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Unerwarteter Besuch

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04.08.2001
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Unerwarteter Besuch

Nur drei Worte vorweg. Sollte jemand meine Story "Ein Dorf in den Bergen" kennen, so sollte er sich davon lösen, denn obwohl beide Geschichten nahezu gleich beginnen, so sind sie doch völlig verschieden.

Unerwarteter Besuch

Der Friedhof des kleinen Dorfes lag ein wenig abseits, gut tausend Schritt den Berg hinauf, als würde man sich seiner schämen – oder sich fürchten vor ihm. Verwitterte Grabsteine ragten aus dem Boden wie faulige Zähne. Die Gräber waren zwar gepflegt, aber man sah ihnen an, dass niemand hier viel besaß. Mittellos war man hier, im Leben und im Tode ebenso.
Ein Gentleman, der ganz ohne Zweifel nicht hierher gehörte, wandelte durch die Reihen, als befände er sich in einem Park. Er schaute hierhin, mal dorthin und hatte an der kleinen, verwitterten Kapelle ebenso wenig Interesse, wie an dem frisch aufgeworfenen Hügel, bedeckt mit wenigen Blumen und Kränzen. Vielmehr schlenderte er weiter, ohne sie sonderlich zu beachten.
Sein schwarzer Trenchcoat blähte sich, als Wind aufkam. Es war früh am Morgen, der November schickte einen neuen, grauen Tag ins Rennen und es war bitterkalt. Doch das schien dem Fremden nichts auszumachen.
Plötzlich blieb er stehen und widmete seine ganze Aufmerksamkeit einem kleinen Grab. Ganz offensichtlich waren die Verwandten dieses Toten ungleich vermögender als die anderer Gräber hier. Der Stein war sauber und noch nicht alt, die Inschrift schnörkellos, aber doch kunstvoll. Die Ruhestätte lag etwas entfernt von den anderen, ärmlichen.
Es musste sich um ein Kindergrab handeln, denn die Einfassung hatte kleinere Maße als gewöhnlich.
Die knappen Worte auf dem Stein bedeuteten, dass hier tatsächlich die Leiche eines Kindes lag – ein Säugling - der, vor sechs Jahren gestorben, gerade zwei Tage alt geworden war.
Der Mann stand davor und hatte die Arme verschränkt. Er hielt die Augen geschlossen und murmelte unentwegt vor sich hin. Abrupt öffnete er die Augen und seinen Mund umspielte ein spöttisches Lächeln.

*

Ich ging durch das armselige Dorf und versuchte, auf dem notdürftigen Pflaster halbwegs würdevoll zu erscheinen. Der Tag war gerade angebrochen, und der November hier in den Bergen versprach rau zu werden, so dass sich der Mantel bezahlt machte, den ich mir übergeworfen hatte. Der Nebel strich in Fetzen übers Land, dann und wann durcheinander gewirbelt von einem eisigen Wind. Kurz, ein Wetter also, wie gemacht für Leute meines Schlages.
Das Klack-Klack meiner Stiefel auf den Steinen trieb trotz des frühen Morgens schon einige Neugierige an die Fenster. Gelbe fleckige Gardinen bewegten sich. Die Menschen hier waren frühes Aufstehen gewöhnt.
Die Häuser, an denen ich vorbeiging, machten einen schäbigen, bemitleidenswerten Eindruck. Niemand hier schien über die Mittel zu verfügen, seiner Kate ein einigermaßen wohnliches Aussehen geben zu können. Es war, als wäre Elend zum Lebensstil erhoben worden. Dieses Gefühl setzte sich den ganzen Weg hinunter durch die Ortschaft fort. Ich zeigte mich unbeeindruckt.
Ich war froh gewesen und überrascht, dass dieses Nest einen Bahnhof besaß. Nachdem sich der Zug schnaufend und dampfend entfernt hatte, konnte ich eine Vorstellung davon bekommen, was mich hier erwarten würde. Was die dürftige Bahnstation versprach, das konnte das Dorf in jedem Falle einlösen.
Ich ließ die Siedlung schließlich hinter mir und hielt auf das Anwesen zu, das ich in der Ferne, etwa zwei Meilen in der Höhe, erkennen konnte. Obwohl der Griff des Koffers schmerzhaft in die Handfläche schnitt, machte es mir nicht viel aus. Ich war gleich am Ziel.
Das Besitztum war das Gegenteil von der Ortschaft unten, in allen Belangen. Man sah von weitem schon, dass Geld hier keine Rolle spielte. Weitläufig, verspielt und mit viel Pflege war das Gut angelegt worden. Inmitten eines Parks lag die Villa, die diesen Namen kaum verdiente, denn es war eher ein Palast, mit Erkern und Türmchen – Verschnörkelungen jedweder Art.
Doch bevor man den Park auf einem schnurgeraden, breiten roten Weg betreten konnte, musste man ein riesiges, schmiedeeisernes Tor passieren, das eine wohl zweieinhalbe Meter hohe weiße Mauer verschloss, die zusätzlich auf der Krone mit Stacheldraht gesichert war.
Das Ganze machte den Eindruck, als sähe man ein Märchenland, innerhalb eines Albtraums aus Not und Elend, das man nicht erreichen konnte, weil es verriegelt war. Ich stellte meinen Koffer direkt vor das Tor ab und rieb mir die schmerzende Hand. Durch das schwarze Gitter konnte ich sehen, wie ein stattlicher Kerl in Livree den Weg vom Haupthaus auf mich zukam. Schon an seiner Statur konnte man erkennen, wofür dieser Mann hier angestellt war. Wenn ich nicht zugkräftige Argumente vorweisen konnte, würde ich an diesem Hünen nicht vorbeikommen.
„Was wünschen Sie?“ Seine Stimme war rau und der Slang der eines Underdogs.
Ich hörte ein leises Geräusch von oben und in den Augenwinkeln sah ich die Kamera, die mich eben erfasst hatte.
„Ich möchte zu Haake Dreenstedt“, sagte ich, ohne große Hoffnung. Für den Riesen auf der anderen Seite des Tores war es ein oft wiederholtes Ritual, den Besucher brüsk abzuweisen.
„Haben Sie einen Termin“, fragte er barsch.
Angesichts der frühen Stunde war es aussichtslos, eine Lüge zu versuchen. Natürlich hatte ich keinen Termin, ich hatte den ersten Zug in dieses gottverlassene Kaff genommen, um möglichst früh hier zu sein.
„Er wird mich sehen wollen“, gab ich zurück.
Als der Andere zu einer überheblichen abweisenden Geste ansetzen wollte, hielt er plötzlich in der Bewegung inne. Er führte eine Hand zum rechten Ohr und lauschte angestrengt. Sein Gesichtsausdruck entspannte sich und sein riesiger Körper schien Luft abzulassen. Dann stand er nur da und schaute mich dämlich an.
Er machte keine Anstalten, das Tor zu öffnen, noch sich weiter mit mir zu unterhalten. Es war, als hätte man einen Schalter umgelegt und ihn damit ausgeschalten.
„He, Freundchen“, versuchte ich es noch mal. „Was ist los? Keinen Bock mehr?“
Doch der Gorilla zeigte sich unbeeindruckt. Ohne die Miene zu verziehen, stand er auf der anderen Seite des Gitters, die Arme auf dem Rücken verschränkt, wie ein Wachposten, unten am Tower.
Und dann kam wieder Bewegung in die Szenerie. Ein Mann kam gelaufen. Er kam die lange Treppe des Hauses hinunter und lief dann den Weg entlang, einziger sich bewegender Punkt im gesamten Bild. Er hatte einen seidenen Morgenmantel über einen Pyjama geworfen, und je näher er kam, desto deutlicher konnte man erkennen, dass er ganz gewöhnliche Hausschuhe an den Füßen trug, statt vernünftiges Schuhwerk.
Er kam auf uns zu und als er atemlos bei uns angelangt war, bedeutet er dem Wachposten mit einer knappen Geste, dass er sich zu entfernen hatte. Dann musterte er mich ungeniert.
Er war schon jenseits der Vierzig. Seine braungebrannte Haut spannte sich über den Wangenknochen und die Tränensäcke unter den Augen waren noch ein wenig größer geworden. Alles in allem war er nur etwas fetter geworden in den vergangenen sechs Jahren. Derselbe lächerliche Schnauzer, ebensolche fettigen, tiefdunklen Haare wie damals und auch seine Haltung hatte sich nicht verändert – ebenso herablassend und von sich eingenommen, stand er vor mir.
Erkennen glitzerte in seinen Augen, die Mundwinkel verzogen sich nach oben und er musste grinsen.
„Yago?“ Er formulierte es zuerst als Frage. „Bist du es wirklich?“ Er machte einen Schritt zurück, als könne er mich nur so vollständig erfassen. Dann kam er wieder auf mich zu, als wolle er mich umarmen, doch im letzten Moment besann er sich eines Besseren. Das Gatter war zwischen uns.
„Yago, du bist es tatsächlich, nicht wahr?“
Jetzt nickte ich und er glaubte es endlich. Er lachte, und aufgeregt und flatterhaft gab er eine Zahlenkombination in ein kleines Feld neben dem Tor ein. Das Gitter setzte sich rasselnd in Bewegung und schob sich träge in die Mauer hinein. Mein Gegenüber konnte kaum erwarten, dass sich die Sperre beiseite rollte. Als die Lücke breit genug war, stürzte er zu mir.
„Yago, mein Bruder“, brachte er mit tränenerstickter Stimme hervor und umarmte mich.

