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Unser täglich Brot gib uns heute
Bäcker Fein brach über einem Laib Brot zusammen.
Er war tot.
Seine Frau kreischte, ließ die Kassa offen und stürzte zu ihm.
„Manfred, was ist mit dir?“
Claudia, die Aushilfe, zog sich langsam von der Leiche ihres Chefs, in Richtung Kassa zurück.
Die Kundschaft in der Edelbäckerei verstummte augenblicklich und starrte gebannt auf das graue Gesicht des Toten.
Seine Hände umklammerten ein altes Stück Schwarzbrot, auf das nach wie vor, der erschrockene Blick des Bäckers geheftet war.
„Arzt! Ruft doch wer einen Arzt!“, schrie Hannelore Fein.
Ein Telefongespräch, Sirene und einigen Herzmassagen später, sagte der Notarzt:
„Frau Fein, ihr Mann hatte offensichtlich einen Infarkt. Es tut mir leid“
Witwe Fein warf sich schluchzend an die Brust ihres Sohnes, der sie mit der Linken hielt und mit der Rechten die Kondolenz des Notarztes entgegennahm.
Magda Glauben war etwas früher aus der Bank weggekommen. Zwei Stunden lang hatte sie versucht ein junges Ehepaar davon zu überzeugen, dass allein die Eigenvorsorge ihres Instituts, eine glorreiche Zukunft verspräche. Leider erwiesen sich die beiden Studenten als äußerst argumentationsresistent und rauschten mit einem neuen Konto, inklusive gratis Kontoführung für fünf Jahre, in das Wochenende ab.
Daher kam sie gerade rechtzeitig, als zwei riesige Sanitäter eine Trage aus der Bäckerei Fein trugen.
Vorsichtig trat sie in den Laden und sah Claudia, wie sie gerade Semmeln und Brote sortierte, die ihr Chef in seiner Agonie zu Boden gerissen hatte.
„Manfred?“, fragte Magda unsicher.
Ein stummes Nicken kam als Antwort.
Der wunderbare Brotduft hatte sich mit dem Gestank von Desinfektionsmittel, die allem medizinischen Personal zu Eigen sein scheint vermischt und ließ der Anlageberaterin den Atem stocken.
„Ich brauch nur Schwarzbrot“, stammelte sie.
Claudia verpackte ein Stück und reichte es ihr.
Magda versuchte soviel Anteilnahme wie möglich in ihren Blick zu legen.
Zu Hause wankte sie etwas unsicher in die Küche.
„Wie schnell doch das Leben vorbei sein kann, mein Schatz“, sagte sie zu Vazlav, ihrem russischen Borkenkäfer, der fröhlich in seinem Terrarium an einer Borke kaute.
Sie holte Butter und Marmelade aus dem Kühlschrank und setzte sich an den Küchentisch.
„Was hast du heute so getrieben, hm?“, fragte sie, während sie das Brot anschnitt.
Vazlav fühlte sich bei solchen Fragen immer unwohl, da seine Produktivität in letzter Zeit arg nachgelassen hatte und wischte sich seine Fühler.
Erschrocken ließ Magda das Messer fallen.
Aus dem Brot kullerten kleine wanzenartige Lebewesen. Tot.
Sie fasste sich, fixierte Vazlav und sagte: „Das kann einem das Leben echt madig machen“
Der Borkenkäfer goutierte diese humoristische Einlage seiner Ernährerin, indem er vom obersten Stamm seines Abendbrotes fiel, um sich vor Lachen auf den Rücken zu wälzen und mit seinen Beinchen, scheinbar hilflos, in der Luft herumzuwirbeln.
„Jaja, mach dich ruhig lustig“, murrte Magda.
Bei genauerer Betrachtung wurden ihr die Wanzen allerdings unheimlich.
Sie hatten die Form von Kellerasseln, doch aus ihren Hinterleibern ragten lange rote Dorne.
„Seltsam“, kommentierte sie, griff nach einer alten Filmdose und schob drei von ihnen hinein.
„Die wird ich Papa zeigen“
Tags darauf polterte sie in das Labor ihres Vaters Laurenz.
„Hallo Papa“
Der alte Chemiker sah sie schief über seine Brille weg an.
„Na Wusel? Alles in Ordnung?“
Magda hasste diesen Spitznamen, den sie sich nur durch ein blödes Versehen im zarten Alter von sechs Jahren eingefangen hatte. Zwei Liter Limo, Kindergeburtstag, 35 Toilettengänge.
In der Familie nach wie vor ein Renner als Abendgag.
„Jaja, schau mal, das hab ich gestern in meinem Brot gefunden“, sagte sie und reichte es dem verschmitzten Professor.
„Interessant. Ich werd mir das anschauen“, meinte er und warf sie mit besten Wünschen hochkantig aus dem Labor.
Magda kannte ihren Vater zu gut. Immer an der Arbeit und wenn was Neues daherkam, war sie Luft.
Mit einer Trauerkarte in der Hand stapfte sie zur Bäckerei Fein.
Das Geschäft war leer. Das lustige Klingeln der Tür war abgestellt und hinter der Kassa saß Hannelore Fein mit weißem Gesicht. Die roten Augen sahen sie traurig an.
„Es tut mir sehr leid“, sagte Magda und reichte ihr die Karte.
„Wie?“, setzte sie nach.
Hannelore schaute sich vorsichtig um.
„Haben sie kurz Zeit? Ich muss ihnen was erzählen“, flüsterte die Bäckerin.
Sie sperrte den Laden ab und führte sie ins Büro.
„Sie sind ja eine alte Kundin. Ich vertraue ihnen. Hören sie zu, das war kein Herzinfarkt!“
Magda schluckte. Kein Herzinfarkt? Was dann?
