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Und Samstag kommt...
Nils Schuberth wurde an einem verregneten Sonntagmorgen wach und schälte sich nur langsam aus seinem Bett. Als Busfahrer der öffentlichen Verkehrsbetriebe hatte er heute frei und hatte den Tag genutzt, um bis 10 Uhr im Bett zu bleiben. Er machte den Job noch nicht sehr lange und musste sich an die unregelmäßigen Arbeitszeiten einfach noch gewöhnen. Der Regen, der gegen sein Schlafzimmerfenster trommelte, machte es ihm noch schwerer, aufzustehen. Aber er wollte nicht den ganzen Tag in der Falle herumgammeln.
Nach einer ausgiebigen Dusche fühlte er sich schon wacher und schlurfte in seine kleine Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Das Wetter draußen ließ die Wohnung duster erscheinen. Er machte in der Küche, die nur ein kleines Fenster hatte, das Licht an und ging zu seiner Kaffeemaschine. Wie erstarrt blieb er davor stehen. Es war bereits eine volle Kanne Kaffe in der Kanne, die Maschine war noch an, um den Kaffee warm zu halten. Vollkommen verwirrt stand er einige Sekunden davor, und überlegte, ob er vor dem Duschen schon einmal hier war. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern. War er wirklich so verpennt gewesen? Ohne großartig darüber nachzudenken öffnete er den Schrank, wo drei Kaffeetassen drin standen. In einer steckte ein kleiner Zettel. Nils nahm die zweite Überraschung des Tages aus der Tasse und las: „Sonntags scheint die Sonne,“ stand darauf. Jetzt war er endgültig verwirrt. Als er gestern von der Arbeit nachhause gekommen war, hatte er sich noch einen Film im Fernsehen angeschaut. Dabei hatte er zwar auch einige Bier getrunken und noch einen klaren Schnaps. Aber er war davon nie im Leben so betrunken gewesen, dass er sich selbst Nachrichten hinterließ und sich dann nicht daran erinnerte.
Nils schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich nachdenklich an den kleinen Küchentisch. Das Thema ließ ihn den ganzen Tag nicht mehr los, aber er fand auch keine Erklärung dafür. Bevor er zu Bett ging, schob er alles auf Übermüdung und Alkohol. Zufrieden schlief er ein. Morgen hatte er noch einmal frei.
Am nächsten Morgen viel es Nils noch schwerer, wach zu werden. Er hatte das Gefühl, eine unsichtbare Hand wollte ihn jedes Mal zurück ins Bett drücken. Draußen regnete es schon wieder. Stärker, als gestern. Trotz der großen Maße an Unlust, stand er auf und ging diesmal sofort in die Küche. Die Kaffeemaschine stand noch unberührt da. Der Filter von gestern lag noch darin. Ihm schien es, als ob eine kleine Last von ihm viel und schon wesentlich wacher ging er in sein Badezimmer. Sein Handtuch, das sonst immer über der Dusche hing, hing halb über dem Waschbecken. Daneben lag seine Zahnbürste, auf der schon Zahnpasta war und das Rasierzeug, das er immer in seinem kleinen Spiegelschrank aufbewahrte lag akkurat neben der Zahnbürste. Nils Magen schien sich für einen Moment umzudrehen. Neben seinem Rasiermesser lag wieder ein kleiner Zettel. „Montag scheint der Mond.“ Nils Kopf zuckte ruckartig nach rechts und links. Er rechnete damit, dass noch Jemand mit ihm im Bad stand. Aber da waren nur er und der Regen, der gegen die Scheibe prasselte.
Die beiden Polizisten, die zwei Stunden später bei ihm auftauchten gingen wieder mit den beruhigenden Worten, dass sich wahrscheinlich Jemand aus seinem Freundeskreis einen schlechten Scherz erlaubte. Als sie die fünf leeren Bierflaschen im Wohnzimmer entdeckten, war klar, welchem Freund sie den Streich zuschoben. Kein gewaltsamer Einbruch, kein Sachschaden. Die Sache war für die Polizei erledigt und es war zwecklos, auf eine ordentliche Untersuchung zu beharren.
