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...und es ist Sonntag

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19.09.2005
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...und es ist Sonntag

…und es ist Sonntag

Mein Name ist Thomas Himmler, ich bin vierundzwanzig Jahre alt, Musikstudent (Klavier im Hauptfach, um der Vollständigkeit Willen) und ich bin blind – Letzteres auch nur der Vollständigkeit halber.
Weitere Punkte soll mein Steckbrief mit vollster Absicht nicht enthalten, denn wa bedeutet es schon, zu lesen:
Name: soundso
Haarfarbe: soundso
Geboren : irgendwann und irgendwo,
Wie auch immer, es soll ja auch andere Meinungen geben. Es sei nur so viel gesagt: Thomas, vierundzwanzig, Pianist (irgendwann), blind.
Und jetzt komme ich zu dem, was ich eigentlich erzählen wollte.
Jeder, der Interesse hat ist eingeladen weiter zu lesen, oder, falls das Interesse fehlen sollte, sich eine andere Geschichte auszusuchen. Je nach Belieben und Gefallen.
Wie gesagt, es gibt verschiedene Meinungen.
Also, ich stelle mir vor:
Ich schlage zu Hause einen Nagel in die Wand, um daran ein Bild aufzuhängen. Ich selbst kann es zwar nicht sehen, aber es hängen bereits viele Bilder und gerahmte Fotografien an meinen Wänden. Ich hänge sie für die Besucher und Freunde auf, die in meine Wohnung kommen, immerhin gibt es ja auch Lampen, die ich einschalte, wenn Besuch da ist und Vorhänge an den Fenstern. Warum also nicht auch Bilder an der Wand? Nur Spiegel sucht man vergebens. Ich werde wohl nie nachvollziehen können, woher dieses ständige Bedürfnis der Sehenden kommt, sich in regelmäßigen Abständen Das Haar zu richten, sich Die Nase zu pudern oder einfach nur zu kontrollieren, ob alles in ihren Gesichtern noch am rechten Fleck ist. Was soll denn passieren? Glauben sie, dass ihnen die Nase aus dem Gesicht fällt?
Wie dem auch sei, den Besuchern fällt zumeist die Unsinnigkeit nicht auf, wenn sie die Fotografien an meinen Wänden betrachten. Es scheint für sie immens wichtig zu sein, nicht schon im ersten Augenblick zu bemerken, dass sie sich in der Wohnung eines Blinden befinden.
Sie schlendern - ich bemerke es an den Geräuschen ihrer langsamen, federnden Schritte - durch den Flur, wie durch eine Galerie. Wahrscheinlich haben sie auch noch die Arme auf dem Rücken verschränkt oder rücken hier und da ein schief hängendes Bild wieder gerade. Bei Freunden verhält es sich natürlich anders, aber ich spreche von Bekannten oder beinahe noch fremden Menschen, von Freunden soll hier nicht die Rede sein. Nur, damit mich niemand missversteht.
Für solche Menschen (die Bekannten und Fastfremden) ist ein Blinder, der sich mit traumwandlerischer Sicherheit in seinen ihm so gut bekannten eigenen vier Wänden bewegt, ein richtiges Ereignis. Ich weiß, wie sie staunen, weil es ihnen die Sprache verschlägt – was Sehenden in Gegenwart eines Blinden ansonsten niemals passieren würde. Ich spreche aus eigener, leidiger Erfahrung. Irgendwie scheinen die Leute zu glauben, ununterbrochen auf mich einreden zu müssen, um mich von ihrer Anwesenheit zu überzeugen. Vielleicht glauben sie, dass ich einfach vergesse, dass jemand vor mir steht, wenn dieser jemand nicht mit mir spricht. Vielleicht haben sie Angst, dass ich sie über den Haufen renne oder mit meinem Blindenstock aufspieße.
Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, aber sie reden, reden und reden. Nicht alle – wohlgemerkt, aber viele.
