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...und wieder sieben Tage warten!
Freitagabend. In der Wohnung gegenüber die Neo-Hippies; Chucks tragende Ökobitches; Männer mit Umhängetaschen und viel zu engen Frauenjeans. Weltverbesserer aus der Fließbandproduktion. Trockener Rotwein aus Südafrika belebt ihre Zungen. Der seit Wochen geplante, vegetarische Kochabend harmoniert ganz toll mit den anspruchsvollen Diskussionen über die Globalisierung und ihre Fehler. Der Besitzer des Woks schaut zufrieden in die Runde und bemerkt die satten und zufriedenen Gesichter. Zum Nachtisch gibt es Marihuana-Zigaretten und im DVD-Player liegt ein französischer Schwarz-Weiß Film.
In der stadtbekannten dunklen Unterführung liegen zwei Obdachlose und teilen sich einen alten Bundeswehrparka als Zudecke. Überall riecht es nach Urin. Vor zwei Stunden haben sie gesehen, wie sich zwei Jugendliche wegen einem dicken Mädchen geschlagen haben, doch es hat sie nicht sonderlich interessiert. Ihre geteilte Einsamkeit ist ihr Frieden.
Zwei Straßen weiter dröhnen Bassgeräusche aus dem angesagten Club. Äußerst schöne Menschen, in viel zu teuren Markenklamotten von der Stange, warten auf den Einlass. Innen sind die Wände in einem hellen Orange gestrichen und nirgendwo ist ein Spiegel zu finden. Anonymität ist das Geheimnis des Erfolgs. Auf den kleinen runden Tischen in der Ecke sieht man die Reste von Kokain. Die Tanzflächen sind auf verschiedene Etagen verteilt und von überall her scheint man „Vorwärts-Rufe“ zu hören. Der DJ glaubt seine Sache gut zu machen, doch das Lob für die überschwänglichen Laune muss an die chemischen Substanzen in den Blutkreisläufen der Feiernden gehen. Bis neun Uhr morgens wird der Bass sich noch unaufhörlich in die Köpfe hineinhämmern. Dann erst teilt sich die Menge zu kleineren Gruppen und auf den sogenannten „Afters“ wird Haschisch geraucht, um runterzukommen und endlich in den verdienten Schlaf zu versinken.
Hundert Meter Luftlinie entfernt hat noch immer eine Kneipe geöffnet. Der verrauchte Raum wird durch grelle Lampen erhellt. An der Theke sitzen nur noch zwei Gäste, die sich schweigend in verschwommenen Gedanken wiegen. Ihr Bier schmeckt schon seit Stunden schal und der letzte Schnaps will nicht so recht die Kehle herunter. Der Wirt würde gerne schließen, doch nur durch die langen Öffnungszeiten kann er sich über Wasser halten. Seine Frau weiß das auch, trotzdem fühlt sie sich vernachlässigt und hat ein unbefriedigendes Verhältnis mit dem arbeitslosen Nachbarn.
Mittlerweile ist es halb elf morgens und am Hauptbahnhof treffen die ersten Fußballfans ein. Angetrunken kämpfen sie sich durch die Pfützen aus Erbrochenem und hoffen auf einen Sieg ihrer Mannschaft. Die Polizei begleitet sie auf ihrem Weg ins Stadion, gelangweilt von der wöchentlichen Routine.
Die Tür meines Mitbewohners geht auf und er schlendert Richtung Klo. Sein abgedunkeltes Zimmer wird nur durch das Flackern des Monitors erhellt. Ich höre die Spühlung, doch das Geräusch des Wasserhahns bleibt aus. Bevor er wieder vor den Rechner verschwindet, drückt er mir ein Briefchen Pep in die Hand. Ich zerkleinere es auf meinem Schreibtisch mit einer alten Bankkarte und Rolle meinen letzten fünf Euro Schein zusammen. Es wird mir dabei helfen, wach zu bleiben. Das große Bett bleibt auch weiterhin leer. Seit Monaten habe ich meine Freundin nun nicht mehr gesehen. Einheitsbrei macht sich wieder breit. Entschlossen greife ich zum Stift und schreibe weiter. Über die Dinge, die jeden Tag in meinem Leben geschehen und von so vielen als selbstverständlich aufgefasst werden.