Welt, dass man einen Augenblick lang gefühlsmäßig tot ist. Ich hatte innerhalb von fünf Wochen eine handfeste traumatische Erfahrung gemacht. Glückwunsch, Tiger.

Alles prasselte auf mich ein. Innerhalb von Sekunden, Minuten. Erst fühlte ich Hass, dann Angst und Trauer. Vielleicht fühlte ich auch alles gleichzeitig.

Meine Sicht der Dinge darüber ist heute verklärt.

Doch meine Augen füllten sich mit Tränen und ich sah mich an einen Ort zurückziehen, an den mir keiner folgen kann. „Ich vergebe dir.“, hörte ich mich wie in Trance sagen, als ich mich schließlich auf die Couch sinken ließ und anfing, zu weinen.
Tim entschuldigt sich, versuchte die Situation zu klären, redete wirres Zeug, das er selbst nicht glaubte. Das Alles las ich nur in seinem Gesicht, die Worte glitten an mir vorbei, als wäre ich taub. Ich ignorierte seine Friedensangebote und starrte trübsinnig vor mich hin. Pauly setzte sich zu mir. Er meinte zu Tim kalt, er sollte es lassen. Er hätte genug angerichtet.

Als Tim ging, wurde es besser. Alles was blieb war eine Leere, ein Vakuum, das auf Füllung drängte. Ich wischte Tränen weg und wartete. Erforschte mein Selbst. Dort war nur die Leere. Keine Wut, Enttäuschung, Verletztheit. Nichts. Nur Leere. Ich wollte nicht leiden. Irgendwie wollte ich auch nicht, dass Tim leidet. Und Pauly wollte ich nicht mit hinein ziehen. Ich hörte mich sagen, es ginge bereits wieder. Er bot mir an zu reden. Ich bat ihn, allein zu sein. Er drückte mich kurz und ging unter einem gerauntem „Verstehe schon.“. Er verstand mich wirklich, dass fühlte ich mit einer Gewissheit, die ich noch nie verspürte. Ich saß auf dem Sofa. Auch die Leere musste schließlich weichen. Wofür andere Leute Tage oder Wochen brauchen, schien hier und jetzt nur Stunden zu dauern. Selbstmitleid erfüllte mich. Ich war ja so doof, naiv und vertrauensselig.

Ich ging ins Bad, wusch mich, setzte mich wieder auf die Couch. Die Wohnung wirkte verlassen. Ich fühlte mich allein. Ich grübelte und erforschte das Elend meiner selbst.

Sie kennen das vielleicht: Immer geht alles schief. Stets trifft es mich. Warum nie bei den Anderen? All diese selbstmitleidigen Fragen rotierten in meinem Kopf.

Tim kam wieder. In seinem Gesicht konnte ich zu meiner Verwunderung Spuren von Tränen erkennen. Er setzte sich zu mir. Nahm meine Hand in seine. „Es tut mir wirklich leid. Ich habe nicht im Traum daran gedacht, dass jemand so für mich empfinden könnte. Ich wurde bisher immer nur verarscht und habe mir geschworen, dass ich nicht mehr der Dumme sein werde. Pauly bedeutet mir gar nichts. Er ist nur ein weiterer Name auf einer langen Liste von bedeutungslosen Eroberungen. Ich habe viele Erfahrungen gesammelt. Ich habe mich anfangs so oft verliebt und dann am Ende saß ich da, so wie du jetzt: Allein. Verzweifelt. Traurig. Weil irgend so ein Wichser mir das Herz gebrochen hat. Jetzt bin ich der Wichser, der Herzen bricht. du hast mich berührt, mich zur Besinnung gebracht. Dich so zu sehen. Ich habe verlernt zu fühlen, vielmehr zu sagen, was ich fühle. Aber ich fühle etwas. Bei dir.“

