(Un)schuld
Wo setzte ich es wohl am besten an? Am Hals oder am Handgelenk? Nein, ich schneide mir die Oberschenkel auf, da spür ich eh’ nichts mehr. Diese Treppe…noch vor zwei Monaten hätte ich sie mit Leichtigkeit überwunden, vielleicht sogar als Training. Danach wäre ich auf die Piste gegangen. 100 Meter in 11 Sekunden. Das Tor zur Meisterschaft! Ich hätte es diesen eingebildeten Idioten gezeigt. Niemand hatte an mich geglaubt. Niemand. Niemand. Katharina. Ach Katharina, doch, du hast an mich geglaubt! Aber nun… Wo hab ich denn das Messer? Ist es überhaupt scharf genug? Mal sehen. Ob Katharina wohl um mich weinen wird? Schöner Gedanke irgendwie. Aber vielleicht will sie auch nichts mehr mit mir zu tun haben. Dass diese dummen Aufzüge auch immer im falschen Moment ausfallen müssen! Sind das Stimmen? Ja, tatsächlich. Ob ich rufen soll? Nein. Es sei denn, es wäre…Katharina. Wo bist du bloß? So lieb lächelnd. Nur wenn ich Motorrad fahren wollte, wurdest du böse. Dieses Scheiß-Teil! Ich hasse es! „Drei Tote und ein Schwerverletzter“, so hat es in der Zeitung gestanden „darunter zwei Kinder“. Zwei Kinder! Tot! Und ich bin schuld, ich allein! Wegen mir! Zwei Kinder! Es waren noch Kinder! Wie gerne hätte ich selber welche gehabt…mit Katharina. Sie, als Mutter meiner Kinder. Zu schön, um wahr zu sein! Jetzt geht es nicht mehr. Querschnittslähmung. Vielleicht auch besser so. Habe es nicht verdient. Der arme Vater! Die Frau und beide Töchter. Tot! Einfach nicht mehr da. Und ich bin daran schuld! Wo ist denn nur das Messer? Ich darf nicht mehr leben. Ich habe kein Recht. Katharina wird es verkraften. Um einen impotenten Rollstuhlfahrer weint man nicht! Bald bin ich tot, meine Strafe. Wenn die Richter nicht richten wollen, muss ich es eben tun. Das dauert wahrscheinlich länger als 11 Sekunden. 3 Jahre lang trainiert…für nichts. Soll ich doch noch mal nach dem Aufzug gucken? Nein, das tue ich nicht. Wo ist denn nur das Messer? Hier ist es! Das Handy… Ob ich jemanden um Hilfe rufen soll? Nein, es sei denn…Katharina! Ja, ich ruf’ dich an! Und wenn du nicht kommen willst, bringe ich mich um. Schnell den Knopf drücken. Ach Katharinchen, vielleicht hast du mich ja noch nicht verworfen. Vielleicht magst, vielleicht liebst du mich ja noch. Vielleicht gibt es ja…vielleicht, vielleicht, vielleicht. Komm und hol’ mich hier raus! Rette mich! Meine einzige Hoffnung bist du!
Kein Netz
Nein, das darf nicht sein! Kein Netz…wir sind getrennt. Für immer. Aber ich allein bin schuld daran. Ich allein! Also Messer, wo bist du? Scheust du dich vor deiner Pflicht? Willst du keinen Menschen töten? Keine Angst, das brauchst du nicht: Ich bin kein Mensch! Ich war mal einer, „ein wunderbarer Mensch“, hat Katharina gesagt. Doch nun bin ich ein Mörder, ein Kindermörder. Das Handy hat’s begriffen, begreif’ du es auch! Ah…Nun hab’ ich dich!