Aber Nils bekam es allmählich mit der Angst zu tun.
Am Dienstagmorgen schoss Nils förmlich aus dem Schlaf. Sein Rücken schmerzte und er fühlte sich wieder schlapp. Doch die Nervosität in ihm war wie ein radikaler Wachmacher. An seiner linken Hand brannte etwas unwesentlich. Vermutlich ein Mückenstich, den er sich rieb, ohne hinzuschauen. Seine Gedanken waren bei dem, was er vielleicht heute entdecken würde.
Er ging sofort in die Küche, wo er nichts Ungewöhnliches fand. Auch nicht im Badezimmer. Er nahm eine Dusche und zog sich in seinem Schlafzimmer für die bevorstehende Arbeit an. Seinen Kaffee wollte er im Wohnzimmer nehmen und erstarrte sofort, als er das Zimmer betrat. Sein Computer war an und er wusste, dass er ihn gestern nicht benutzt hatte. Er war sich sogar sicher. Ein Worddokument war schon von weitem auf dem Bildschirm zu sehen. Langsam, fast wie in Zeitlupe ging Nils zu seinem Rechner, der plötzlich Kilometer weit weg zu stehen schien. Nur er hatte das Zugangspaßwort, um den Rechner zu nutzen. Alleine dieser Gedanke erzeugte ein Panikgefühl in ihm. Auf dem Bildschirm stand nur ein einziger Satz. „Am Dienstag hab ich Dienst.“ Nils Augen wurden größer. Neben dem Bildschirm lag eine Zigarettenkippe. Die nächste Erkenntnis ließ das Panikgefühl größer werden. Er rauchte nicht. Ruckartig hielt er sich seine linke Hand vor die Augen. Darauf war kein Mückenstich, sondern eine kleine Brandblase zu sehen. In diesem Moment hatte er das Gefühl, dass es in seiner Wohnung dunkler wurde, der Regen stärker. Schwer atmend ging er rückwärts von dem Rechner weg und dem leuchtenden Bildschirm.
Er meldete sich auf seiner Arbeitsstelle ab. An diesem Tag war er zu nichts mehr fähig. Am Abend legte er sich mit seinem Baseballschläger ins Bett. Vorher hatte er die Wohnungstür verbarrikadiert. Zwanghaft versuchte er wach zu bleiben. Doch irgendwann überkam ihn der Schlaf.
Mit einem eiskalten Schrecken im Nacken fuhr Nils am Mittwochmorgen aus dem Schlaf. Sein Wecker zeigte 9 Uhr an und draußen schien zum ersten Mal seit Tagen wieder sie Sonne. Die Strahlen, die in sein Schlafzimmer fielen, wirkten irgendwie beruhigend und nahmen ihm ein wenig seines Angstgefühls. Trotzdem sprang er sofort aus seinem Bett und zu seiner Wohnungstür. Die Kommode, die er am Abend an die Tür gestellt hatte, stand noch unverändert an ihrem Platz. Auf dem Weg zurück ins Schlafzimmer sah er plötzlich sein großes Küchenmesser, mit dem er immer das Fleisch schnitt, mit einem Zettel in der Tür stecken. Er wich vor dem Anblick zurück. Übelkeit stieg in ihm auf. Er überwand sich, einen Schritt auf die Tür zuzumachen und zog das Messer aus dem weiß lackierten Holz. Auf dem Zettel stand: „Am Mittwoch ist die Mitte der Woche.“ WAS SOLL DAS, schrie es in seinem Kopf und er betrachtete sich das Fleischermesser. Etwas unterhalb der Spitze klebte ein wenig Blut. Mit einer schrecklichen Vorahnung hastete Nils zu seinem Bett und warf die Decke runter. In der Höhe seiner Beine war ein kleiner Blutfleck auf dem Laken zu sehen. Immer noch in Shorts schaute Nils an sich herunter und sah die kleine Schnittwunde an seinem rechten Oberschenkel. Er stieß einen unterdrückten Schrei aus. Der Boden schien unter ihm weg zu sacken.