Ich weiche seinen Lippen aus, als er versucht mich zu küssen. „Was du getan hast, ist schlimm genug und jetzt willst du einfach so weitermachen? Du sagst, du wärst geläutert und kehrst zu mir zurück? Was ist mit Paulys Herz? Er ist so ein lieber Junge. Er sollte mehr sein als ein Name auf irgendeiner verdammten Liste.“ „Aber er ist für mich völlig unwichtig. Du alleine zählst. Du liebst mich doch. Und ich...ich...du weißt schon. Und wenn wir beide uns lieben, dann gibt es auch noch eine Chance: Vergebung. Ich will, dass es mit uns weiter geht.“

Pauly stand neben der Couch. Wie lange wohl schon? Sein Gesicht jedenfalls war totenbleich. Bittersüße Tränen kullerten über seine Wangen. Ich sprang auf, nahm ihn in die Arme und drückte ihn fest an mich. Ich hatte Angst um ihn. Diese Verletzlichkeit rührte an einen Punkt tief in mir. Er umarmte mich krampfhaft. Ich brachte ihn auf sein Zimmer. Beruhigte ihn. Hoffte tief im Inneren, dass Tim nicht seine große Liebe war. Die wirkliche, einmalige, alles verändernde Liebe. Tim blieb perplex zurück. Pauly weinte und schluchzte. Glücklicherweise war er so erschöpft, dass er sich schnell in den Schlaf weinte. Ich wartete einen Moment, löste mich aus der Umarmung und ging ins Wohnzimmer.

Tim saß immer noch so da, wie ich ihn hatte sitzen lassen. „Ich wollte das nicht. Ich will nur dich und alles andere hier vergessen. Kannst du mir verzeihen?“ In seinen Augen liegt ein Flehen, dass ich ignoriere, ignorieren muss. Mein Gesicht war eine Maske. „ Ich kann nicht mehr, Tim. Ich habe für heute keine Kraft mehr. Ich werde darüber nachdenken. Morgen, morgen können wir reden. Wenn du jetzt auf einer Antwort bestehst, werde ich ‚Nein’ sagen.“

Tim ging ins Bett. Ich klappte die Couch aus, packte mein Zeug aus und legte mich auf die viel zu große Matratze. Allein. Ich lag dort einige Zeit wach, als ich im schwachen Dämmerlicht des Raumes Pauly sah. Er wollte heute Nacht nicht allein sein. Er fragte, ob er bei mir schlafen könnte. Er würde sonst verrückt. Ich ließ ihn zu mir ins Bett krabbeln. Er kuschelte sich an mich und erzählte. Dass Tim der Erste war. Die erste große Liebe. Dass er ihn immer noch lieben würde. Trotzdem. Er berichtete mir alles. Jedes Detail. Ich lauschte ihm, strich über seinen Kopf. Versprach, dass es irgendwann besser sein würde. Nicht mehr so wehtun würde. Es war gut, für jemanden dasein zu können. Ich schlief erhebliche Zeit später ein.

Als ich wach wurde, schob ich ein Kissen unter Paulys Kopf und stand leise auf. Ich gewahrte Tim, der finsteren Blickes vor sich herstarrte. Er saß auf dem Sessel und schaute auf das Bettsofa. Ich ging erst mal ins Bad. Als ich zurückkam, was das Bild unverändert. Ich forderte ihn leise auf, mir in die Küche zu folgen.

Während ich einen Tee kochte, probte Tim den Aufstand. Ob das meine Rache an ihm sei. Ob ich das unter ‚eine Nacht drüber schlafen’ verstehen würde. Ich wusste sofort, worauf er hinaus wollte. „Hör mir zu! Pauly war gestern fertig. Er bat mich, bei mir schlafen zu dürfen. Er brauchte Beistand, jemanden zum Reden. Es lief nichts. Ich habe ihn nur geröstet.“ „Getröstet nennst du das also? Kannst du das Kind nicht beim Namen nennen?“ Er blaffte mich an und ließ nicht locker. „Als ob diese kleine durchtriebene Ratte etwas anderes im Sinn hätte, als einen neuen Stecher zu finden.“ Ich fasste ihn bei den Schultern und blickte ihm tief in die Augen: „Glaube mir oder nicht. Aber denke von Pauly nicht so. Das hat er nicht verdient. Er liebt dich. Du warst sein erstes Mal und das nicht nur im Bett. Ich frage mich ernsthaft, was ich je an dir fand. Ich dachte, heute Morgen würde eine schwere Entscheidung auf mich warten, doch du machst es mir sehr leicht. Du liebst mich und doch kannst mir nicht mal vertrauen? Ich hätte dir alles Vorige vielleicht verzeihen können, aber wie du dich jetzt hier aufführst. Nein! Es ist aus!“ Ich drehte mich um, stürmte ins Wohnzimmer, zog mir ein paar Sachen über und ging spazieren.