Aber ich schweife ab, es geht ja um das Hämmern und den Nagel, der in die Wand soll. Ich schlage also mit dem Hammer auf die flache Seite des Eisenstifts und natürlich macht es einen Höllenlärm, was hämmern ja so an sich hat. Ich brauche nicht viele Schläge, aber die wenigen bereits ausgeführten genügen, um es an meiner Tür läuten zu lassen. „Verdammt“, ärgere ich mich, lege den Hammer zu Boden und öffne unwillig die Tür. „Guten Tag Herr Himmler, ich störe sie ja nur ungern am Sonntag, aber meinen sie nicht auch, dass man am Tag des Herrn ein bisschen weniger Lärm machen sollte?“ Die Stimme, die so bemüht darum ist, besonders freundlich zu klingen bei diesem Versuch aber nur in eine Art ironische Belanglosigkeit abrutscht (ich kann das aufgesetzte Grinsen im Gesicht des Mannes förmlich hören), gehört Herrn Meyer, meinem Nachbarn von schrägobendrüber, oder so – jedenfalls treffen wir meistens im Treppenhaus aufeinender, wo er die Stufen hinunter kommt (Ich wohne im Erdgeschoß). Ich hasse seinen immer wieder durchbrechenden bayrischen Akzent, außerdem riecht er nach Gemüsesuppe und ich hasse auch Gemüsesuppe.
Er riecht, wie alle alten Menschen riechen: nach Suppenwürfeln, Zwiebeln und Milch (glaubt es oder nicht, alte Menschen riechen so). Die ledrige, faltige Haut seiner Hand, die er mir schon des Öfteren zur Begrüßung oder zum Abschied gereicht hatte, bestätigt meine These von seinem Alter - Er ist alt und noch dazu ein Nörgler. Der Typ Haustyrann, den es wohl in jedem Mehrfamilienhaus geben muss. Der quasi zum Inventar gehört.
Er steht also vor meiner Tür, Herr Meyer, der gemüsesuppige Haustyrann, weil ich am Sonntag schnell einen Nagel in die Wand schlagen wollte.
Ich bin genervt, aber der Mann vor meiner Tür bekommt nur das starre Dauerlächeln zu sehen, das ich immer auflege, wenn ich Sehenden begegne, die nicht meine Freunde sind. Hier muss ich noch mal kurz abschweifen. Das die Leute lächeln, wenn sie einander begegnen, sagt man uns in der Blindenschule und wir sind erpicht darauf, die Gesichtsausdrücke, die sie uns auf den Gesichtern von Sehenden ertasten lassen, nachzuahmen, um ihnen so ähnlich wie möglich zu sein. Wir wollen gehen wie sie, stehen wie sie und aussehen wie sie.
In meiner Kindheit und Jugend war das größte Kompliment, das man mir machen konnte: man merkt gar nicht, dass du blind bist! Das war das Größte, aber je länger ich jetzt, wo ich Herrn Meyer mit meinem erstarrten Grinsen gegenüberstehe und meine Wangen anfangen zu schmerzen, darüber nachdenke, umso lieber würde ich einfach zu ihm sagen:
Ich bin blind (als Entschuldigung für alles), Sie Depp, und ich kann Bilder aufhängen, wann ich will! Rumms - Tür zu!
Er würde es mir nicht übel nehmen. Mir nicht, weil ich doch blind bin.
Aber ich tue es nicht - ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, meine ich.
Was für einen Sinn würde das auch machen? Ich würde ja vollkommen aus meiner jahrelang einstudierten Rolle fallen. Also entschuldige ich mich, dass ich augenscheinlich zu laut für den heutigen Sonntag war und irgendwann ist dann da diese schrumplige, knorrige Hand, die meine dargebotene Blindenhand zum Abschied drückt und kurz nachdem die Hand verschwunden ist, verzieht sich auch der Gemüsesuppendunst und ich schließe die Tür.
Leise, versteht sich.
Das Bild ist vergessen, es lehnt an der Wand und der Hammer liegt am Boden, der Nagel steckt in der Wand. Ich hätte das Bild nur noch an ihn hängen müssen, Rahmen und Nagel verhaken sich und ich bin fertig mit meiner frevelhaften Arbeit, die den Sonntag des Herrn Meyer entweiht hat. Ich vergesse den Blödsinn und finde plötzlich die Bilder an meiner Wand wirklich affig.
Wenn ich nicht wüsste, dass ich in wenigen Minuten Herr Meyer wieder vor meine Tür stehen hätte, hätte ich mich jetzt an mein Klavier gesetzt, aber das geht ja heute nicht.
Es liegt am Wochentag.
Ich werde etwas Lautes, Hektisches und nervtötend- Ohrwurmiges spielen, male ich mir dennoch aus und überlege mir ein passendes Stück, das den Meyer aus den Puschen hauen würde.
Ich überlege mir also:
Mozart, Klaviersonate Nr. 11; Alla turca allegretto- nettes Tempo. Ich grinse, weil das Stück so harmlos beginnt, aber sich zu einem schlimmen, schlimmen Ohrwurm entwickelt, den Herr Meyer noch in der Messe am nächsten Sonntag im Ohr haben würde.
Oder:
Ich könnte ihm einen Auszug aus Bachs Toccata und Fuege schmettern. Dieses Stück würde sogar zu einem Tag wie Sonntag passen, da das Stück eigentlich für einen Organisten gedacht ist, Kirchenmusik eben. Für den Tag des Herrn.