An diesem Abend hatte er panische Angst vor dem kommenden Schlaf, der unaufhaltsam auf ihn zurollte.
Trotz des Versuchs in dieser Nacht nicht zu schlafen, erwachte Nils aus einem tiefen Schlaf. Er hatte sich diesmal auf die Couch in seinem Wohnzimmer gelegt. Die Angst, sich in sein Bett zu legen, war am Vorabend einfach zu groß gewesen. Bis um drei Uhr hatte er es geschafft wach zu bleiben, doch dann hatte ihn der Schlaf einfach übermannt. Zwei Stunden später weckte ihn ein lauter Schlag, der in seinem Unterbewusstsein durchdrang wie ein Donner. Schweißgebadet schreckte Nils hoch. Vor ihm stand der Fernseher mit eingeschlagener Mattscheibe. Auf dem Boden davor lag ein weiterer Zettel. „Donnerstag donnert es.“
Den Rest des Tages saß Nils zusammengekrümmt in einer Ecke seines Wohnzimmers. Die Angst war nicht mehr zu beschreiben. Es war Todesangst. Wer tat ihm das nur an?
Am Freitagmorgen wurde Nils in seinem Bett wach. Er konnte sich zwar nicht daran erinnern, sich hineingelegt zu haben. Aber vielleicht war er einfach zu müde gewesen, um diese Information noch in seinem Gehirn zu finden. In der Wohnung war es ruhig. Draußen regnete es aber wieder. Auf dem ersten Blick schien nichts auf das hinzuweisen, was in den letzten Tagen passiert war. Er wäre am liebsten liegen geblieben, zwang sich aber dazu aufzustehen und durch seine Räume zu gehen. Seine Glieder zitterten, Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und in seinen Handflächen. Sein Atem ging schwer, während er von Zimmer zu Zimmer ging. Im Bad ertappte er sein Spiegelbild. Er sah schrecklich aus. Ein leichter Bartwuchs hatte sich gebildet. Unter seinen Augen standen schwarze Ringe. Und die Augen selbst waren gerötet, als ob er die letzten Nächte durchgemacht hätte. Er fand nichts. Keinen Zettel, keinen Hinweis, keine Spur. Nach einer langen Dusche zog er sich an und machte sein Bett. War es vielleicht vorbei? Hatte er am Ende alles nur geträumt? Er nahm sein Daunenkissen in die Hand, um es aufzuschlagen. Der Zettel, der ihm dabei entgegen fiel, ließ ihn aufschreien. Darauf stand: Freitag hab ich frei. Und in dem Moment fiel es ihm ein. Er rannte zu einem Schrank im Wohnzimmer und riss die Tür auf. Auf dem Schrankboden stand eine alte Kiste mit Büchern aus seiner Kindheit. Darunter war auch das Buch „Das Sams“. Hastig blätterte er die Seiten durch und fand all die Sprüche wieder, die er in den letzten Tagen auf den Zetteln gelesen hatte. Es fehlte nur noch der Samstag.
In dem Moment, als Nils in tiefen Schlaf fiel, hörte es draußen auf zu regnen. Die Wolken wurden vom Himmel gefegt, wie Staub von einer glatten Oberfläche. Mit einem Mal war der Himmel klar wie ein Glas Wodka. Ein heller, voller Mond schob sich in den Vordergrund der Dunkelheit. Sterne waren keine zu sehen. In jedem Zimmer von Nils´ Wohnung herrschte absolute Stille. Nichts war zu hören. Wie in einem Vakuum.