Die Wohnung lag direkt am Meer. Wind blähte meine Jacke auf. Ich spazierte zwischen zerklüfteten Felsen umher und schmeckte das Salz des Meeres auf meinen Lippen. Ich war in diesem Moment, zum ersten Mal seit das alles begann, frei. Hier in England schien alles wie im Zeitraffer zu passieren. Alles reduzierte sich auf ein Minimum an benötigter Zeit. Ich spürte immer noch die Traurigkeit, die Nachwehen der Trennung, aber alles in weiter Ferne, als läge es Wochen, Monate zurück. Der Beginn eines neuen Lebensabschnittes. Ich sehnte mich nach neuen Erfahrungen.

Erst später sollte mir dämmern, dass Pauly der Grund für meine Stärke war. Er hatte mich aufgefangen als ich es nötig hatte, hatte mich gebraucht, als ich Ablenkung brauchte. Ihm ging es noch schlechter, so dass ich mein Unglück hintan stellen konnte.

Als ich in die Wohnung zurückkehrte, war die Situation katastrophal. Pauly stand splitternackt an der Wand, eine Knarre im Mund. Tim versuchte verzweifelt, Pauly von dem abzuhalten, was er offensichtlich vorhatte. „Mann Pauly, lass den Scheiß. So war das doch gar nicht gemeint.“ Pauly schien Tim gar nicht wahrzunehmen. Ich schaltete mich sofort ein: „Pauly, bitte, was ist denn los? Was soll das?“ Die Situation war mir unerklärlich und doch vollkommen klar. Pauly weinte, nahm die Waffe aus dem Mund, hielt sie dann an den Kopf. „Tim hasst mich. Niemand liebt mich. Ich mache alles nur kaputt. Ich sollte nicht mehr leben, dann richte ich wenigstens keinen Schaden mehr an.“ Ich fiel Tim ins Wort, noch ehe er etwas sagen konnte. „Das ist nicht wahr. du machst weder alles kaputt, noch liebt dich niemand. Du hast mir sehr geholfen, ohne dich hätte ich nicht erkannt, was ich erkennen musste. Dann stände ich jetzt vielleicht an deiner Stelle. Du bist ein wunderbarer, liebevoller, sensibler Mann und jeder, der dich kennt, kann sich glücklich schätzen. Dass Tim dich nicht liebt ist Tatsache, aber er hat nicht erkannt, was du wert bist. Gib mir die Kanone Pauly, bitte!“

Zögern. Pauly will zu einem ‚Aber’ ansetzen. „Kein Aber. Du bist ein feiner Kerl, es wert geliebt zu werden. Und deswegen wirst du heute nicht sterben. Nicht von deiner Hand.“ Er gab mir die Waffe.

Der letzte Satz hing wie eine düstere Vorahnung über mir. Wieso hatte ich es auf diese Weise ausgedrückt.

Während Pauly in meiner Umarmung weinte, erhielt Tim von mir einen vernichtenden Blick. Wir setzten uns und ich wollte wissen, was passiert war. Tim schwieg, Pauly weinte nur. Tim verzog sich wortlos nach draußen. Pauly blieb. Beinahe unbewusst küsste ich sein Haupt. Es war absurd. Ich meine völlig absurd und irrsinnig.

Ich ging kurz Tee kochen. Ein Ritual, das für mich Synonym abflauender Krisen geworden war.