Das Esszimmer des Hauses war in Wahrheit eher eine Essecke. Abgeteilt von der riesigen Wohnküche durch ein Wand auf der einen und auf der anderen Seite durch ein Regal, in das eine Durchreiche eingelassen war.
Trotz der Abgeschiedenheit war die Einrichtung auch hier edel und nur vom Allerfeinsten. Der Tisch war schwer und klobig, die sechs Stühle darum dazu passend. Aber an den Wänden hingen Nippes, kitschige Teller und ähnliche Scheußlichkeiten, die von einer gewissen Stillosigkeit und einem zur Schau gestellten Mitteilungsbedürfnis zeugten.
Die Hausherrin saß am gedeckten Frühstückstisch in einem bequemen Lehnsessel. Der Grund dafür war sofort ersichtlich, sie war hochschwanger. Nach ihrem körperlichen Zustand zu urteilen, hatte sie nicht mehr lange, der Termin musste in den nächsten Tagen sein.
Sie wollte sich aus dem Möbel hieven und mir entgegenkommen, als sie mich sah. Doch ich winkte sofort ab und ging schnell auf sie zu. Ich murmelte ein „Bleiben Sie doch bitte sitzen!“ und ergriff ihre Hand, als sie schwerfällig zurückplumpste.
Sie lächelte mich an und sagte: „Sie sind es wirklich! Noch nie standen wir uns gegenüber, aber ich habe Sie sofort erkannt, allein aus den Erzählungen Ihres Bruders. Sie sind uns hier jederzeit herzlich willkommen.“
Ihre Stimme, ihre Haltung und die Gesten deuteten auf eine starke Frau mit einem weiten Herzen. Man sah aber auch, dass sie viel gelitten hatte im Leben, dunkle Schatten lagen unter ihren Augen und dadurch bekamen sie einen melancholischen Ausdruck und straften das Lächeln ihres Mundes Lügen.
„Das ist Eleonore, meine Frau. Das ist mein Bruder Yago.“
Mit seinem Seidenmantel und den samtenen Hausschuhen war Haake endlich zu uns gekommen und hatte uns einander vorgestellt. Er war noch immer aufgeregt und vermochte nicht still sitzen zu bleiben. Er sprang immer wieder auf, kam zu mir, der ich auf der anderen Seite des Tisches Platz genommen hatte, herüber und musste mich anfassen, wie um sich zu vergewissern, dass ich echt war.
Er ließ von einer Bediensteten ein weiteres Gedeck auftragen, und so bekam ich die erste vernünftige Mahlzeit an diesem Tage, die nebenbei eine sehr üppige und reichhaltige war.
„Wir dachten, du wärst tot, Yago!“ begann Haake, nachdem er ein letztes Ei gegessen hatte. „Niemand hat überlebt bei dem Schiffsunglück damals. Wir waren so voller Trauer, als die Reederei uns die Nachricht überbrachte. Keine Überlebenden, hoffnungslos. Wir konnten es nicht glauben. Wie hast du es geschafft, davonzukommen und all die langen Jahre als tot zu gelten?“
Ich kaute an einem Toast, der Honig war ausgezeichnet. Als ich zur Antwort ansetzte, klapperte es plötzlich im Hintergrund, durch eine Tür trat eine derbe Person in einer schmutzigen Jacke, Breeches und Stiefeln, überdies mit einer fleckigen Mütze auf dem Kopf. Offenbar der Stallbursche, und er hatte wichtige Nachricht.
„Der Schwarze ist ausgebrochen, Herr“, sagte er mit dunkler, sanfter Stimme. Haake sprang auf und war noch aufgeregter als vorher.
„Entschuldigt mich bitte“, brummte er und hastete davon.
Zurück blieben Eleonore und ich. Die hübsche, melancholische schwangere Eleonore. Sie saß in ihrem Sessel und lächelte mich entschuldigend an.
„Es tut mir leid“, meinte sie. „Er ist in der letzten Zeit ziemlich flatterhaft und nervös.“
„Das kann ich gut verstehen“, erwiderte ich mit einem Blick auf ihren runden Bauch. „Wer wäre das nicht? Ich würde höchstwahrscheinlich ebenso reagieren.“
Ich nahm mir noch einen Toast und bestrich ihn mit dem köstlichen Honig. Bei süßen Sachen kann ich einfach nicht widerstehen.
„Oh, ich fürchte, er übertreibt ein wenig.“ Ihr Lächeln, als sie das sagte, war hübsch anzusehen. „Er hat sich in den letzten Wochen überhaupt nicht mehr im Griff, er ist unstet und aufbrausend, wir haben uns mehr als einmal gestritten in der Vergangenheit. Ich denke, er ist nur ängstlich wegen dem Kind.“ Sie strich über ihren Bauch.
„Wann ist es soweit?“
„Oh“, sie lachte. „Heute. Heute habe ich Termin. Was für ein Zufall, nicht? Just an dem Tag, den dem ich entbinden soll, besuchen Sie uns. Das ist wohl Vorsehung.
Damals, als Sie Ihren Unfall hatten, da kannten Haake und ich uns kaum einen Monat. Er wollte mich Ihnen vorstellen, sobald Sie im Lande wären. Doch das ging nicht mehr. Er war sehr erschüttert damals, ich hatte Angst, er tut sich etwas an. Doch dann hatten wir in finanziellen Dingen sehr oft Glück, das konnte uns zwar den Schmerz nicht nehmen, aber wir hatten keine Sorgen, zu überleben.“
„Ich habe schon gesehen, dass es Ihnen außerordentlich gut zu gehen scheint. Wir kommen aus einer armen Familie. Darf ich fragen, wie Haake zu soviel Geld gekommen ist?“
„Mein lieber Schwager“; sagte sie, während sie mühsam aufstand und einen kleinen Knopf an der Wand drückte. „Ein ganz klein wenig Finanzmittel brachte ich mit in unsere Ehe. Das muss Haake gewinnbringend angelegt haben, wahrscheinlich sehr gewinnbringend“, setzte sie hinzu. „Ich weiß nicht im Einzelnen, woher sich unser Vermögen zusammensetzt, aber im guten Ordinären würde man sagen, er ist Spekulant, er handelt mit Dingen, die andere benötigen.“ Sie lächelte noch einmal kurz und bevor sie das Zimmer verließ sagte sie: „Ich werde mich jetzt zurückziehen und auf meine Wehen warten. Essen Sie, soviel Sie mögen, das Personal wird danach abräumen. Es wird auch jemand kommen, und Ihnen Ihr Zimmer zeigen. Das Gepäck ist schon oben. Wir sehen uns dann zum Mittag.“
So wie sie sich hinausschleppte, ging es ihr gar nicht gut. Wenn ihr Termin am heutigen Tag war, dann kam ich ja gerade richtig, wunderbares Timing.
Ich ließ mir das Zimmer zeigen, das – wie konnte es anders sein – üppig ausgestattet und geradezu riesig war, packte meinen Koffer aus und legte mich ein wenig hin. Ich fühlte mich erschöpft.

Der Hausherr wurde bis zum Abendessen nicht gesehen, er hatte wohl ausgiebig mit seinen Pferden zu tun. Wie ich hörte war der Rappe aus dem Stall ausgebrochen und hatte sich auf dem Gelände herumgetrieben. Dabei erfuhr ich, dass der Privatbesitz von Haake Dreenstedt einige Dutzend Hektar Land umfasste, das samt und sonders mit einem 2,5m hohen Zaun eingefasst war und somit nur über das Haupttor und zwei kleineren Nebentoren verlassen oder betreten werden konnte. Ein geradezu panisch gesteigertes Sicherheitsbedürfnis hatte der Mann.
Ich unternahm am Nachmittag einen kleinen Spaziergang über das Gut. Die Luft war kalt, aber es hatte sich aufgeklärt, so dass die Sicht ziemlich günstig war.
Geschickt hatte man eine Ebene genutzt, die sich hier in den Bergen natürlich gebildet hatte, um ein Anwesen von herrschaftlicher Größe zu schaffen. Umgeben von Hügeln und Felsen gab es neben dem Haupthaus, das in seiner Größe allein schon erdrückend war, zwei Nebengebäude, die sich jeweils links und rechts daran schmiegten. Etwas abseits lagen die Stallungen, und hinter dem Hauptgebäude schloss sich direkt ein weitangelegter Park an.
Schöne Immobilie, dachte ich bei mir, als ich die peinlich genau gezogenen Wege entlang schlenderte. Da kamen mir auch Haake und sein Angestellter zu Pferde entgegen. Am Zügel hinter sich her führten sie einen prächtigen schwarzen Rappen, der vor lauter Stolz kaum laufen konnte.
„Tut mir leid, Yago“, rief mir Haake vom Pferd herab. „Wir reden später miteinander.“
Ich winkte ihm zu, als er weiterritt.
Zum Abendessen war er dann allerdings nicht viel gesprächiger, er kümmerte sich fast ausschließlich um seine Frau, was unter den Umständen verständlich war. Offenbar ging es ihr nicht gut, und die beiden diskutierten leise miteinander, ob sie einen Arzt kommen lassen sollten oder nicht.
Ich schützte daher Müdigkeit vor und zog mich frühzeitig in mein Zimmer zurück

In der Nacht, als alles schlief, ging ich auf Jagd.
Ich strömte durch das kleine Dorf und überflutete es mit meiner Präsenz. Ich verbreitete Furcht und Albträume, meine Spiele beherrschten den Schlaf der Bewohner. Ein Raunen ging durch den Ort, ein Zittern, als läge er im Fieber.
Eine Bäuerin gefiel mir, nicht mehr ganz jung, aber drall und voller Leben. Ich nahm sie mir und riss Fleisch aus ihrem Leib. Dieses viehische Tun erfüllte mich mit Wollust und ich wollte mehr.
Mit bluttriefenden Lefzen und besudelten Händen verlangte ich alles von ihr. Doch sie verweigerte sich, sie wollte mir ihr Bestes nicht geben, sosehr ich auch flehte, wie sehr ich sie bat, wie ich auch drohte, sie verschloss sich mir und verschied.
Unbefriedigt kehrte ich in mein Domizil zurück.

Der Park hinter dem Haupthaus wurde beherrscht von einer Allee, die ruhig und ausladend, gesäumt von kahlen Akazien lag. Ich machte am frühen Morgen einen Spaziergang und erholte mich.
Auch wenn es mir niemand zutraut, ich liebe die Stille der Atmosphäre eines Novembermorgens, die Nebel ziehen noch und die Krähen sind unterwegs. Ich hing meinen Gedanken nach, während ich ging.
Irgendwann gesellte sich Haake zu mir. Er sah übernächtigt aus, anscheinend hatte er kaum ein Auge zugetan.
„Wie hast du geschlafen“, fragte er mich. Dabei machte er nicht den Eindruck, als interessiere ihn das sonderlich. Er hatte mit sich selbst zu tun.
„Ach, weißt du“, antwortete ich lächelnd. „Die Nächte auf dem Land empfand ich schon immer als sehr erholsam. Wie geht es deiner Frau?“
„Unverändert. Auch wenn sie dagegen ist, werde ich heute unserem Hausarzt Bescheid geben, dass er rauskommt und ständig in unserer Nähe ist.“ Dann fügte er hinzu: „Ich habe Angst um das Kind. Und um meine Frau.“
„Das ist ganz normal“, beruhigte ich ihn. „Jeder in deiner Situation würde so reagieren.“
Die Ruhe hier war überwältigend. Die paar Rabenvögel, die ab und zu aufflatterten, unterstrichen mit ihrem Gekrächze die Stille nur.
„Hast du Kinder“, fragte er mich leise.
„Keine“, erwiderte ich. „Auch keine Frau.“
„Was ist aus dem Mädchen geworden, mit dem du auf dem Schiff warst? Du warst doch mit ihr zusammen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Sie ist umgekommen.“
Er schluchzte auf. „Es tut mir leid! So leid!“
Ich versuchte ihn zu beruhigen. „Aber Haake. Du kannst doch nun wirklich nichts dafür. Dich trifft keine Schuld.“ Dabei blickte ich ihn intensiv an.
Nachdem wir gefrühstückt hatten – Eleonore war auf ihrem Zimmer geblieben -, gab Haake Anweisung den Arzt zu verständigen. Er trug der Bediensteten auf, gleich ein Zimmer herzurichten, weil er einige Tage bleiben würde.
Mich wunderte die Entschlossenheit, mit der er dies vortrug. Er schien gar nicht auf den Gedanken zu kommen, dass der Arzt nicht bleiben wollte. Für ihn war klar, dass er sich ausschließlich um seine Frau zu kümmern hatte.
Nachdem er noch einige Anweisungen gegeben hatte, gab er mir eine kleine Privatführung durch sein Anwesen.
Es war offensichtlich, dass er stolz war auf das was er geleistet hatte. Er hatte viel geschaffen für sich und seine Frau, und ich schien einer der wenigen zu sein, die es würdigen konnten.
Seine größte Freude allerdings war die Bibliothek. Der Raum war im Hauptgebäude untergebracht und glich mit seiner riesigen Kuppel aus Glas eher einer Kathedrale. Selbst jetzt, im trüben Herbst, fiel soviel Tageslicht in die Halle, dass ausnahmslos jeder Winkel beleuchtet war. Auf jedem Buch, auf jedem wertvollen Gemälde lag der Tagesschimmer.
Hohe Regale, überfüllt mit Büchern jeder Größe, standen an den Wänden, die nur den Teil der Tür aussparten.
Das einzige Möbel, das darüber hinaus in diesem Raum stand, war ein großer Lesepult, der sich in der Mitte befand.
„Wie konntest du dir dies alles hier nur leisten?“ fragte ich fassungslos.
„Oh.“ Er tat bescheiden. „Ich habe Glück gehabt.“
„Glück“, fragte ich ihn. „Mit Glück kann man so etwas schaffen? Meiner Meinung nach braucht es dafür eine Menge Arbeit und man muss vielen Menschen weh tun. Ich kenne viele Leute, denen dieses Glück versagt geblieben ist. Es lebt sich.“
Ich konnte erkennen, dass ihm bei diesem Thema nicht recht wohl war. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn, er wirkte fahrig und er nestelte an einem schweren Buch herum, das auf dem Pult lag. Ich sah den Titel des Buches – die Bibel in einer alten Ausgabe.
Ich trat einige Schritte zurück und tat eine ausladende Bewegung. „Bist du unglücklich, wenn dir dies hier nicht gehört? Ich meine, versteh mich richtig! Ich bin der Letzte, der das nicht nachvollziehen kann.“ Ich musste grinsen. „Aber wenn du diese Sachen hier nicht besitzt, bist du dann weniger wert?“
Er schaute mich starr an, und es brauchte eine Zeit, ehe er antwortete.
„Ich habe viel dafür gegeben, so leben zu können. Die Entbehrungen, die ich erleiden musste, waren nicht nur körperlicher Art. Ich litt Qualen und das nicht nur einige Tage. Es gab Zeiten, da fragte ich mich, ob alles, was ich tat überhaupt noch lohne. Ich verzweifelte, ich verlor den Mut und ich suchte vergeblich nach dem Sinn des Ganzen. Aber jetzt, wo es geschafft ist, da bin ich stolz auf all das hier. Ich genieße den Luxus, den ich mir leisten kann, und ich leiste ihn mir. Ich habe Freude daran und ich werde mir diese Freude nicht nehmen lassen.“
„Würdest du alles noch einmal so machen, wenn du die Wahl hättest?“
Die Frage irritierte ihn, doch nach Zögern antwortete er: „Ich glaube ja.“