Ich grinse noch immer und vergesse den stechenden Schmerz in meinen Wangen, die sich nach dem gewohnten, ausdruckslosen Gesichtsausdruck zurück sehnen.
Nein, ich spiele einfach eine Stunde lang einen schnellen Walzer, das hält keiner aus. Welchen? Hm, vielleicht Chopin - Wie gesagt, eine Stunde lang.
Ich gehe, meine Rachegedanken schmiedend in die Küche um ein Glas Wasser zu trinken, dass mein aufgewühltes Gemüt vielleicht etwas abkühlt. Ein Fenster ist geöffnet und die Wärme dringt von draußen ins Wohnzimmer.
Es ist heiß, weil Juli ist. Oder es ist Juli, weil es heiß ist.
Egal.
Ich vergesse mein Wasser und schließe das Fenster. Ich klemme den Vorhang ein und es gibt ein reißendes Geräusch. Auch das noch.
Ich begutachte den Schaden indem ich den Stoff durch meine Finger gleiten lasse. Der Vorhang ist hin, aber ich kann jetzt sowieso nichts daran ändern und lasse ihn gleichgültig hängen.
Es juckt in meinen Fingern und – ich kenne mich – ich kann's nicht lassen. Also setze ich mich doch ans Klavier. Als ersten Ton schlage ich das eingestrichene C an, wie ich es immer tue, seit meiner ersten Klavierstunde. Vor Aufregung habe ich Schmetterlinge im Bauch. Warum ich aufgeregt bin? Keine Ahnung, vielleicht, weil ich etwas Verbotenes tue, etwas, das man mir eben erst untersagt hat. Ich störe den Sonntag, ich mache Krach. Ich spiele nichts von dem schnöden Kram, den ich mir ausgedacht hatte. Mir steht der Sinn eher nach…ja, genau: Stille Nacht, heilige Nacht, mitten im Juli. Etwas Unpassenderes hätte mir nicht einfallen können und ich freue mich wie ein kleines Kind, als ich das Lied, mit unglaublicher Schnelligkeit herunterleiere und dabei an Herrn Meyers blank liegende Nerven denke. Na gut, ich habe den Fuß die ganze zeit über auf einem Pedal, das das Instrument nur leise Töne von sich geben lässt, sodass Herr Meyer mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht den leisesten Pieps zu Gehör bekommt, aber es geht mir trotzdem besser, als ich den letzten Ton angeschlagen habe. Ich kann eben doch nicht über meinen Schatten springen. Ein Blinder widerspricht nicht, er glaubt, was man ihm sagt und tut, was man ihm sagt.
Ja, ja; Genau.
Ich erinnere mich an das Bild, das ich im Flur hatte aufhängen wollen und habe plötzlich das Bedürfnis einen Spaziergang zu machen, was ja wohl passt, zu einem Sonntag.
Draußen ist es warm, also bleibe ich im T-Shirt und nehme erst gar keine Jacke mit. Nur unnötiger Ballast.
Auf einem Schränkchen im Flur, nur drei Schritte von der Tür, liegt mein zusammengeklappter Blindenstock, gestern Abend hatte ich ihn dort abgelegt, glaube ich und gehe ihn lieber gleich holen. Ich verlege ihn zu oft und manchmal kann ich ihn nicht finden, egal wo ich suche, was dann bedeutet, dass ich die Wohnung allein nicht verlassen kann. In solche Fällen rufe ich immer Philipp, einen Kommilitonen an, dessen Wohnheim nicht weit von dem Block entfernt ist, in dem ich wohne. Manchmal ist er genervt, wenn er kommt und den Stock nach wenigen Minuten bereits gefunden hat. Ich solle mir etwas mehr Ordnung angewöhnen, gerade als Blinder sollte ich doch ein Ordnungssystem haben, um mir das Leben zu erleichtern, bekomme ich dann immer zu hören.
Allerdings gibt es ein solches Ordnungssystem bis heute noch nicht, außer in der Küche, damit nicht alle Naselang etwas zu Bruch geht.
Ich habe nichts gegen Suchen, solange es im Finden gipfelt.
Aber Philipp brauche ich jetzt nicht. Ich strecke die Hand aus und finde gleich, was ich suche. Mit einem Ruck aus dem Handgelenk klappe ich den Stock aus und öffne die Tür.
Hab’ ich was vergessen?
An das noch nicht hängende Bild denke ich jetzt nicht mehr, dafür aber – zum Glück – an meine Türschlüssel. Irgendwo in der Schublade des kleinen Schränkchens…ah, da ist er und verschwindet in meiner Hosentasche.
Eine Braille Notiz fällt mir zufällig in die Hände.
Ich lese:
Toilettenpapier, Butter, Aufschnitt usw., ihr kennt das – Ein Einkaufszettel.