„Mike, mein Sohn. Seit er weiß, dass er das Geschäft erben wird, ist er wahnsinnig geworden. Ich war unlängst in seinem Zimmer. Da lagen Bücher über Insektenvertilgungsmittel.“
Dabei attackierte sie die junge Frau mit einem wissenden Blick.
„Ich hatte mehr Gründe um ihn umzubringen. Sie kennen doch Claudia? Ganz genau“
In stiller Erkenntnis saßen sich die Frauen gegenüber.
„Was kann ich tun?“, fragte Magda.
„Mike liebt sie. Versuchen sie die Wahrheit rauszufinden. Ihnen wird er alles erzählen“
Die 34jährige zuckte zusammen. Klar war ihr Mike seit Jahren nachgestiegen, aber so etwas.
„Ich bitte sie“, begann Hannelore und brach wieder in Tränen aus.
Magda stand auf, drückte sie an ihre Brust und streichelte das Häufchen Elend.
Langsam führte sie die Witwe in den ersten Stock ins Schlafzimmer, legte sie nieder und zog ihr die Schuhe aus.
„Machen sie sich keine Sorgen. Ich werde mich darum kümmern“
Auf dem Weg nach unten läutete ihr Handy. Es war ihr Vater.
„Hallo? Mhm. Was meinst du mit giftig? Tödlich? Ok, ich werd aufpassen“
Im Laden versperrte ihr Mike mit teuflischem Grinsen den Weg.
„Na, was hat dir die alte Kuh erzählt?“
Magda wurde nervös. Wie immer in solchen Situationen begann sie zu schwäbeln.
„Na, sie hät gsät, dasch alls in Ordnung isch. Traurig ische halt“
Sie zitterte, als ihr Mike näher kam.
„Claudia hat dir das Brot gegeben, stimmts?“
Plötzlich senkte sich die Temperatur im Raum um einige Grade.
„Noi. I weiß nit was du schwätzest“, entfuhr es ihr.
Der hünenhafte Bäckersohn nahm sie in die Arme und drückt zu.
Magda verlor das Bewusstsein.
Als sie wieder erwachte saß sie im Keller der Bäckerei an einen Stuhl gefesselt.
Auf einem Altar in der Mitte des Gewölbes war eine Glaskaraffe aufgestellt, neben der fünf schwarze Kerzen brannten.
Das Gefäß war mit einer hellgelben Flüssigkeit gefüllt. Darin schwammen kleine schwarze Punkte herum.
Die Wanzen.
Mike schritt in einem langen weißen Bäckermantel aus dem Dunkel.
Ein rote Kapuze auf dem Kopf, näherte er sich Magda.
„Claudia hat es mir gesagt, sie hat dir das Brot meines Vaters verkauft.“
Magda wollte schreien, doch das Klebeband unterdrückte alle Geräusche, bis auf ein Stöhnen.
„Seit drei Generationen machen wir das beste Brot.
Kennst du die Löcher in den Schwarzbrotlaiben? Nun, dort wohnen sie.
Mein ganzes Leben habe ich mich gegen ihr Gift immunisiert. Aber jetzt bekommst du dein letztes Abendmahl.“
Mit diesen Worten stellte er ihr einen silbernen Teller auf den Schoß.
Mike kniete vor dem Altar nieder, betete und griff in die Karaffe.
Auf seinem Arm hatten sich hunderte Wanzen festgesaugt. Er streifte sie auf ein Brot und legte es auf den Teller.
Butterbrot mit kleinen, krabbelnden Beilagen.
Magda zerrte an ihren Fesseln. Sie spürte, dass sie mit ihren feinengliedrigen Handgelenken freikommen würde.
Der selbsternannte Hohepriester riss das Klebeband von ihrem Mund und griff nach der Stulle.
Langsam drückte er ihre Nase zu, während er unverständliches Zeug murmelte.
Magda drückte die Augen und ihren Mund zu, doch Mike war stärker.
Unerträglicher Schrecken durchflutete die junge Frau, als sie plötzlich merkte, wie der Druck auf ihrer Nase nachließ.
Mike sank.
Hinter ihm stand Hannelore mit einer Schaufel, von der eine kleine Blutlache tropfte.
Er taumelte zum Altar, stürzte und seine Robe fing Feuer.
Während Magda befreit wurde begann der ganze Raum zu brennen an.
Mike taumelte wie eine lebende Fackel durch den Keller.
Die beiden Frauen stürzten die Treppe hoch ins Freie und konnten gerade noch sehen, wie die ganze Bäckerei in Flammen aufging.
„Ich hätte nicht gedacht, dass er so weit gehen würde“, stammelte Hannelore.
„Der Urgroßvater meines Mannes hat sie aus Mexiko mitgenommen. Sie sondern irgendetwas ab, damit das Brot besser wird. Wenn die Zeremonie nicht richtig durchgeführt wird sind sie hochgiftig für den Menschen. Ich weiß nicht wie sie es mitbekommen haben, aber sie haben mitgekriegt, dass Mike auf Weißbrot umsteigen wollte und darin können sie nicht leben.“
„Glauben sie, dass diese, Viecher, Mike den Mord anhängen wollten?“, hustete Magda.
Hannelore sah ihr tief in die Augen.
„Wir werden es nie erfahren“
In der Innenstadt war die Feuerwehrsirene zu hören und die zwei Frauen schleppten sich auf die andere Straßenseite.
„Nie erfahren“, wiederholte Magda und drückte sich fest an Hannelore.
In einem kahlen Keller zwei Straßen weiter, saß eine junge Frau in weißer Robe und roter Kapuze vor einem Altar. Sie vermengte ihre Galle mit Wasser und legte das letzte Stück Brot in eine Karaffe, während sie alte Lieder sang.