Am Nachmittag kam der Arzt, ein kleiner dicklicher, geschäftsmäßig gelangweilter Glatzkopf, der allerdings nicht unsympathisch war. Man sah ihm an, dass er den Rummel um Eleonore gelassen hinnahm. Er spulte sein Programm herunter und war zufrieden, wenn Haake es war.
Wir saßen beim Kaffee, Haake war bei Eleonore, die sich zurückgezogen hatte, als er mich fragte: „Und Sie sind der Bruder von diesem Nervenbündel hier?“
Ich machte eine zustimmende Bewegung, weil ich im Moment mit einem Keks beschäftigt war.
„Ich kenne Haake schon ziemlich lange, müssen Sie wissen.“ Er öffnete den obersten Knopf seines Hemdes, ihm wurde wohl allmählich warm. Er war im Allgemeinen ein gemütlicher Mensch.
„Haake kam in unser Dorf, das muss kurz nach Ihrem...“ Er stockte. „Er war vollkommen niedergeschlagen. Er sprach damals viel von Ihnen, und schien sich eine gewisse Schuld zu geben an Ihrem Unfall. Aber er brachte eine Menge Geld mit hierher und eine schöne Frau.“
„Wissen Sie, woher das Geld stammt?“
„Wir haben darüber nie gesprochen, zumindest nicht offen. Es geht mich als Hausarzt auch kein bisschen an, doch man macht sich natürlich schon seine Gedanken. All der Luxus, der Pomp, irgend woher muss der Reichtum kommen. Ich glaube, er hat eine Zeitlang ziemlich Glück gehabt im Spekulationsgeschäft.“
Es waren fast dieselben Worte, die auch Haake gewählt hatte.
„Ich finde es ziemlich ungewöhnlich, in solch einer Gegend einen solchen Palast aufzubauen“, merkte ich an.
„In der Tat.“ Er kaute an einem Keks. „Ich würde ebenfalls meine Probleme haben mit diesem Standort. Aber es scheint mir damals, vor knapp zehn Jahren, auch zum Gutteil eine Flucht gewesen zu sein, als Haake mit seiner jungen Frau hierher kam. Vor irgendetwas ist er davongelaufen, so hatte ich den Eindruck.“
„Wovor? Was könnte das gewesen sein?“
„Die Schuld!“ Er war erstaunt, dass ich mir das nicht denken konnte. „Die Schuld, die er sich selbst gab an Ihrem Unfall. Wie haben Sie ihn überlebt? Kein Mensch hier glaubte an Ihre Rückkehr.“
„Ich kann gut schwimmen, Herr Doktor.“ Ich lächelte und irgendetwas ließ den Arzt für einen Moment zusammenzucken.
„Und Sie haben nicht daran gedacht, sich einmal zu melden?“
„Ich habe mich doch gemeldet. Jetzt.“
„Ja, das ist richtig.“ Er wischte sich über den Mund. „Nach über zehn Jahren. Sie hätten das Leiden einiger Menschen abkürzen können.“
„Na, ich weiß nicht recht. Vielleicht hätte ich es auch verstärkt. Doktor, ich hatte mich von einigen herben Schicksalsschlägen zu erholen. Das brauchte seine Zeit.“
Der gute Doktor erhob sich ächzend aus seinem Stuhl. „Wie dem auch sei“, bemerkte er abschließend. „Schön, dass Sie doch noch den Weg hierher gefunden haben. Ich muss hinunter ins Dorf. Dort unten geht Seltsames vor. Eine Bäuerin ist seit letzter Nacht verschwunden, und ihr Mann behauptet, es sei ein Wind gewesen, der durch das Dorf gestürmt ist und seine Frau mitriss. Ich bin in jedem Falle die Nacht wieder hier. Ich will nicht, dass Haake sich zu sehr sorgt um seine Frau.“
Er verließ schlurfend das Zimmer und ich stand auf und trat ans Fenster.
Ich konnte Eleonore unten sehen, wie sie von Haake untergearmt die Allee entlang schlenderte. Der Arzt kam hinzu und sie unterhielten sich kurz. Ich musste unter anderem ihr Thema sein, denn der Doktor blickte kurz herauf, als er intensiv sprach.
Haake schüttelte den Kopf.

Eleonore entband nicht, sie ließ sich Zeit. Was nicht ungewöhnlich war oder gar gefährlich, aber Haake lief aufgelöst und ohne Ruhe durch sämtliche Räume des Hauses und reagierte überaus gereizt, wenn man versuchte, ihn zu beruhigen. Selbst seinen Sicherheitsfimmel schien er für kurze Zeit vergessen zu haben, denn als er von einem Gang ins Dorf zurückkehrte, hatte er wohl vergessen, das Haupttor zu schließen, und löste dadurch nach einer geraumen Zeit einen Höllenalarm aus, auf den er allerdings sehr gelassen reagierte. „Wir sind nicht in Gefahr“, murmelte er mehr zu sich selbst. „Und auch noch nicht jetzt.“
In der Nacht suchte ich mir ein weiteres Opfer. Aber nicht hier, sondern Kontinente entfernt. Denn wenn noch eine Person vermisst würde, hätte es mir gefährlich werden können, obwohl mir nichts gefährlich werden kann in dieser Welt.
Als ich am nächsten Tag die Allee entlang spazierte, kam mir mit demselben Rappen wie vor zwei Tagen, der Bursche entgegen. Offensichtlich war der Gaul schon wieder geflohen.
„Ein sehr freiheitsliebendes Pferd“, rief ich ihm zu, während ich den Finger zum Gruß an die Mütze legte.
Er stoppte und bekam den Zossen mit Mühe gebremst.
„Das nun gerade nicht, Herr“, antwortete er artig. „Er ist sonst ganz ruhig. Die letzten Tage erst verhält er sich so aufmüpfig und scheu. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist.“
„Vielleicht überträgt sich die Anspannung seines Herrn auf ihn?“
„I wo!“ Das Pferd tänzelte unruhig und zerrte am Halfter. „Er lässt sich von so etwas absolut nicht beeindrucken. Er ist sonst die Ruhe in Person. Aber jetzt...Ich bin völlig ratlos.“
Es wurde mit dem Rappen so schlimm, dass der Bursche ihn davonführen musste. Es war tatsächlich ein sehr eigenwilliges Tier.

Eleonores Bauch hatte stattliche Ausmaße angenommen, und wenn Haake nicht gerade unruhig um sie herumstrich, war sie auch mal imstande entspannt zu lächeln. Der Doktor hatte sie gerade untersucht und so war Haake einigermaßen beruhigt an die Papiere gegangen, die sich schon seit Tagen auf seinem Schreibtisch stapelten, wie er uns versicherte.
„Nun“, fragte sie, als sie auf den Diwan geglitten war. „Wie haben Sie sich hier eingelebt? Werden wir Sie für länger als Gast bei uns haben dürfen?“
„Das wohl eher nicht“, antwortete ich. „Ich glaube, ich werde in den nächsten Tagen wieder abreisen.“
„In den nächsten Tagen schon?“ Ihr Schrecken war echt. Sie war süß, wie sie verblüfft hochschaute. So süß, dass ich sie mir hätte nehmen wollen. „Sie sind doch gerade einmal hier. So vieles noch, was Sie sehen müssen, wir haben Ihnen noch lang nicht alles gezeigt. Wir hatten auch gar keine Zeit, uns richtig um Sie zu kümmern. Ich nicht, wegen meines Zustandes. Und Haake schon gar nicht. Er ist nicht er selbst in dieser Zeit.“
„Ja, warum ist er so aufgelöst? Man sollte meinen, er könnte es gelassener sehen, wo doch für Ihre Gesundheit alles getan ist.“
Sie wandte den Kopf ab. Während sie zu sprechen begann, schaute sie auf den Boden. „Dies ist nicht meine erste Schwangerschaft, müssen Sie wissen. Fast vor genau sechs Jahren wurde uns ein Sohn geschenkt. Er wurde uns geschenkt und dann, zwei Tage nach seiner Geburt, wurde er uns wieder genommen. Er starb, lag tot am Morgen in seinem Kinderbettchen.“
„Plötzlicher Kindstod?“ Es war keine Frage, eine Feststellung.
„Woher wissen Sie?“ Sie schien ehrlich verblüfft, ihre Augen wurden ganz groß und dunkel. Sie wusste genau! Sie wusste so viel mehr als ihr Mann, doch sie wollte es nicht wahrhaben. In ihrem Inneren erkannte sie die Zusammenhänge, obwohl ihr sie nie jemand erklärt hatte. Und sie hatte maßlose Angst vor der Wahrheit, gehetzte, panische Angst. Und das machte sie so unwiderstehlich für mich, so süß.
„Natürlich“, meinte sie dann. „Das ist immer die Erklärung für das nicht Erklärbare. Es war leicht zu erraten. Jedenfalls machten wir beide damals eine schwere Zeit durch. Und ich glaube deshalb ist er so darauf versessen, dass alles klappt bei der Geburt. Und vor allem danach. Wir haben auch die beste Hebamme organisiert, die man für Geld bekommen kann.“
„Hat er deshalb diesen Sicherheitsfimmel?“
„Ich weiß nicht, ob der Grund dafür die Angst um sein Kind ist. Ich weiß aber, dass dieser Fimmel, wie Sie es nennen, umso stärker wird, desto näher der Entbindungstermin rückt.“
„Wovor, denken Sie, hat er Angst?“
Sie versuchte, durch eine Bewegung, eine angenehmere Stellung zu erreichen; sie stöhnte leise auf.
„Ich glaube nicht, dass er sich vor etwas Bestimmtem fürchtet. Ich denke, er sorgt sich nur um sein Kind. Und diese Sorge lässt ihn ein wenig übertrieben reagieren.“
„Gibt es denn etwas, wovor er sich fürchten müsste?“
„Aber bitte! Vor dem plötzlichen Kindstod kann man sich nicht schützen. Er kommt sozusagen über einen.“
„Sie glauben nicht daran, dass Ihr Kind dadurch umgekommen ist?“
Sie schwieg . Ich konnte erkennen, dass sie mit der Versuchung rang, aufzustehen und hinauszugehen. Sie biss sich auf die Unterlippe und kämpfte um Fassung.
„Ich habe mein Kind verloren. Durch irgendeine Macht wurde mir mein Sohn genommen.“ Jetzt blickte sie mir direkt in die Augen. „Ich habe damit weiß Gott noch nicht abgeschlossen, aber ein anderes Kapitel ist aufgeschlagen und ich will ein gesundes Kind zur Welt bringen. Und ich hoffe, bei Gott um den Einsatz meiner Seele hoffe ich inständig, dass mir dieses Kind nicht auch genommen wird.“
Ich horchte auf. Doch Eleonore Dreenstedt, die starke, mutige Eleonore erhob sich mühsam und ging stolz aus dem Raum.