Dann beschloss ich, die Waffe zu entsorgen. Ich schaute mich um. Zu meiner wachsenden Beunruhigung stellte ich fest, dass ich die Waffe nicht sah. Hatte ich sie nicht eben noch neben mich gelegt? Pauly beruhigte sich langsam. Die Pistole sah ich nicht. Ich begann ernsthaft zu suchen. Wühlte in der Couch, suchte auf dem Boden, im und auf dem Mobiliar. Nichts. Ein schrecklicher Verdacht kam mir. Ich fragte Pauly, wo die Kanone sei. Er schluckte kurz und verkündete mit feierlichem Ernst, dass ich sie haben müsse. Ich glaubte ihm und entschuldigte mich für mein Misstrauen. „Ich habe nur solche Angst um Dich.“ Er umarmte mich.

Sie können sich nicht vorstellen, wie schwer es einem fällt, unbeeindruckt zu bleiben, wenn man ständig so engen Körperkontakt mit einem liebenswerten, gutaussehenden, sensiblen, verletzlichen, gutbestückten , selbstmordgefährdeten, jungen Mann hat. Es kam, wie es irgendwann kommen musste. Hände wanderten, aus Rücken wurde Po. Aus sorgenvollen Küssen wurden leidenschaftliche. Keiner von uns wollte das bewusst. Es war ein Sog, der uns erfasste und verschlang. Wir wälzten uns auf der Couch, wechselten schweißgebadet in sein Bett und hörten erst auf, als Tm im Zimmer stand.

Einfach nur dastand. Verletzt. Geknickt. Ich ging auf ihn zu, zog ihn aufs Bett. Hauchte nur ein: „Nimm mich“, und küsste ihn wild. Pauly starrte mich unverwandt an, Tim blieb steif. Wurde steif, dort, wo ich es wollte. Ich bezog Pauly mit ein und führte seine Hand an Tims bestes Stück. Es schien alle Spannungen zu lösen. Es war so einfach. Überall Hände und Münder. Wir liebten uns wie Wahnsinnige. Es war nur eine Gnadenfrist, eine Henkersmahlzeit, aber das sperrte ich aus meinem Bewusstsein aus. Ich ging zuerst duschen.

Sieben Minuten später kniete ich nackt im Schlafzimmer, presste mein Handtuch auf Paulys Schusswunde im Bauch. Tim saß nur da. Starrte finster auf Pauly. Die rauchende Waffe in der Hand. Ein weiteres Klicken, aber kein Knall. Ich schlug ihm die Waffe aus der Hand und ihn bewusstlos. Ein einziger Schlag. Ein Knacken war zu hören. Ich sprintete zum Telefon und zurück zu Pauly, während ich den Notruf wählte und ins Telefon brüllte, was passiert sei.

Ich saß auf dem Boden, das blutige Handtuch in meinem Schoß. Ich durfte Pauly nicht begleiten, Tim war abgeführt, saß nur so da.

Dann schrie ich, brüllte, schluchzte, weinte, schrie. Holte die ungehörten, ungesagten Worte nach, die Beiden galten.

So geschah es damals. Tim wurde der Prozess gemacht. Meine Aussage wurde gehört. Pauly war am gleichen Abend verstorben. Zeitpunkt des Todes: 23:59h.

Und deswegen wirst du heute nicht sterben. Nicht von deiner Hand

Wenn ich jetzt über alles nachdenke, erscheint es so klar, als wäre es gestern passiert und doch ist alles so weit entfernt. Es sind erst sechs Wochen vergangen, seit ich Tim traf. Jetzt ist er ein verurteilter Mörder und ich habe diese Zeilen zu unser aller Gedenken geschrieben.

„Immer mache ich alles kaputt.“ Wie eine Zauberformel sage ich diese Worte immer wieder vor mich her. Ich entsichere langsam die Waffe, welche die ganze Zeit auf meinem Schoß ruhte. Es tut mir leid. Nehmen Sie es mir nicht übel.

 

berührende geschichte. es kommt zu einem völligen emotionsbruch für mich, als leser. sehr gelungen.
fürchte mal, es liest keiner, weil sie alle zu faul sind sich zeit für eine lange geschichte zu nehmen.
bitte keine zeile kürzen.
nach wahrer begebenheit erzählt? vermutlich
beeindruckter, etwas aufgewühlter leser
masas

 

Hallo Masas,

erstmal Merci für den netten Beitrag. Ich hoffe doch, dass die Geschichte trotz der Länge gut lesbar war. An Deinem Beitrag hoffe ich das jedenfalls zu erkennen. ;O)

Bisher hatte ich noch nicht vor, sie zu kürzen und solange kein göttlicher Hinweis erfolgt, wird das auch so bleiben.