Alt oder neu? Ich weiß es nicht und lasse ihn schnell wieder in der überquellenden Schublade verschwinden.
Ich gehe, ohne die Tür abzuschließen. - man kann ja nicht an alles denken – durch den gefliesten und darum das Geräusch meiner Schritte zurückwerfenden Hausflur und schließlich aus dem Wohnblock hinaus.
Es ist tatsächlich warm, heiß sogar. Nachdem ich die Haustür hinter mir gelassen habe, gehe ich nach links. Ich gehe immer nach links, in dieser Richtung liegt der Campus. Ich wohne noch nicht lange genug hier und es interessiert mich zu wenig, als dass ich schon einmal nach rechts gegangen wäre. Im Moment reicht es mir vollkommen, links zu gehen.
Mein Blindenstock bewegt sich rhythmisch über das Pflaster und stößt immerzu mit einem dumpfen "plock" gegen die Hauswände links von mir.
Manchmal, wenn ein Haus weiter eingerückt ist, bleibt das mir so vertraute Geräusch aus, aber es stört mich nicht, denn ich weiß, gleich ist da wieder eine Hauswand und auch das "plock" kehrt zurück…
plock! Seht ihr, da ist es wieder und geht so regelmäßig wie ein Uhrwerk oder ein Metronom.
Die breite Straße rechts von mir ist kaum befahren, es ist ja Sonntag und da sind die Leute zu Haus oder flanieren im Park.
Die Straße ist breit, ich weiß es, weil selbst bei viel Verkehr, der einen ohrenbetäubenden Lärm und abgasschweren Gestank verursacht, die großen, keuchenden Lastwagen nicht zu bremsen brauchen, wenn ihnen Gegenverkehr begegnet. Der Verkehr fließt, und das tut er nur auf breiten Straßen so unaufhörlich und monoton.
Aber jetzt ist kein Verkehr, sondern alles ruhig.
Ich gehe gerade an dem Haus vorbei, an dem unter der Woche schon eine ganze Weile herumgewerkelt wird. Ein Gerüst wurde an der Fassade errichtet und morgen würden wieder Arbeiter an der Mauer mörteln und hämmern. Ihre Gespräche… – es sind Italiener, aber jetzt nicht da und darum gibt es an diese Stelle nur das metallische "pling", das mein "plock" ablöst, wegen dem Baugerüst.
Dieses Gerüst ist mir übrigens in durchaus schmerzhafter Erinnerung und ich weiß noch genau, wie verärgert ich über die Arbeiter, aber auch über mich selbst war, als ich frontal gegen eine der Eisenstangen gelaufen war, am ersten Tag der Bauarbeiten. Aber ich glaube, den Italienern, die mich dabei beobachteten, wie ich mir meine Beule an der Stirn rieb, war die Situation noch viel unangenehmer als mir. Also habe ich gelacht, um sie zu erleichtern. Niemand stellt gerne einem Blinden etwas in den Weg, das ruft das schlechte Gewissen auf den Plan.
Ich bin schon oft genug gegen irgendetwas gerannt und dabei von peinlich berührten Menschen beobachtet worden, um das mit Bestimmtheit sagen zu können.
Warum also ärgern, wenn es keine Absicht war?
Seither grüßen mich die Italiener immer von ihren Gerüsten herunter, wenn ich an ihrem Arbeitsplatz vorbei gehe und obwohl es für mich nur gestaltlose Stimmen sind, die mich da grüßen, freue ich mich jedes Mal, wenn ich hier vorbei komme.
Aber heute werde ich nicht gegrüßt und das Gerüst ist leer, kein Mörteln, kein Hämmern und kein Italienisch.
Gleich komme ich an der Ampel mit akustischem Signal vorbei, die über die breite Straße rechts von mir führt. Diese Ampel ist ein weiteres Indiz dafür, dass es sich um eine wirklich breite Straße handelt, denn nur an solchen findet man akustische Ampeln. Wenn es nach den Stadtplanern ging, würden Blinde nur an den Hauptverkehrsstraßen entlang gehen, immer im Kreis herum, vielleicht ohne es zu bemerken.
Ich habe noch nie die breite Straße rechts von mir überquert, und das penetrante Piepsen – das Signal zu gehen – ist nicht für mich.
Also, weiter geradeaus, aber ich merke, dass ich noch gar nicht weiß, wo mein Spaziergang mich hin führen soll.
Ich könnte Philipp besuchen.
Aber am Sonntag?
Ich bleibe stehen und überlege, dabei klopfe ich einen kleinen Rhythmus mit meinem Stock und bald gesellt sich mein rechter Fuß dazu, Aber: genug! Sonst vergesse ich darüber das Nachdenken über mein Ziel.