Als es dann losging, stellte Haake mich gerade zur Rede.
„Ich habe die Reederei angerufen, die Eigentümer des Schiffes, mit dem du verunglückt bist.“
Ich wusste, was jetzt kommen würde. Hatte ich einen Einfluss darauf gehabt? Vielleicht auf den Zeitpunkt, wann er es herausfinden würde, aber nicht auf den Fakt selber. Draußen hatte es angefangen zu schneien. Eine dünne Decke lag über allem, weiß und unschuldig, wie eine Kinderseele.
Ich nickte Haake zu.
„Niemand hat sich bei ihnen gemeldet, wegen einer Entschädigung“, fuhr er fort. „Und das ist normalerweise das Erste, wonach die Leute verlangen, sagen sie.“
Er blickte mich abwartend an; erwartete er wirklich eine Antwort?
„Du hast dich also gar nicht als Überlebender gemeldet bei der Reederei. Das wäre sehr ungewöhnlich, sagt man dort. Doch damit nicht genug. Sie sagen, niemand“ – hier machte er eine Pause und starrte mich lauernd an – „niemand, verstehst du, kann dieses Unglück überlebt haben. Null Prozent, keine Chance, da sind sie sich ganz sicher.“
Wir standen uns gegenüber wie zwei lauernde Boxer, wie zwei Ringkämpfer, die auf den Fehler des Anderen warteten. Ich sah, wie sein linkes Auge vor Anspannung flatterte, er knackte mit den Fingern.
Da, ein spitzer Schrei aus den Tiefen des Gebäudes. Haake sprang herum und sah in die Richtung, aus der er gekommen war. Gleich darauf hetzte der Doktor vorbei, mit seiner Instrumententasche unter dem Arm und rief uns zu: „Es geht los, schnell, keine Zeit verlieren!“
Als ihm Haake hinterher rannte, drehte er sich noch einmal kurz zu mir um und rief: „Benachrichtige die Hebamme! Die Telefonnummer findest du auf meinem Schreibtisch.“
Kein Wort mehr von der vorherigen Sache. Er hatte nichts begriffen.

Die Geburt war eine Routinesache. Der Doktor und die Hebamme brachten das Kind zur Welt, wie sie vorher schon vielen anderen auf die Erde verholfen hatten. Haake war mit im Zimmer, aber ich bezweifele, dass er eine große Hilfe war.
Als der Arzt die Nabelschnur trennte, durchfuhr mich ein wohliger Schauer. Ich bekam genau mit, ab wann der Junge selbst atmete, den Zeitpunkt, ab dem er allein war.
Ich saß im Nachbarraum und rauchte.
Unmittelbar nach der Geburt herrschte totale Hektik im Hause. Jeder meinte, herumlaufen und irgendetwas besorgen zu müssen. Niemand beachtete mich in dem allgemeinen Gewusel.
Ich hockte noch immer da und rauchte und beobachtete die Hin- und Herlaufenden. Ich konnte nichts tun.
Als die Hebamme wieder gefahren war, als der Doktor seine Instrumente gewaschen und verpackt hatte und als Eleonore erschöpft und glücklich in einen leichten Schlummer gefallen war, da senkte sich so etwas wie Ruhe über das Anwesen.
Es war weit nach Mitternacht, als ich Haake im Rauchzimmer fand, wo er in einem schweren Ledersessel saß, Cognac trank und zufrieden eine Zigarre rauchte.
Ich setzte mich neben ihn und klopfte ihm auf die Schulter.
„Es ist geschafft“, sagte er erleichtert.
„Ja“, stimmte ich zu. „Das ist es. Bist du glücklich?“
„Oh ja!“ Er strahlte. Doch in seinem Gesicht erschien gleichzeitig ein Ausdruck von leichter Besorgnis, ein Anflug von Bestürzung machte sich breit. Er schien sich in den hintersten, schäbigsten Windungen seines Gehirns endlich daran zu erinnern, worum es hier ging.
Er war betrunken.
Ich ließ ihn noch ein wenig nachdenken. Er starrte in mein Gesicht und versuchte die kleinste Regung darin wahrzunehmen. Doch meine Maske war versteinert; was ich in langen Zeiten gelernt hatte, bewährte sich nun, ich blickte reglos zurück.
Auf seiner Stirn erschienen einzelne Falten, er hatte Verdacht geschöpft, das Leben, war jetzt nicht mehr so rosig, wie noch vor einer Minute. Er spürte den Ernst, den diese Situation für ihn bedeutete. Und er ahnte, dass dies hier alles für mich zu dem Spiel gehörte, das ich spielte und das mich prächtig amüsierte, jetzt und schon die ganze Zeit, seit ich hier war.
Ich freute mich auf das, was kommen musste. Ich war gespannt, jeder winzige Teil meines Körpers vibrierte vor Aufregung und in Fieber auf die kommenden Dinge. Alles, alles wonach ich strebte, meine Existenz, der Grund meines Daseins – lag in diesem Haus.
Haake war noch immer ungläubig.
„Du willst nicht wahrhaben, was dein Innerstes schon akzeptiert hat“. Ich gab mir jetzt keine Mühe mehr, meine Stimme zu verstellen, niemand konnte uns hören.
„Ich bin es“, sagte ich, während ich meine Verkleidung ablegte. Ich zog alles Überflüssige aus und schälte mich aus der Hülle, die mir Maske gewesen war. Schließlich zeigte ich mich ihm so, wie ich erschaffen war. „Erkennst du mich?“
Ich konnte die Umrisse meiner riesigen Gestalt auf dem Glanz seiner schreckgeweiteten Augen erkennen, Ich sah den Widerschein meines Glühens auf seinem Gesicht. Er blickte zu mir auf und war stumm.
„Weißt du, wer ich bin?“ fragte ich noch einmal, und ein Zittern durchlief seinen Körper. „Ich bin dein Partner, dein Kompagnon, der dir gegenübersaß und mit dem du gefeilscht hast. Und ich bin hier, weil wir es so vereinbart hatten.“
Er ließ mich nicht aus seinem Blick. Mit einer beiläufigen Bewegung stellte er sein Glas auf den kleinen Tisch neben sich und legte die Zigarre im Aschenbecher ab. Er schien zu ahnen, worauf es hinauslief, nicht nur Erkennen lag in seiner Miene, Lauern, Abwarten waren darin. Recht so, mein Freund, dachte ich. Lass dir die Hoffnung nicht nehmen, suche nach einem Ausweg. Das macht die Sache viel lustiger.
„Bist du es wirklich?“ Und er machte viel abhängig von meiner Antwort.
Mein Lodern ließ seine Gestalt einen flackernden Schatten an die Wand werfen.
„Du kennst mich“, gab ich zurück. „Du hast mich die ganze Zeit erwartet. Glaubst du vielleicht, diese lächerlichen Mauern hätten mich auch nur eine Sekunde abhalten können, zu dir zu gelangen? Dieser dämliche Sicherheitsfimmel.
Ich war mit Jesus bei den Essenern in Qumran. Er war übrigens der Einzige, der mir widerstand, zu dieser Zeit und danach, in seinen Wanderjahren sowieso; er kam sich damals schon wie ein Heiliger vor. Äh...“ – ich machte eine wegwerfende Bewegung und setzte etwas auf, das er als Grinsen werten würde – „niemand, hörst du, niemand sonst war stärker als ich. Ich kriegte sie alle, die sogenannten Jünger von Jesus, Thomas von Aquin in seiner schwersten Stunde, Martin Luther ohnehin. Doch höre, du Wicht! Zu den anderen musste ich kommen, doch du, mein Freund, du hast mich gerufen.“
Das Zimmer füllte sich mit ohrenbetäubendem Gesumme, Milliarden meiner treuen Gefährten und Diener waren gekommen, um mir beizustehen. Ein für den Menschen bestialischer Gestank breitete sich aus, und er musste würgen.
Schwärme von Fliegen durchzogen das Zimmer, die Luft war dunkel. In jedem Winkel des Raumes schwarze, giftige Wolken.
Die Fliegen setzten sich in jede Körperöffnung des Menschen – seine Augen, seinen Mund, seine Ohren. Er sank nieder auf die Knie und hustete. Er wollte sich übergeben.
Doch bevor das geschah, befahl ich meinen Untertanen, sich zurückzuziehen und im Nu war der Raum frei vom schwarzen Geschwärm und die Luft war für den Menschen atembar.
„Du wolltest alles haben, erinnerst du dich? Alles, alles was du dir vorstellen konntest, wolltest du besitzen, mehr als jeder andere auf der Welt. Und du warst bereit, dafür zu bezahlen. Weißt du noch, wie wir verhandelt haben?“
Er lag nun an der Erde, zusammengekrümmt, wehleidig und jammernd. Er wusste was passieren würde. Die Erkenntnis hatte ihn überrollt, und seine Reaktion darauf war Teil meines Vergnügens.
„Du bist nicht mein Bruder“, würgte er unter Tränen hervor.
„Natürlich nicht“, donnerte ich zurück. „Du Idiot! Dein Bruder ist längst verrottet, von den Fischen gefressen, ebenso wie seine kleine Freundin und die anderen 265 Passagiere und Crewmitglieder. Keine Überlebenden, erinnerst du dich?“
Er rollte sich auf den Rücken und als er mich jetzt anblickte, da war nur noch Flehen in seinen Augen. Ein Genuss.
„Wir haben gehandelt und gefeilscht, aber schließlich warst du bereit, alles zu bezahlen. Selbst das Leben deines einzigen Bruders und das deiner Kinder war es dir wert, zu besitzen.“
Er hielt sich mit den Händen die Ohren zu und wimmerte leise vor sich hin. Ich vermochte trotzdem zu ihm zu reden. Ich tätowierte meine Worte direkt in sein Hirn hinein, er sollte nicht vor der Wahrheit fliehen können. Er sollte hören, wer Schuld war am Tod seines Bruders, seiner beiden Kinder und aller, die er noch zeugen würde und am Unglück seiner Frau!
Das Vorspiel war gut, ich sog mich voll mit den Gefühlen, die im Zimmer herumwirbelten. Doch der Akt, das Ritual würde grandios werden.

Eine weiße, reine Kinderseele ist das Beste.

*

Der Friedhof des Bergdorfes.
Ein trüber, kalter Tag.
Einige schwarzgekleidete Personen stehen um ein offenes Kindergrab herum. Der Dorfpfarrer ihnen gegenüber spricht murmelnd seine Litanei.
Haake Dreenstedt steht direkt an der Grube mit gesenktem Kopf und verschränkten Händen.
Seine Frau Eleonore, mit verhärmtem Gesicht und leergeweinten Augen, steht weit neben ihm. Sie trinkt von des Priesters Barmherzigkeit.
Die Kluft zwischen den Eheleuten scheint gewaltig.