Hinter der Wohnungstür stand wieder die schwere Kommode. Die Kaffeemaschine lag seit einigen Stunden zusammen mit allen Messern und gefährlichen Gegenständen in der Mülltonne. Nur der Fernseher stand noch zerstört im Wohnzimmer. Nils lag davor in einem scheinbar friedlichen Schlaf. Sein Atem ging ruhig. Das Buch aus seiner Kindheit über das Kommen des Sams lag aufgeschlagen neben ihm auf dem Boden. Eine leere Flasche Whiskey daneben. Minuten vergingen und es geschah nichts.
Langsam wanderte das Licht des Vollmonds durch das Schlafzimmer. Es schien kurz auf dem leeren Bett zu verharren, bevor es weiter durch den Raum wanderte und schließlich durch das Wohnzimmerfenster fiel. Es lief die Wand entlang, über den Fernseher auf die Couch zu und auf Nils´ Gesicht, wo es stehen blieb und ihn in ein gräulich blaues Licht hüllte. Beinahe wie tot sah er aus.
Plötzlich schlug Nils die Augen auf und richtete sich mit seinem Oberkörper senkrecht auf. Sein Blick war leer und starr. Er warf seine Beine von der Couch und blieb steif eine ganze weile so sitzen. Sein Bewusstsein schlief, doch etwas in ihm war wach. Irgendwo ganz tief drinnen. Wie an unsichtbaren Fäden gezogen stand Nils auf und schlurfte zu seinem kleinen Schreibtisch. Dort öffnete er die Schublade und zog einen kleinen Zettel und einen Kugelschreiben daraus hervor. Ohne seinen Blick auf die beiden Utensilien zu senken, begann er etwas zu schreiben. Nur kurz. Einen einzigen Satz. Er steckte sich den beschriebenen Zettel in die rechte Hosentasche und schlurfte durch das Wohnzimmer, während das Licht des Vollmonds ihm auf Schritt und Tritt folgte. Immer auf seinen Kopf gerichtet. Die unsichtbaren Fäden zogen an seinen lockeren Gliedmaßen und ließen ihn in das Badezimmer gehen. Starr stellte er sich vor seine Badewanne und öffnete den Wasserhahn darin. Das Wasser begann in die Badewanne zu laufen und füllte sie langsam und stetig. Minutenlang, während das Wasser in die Wanne floss, stand Nils vor dem Rand und starrte an die Wand. In dem fensterlosen Raum wurde das Vollmondlicht aus dem Wohnzimmer auf den Spiegel geworfen und von dort auf seinen Hinterkopf.
Als nach etwa zehn Minuten die Wanne voll war, nahm Nils den Zettel aus der Hose und legte ihn auf den Rand. Dann stieg er langsam hinein. Trotz der Berührung mit dem Wasser veränderte sich nichts an seinem Verhalten. Wieder saß er eine ganze Weile nur so da. Starrte an die Wand, die ihm gegenüber lag. Sein Blick war nicht in dieser Welt. Nicht in dieser Zeit. Er war irgendwo verloren zwischen schlafen und wachen.
Nach weiteren Minuten ließ Nils seinen Oberkörper in die Wanne sinken. Sein Kopf glitt wie in Zeitlupe unter das Wasser. Seine Augen blieben dabei geöffnet. Aus seiner Nase und dem Mund kamen Luftbläschen an die Oberfläche getrieben, während sich seine Lunge langsam mit Wasser füllte. Sein Körper zuckte nicht einmal, als er langsam erstickte und sein letzter, lebenswichtiger Atemzug aus ihm entwich.
Langsam verschwand das Mondlicht von seinem Gesicht, das starr unter Wasser lag, und wanderte an der Wand entlang, bis es auf den Zettel stieß. Darauf stand: „Samstag kommt der Tod.“
Dann wurde es dunkel. Draußen setzte der Regen wieder ein.