Ich entschließe mich zunächst einen Kaffee trinken zu gehen, und alles Weitere würde sich ergeben.
Habe ich überhaupt Geld dabei?
Ich prüfe mit einem Griff an meine Gesäßtasche, ob ich meine Geldbörse eingesteckt habe und finde sie dort.
Gerade möchte ich meinen Weg fortsetzten, als ich eine Hand an meinem Arm spüre. „Warten sie, junger Mann. Ich helfe ihnen über die Straße“, sagt eine besorgte Frauenstimme und die Hand schiebt mich freundlich, aber bestimmt in Richtung der breiten Straße rechts von mir.
„Moment“, sage ich,"Sie haben da was missverstanden." Aber die freundliche Geste, die die Frau auszuführen im Begriff ist, macht sie taub für meine Einwände und die Taube führt mich über die Straße, die ich gar nicht hatte überqueren wollen. Dabei krallt sich ihre Hand, mit den langen Fingernägeln in meinen Stockarm sodass ich ihn nicht mehr benutzen kann und nun wirklich blind bin.
Ich denke:
Man sollte lieber zweimal hingucken, wenn man kann und man sollte zudem vielleicht auch mal seinen Verstand einschalten. Aber die Situation, in der ich jetzt stecke und in der ich es an echter Gegenwehr fehlen lasse, beweist nur einmal mehr, dass es nur verdammt wenige denkende Menschen gibt. Höchstens der hunderttausendste Teil der Menschheit, so kommt es mir manchmal vor, benutzt ihren Verstand.
Das alles denke ich, aber sage es natürlich nicht. Man – bzw. diese kleine, in Stöckelschuhen neben mir her laufende Frau – will ja nur freundlich sein.
Wie könnte ich mich gegen eine Freundlichkeit wehren? Ja, ja
So ist das manchmal.
Komisch. Fast könnte man drüber schmunzeln, oder?
Jedenfalls - Sie schiebt und drückt, bis wir auf der anderen Seite angelangt sind.
Ich kenne das: Leute, die sonst nichts mit Blinden am Hut haben, packen immer auf die Art der hilfsbereiten Dame zu. Sie führen nicht, sondern zerren. Normalerweise lege ich einfach die linke Hand auf die rechte Schulter meines Führers, sodass ich den Stock noch benutzen kann und gehe hinterher.
Diese Frau schiebt mich vor sich her, eine Hand an meinem Arm, die andere an meine Rücken, vielleicht, damit ich nicht abhaue und ihre vermeintlich gute Tat mitten in ihrer Ausführung stecken bleibt. Unverrichtet.
Endlich lässt sie von mir ab.
„So, hier ist der Bordstein. Passen Sie auf“, sagt sie und gibt meinen Stockarm endlich frei. Ich klöpple gegen den Randstein und bin verdammt genervt.
Hoffentlich sieht sie es nicht an meinem Gesicht, aber vielleicht hat sie der Rausch der guten Tat ja nicht nur taub sondern auch blind gemacht.
Ich spüre noch den Druck ihrer Hand an meinem Arm, obwohl sie sich von mir gelöst hat.
Sie verabschiedet sich freundlich von mir: „Einen schönen Sonntag noch und nichts zu danken“, sagt sie heiter und lächelt sicherlich, denke ich.
„Ja,ja. Danke“, sage ich ebenfalls freundlich und nur der Höflichkeit halber, auch wenn ich dieser mit einer Duftwolke billigen Parfums umgebenen Dame am liebsten an die Gurgel springen würde.
Aber wie würde das aussehen? Ein blinder Mann, der mit seinem Stock auf eine wehrlose Dame eindrischt, die ihm doch gerade so freundlich über die Straße geholfen hat?
Ja,ja, heißt:
leck mich am A…llerwertesten, das wollen wir nicht vergessen und es ist das einzige Zeichen meines Unmutes, das sie Dame aber gar nicht registriert.
Ich höre, wie sich ihre klackernden Schritte entfernen. Sie geht beschwingt und ist zufrieden mit sich.
Und ich?
Ich stehe auf der falschen Straßenseite, die breite Straße jetzt links von mir, die akustische Ampel irgendwo außer Hörweite hinter mir und eigentlich weiß ich gar nicht mehr so recht, in welche Richtung ich gehen muss.
Mal wieder hat mich der Übereifer eines sehenden Helfers mitten ins Nirgendwo verfrachtet. Ich stehe am Straßenrand, klopfe einen Rhythmus mit meinem Stock und denke an die liegen gebliebene Arbeit zu Hause in meiner Wohnung.
Plötzlich bin ich ganz versessen darauf, das dumme Bild endlich an die Wand zu bringen.
Ich warte und klopfe und werde langsam ungeduldig.
Mir ist heiß und es ist Sonntag.