Ende

 

Hi Hanniball,
Ich muss sagen, dass mir deine Geschichte recht gut gefallen hat. Natürlich ist die Idee an sich nicht besonders berauschend, da ich selbst bereits mehr als ein dutzend Varianten davon gelesen habe. Das Ende kam nicht wirklich überraschend, war aber auch nicht vorhersehbar, und das ist schon mal das wichtigste.
Du erzählst die Geschichte sehr flüssig und detailliert, was in meinen Augen einen großen Pluspunkt darstellt. Besonders gut ist, wie gesagt, dass man den Schluß nicht vorhersehbar ist, und der Leser deswegen lange im Unklaren bleibt. Da macht es nichts mehr aus, dass die Idee nicht neu ist, weil man das erst am Ende merkt.
Was mir besonder gefällt ist, dass du auch die Umgebung und andere „Nebensächlichkeiten“ beschreibst. Das gibt der Geschichte eine Tiefe die man sonst nur allzu oft vermisst.
Was ich aber etwas vermisse sind Spannungsaufbau und Atmosphäre. Dem Leser wird zwar schnell klar, dass mit Yago etwas nicht stimmt, bloß das allein recht eben nicht aus. Hier müsste man eine unheimlichere Atmosphäre schaffen, die den Leser ahnen lässt, dass etwas schlimmes passieren wird. Wie wäre es mit einem Gewitter, dass draußen tobt? Oder wenn das Pferd tot aufgefunden wird? Ich nehme an, die beiden Male als Yago auf die Jagd geht hatten diese Intention, aber ich glaube damit wird einerseits zu viel verraten, und andererseits kaum Spannung aufgebaut. Das schein mir nämlich das größte Manko zu sein, es gibt kaum einen Spannungsbogen. Und bei einer längeren Geschichte ist so etwas ziemlich gefährlich, da es den Leser schnell langweilt.
Ich persönlich hätte die Geschichte aus der dritten Person erzählt, aber ich will ja jetzt nicht dein ganzes Konzept über den Haufen werfen.
Einen kleinen, logischen Fehler muss ich noch bemängeln. Am ersten Tag sagt Eleonore auf die Frage wann das Kind käme: „Heute. Heute habe ich Termin. Was für ein Zufall, nicht? Just an dem Tag, den dem ich entbinden soll, besuchen Sie uns.“ Es kommt tatsächlich aber erst eine Weile später, und es wurden für diesen Tag ja auch gar keine Vorkehrungen getroffen.
Noch ein paar Worte zur Sprache: Du schreibst sehr gut, ich bin zwar noch nicht lange auf dieser Seite, aber bisher ist dein Stil gehört eindeutig zu den besseren hier. Trotzdem finden sich auch bei dir die obligatorischen Rechtschreibfehler und Wortwiederholungen, die ich jetzt nicht auflisten möchte, da sie dir sicher beim nochmaligen Durchlesen auch auffallen. Mir sind aber auch ein paar unpassende Formulierungen, schlechte Satzstellungen oder ähnliche stilistische Fehler aufgefallen. Aus Zeitnot hier nur zwei Beispiele:

Die Gräber waren zwar gepflegt, aber man sah ihnen an, dass niemand hier viel besaß.
„dass niemand hier viel besaß“ passt irgendwie nicht. Wie wäre es mit etwas in der Richtung von „dass kaum jemand es sich leisten konnte sein Geld für die Verstorbenen auszugeben.“
Am Nachmittag kam der Arzt, ein kleiner dicklicher, geschäftsmäßig gelangweilter Glatzkopf,...
Das sind mir ein bisschen zu viele Beschreibungen für einen Satz. Daraus würde ich zwei machen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Hanniball!

Puh ... solide Geschichte, die ich trotz ihrer Länge in einem durchgelesen habe. Gute Unterhaltung, interessanter Plot, schöne ausführliche Beschreibungen, unheimliche Atmosphäre.
Den Anfang fand ich noch ein bisschen holperig, ab da wo "Yago" sich als der "verschollene Bruder" herausstellte, war ich ziemlich gefesselt. Bei den Zutaten kann auch nicht so viel schiefgehen. ;)
Besonders gut hat mir die Charakterisierung der Frau gefallen. Da hat mich allerdings verwundert warum sie Yago die ganze Zeit über mit "Sie" anspricht - natürlich ist sie ihm gerade erst begegnet, aber es ist schließlich der vermeintliche Bruders ihres Mannes, ihr Schwager, von dem sie schon so viel gehört hat ... ? Da muss ein "Du" hin, finde ich.

Hmm, ich bleibe dennoch etwas unbefriedigt zurück. Vielleicht liegt es daran, dass ich die Ausgangslage so extrem verführerisch finde (abgelegenes Anwesen, längst verstorben geglaubter Bruder, unheimliche Vorgänge) und dann ein bisschen enttäuscht wurde, weil man schon zu früh weiß, dass Yago Unheil bringen würde. Natürlich soll da keine reine Pointengeschicte draus werden, aber wäre die Spannung nicht größer wenn man nicht so schnell erfährt, dass Yago etwas Dämonisches an sich hat, als er nachts in das Dorf kommt? Ich gehe glatt so weit zu behaupten, dass es möglicherweise besser wäre, wenn man nur Andeutungen erfährt; Menschen verschwinden, das Pferd wird scheu, aber niemand, auch der Leser nicht, weiß, dass es Yago ist. Man könnte sogar eine falsche Fährte legen und es so hinstellen, dass man glauben könnte, die Bedrohungen gelten eventuell Yago. Den Abschnitt wo er sein nächtliches Intermezzo im Dorf schildert, würde ich z.B. ganz herausnehmen. Gut geschrieben ist er, aber ab da ist sich der Leser gewiss, dass Yago das Böse verkörpert und wohl nicht der ist, für den er sich ausgibt. Der Anfang dagegen ist ja spannend aufgebaut, warum nicht den Leser so lange wie möglich in Sicherheit wiegen?

Was mir noch so auffiel:

Es war, als wäre Elend zum Lebensstil erhoben worden
Tolle Formulierung, hat mir gut gefallen.
Ich war froh gewesen und überrascht
"Ich war froh und überrascht gewesen" klingt flüssiger, mM nach.
„Oh“, sie lachte.
Entweder: "Oh." Sie lachte. oder: "Oh", lachte sie.
„Ich werde mich jetzt zurückziehen und auf meine Wehen warten.
:sconf: Was für ein Horrorsatz! Toughe Frau! :D
„Wie hast du geschlafen?“, fragte er mich.
„Es tut mir leid! So leid!“
"Leid" nach der neuen Rechtschreibung, oder?
Ich konnte Eleonore unten sehen, wie sie von Haake untergearmt die
"untergehakt" ist geläufiger, denke ich.
Draußen hatte es angefangen zu schneien. Eine dünne Decke lag über allem, weiß und unschuldig, wie eine Kinderseele.
Auch sehr schöne Formulierung. :thumbsup:

Wenn mir nochwas einfällt meld ich mich, das war so mein erster Eindruck.

Lieben Gruß - Ginny

 

Doch, eines ist mir noch aufgefallen: Was Du im Vorwort sagst, war das ein Experiment mit den gleichen Anfängen und dann völlig unterschiedlichen Geschichten? Kenne Deine andere leider noch nicht ...
Hat mich spontan an King erinnert, mit "Desperation" und "Regulators" - gleicher Ort, gleiche Personen, aber ganz verschiedene Handlungen.

 

Hallo Hanniball,

durch kg.de kann man viel lernen, sehr viel sogar.
Gerade eben hab ich gelernt, dass „Kate“ keine Frau ist, sondern der (laut Duden) norddeutsche Ausdruck für ein ärmliches Bauernhaus. :)

Von der anderen Geschichte hab ich mich leicht lösen können, dazwischen hat sich ja viel getan.

Aber nun zu Deiner Geschichte:

Sie hat mir recht gut gefallen. Einen etwas ausschweifenderen Erzählstil mag ich ja, wie Du weißt. Ich hatte mich schön in die Geschichte hineingelesen und auch darin verloren, als dann plötzlich die kurze nächtliche Jagdszene kam. Völlig unerwartet mitten rein. Klasse Schachzug in meinen Augen. Allerdings gibt es vorher – auch um diese Szene vielleicht effektiver wirken zu lassen – keinen deutlich erkennbaren Spannungsaufbau. Insofern könntest Du Dir überlegen, ob Du den Einstieg nicht geringfügig kürzt oder etwas zusätzlich einbaust, was dem Leser vor dieser Szene schon mehr Spannung beschert. Eine unverbindliche Andeutung vielleicht oder etwas in der Art, aber nicht zuviel vorweg verraten. Wäre schade um die plötzliche Jagdszene.

Die Sprache hat einen „altmodischen“ Touch. Du hältst das aber relativ konsequent durch, und insofern passt es, auch wenn mir diese Sprache nicht ganz so liegt. Hat mich ein bisschen an Poe und Lovecraft erinnert, ohne dass es eine Kopie wäre.
Im letzten Viertel wurden mir diese Formulierungen dann teilweise etwas zuviel, zum Schluss hin hat es aber wieder für mich gepasst.

oder sich fürchten vor ihm
Am Zügel hinter sich her führten sie
dass Haake sich zu sehr sorgt um seine Frau
lag tot am Morgen in seinen Kinderbettchen
Warum nicht
„oder sich vor ihm fürchten“
„Sie führten ... am Zügel hinter sich her“
„dass Haake sich zu sehr um seine Frau sorgt“
„lag am Morgen“ ?
Ich kann Dich wohl nicht dazu überreden, den Satzbau etwas umzustellen um diese nachgestellten Satzteile zu vermeiden, oder? :dozey: Ich weiß, das machst Du gerne. :D
Die knappen Worte auf dem Stein bedeuteten
ich würde „besagten“ nehmen
“Haben Sie einen Termin“, fragte er barsch
“?“ fehlt
Er machte keine Anstalten, das Tor zu öffnen, noch sich weiter
“weder ... noch“
die sechs Stühle darum dazu passend
“darum“ würde ich streichen, ist eigentlich unnötig
Ihre Stimme, ihre Haltung und Gesten deuteten auf eine starke Frau mit einem weiten Herzen. Man sah aber auch, dass sie viel gelitten hatte im Leben, dunkle Schatten lagen unter ihren Augen und dadurch bekamen sie einen melancholischen Ausdruck und straften das Lächeln ihres Mundes Lügen.
Diese Passage hat mir an sich sehr gut gefallen, aber ich würde es evtl. etwas anders formulieren.
Vorschlag:
„... deuteten auf eine starke Frau mit einem großen Herzen hin. Man sah aber auch, dass sie viel gelitten hatte im Leben. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen. Dadurch bekamen sie einen melancholischen Ausdruck.“
Wieso widersprechen sich die melancholischen Augen und das Lächeln? Das Lächeln kann doch echt und ehrlich gemeint sein, auch wenn die Augen melancholisch wirken, oder? ;)
(Ich weiß nicht, ob eine Stimme, Haltung und Gesten schon ausreichen, um auf ein weites/großes Herz hinzudeuten. Sind das nicht eher die Worte und die Taten?)
Ich kaute an einem Toast, der Honig war ausgezeichnet.
evtl. „Ich kaute an einer Scheibe Toast, der Honig war ausgezeichnet.“ ;)
“Mein lieber Schwager“; sagte sie
Komma statt Strichpunkt
aber im guten Ordinären
Formulierung ist mir nicht geläufig. Sagt man das so?
Der gute Doktor erhob sich ächzend
“gute“ würde ich streichen, klingt etwas „umgangssprachlich“
Sie war süß, wie sie verblüfft hochschaute. So süß, dass ich sie mir hätte nehmen wollen.
Gefiel mir gut!
Hier hast Du eine Vorandeutung gemacht, anders als vorher bei der abrupten Jagdszene. Geschickter Wechsel in meinen Augen. Evtl aber umformulieren:
„Es/Sie sah süß aus, als sie verblüfft hochschaute. So süß ...“
Schließlich zeigte ich mich ihm so, wie ich erschaffen war
erschaffen worden war
Das Vorspiel war gut, ich sog mich voll mit den Gefühlen, die im Zimmer herumwirbelten. Doch der Akt, das Ritual würde grandios werden.
Bedarf keines weiteren Kommentars. Würdiger Schluss.
Evtl. nach „Ritual“ noch ein Komma, wenn es ein Einschub sein soll.