Ich bin guter Hoffnung, dass sich dennoch einige Leute die Zeit nehmen werden.

dankbarer, hoffentlich weiterhin beeindruckender Autor

Adeptus

 

Hallo Adeptus,

ich habe mir die Zeit genommen, Deine Geschichte gelesen. Ich finde Deine Schreibweise ziemlich beeindruckend - trotz der Ernsthaftigkeit des Themas schaffst Du es (besonders am Anfang) Witz zu versprühen. Die Geschichte ist mitreißend. Komm bloß nicht auf die Idee diese Geschichte zu kürzen! :)

Gruß Chrisstories

 

Hallo Adeptus,

ehrlich gesagt war es nicht die Länge deiner Geschichte, die mich vom Lesen abgeschreckt hat, sondern eher, dass sich keinerlei Absätze darin finden. Gerade am Bildschirm ist so etwas dann extrem schwer zu lesen.
Bitte gehe deine Geschichte nochmal durch und gestalte ihn etwas leserfreundlicher.
:)

Inhaltlich fand ich deine Geschichte bis zur Szene als Paul sich umbringen möchte echt gut. Mir gefällt der leicht humorvolle Unterton, den du anschlägst. Die Art, wie der Prot. sich über sich selbst lustig macht. Das erinnerte zumindest mich an eigene Dummheiten und manchmal musste ich echt schmunzeln.
Ab Paulys geplantem Selbstmord finde ich es irgendwie albern. Zum Einen finde ich seine Reaktion übertrieben - zum Anderen: Warum hat er überhaupt eine Knarre?
Warum haben alle gemeinsam Sex und am Ende dreht Tim durch und bringt Pauly um? Das wird für mich als Leser überhaupt nicht nachvollziehbar und gefällt mir deswegen nicht. Natürlich ist das Geschmackssache, aber ich kann ja hier nicht mehr tun, als dir meine persönliche Meinung mitzuteilen.

Direkt kürzen würde ich deine Geschichte nicht, obwohl es manche Stellen gibt, denen etwas Kürze sehr gut getan hätte. Zum Beispiel würden über den Job deines Prot. auch ein paar Sätze weniger nicht schaden.

Tims Charakter bleibt für mcih sehr undeutlich. Außer, das er sehr gut aussieht und offenbar selbstverliebt ist, erfährt man fast nichts über ihn. Deswegen ist für mich nicht klar, warum dein Prot. ihn so toll findet. Nur am Aussehen wird es kaum liegen, dass er sich einbildet ihn zu lieben. Du solltest ihn noch einzigartiger machen, ihn nicht nur auf Äußerlichkeiten reduzieren.

Bedauerlicherweise springst du des Öfteren in den Zeiten. Die Geschichte ist ja in der Vergangenheit erzählt, manchmal rutscht du in die Gegenwart. Lese dir deine Geschichte nochmal ausführlich durch. Falls du nicht weiter kommst, werde ich dir gerne helfen, aber im Augenblick habe ich nicht die Nerven eine dermaßen lange Geschichte nochmal durchzuackern.
Ungünstig fand ich auch, dass du manchmal die direkte manchmal die indirekte wörtliche Rede verwendest. Das wirkt unstrukturiert und ich würde dir raten, dich auf eine dieser beiden Versionen zu einigen.
Die Anrede "Du" schreibst du in der Geschichte meistens groß. Warum eigentlich? Mittlerweile wurde das abgeschafft und selbst früher wurde "du" nur in Briefen groß geschrieben. Allerdings springst du auch dort und schreibst es mal groß mal klein. Das wirkt schlampig und sollte auch geändert werden.

Ein paar Flüchtigkeitsfehler sind mir auch aufgefallen. Die meisten solltest du selbst finden, wenn du die Geschichte nochmal durchliest.

