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Und plötzlich warst du weg
Und plötzlich warst du weg
Langsam öffne ich die Wohnungstür, möchte nicht hinein gehen, tue es trotzdem. Laut hallen meine Schuhe auf dem dunkelbraunen Parkettboden. Noch nie ist mir aufgefallen wie leise es in unserer Wohnung ist. Plötzlich verspüre ich den Drang nach draußen zu stürmen. Die Leere der Wohnung scheint mich zu erdrücken. Ich höre mich selbst atmen, höre mein Herz pochen. Hilfe suchend greife ich nach dem Stuhl, lasse mich darauf fallen und atme tief ein. Der feste Knoten meiner schwarzen Krawatte drückt sich tief in meinen Hals, Brechreiz überkommt mich. Schnell befreie ich mich von den schwarzen Kleidungsstücken, reiße das Hemd auf, die Hose hinunter und schleudere sie auf den Boden. Hasserfüllt blicke ich auf den teuren Anzug, der nun zu meinen Füßen liegt. Am liebsten würde ich ihn treten, den feinen Stoff in seine Einzelteile zerlegen und die schwarzen Fetzen dann verbrennen. Stattdessen erhebe ich mich wieder und betrachte den schwarzen Haufen auf dem Boden. Er passt nicht hinein, wirkt wie ein Fremdkörper, steht im direkten Kontrast zu den weißen Wänden und der weißen Möblierung. Du hast es geliebt, nach Hause zu kommen und dich zu fühlen wie im Himmel. Alles an dir war fröhlich und hell, du hast perfekt hier hinein gepasst. Mir war es egal, ich kenne mich damit nicht aus, doch was du magst, das mag ich auch. So gewöhnte ich mich an das viele weiß und fing sogar an es zu mögen. Doch nun fühle ich mich hier nicht wohl, wie der schwarze Haufen auf dem Boden bin auch ich ein Fremdkörper, der die Idylle des Raumes zerstört. Wütend hebe ich die teuren Kleidungsstücke wieder auf, will mich gerade auf den Weg ins Badezimmer machen, da bleibe ich abrupt stehen. Widerwillig wende ich mir der Couch zu, die strahlend weiß im Licht der Sonne steht. Ich sehe dich noch dort liegen, wie ein Engel. Die Sonne hat deine Haare im Licht glänzen lassen, jede einzelne deiner Locken zeichnete sich deutlich ab. Deine Haut schien aus Gold zu sein, so schimmerte sie im sanften Licht der Spätnachmittagssonne. Der Raum war erfüllt von deinem Duft. Er erinnerte mich an einen Frühlingstag, als ob du den ganzen Tag in einer Wiese voller Blumen gesessen wärst. Du hast es geliebt nach Blumen zu riechen, und ich habe es geliebt, den Duft eines frisch gepflückten Blumenstraußes in der Nase zu haben, wenn ich morgens neben dir erwachte.
Ich ging noch lächelnd auf dich zu, freute mich innerlich schon darauf, dich mit einem Kuss auf deine weichen Lippen aufzuwecken und deine zarte Haut zu streicheln. Du lagst so friedlich in den Kissen, wirktest so perfekt in deiner ganzen Erscheinung. Das hellrosafarbene Sommerkleid hob sich deutlich von deiner noch gebräunten Haut ab. Du hast es gekauft und immer auf den passenden Moment gewartet. Nun hast du ihn gefunden, denn mir war es als würdest du strahlen, strahlen wie ein Engel. Ein paar deiner blonden Locken hingen am Rand der Couch herab. Als ob sie der Schwerkraft trotzen wollten kringelten sie sich ein. Oft habe ich mit deinen Locken gespielt, habe versucht sie zu entzwirbeln. Es hat dich zum Lachen gebracht, oft habe ich es geschafft, dass du nur für einen kurzen Moment deine Sorgen von dir weg schobst und mir mit deinen blitzenden Augen zu verstehen gegeben hast, dass es dir gut tut. Und ich habe es genossen dich fröhlich zu sehen, mich von deiner Fröhlichkeit anstecken zu lassen. Mit dir konnte ich mich über die belanglosesten Dinge amüsieren, allein deine Präsenz zauberte mir schon ein Lächeln auf die Lippen.