Fazit: Gute Unterhaltung, Gruselfaktor erst ab der Jagdszene und zum Schluss hin. Aber alles in allem gute Unterhaltung.

Viele Grüße

Christian

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Hannibal,

diese Story und die Art wie du sie erzählt hast, haben mir sehr gut gefallen. Etwas seltsam zwar, dass Haake, der sich an dem Tod des Bruders mitschuldig gemacht hat, sich so auf das Wiedersehen gefreut hat, aber nun gut. Auch die Spannung war ab dem Zeitpunkt, wo er das erste Mal getötet hat ein wenig zurückgegangen, aber dein grundsolider Stil hat mich doch soweit in den Bann gezogen, dass ich wissen wollte, ob das, was ich vermutete auch eintrat.

Noch ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind:

Zitat: „Yago?“ Er formulierte es zuerst als Frage.

Deshalb dieses Fragezeichen. Oder...warum dann dieses Fragezeichen.

Zitat: Abgeteilt von der riesigen Wohnküche durch ein Wand auf der einen und auf der anderen Seite durch ein Regal, in das eine Durchreiche eingelassen war.

...durch eine Wand...

Zitat: „Das ist Eleonore, meine Frau. Das ist mein Bruder Yago.“
Mit seinem Seidenmantel und den samtenen Hausschuhen war Haake endlich zu uns gekommen und hatte uns einander vorgestellt. Er war noch immer aufgeregt und vermochte nicht still sitzen zu bleiben.

Hier auch wieder: erst im Dialog das Vorstellen und dann in der Erzählung "Guden!", er sagte Guden.

Zitat: Just an dem Tag, den dem ich entbinden soll, besuchen Sie uns. Das ist wohl Vorsehung.

...dem Tag, an dem

Zitat: Sie lächelte noch einmal kurz und bevor sie das Zimmer verließ sagte sie:

...verließ, sagte

Zitat: „Wie konntest du dir dies alles hier nur leisten?“ fragte ich fassungslos.

...leisten?", fragte ich

Zitat: Und ich hoffe, bei Gott um den Einsatz meiner Seele hoffe ich inständig, dass mir dieses Kind nicht auch genommen wird.“

..., bei Gott, um

Zitat: „Weißt du, wer ich bin?“ fragte ich noch einmal, und ein Zittern durchlief seinen Körper.

...ich bin?", fragte ich...


Okay, das waren nicht so viele Dinge, im Verhältnis zur Länge der Geschichte.

Fazit: Eine klassische Horrorstory, die solide geschrieben und sehr unterhaltsam ist.

Übrigens: Kennst du einen Autor Namens Andrew Klavan?

 

Hallo Hanniball,

An dein Dorf in den Bergen erinnere ich mich noch sehr gut. Deine Idee mit dem Textbeginn zu experimentieren, finde ich ausgesprochen kreativ und verrät gleichzeitig eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Schreiben.
Ich glaube, du hast mit dieser jetzigen Geschichte einen Wahnsinnssprung nach vorn gemacht. Fand ich das "Dorf in den Bergen" nicht schlecht (aber stellenweise zu spannungsarm und auch nicht immer gut formuliert), hast du mich diesmal wirklich überrascht!
Sehr atmosphärisch, gut gezeichnete Figuren, eine komplexe Geschichte mit Tiefgang, auch sprachlich gut gemeistert. Zwar finde ich auch diesen Text nicht durchgängig spannend, wird das jedoch mehr als genug durch die interessante story ausbalanciert.
Ein bißchen schade, finde ich den sehr belanglosen + oft gehörten Titel. Mich hat in deiner Geschichte besonders Eleanor und ihre toten Kinder berührt. Wäre es mein Text, würde ich schon im Titel darauf Bezug nehmen.
Als Gedankenanstoss (nur mal auf die Schnelle, dir fällt bei längerer Überlegung bestimmt was Besseres ein): Das zweite Kindergrab.

lg Pe

 

Hallo alle!

Vielen Dank vorweg an Euch und zudem ein verspätetes Gesundes Neues Jahr.
Ich habe mich schon ziemlich über die vorwiegend positiven Kritiken gefreut.
Ich versuche so ausführlich wie möglich auf die einzelnen Zuschriften einzugehen.

@Mike:
Wir sind uns darüber einig, dass die Idee an sich nicht neu ist. Doch andererseits zeige mir mehr als fünf Geschichten in den letzten Jahren, die wirklich neu sind. Außerdem fand ich es ganz lustig, Beelzebub mal in der Ich-Form erzählen zu lassen. Kennst du „Alibi“ von Agatha Christie? Nein, auf keinen Fall will ich mich damit vergleichen, ist ja auch ein Kriminalroman. Doch da ist die Auflösung ähnlich.
Ob sie vorhersehbar ist, darüber scheiden sich offensichtlich die Geister hier, und ich in noch uneins darüber, ob ich die Jagdszenen rausnehmen soll, weil sie zuviel über den Charakter Yagos verraten.
Die Nebensächlichkeiten, ja. Ich habe in einem anderen Thread („Woran schreibt Ihr gerade?“) geklagt, dass ich in dieser Erzählung keine Handlung habe. Das geht mir in letzter Zeit häufiger so, ich liefere im Prinzip einen Zustandsbericht mit einer Pointe ab. Wären die Nebensächlichkeiten nicht, wäre das Gerüst ziemlich dünn. Daraus resultiert auch dein nächster Punkt: kein Spannungsaufbau: Ein Gewitter das draußen tobt wäre nicht schlecht, aber ich hätte damit das Wetter als Handlungsträger etwas überstrapaziert. (Die Idee an sich ist aber sehr gut, danke!)
Die Geschichte in der dritten Person zu erzählen, hieße, eine ganz andere Story draus zu machen, sie würde wohl ganz anders verlaufen.
Der logische Fehler ist meiner Meinung nach keiner. Bist du Vater? Der Termin ist ein Richtdatum, vor dem man noch nicht sehr hektisch ist. Erst wenn die Wehen einsetzen, geht’s los.
Rechtschreibfeler und wiederholte Wortwiederholungen? Gibt’s bei mir nicht!

@ Ginny:
Vielen Dank für die Blumen, ausführliche Beschreibungen liegen mir anscheinend – obwohl ich mich ehrlich schon gebessert habe.

Die verführerische Ausgangslage: Du hast Recht. Das Grundgerüst stand, als ich begann die Story niederzuschreiben, aber die Einzelheiten entstanden während der Schriftarbeit. Und als ich dann kurz vor dem Abschluss stand – wie gesagt, der Schluss stand schon fest - da merkte ich, dass da viel geheimnisvollere Geheimnisse lagen, als ich aufzuklären hatte. Meine Folgerung: noch genauer planen vorher.

Wie schon gesagt mit der Jagdszene müsst Ihr mir noch helfen. Ich bin etwas unschlüssig. Criss hat schon wieder eine andere Meinung.
Das Dumme an solchen Geschichten ist, dass der Autor niemals genau weiß, wieweit ihm der Leser folgt, welchen Hinweis er ernst nimmt, welchen nicht, und wie viel er sich daraus zusammenreimen kann. Ich dachte eigentlich, dass der Groschen etwas später fällt. Tja, falsch gedacht.
Deine Beispiele werde ich mir zu Herzen nehmen. Ich kann aber nicht versprechen, sie alle zu ändern.
„Ich werde mich jetzt zurückziehen und auf meine Wehen warten.“
Meinst du den Horrorsatz positiv oder negativ. Eleonore sollte ihn eigentlich mit einem ironischen Unterton sagen.

Nein, nein, kein Experiment. Ich hatte in der anschließenden Diskussion an „Ein Dorf in den Bergen“ versprochen, den guten Ausgangspunkt einer miesen Geschichte noch einmal zu nutzen, und hier, voila!
Wenn du dir die Geschichte „Tagtraum“ von Poncher durchliest, wirst du feststellen, dass es sich hier um die gleiche Grundidee handelt, die ich im Nachhinein anders verarbeitet habe. Ponch weiß übrigens nichts davon, er möge mir verzeihen.
Ist aber eine gute Idee, finde ich. Vielleicht sollten wir mal so was ausprobieren.

@ criss:

Kate, ja. Ich kenne dieses Wort schon seit frühester Kindheit, hat wohl was damit zu schaffen, wo man aufgewachsen ist.

Ich kann immer nur wiederholen, dass „Ein Dorf in den Bergen“ ein Tiefpunkt meiner kurzen Kariere darstellt. Ich habe vorher auch schon Stories geschrieben, die sich m.E. gut lesen lassen.
Die Jagdszene, sie wird mich noch lange verfolgen, glaube ich. Ich hatte sie eigentlich genau deswegen reingenommen: sie sollte den Leser verunsichern. Ich glaube, kleine Hinweise auf die wahre Identität Yagos gab ich von Anfang an.

Die „altmodische“ Touch der Sprache war so beabsichtigt. Langsam, aber sicher bin ich wohl in der Lage, meinen Stil der Geschichte anzupassen. Ich hätte mir die Charakterisierung von Yago, die ja auch durch den Stil geschieht, ein wenig fieser und von oben herab gewünscht. So ein bisschen abgezockt.

Der Satzbau. Ich denke, das ist noch ein Überbleibsel aus meiner frühen Poe-Phase. Lies doch mal die Sätze langsam und laut. Ich finde, sie klingen. Ich werde mich aber trotzdem ranmachen und schauen.
Auch die anderen Sachen, die du ansprichst, sind meist Ansichtssachen, die auch die Individualität des Einzelnen ausmachen. Ich finde das ganz wichtig, dass man nicht schreibt wie alle, sondern wie man selbst. Trotzdem kann man natürlich Kritik annehmen!

Beim Schluss war ich versucht, noch viel schwülstiger und bombastischer vorzugehen, es handelt sich schließlich um eine ganz elementare Sache. Gott sei Dank habe ich davon aber wieder Abstand genommen.

@ André

Haake hat sich am Tod seines Bruders schuldig gemacht, und er ist zehn Jahre davon ausgegangen, dass er ihn nie wiedersehen wird. Große Sorge hat mir bereitet, dass ich die Wiedersehensfreude nicht adäquat rüberzubringen imstande war. Sie war m.M. nach auch ein wenig dürftig. Aber du hast natürlich Recht, Haake müsste ein Gutteil verwundert und auch verängstigt sein.
Ich habe Korrektur gelesen, ich schwöre! Und trotzdem noch so viele Fehler? Und so schreckliche!
Danke für die Arbeit!

Andrew Klavan kenne ich nicht, ich habe den Namen noch nie gehört. Ist eine seiner Erzählungen so ähnlich wie diese hier? Dann hat er von mir geklaut!:D

@ petdays:

Du erinnerst dich an „Ein Dorf in den Bergen“? Was musst du für ein Bild von mir haben?!
Ein Ausrutscher, wie gesagt. Aber irgendwie liebt man alle seine Kinder, auch wenn sie hässlich sind.