LG
Bella

 

Hallo Bella,

erstmal danke für die Hinweise. Ich werde mal schauen, was sich da machen lässt. :thumbsup:

Eine überarbeitete Version, um Rechtschreibfehler, Absätze und ähnliches auszubessern werde ich hoffentlich bald präsentieren können. :)

Mein Problem mit den Zeiten war bisher, dass der Prot sich ja auch als Erzähler betätigt und dass ich versuchen wollte, spannende Abschnitte ebenfalls hervorzuheben... genug der Ausreden bezüglich meines temporalen Kuddelmuddels... Ich werde das nochmal prüfen

Frage: Wenn der Prot. die Leserschaft direkt anspricht, sollte ich auf jeden Fall im Präsens bleiben, oder?

In der Hoffnung auch meine heißgeliebten und immer wieder produzierten Flüchtigkeitsfehler zu finden :D

Liebe Grüße

Adeptus

 

Hallo Adeptus,

schön, dass du mit meiner Kritik etwas anfangen konntest.

Ich finde es ungünstig, wenn du - egal ob als Erzähler oder nicht - in den Zeiten springst. Ich sehe im Augenblick auch keine Möglichkeit, wie du spannende Stellen noch speziell hervorheben könntest. Möglicherweise könntest du hier im Stil was machen, z. B. lange Sätze für die normalen Passagen, kürzere, direktere Sätze für die spannenden Stellen. Jedenfalls nicht in den Zeiten springen. :)

Frage: Wenn der Prot. die Leserschaft direkt anspricht, sollte ich auf jeden Fall im Präsens bleiben, oder?

Nicht unbedingt, aber wie gesagt: Du solltest auf jeden Fall in EINER Zeit erzählen, es sei denn du berichtest über Ereignisse, die noch weiter vor dem Erzählten zurückliegen.

LG
Bella

 

Hallo Bella,

ich habe nun einige der gewünschten Änderungen vorgenommen. Absätze wurden gemacht, Dus wurden zu dus, Flüchtigkeitsfehler hoffentlich ausgebessert. :D

Die Sache mit den springenden Zeiten habe ich auf ein Minimum reduziert. Nur die Kommentare des Ich-Erzählers, der aus der Gegenwart in die bereits vergangene Geschichte hineinspringt, habe ich entsprechend so gelassen. Der Ich-Erzähler spricht den Leser hier meistens direkt an. Es ist somit keine Handlung der Geschichte, sondern ein Gedanke des Erzählers, der nachträglich eingefügt wurde.

Die Umstellung der verschiedenen Redeweisen habe ich nicht vorgenommen. Ich habe absichtlich die wichtigsten Passagen der Rede wörtlich gestaltet und andere, aus dem Empfinden des Ich-Erzählers heraus, indirekt gelassen.

Alles in allem habe ich deine Kritik aber ernstgenommen, auch wenn ich dazu neige bei einigen Dingen meinen eigenen Kopf durch zu setzen. ;)

Hoffe, es gefällt trotzdem.

Mit freundlichen Grüßen

Adeptus

 

Hi!

Deine Geschichte gefällt mir gut! Zwischendurch hab ich ein wenig die Lust am Lesen verloren. Vor allem als dein Prot beginnt Pauly zu trösten. Aber auch nur, weil ich nicht nachvollziehen kann wie man jemanden trösten kann, der einem sozusagen das Liebste nimmt. Also da verstehe ich deinen Prot nicht, egal wie verletzlich der Mensch ist, bei mir würde in dieser Situation Hass aufkommen. Aber gut, dass ist natürlich deine künstlerische Freiheit. ;)
Anonsten gute, hauptsächlich realitätsnahe Geschichte, die einen zum Nachdenken bewegt und auch innerlich aufwühlt. :)

Nur eine Frage noch zu:

dass ich nicht mehr der dumme sein werde

Heisst es nicht: "der Dumme"?

Keine große Angelegenheit, ist mir nur komischerweise aufgefallen :)

MfG

 

Hallo Venuslicht,

erstmal danke für deine Anregungen und vor allem fürs Lesen. :D

Habe den kleinen Fehler zwischenzeitlich ausgebessert.

Liebe Grüße

Abraxael

 

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