So musste ich auch damals schon lächeln, als ich deinen angenehmen Duft schon an der Tür vernahm. Mit jedem Schritt näher zu dir wurde mein Lächeln breiter. Ich wollte mich schon zu dir hinunterbeugen, als ich schließlich bemerkte, dass sich deine Brust nicht bewegte und ich keine Atemgeräusche vernehmen konnte.
Erst da bemerkte ich das Glas Wasser und die Tablettenschachteln im Mülleimer, der etwas abseits stand. Ich spürte das Blut in meinen Adern gefrieren, wollte mich bewegen, dich wach schütteln, schreien. Doch ich war wie gelähmt, nicht fähig dich zu berühren oder etwas zu sagen. So stand ich nur vor dir und war verzaubert von deiner Schönheit. Ich weiß nicht wie lange ich so da stand und dich einfach nur anstarrte, aber dann fiel mein Blick auf den cremefarbenen Briefumschlag, der auf einen Stapel schwarzer Bücher gebunden war. Mit zittrigen Fingern löste ich den Umschlag aus dem Band und öffnete ihn. Innen befand sich eine einfache Karte in der selben sanften Farbe des Umschlags.
„Versuche es nicht, es ist zu spät… Es tut mir Leid“, nicht mehr nicht weniger stand in geschwungenen Lettern darauf. Wie oft hast du sie geschrieben, um die Schrift nicht zittrig erscheinen zu lassen? Oder warst du so fest entschlossen, dass du gleich beim ersten Mal das sichere Schriftbild zusammen gebracht hast? Der Schriftzug deines Namens war am letzten Buchstaben leicht verwischt. Eine Träne? Oder warst du nur unvorsichtig? Wie gebannt starrte ich auf die Karte, zerdrückte sie beinahe, bis ein gellender Schrei mich endlich aus meiner Starre riss und ich zum Hörer griff um wie ferngesteuert den Notarzt zu rufen.
Und nun stehe ich hier, bin wütend auf den schwarzen Anzug, den ich zu deiner Beerdigung getragen habe und starre auf die Couch auf der ich dich gefunden habe. Ich habe dich so lebendig vor Augen, dass ich mich bemühen muss nicht einfach auf den Boden zu stürzen. Ich fühle mich ins Leere geworfen, dein Tod hat mir den Boden unter den Füßen genommen. Jeglicher Lebenssinn ist von mir gewichen. Wozu soll ich am Morgen noch aufstehen, wenn ich doch nur wieder das leere Kissen neben mir sehe. Nichts ergibt mehr Sinn, alles scheint so banal, so unwichtig. Du warst der Grund für mich zu leben, nun bist du fort und ich würde es am liebsten Romeo gleich tun und dir in den Tod folgen, so wie er seiner Julia gefolgt ist. Würdest du dann auch wieder erwachen? Könnte ich dich so wieder zum Leben erwecken? Nein, selbst wenn du wieder erwachen würdest, wären deine Stunden gezählt, denn du liegst tief unter der Erdoberfläche, begraben unter einer Tonne Erde.
Bitte, sag mir doch, warum soll ich noch am Leben bleiben? Warum soll ich dieses erbärmliche Dasein weiter führen, dessen einziger Lichtblick du warst?
Doch dann fällt mein Blick wieder auf den Stapel Bücher, der noch immer auf dem Couchtisch liegt. Es sind deine Tagebücher. Sie reichen lange zurück, sind randvoll, Seite zu Seite mit deiner engen Schrift beschrieben. Oft habe ich bemerkt wie du dich in eine Ecke zurück zogst und darin schriebst. Deine Gesichtszüge verhärteten sich dabei, erstarrten. Wenn ich dich darauf ansprach, strahltest du mich an und sagtest mit deinem glockenhellen Lachen, dass du schon immer Grimassen gezogen hast, wenn du etwas geschrieben hast. Ich gab mich mit dieser Erklärung zufrieden, wurde getäuscht von deinem strahlenden Lächeln und den leuchtenden Augen.
Langsam gehe ich auf den Stapel zu, vergesse den zerknüllten Anzug in meinen Händen und nehme eines der dicken Bücher.
Dein Tod mag sinnlos erscheinen, doch ich weiß, du hast mir die Aufgabe hinterlassen ihn aufzuklären. Dich zu verstehen, und wenn auch erst im Tode…