Der Titel ist immer eine heikle Sache. Man will zwar alles reinlegen, aber nichts verraten. Man kann nur verlieren, glaube ich. Ursprünglich sollte das Stück einfach „Besuch“ heißen. Ich finde, da ist der derzeitige doch schon ein Fortschritt, oder?
Ich werde aber in Zukunft drauf achten.

Nochmals danke fürs Lesen und Kritisieren.

Viele Grüße

 
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Hi Hanniball!

Das Dumme an solchen Geschichten ist, dass der Autor niemals genau weiß, wieweit ihm der Leser folgt, welchen Hinweis er ernst nimmt, welchen nicht, und wie viel er sich daraus zusammenreimen kann.
Ganz genau. Das ist auch eines meiner großen Probleme. Man hat als Autor immer diesen Tunnelblick und kann es nicht mit den Augen eines "ahnungslosen" Lesers beurteilen. Ich habs auch oft, dass sich meine Stories an eienr Pointe aufhängen und ich dann noch Handlung drumherumbauen muss. *seufz* Und wenn dann noch die Pointe zu früh erahnt wird, ja, dann ist die ganze Story irgendwie für die Katz. :sad:
Naja, da hilft nur - üben, üben, üben.
Meinst du den Horrorsatz positiv oder negativ. Eleonore sollte ihn eigentlich mit einem ironischen Unterton sagen.
Hehe. Dann ist okay. Klang einfach so tough, "Okay, ich geh dann mal auf meine Wehen warten". Liegt vielleicht aber auch daran, dass ich ein solcher Hasenfuß bin. Also ruhig so lassen. ;-)

Gruß, Ginny

 

Doch andererseits zeige mir mehr als fünf Geschichten in den letzten Jahren, die wirklich neu sind.
Ob ich nicht doch irgendwo 5 zusammenkratzen kann ist die Frage, aber im Prinzip hast du schon recht. Ich mache dir auch keinen Vorwurf daraus eine bekannte Geschichte neu erzählt zu haben, denn solange du eigene Ideen mit einfließen lässt (was du im Ausreichenden Maße und vor allem auch sehr gut gemacht hast) und wenn die Pointe immer noch funktioniert (zumindest bei mir hat sie das) dann ist dagegen doch nichts einzuwenden. Ich kann auch nicht für mich beanspruchen immer völlig neuartige Plots in meinen Geschichten zu verwenden, bei meisten professionellen Schriftstellen können das ja nicht einmal (kennst du John Grisham??) :D :D
Ich scheine den Begriff "Nebensächlichkeiten" etwas schlecht gewählt zu haben, da er nahelegt, dass die beschriebenen Sachen unwichtig sind. Ich meinte damit eher Datails. Aber es ist richtig, dass es etwas an Handlung fehlt, und deswegen haperts wohl auch ein wenig am Spannungsaufbau. Die Jagdszene würde ich aber wirklich rausnehmen, da sie meiner Meinung nach zu viel verrät und die Spannung eher zerstört als steigert.
Die Geschichte in der dritten Person zu erzählen, hieße, eine ganz andere Story draus zu machen, sie würde wohl ganz anders verlaufen.
Darum habe ich ja auch gesagt, dass ich nicht dein ganzes Konzept über den Haufen werfen will. Es ist die Art und Weise, wie ich die Geschichte erzählt hätte, und ich wette jemand anders (Ginny :D) würde wieder etwas völlig verschiedenes daraus machen.
Der logische Fehler ist meiner Meinung nach keiner. Bist du Vater?
Nein, und ich glaube mit 18 ist es auch noch ein wenig früh :D Ich hatte eben den Eindruck, dass da was nicht ganz stimmt, aber wenn du es besser weißt, so will ich dir natürlich nicht hinein reden.

 

Hallo Hannibal,

in einem seiner Romane taucht ein großer dunkler, fremder Mann auf, der Unheil mit sich bringt und dessen Name IAGO ist.

Ich weiß nicht, ob das ausreicht für eine Klage :D

 

Ich sehe schon die Millionen für Hanniball fließen. :D
Mir hat aber gut gefallen, dass die Namen hier so außergewöhnlich sind. Ich bin da zwar nicht fanatisch; wenn die Charaktere immer "Joe" oder "Tom" heißen finde ich das uch nicht schlimm, aber irgendwie hat mich das schon fasziniert, dass sie hier Yago und Haake Dreensted heißen. Das hat was.

 
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Hallo Hanniball,

gräm Dich nicht wegen einer Geschichte, die mal nicht so gut ist bzw. war.

Erstens lernen wir doch alle noch, nicht wahr? :)

Und zweitens wird ein Autor selten an seinen weniger gelungenen Werken gemessen, sondern in aller Regel an den besseren. Selbst Bestsellerautoren haben Sachen geschrieben, die sie am liebsten auf den Mond schießen würden. Na und? Was soll's. Wenn man Interviews von solchen Autoren liest, dann sagen sie oft, dass sie Papierkörbe voll von weniger gelungenen Sachen produziert haben. Was sie aber auch sagen ist, dass sie draus gelernt haben.

Du hast aus der Ausgangsposition eine wesentlich bessere Geschichte gemacht, und das zählt, nicht wahr? ;)

Solche Details wie die Jagdszene sind immer Geschmackssache. Bei mir war diese Szene die Stelle, wo Du meine ungeteilte Aufmerksamkeit gewonnen hast. Es war sozusagen ein "Aha-Erlebnis".
Eine Story zu schreiben, bei der alle Leser mit jedem Detail einverstanden sind, ist schlichtweg nicht möglich. So einfach ist das.

Ich hab die Sätze, die ich zitiert hab, vorher laut gelesen. Das mach ich bei meinen eigenen Sachen vor dem Abschluss der Überarbeitung meist auch so. Mir kommt dieser Satzbau halt ungewöhnlich vor. Wobei ich es nicht immer unpassend finde. Das ist auch ein bisschen Geschmacks- oder Gefühlssache. Bei "Man sah aber auch, dass sie viel gelitten hatte im Leben" hat mich z.B. das angehängte "im Leben" nicht gestört, obwohl man auch "Man sah aber auch, dass sie in ihrem Leben viel gelitten hatte" hätte schreiben können.

Meine Anregungen sind in aller Regel, soweit es sich nicht um Fehlerchen handelt, natürlich subjektiver Natur. Vorschläge quasi. Natürlich ist es wichtig, seinen eigenen Stil zu finden. Aber ich mach es auch so, dass ich - bewusst oder unbewusst - manche Sachen von anderen übernehme, weil ich denke, dass sie reinpassen. Kommt immer drauf an und ist selbstverständlich letzlich die Entscheidung des Autors. Wenn man was übernimmt, muss man sich auch wohl damit fühlen.

Viele Grüße und weiterhin frohes Schaffen :)

Christian

 

hi honey,

ich schliesse mich im gefühl meiner vorrednern an. die geschichte war gut zu lesen, sie war spannend und mit steigender wörterzahl auch beschwingter.

ich frage mich, ob dieses reissen sein musste - also diese zwischensequenzen. auch hätte ich den erzähler sich nicht visuell demaskieren lassen. haake kann erkenntnis über gesprochene worte erlangen. allein die augen des erzählers hätten einen unnatürlichen ausdruck bekommen müssen.
worum hat haake eigentlich gefeilscht - um das vermögen oder um die frau oder um beides? das motiv - nur um die junge frau zu feilschen, halte ich für kreativer.
aber das sind alles ideen, die aus meiner inspiration entwachsen. grundsätzlich habe ich mich noch nie an einer horrorgeschichte versucht, obwohl hier weniger horror dafür mehr grusel ist.
es war für mich ein interessanter abstecher in diese rubrik - fühle mich aber leider ein wenig unsicher hier.

fazit: schöne geschichte, sie hat mir sehr gut gefallen!

bis dann

barde

Ganz offensichtlich waren die Verwandten dieses Toten ungleich vermögender als die anderer Gräber hier.

vor "anderer" fehlt ein "der"

Es musste sich um ein Kindergrab handeln, denn die Einfassung hatte kleinere Maße als gewöhnlich.
Die knappen Worte auf dem Stein bedeuteten, dass hier tatsächlich die Leiche eines Kindes lag – ein Säugling - der, vor sechs Jahren gestorben, gerade zwei Tage alt geworden war.

och, das könntest du aber schön zusammenfassen

Die Ruhestätte lag etwas entfernt von den anderen, ärmlichen.

das komma kann ich nicht nachvollziehen

„Haben Sie einen Termin“, fragte er barsch.

hier fehlt ein fragezeichen

und die Tränensäcke unter den Augen waren noch ein wenig größer geworden. Alles in allem war er nur etwas fetter geworden
"geworden" ist wirklich unschön doppelt

Bei süßen Sachen kann ich einfach nicht widerstehen.

möchtest du das nicht lieber auch in vergangenheit schreiben?

Just an dem Tag, den dem ich entbinden soll, besuchen Sie uns.

"den" >> "an"

das samt und sonders mit einem 2,5m hohen Zaun eingefasst war

"2,5m" >> "zweieinhalb Meter"

„Glück“, fragte ich ihn
bitte mit fragezeichen

er wirkte fahrig und er nestelte an einem schweren Buch herum, das auf dem Pult lag. Ich sah den Titel des Buches –

muss das 2. "Buches" sein?

Eleonore entband nicht, sie ließ sich Zeit.

nein, nicht sie, sondern das baby

In der Nacht suchte ich mir ein weiteres Opfer.

vorher ein absatz hätte gut getan

„Nun“, fragte sie,

fragezeichen

Doch Eleonore Dreenstedt, die starke, mutige Eleonore erhob sich mühsam und ging stolz aus dem Raum.

vor "erhob" ein komma

 

Hi barde!

Das ist ja...eine Überraschung, natürlich eine freudige!
Dann und wann gelingt es uns Ausgesetzten einen Fremden in diese Station hier zu ziehen. :D Und wir sind immer stolz auf die Einrichtung hier, zeigen die Räume und am liebsten...die Keller.

Dies hier ist ein liebes Kind von mir, ich gebe es zu. Das Baby ist zwar etwas älter, aber es stammt aus einer Phase, die glücklich war hier.

ich schliesse mich im gefühl meiner vorrednern an

Natürlich, du hast Recht. Der Text ist nicht unbedingt für den Kopf, zumindest nicht für den tiefgründigen.

sie war spannend und mit steigender wörterzahl auch beschwingter.

Das ist ein schönes Kompliment!

ich frage mich, ob dieses reissen sein musste

Das frage ich mich jetzt auch. Ich war mir damals nicht sicher, ob ich dir notwendige Spannung "nur" über die Charakterisierung und die Handlung erzeugen könnte. Ich baute diese kleinen Übergänge mit ein, um den Leser bei der Stange zu halten. Jetzt, mit dem nötigen Abstand, muss ich dir zustimmen, ich glaube auch, dass sie den Lesefluss störend unterbrechen.

worum hat haake eigentlich gefeilscht

Tja, damals ging es mir um den materiellen Besitz, mit dem er auch die Frau fangen kann. Aber dazu ist Eleonore nicht der Typ, was? Falsch angelegt.

Ich werde diese Überlegungen ganz bestimmt einbeziehen in eine folgende Überarbeitung, die sicher kommt. Ich bin dabei, alle Machwerke, die es verdient haben, aufzupeppeln. Auch dabei lässt es sich ausgezeichnet lernen.

grundsätzlich habe ich mich noch nie an einer horrorgeschichte

Ich glaube, die Grenzen einer Horrorgeschichte sind nicht so eng, wie sie meist gezogen werden. Von daher dürfte es manchmal gar nicht schwer sein, eine Story zu verbinden mit dem Anspruch, dem Leser eine Gänsehaut zu verschaffen.

es war für mich ein interessanter abstecher in diese rubrik

Freut mich, wenn er nicht umsonst war.

fazit: schöne geschichte, sie hat mir sehr gut gefallen!