 

Hat mir ziemlich gut gefallen, dieser Sonntag eines Blinden im Konflikt mit der sehenden Welt. Vor allem die Stellen, wo es um deren Blindheit und Taubheit ging, fand ich sehr gelungen.

Du erzählst munter und lustig, und es hat wirklich Freude bereitet, den (doch ziemlich langen) Text, bis zum Ende zu lesen.

Im Text sind leider eine ganze Menge Fehler enthalten, von denen ich einige, hoffentlich die meisten, unten aufgelistet habe.

Mein einziger Kritikpunkt gilt dem Schluß: Für eine nette Pointe hielte ich, wenn der Protagonist so lange grummelnd stehenbliebe, bis ihn ein anderer Helfer wieder auf die andere Seite zerrt.

Prima, sehr gerne gelesen.

Detailanmerkungen:

  • Das Haar zu Richten, sich Die Nase zu Pudern - "richten", "pudern"
  • denn wa bedeutet - "was"
  • Jeder, der Interesse hat ist eingeladen weiter zu lesen oder, falls das Interesse fehlt, sich eine andere Geschichte auszusuchen. - "Jeder, der Interesse hat, ist eingeladen, weiter zu lesen, oder, falls das Interesse fehlen sollte, sich eine andere Geschichte auszusuchen." Komplizierte, wenn auch spielerische Konstruktion.
  • nach belieben - "Belieben"
  • nicht die rede - "Rede"
  • abrutscht (Ich kann - In der Klammer klein beginnen.
  • förmlich hörn - "hören"
  • Ich hasse seinen immer wieder durchbrechenden bayrischen Akzent außerdem riecht er nach Gemüsesuppe und ich hasse auch Gemüsesuppe. - "Akzent, außerdem"; Um die Wortwiederholung zu vermeiden vielleicht: "riecht er nach Gemüsesuppe, was ich ebenfalls hasse"
  • Er war alt und noch dazu ein Nörgler - "Er ist alt"
  • Der Haustyrann, den es wohl in jedem Mehrfamilienhaus gibt, die scheinen einfach zum Inventar zu gehören. - Wie wäre: "Der Typ Haustyrann, den es wohl in jedem Mehrfamilienhaus geben muß. Der quasi zum Inventar gehört" oder so?
  • Das die Leute Lächeln, wenn sie einander begegnen - "Dass die Leute lächeln"
  • aber je länger ich jetzt, wo ich Herrn Meyer mit meinem erstarten Grinsen gegenüberstehe und meine Wangen anfangen zu schmerzen, darüber nachdenke - "aber je länger ich jetzt darüber nachdenke, während ich Herrn Meyer mit meinem erstarrten Grinsen gegenüberstehe und meine Wangen allmählich zu schmerzen beginnen"
  • Ich bin blind (als Entschuldigung für alles) , sie Depp - Dieses "als Entschuldigung für alles" fand ich klasse! Leerzeichen nach Klammer weg, "Sie" groß
  • Was für einen Sinn würde das auch machen? - Ich finde, dieser Anglizismus hat seine Berechtigung. Müßte aber eigentlich: "Sinn haben", "Sinn ergeben" heißen.
  • Mozart, Piano Sonata No. 11; Alla turca.allegretto- nettes Tempo. - Bitte: "Klaviersonate Nr. 11", Leerzeichen nach "turca."
  • Ich könnte ihm einen Auszug aus Bachs Toccata and fuege schmettern - "Toccata und Fuge", vielleicht noch die Tonart dazu? Ich denke, es ist d-Moll