Danke!

Die aufgeführten Fehler werden eingearbeitet, siehe oben. Dank dir für die Mühe, außer in der Vergangenheitsform stimme ich wohl in allem überein mit dir.

Wirklich schön, dass du dich hier hast blicken lassen, erzähl den anderen von uns, erzähl nur Gutes, sag ihnen, wir sind nicht so schlecht, wie unser Ruf! :D

Im Übrigen lese ich gern Geschichten, die in Anthologien aufgenommen wurden, dazu aber Veränderungen ertragen mussten. Würde mich interessieren.

Bis dann also
Dein Honigball! :D

 

Hallo Hanniball!

Zu Deinen Geschichten komm ich irgendwie fast nie, dafür hab ich mir heute eine lange Geschichte ausgesucht, an der Dir, laut Deinem Kommentar oben, auch noch viel liegt, und wünsche Dir hiermit alles Gute zum Geburtstag! :)

Erzählt ist sie sehr gekonnt, beim Lesen entsteht ein richtiger Film, und was mir außerdem sehr gut gefällt, ist, daß Du keine grauslichen Details schilderst, obwohl Du sie doch erzählst. Spannend ist die Geschichte auch sehr, ich dachte jedenfalls zuerst, den Protagonisten würde etwas Unangenehmes in dem Haus erwarten, es schien auch kurz so, als wollte der Bruder und Hausherr etwas vor ihm verbergen, der plötzliche Reichtum ist ja auch verdächtig, dabei ist es dann ganz anders gekommen …
Die Geschichte hat mir sehr gefallen, und ich finde, sie hat auf jeden Fall noch mehr Leser verdient. :)

Dann werd ich noch ein bisschen sezieren:

»als würde man sich seiner schämen – oder sich fürchten vor ihm.«
– würde das umdrehen auf »oder sich vor ihm fürchten«, evtl. auch kürzen auf »oder vor ihm fürchten«

»Mittellos war man hier, im Leben und im Tode ebenso.«
– im Leben wie im Tode.

»Er schaute hierhin, mal dorthin und«
– würde vorne auch ein »mal« hingeben: Er schaute mal hierhin, mal dorthin

»Sein schwarzer Trenchcoat blähte sich, als Wind aufkam.«
– meiner Meinung nach fehlt nach »blähte sich« ein »auf«, damit es sich dann nicht wiederholt, evtl. umformulieren, z.B.: Sein schwarzer Trenchcoat blähte sich auf, als Wind zu wehen/blasen anfing.

»Die Ruhestätte lag etwas entfernt von den anderen, ärmlichen.«
– »ärmlichen« könntest Du streichen, da du das ja schon beschrieben hast.

»das eine wohl zweieinhalbe Meter hohe weiße Mauer verschloss,«
– zweieinhalb (ein e zuviel)
– hohe, weiße Mauer

»Ich stellte meinen Koffer direkt vor das Tor ab und«
– entweder »vor das Tor und« oder »vor dem Tor ab und«

»Als der Andere zu einer überheblichen abweisenden Geste ansetzen wollte,«
– der andere (würde da allerdings eine andere Bezeichnung verwenden)

»Er machte keine Anstalten, das Tor zu öffnen, noch sich weiter mit mir zu unterhalten.«
– E machte weder Anstalten, das Tor zu öffnen, noch …

»Er kam die lange Treppe des Hauses hinunter und lief dann den Weg entlang,«
– herunter

»Er kam auf uns zu und als er atemlos bei uns angelangt war, bedeutet er dem Wachposten«
– daß er auf die beiden zukam, sagtest Du bereits in den vorangegangenen Sätzen, würde daher »Er kam auf uns zu und« streichen.

»Er war schon jenseits der Vierzig.«
– jenseits der vierzig

»„Yago?“ Er formulierte es zuerst als Frage.«
– deutlich erkennbar am Fragezeichen, es ist also eigentlich nicht nötig, den Leser darauf hinzuweisen. Wenn Du hier aber gern was einfügen willst, dann könntest Du zum Beispiel schreiben, ob es wirklich überrascht oder mehr wie ein gespieltes Theater wirkt.

»Abgeteilt von der riesigen Wohnküche durch ein Wand auf der einen und auf der anderen Seite durch ein Regal, in das eine Durchreiche eingelassen war.«
– eine Wand auf der einen, und

»Nach ihrem körperlichen Zustand zu urteilen, hatte sie nicht mehr lange, der Termin musste in den nächsten Tagen sein.«
– hier sagst Du zweimal dasselbe, würde entweder »hatte sie nicht mehr lange bis zum Geburtstermin« oder »…zu urteilen, musste der Termin in den nächsten Tagen sein« schreiben.

»„Wir dachten, du wärst tot, Yago!“ begann Haake, nachdem er ein letztes Ei gegessen hatte.«
– Yago!“, begann

»„Es tut mir leid“, meinte sie.«
Leid

»„Oh“, sie lachte.«
– „Oh!“ Sie lachte.

»Doch dann hatten wir in finanziellen Dingen sehr oft Glück, das konnte uns zwar den Schmerz nicht nehmen, aber wir hatten keine Sorgen, zu überleben.“«
– würde nach »Glück« einen Punkt machen.

»„Mein lieber Schwager“; sagte sie,«
– Schwager“, sagte

»das samt und sonders mit einem 2,5m hohen Zaun eingefasst war und somit nur über das Haupttor und zwei kleineren Nebentoren verlassen oder betreten werden konnte.«
– zweieinhalb Meter
– und somit nur über … zwei kleinere Nebentore verlassen

»„Tut mir leid, Yago“, rief mir Haake vom Pferd herab.«
Leid

»Ich schützte daher Müdigkeit vor und zog mich frühzeitig in mein Zimmer zurück«
– zurück.

»Doch sie verweigerte sich, sie wollte mir ihr Bestes nicht geben, sosehr ich auch flehte, wie sehr ich sie bat, wie ich auch drohte, sie verschloss sich mir und verschied.«
:lol:

»„Wie hast du geschlafen“, fragte er mich.«
– geschlafen?“, fragte

»„Ach, weißt du“, antwortete ich lächelnd. „Die Nächte auf dem Land …«
– da »Ach, weißt du« kein ganzer Satz ist, geht er wohl hinten weiter: lächelnd,die …

»„Hast du Kinder“, fragte er mich leise.«
– Kinder?“, fragte

»Er schluchzte auf. „Es tut mir leid! So leid!“«
Leid

»Nachdem wir gefrühstückt hatten – Eleonore war auf ihrem Zimmer geblieben -, gab Haake Anweisung den Arzt zu verständigen.«
– langen Gedankenstrich auch nach »geblieben«
– Anweisung, den

»Es war offensichtlich, dass er stolz war auf das was er geleistet hatte.«
– das, was

»Das einzige Möbel, das darüber hinaus in diesem Raum stand, war ein großer Lesepult, der sich in der Mitte befand.«
das Pult: war ein großes Lesepult, das sich …

»„Wie konntest du dir dies alles hier nur leisten?“ fragte ich fassungslos.«
– leisten?“, fragte

»„Glück“, fragte ich ihn.«
– „Glück?“, fragte

»Ich kenne viele Leute, denen dieses Glück versagt geblieben ist. Es lebt sich.“«
– ich rätsle, was Du mit »Es lebt sich« meinst … :confused:

»Es gab Zeiten, da fragte ich mich, ob alles, was ich tat überhaupt noch lohne.«
– würde sagen, zwischen »ob« und »alles« fehlt ein »sich«

»Die Frage irritierte ihn, doch nach Zögern antwortete er: „Ich glaube ja.“«
– Ich glaube, ja.
– würde »nach einigem Zögern« schreiben

»„Haake kam in unser Dorf, das muss kurz nach Ihrem...“«
– Leertaste vor den drei Punkten fehlt

»All der Luxus, der Pomp, irgend woher muss der Reichtum kommen.«
– zusammen: irgendwoher

»Ich glaube, er hat eine Zeitlang ziemlich Glück gehabt im Spekulationsgeschäft.“«
– auseinander: eine Zeit lang

»Aber jetzt...Ich bin völlig ratlos.“«
– Leertasten vor und nach die drei Punkte

»Eleonores Bauch hatte stattliche Ausmaße angenommen,«
– Irgendwie war schon klar, daß sie einen großen Bauch hat, wenn sie Geburtstermin hat, aber sollte diese Erwähnung bedeuten, daß er innerhalb der letzten Stunden sichtbar größer wurde? :susp: – Würde das streichen.

»Und ich hoffe, bei Gott um den Einsatz meiner Seele hoffe ich inständig,«
– würde den Beistrich eher nach als vor »bei Gott« machen: Und ich hoffe bei Gott, um den Einsatz meiner Seele hoffe ich … (Aber vielleicht lese ich den Satz auch falsch. ;))

»Wir standen uns gegenüber wie zwei lauernde Boxer, wie zwei Ringkämpfer, die auf den Fehler des Anderen warteten.«
– des anderen

»Als die Hebamme wieder gefahren war, als der Doktor seine Instrumente gewaschen und verpackt hatte und als Eleonore erschöpft und glücklich in einen leichten Schlummer gefallen war,«
– würde die »als«-Wiederholungen vermeiden

»„Du willst nicht wahrhaben, was dein Innerstes schon akzeptiert hat“.«
– hat.“
– würde zwischen »schon« und »akzeptiert« »längst« einfügen

»„Weißt du, wer ich bin?“ fragte ich noch einmal,«
– bin?“, fragte

»er kam sich damals schon wie ein Heiliger vor. Äh...“ – ich machte eine wegwerfende Bewegung«
– Leertaste vor die drei Punkte

»Er lag nun an der Erde, zusammengekrümmt, wehleidig und jammernd.«
– meintest Du nicht »auf der Erde«?

»Er wusste was passieren würde.«
– wusste, was


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl!

Ich hatte fast drauf gewartet, aber nicht zu hoffen gewagt!;)
Dank dir für die Glückwünsche, und für die umfangreiche Kritik und das Lob!

Freut mich wirklich, dass dir die Story gefallen hat, sie ist in jedem Fall eine meiner Lieblingsstorys. Auch und gerade, weil natürlich unter der Oberfläche die Frage arbeitet, ob materieller Besitz glücklich macht.

Erzählt ist sie sehr gekonnt

Das ist ein tolles Lob, obwohl ich doch hoffe, mich ein wenig weiterentwickelt zu haben.

und was mir außerdem sehr gut gefällt, ist, daß Du keine grauslichen Details schilderst, obwohl Du sie doch erzählst.

Im Prinzip bin ich auch nicht der Freund von ausgewalzten Szenen, die nichts mit der Handlung zu tun haben und offensichtlich nur dem einen Zweck dienen, den Leser zu ekeln. Handlung, junger Freund, Handlung! Wie unsere alte Deutschdame sagen würde.

Das Sezieren bin ich durchgegangen und ich muss sagen, so wie ich das sah, hast du in allen Fällen Recht. Die meisten Sachen sind nun orthografische Dinge, über die man eh nicht streiten kann, aber auch den Stil-Einwendungen kann ich zustimmen.

Da dies - ich bin selbst erstaunt - eine der wenigen Storys ist, die ich noch keinem Verleger versucht habe unterzujubeln, werde ich das sicher irgendwann tun. Ich denke, dazu werden auch deine Tipps und Hinweise wertvoll und gut genutzt sein.

Ich danke dir!

Viele Grüße von hier!

 

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