  • ich kanns nicht lassen - "kann's" oder "kann es"
  • Also setzte ich mich doch ans Klavier. - "setze"
  • schlage ich das mittel C an - Wie wäre "das eingestrichene C"?
  • Etwas unpassenderes - "Unpassenderes"
  • zu gehör bekomm, - "Gehör"
  • als ich en letzten Ton - "den letzten"
  • In Solche fällen rufe ich - "In solchen Fällen"
  • so lange es im Finden gipfelt. - "solange"
  • nach Rechts - "rechts"
  • mit einem dumpfen plock [...] auch das plock [...] plock! - "Plock", vielleicht in Anführungszeichen
  • an dem Has - "Haus"
  • das metallische pling, das mein plock ablöst - "Pling", "Plock"
  • die mich da Grüßen - "grüßen"
  • das Signal zum gehen - "zu gehen"
  • "Moment", sage ich. // Und: // "Nein, nein, sie haben da was missverstanden" - Wie wäre: "Moment", sage ich, "Sie haben da etwas missverstanden."
  • beweist nur einmal mehr, dass es nur - Wortwiederholung, das erste "nur" läßt sich problemlos streichen
  • an die Gurgelspringen - Leerzeichen
  • wo lang ich gehen muss - mißfällt mir, wie wäre "wo ich langgehen muss"?
  • eines Sehenden Helfers - "sehenden"

 

Hey,
danke für die Fehlerliste, ich hab' mich gleich dran gesetzt und versucht die vielen Fehler auszubügeln. Groß- und Kleinschreibung ist nicht gerade meine Stärke *g* Ebensowienig die verdammte Sache mit den Kommata.

Ich find's toll, dass dir meine Geschichte gefallen hat und dass du sie unterhaltsam fandest.

Jedenfalls freue ich mich über meinen ersten Kommentar, der gar nicht so vernichtend ist, wie ich zunächst befürchtet habe!

DANKE für's lesen und Fehler suchen!!

 

Hallo Simpitay,

eine gute Geschichte. Sie hat mir sehr gefallen, gerade auch wegen der vielen Kleinigkeiten, mit denen du den Text würzt.
Sehr interessant einen Sonntag aus der Sicht eines Blinden zu erleben. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich in manchen Verhaltensweisen der Nicht-Blinden durchaus wieder erkennen konnte. Erst jetzt ist mir so richtig bewusst geworden, wie nervend das sein muss.
Obwohl ja in der Geschichte nichts wirklich Spannendes passiert, hat sie mich von der ersten bis zur letzten Zeile sehr gut unterhalten. Gerade, weil du einen humorvollen Unterton in deine Geschichte bringst, fühlt man sich nicht mit einem Moralhammer erschlagen - und genau das regt, zumindest mich, zum Nachdenken an.

Den Stil fand ich sehr gut zur Geschichte passend.

Grobe Fehler sind mir nicht mehr aufgefallen, ich habe allerdings auch nicht mehr so genau darauf geachtet, da cbrucher hier ja schon gesucht hat. Ich glaub, der ist viel besser in Rechtschreibung/Grammatik/Zeichensetzung als ich.

LG
Bella

 

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