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Unsichere Zukunft

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18.04.2002
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Unsichere Zukunft

Mein Wunsch ist in Erfüllung gegangen, aber ich kann mich nicht richtig darüber freuen ...

Eigentlich war es ein Tag wie jeder andere. Vielleicht grüßte mich meine Hauswirtin beim Verlassen der Wohnung etwas freundlicher als gewohnt.
Zierliche Vorgärten mit reichlicher Blütenpracht verschwendeten ihren süßen Duft, Kinder spielten. Alles schien etwas gelöster, freier als sonst. Ruhig schnurrte gemächlicher Autoverkehr durch saubere Straßen, irgendein gewohnter Geruch fehlte ... tatsächlich: Abgase waren nicht zu bemerken. Meine Morgenzeitung in der Hand, ließ ich mich auf einer Parkbank nieder. Nicht die kleinste Schlagzeile über Terrorismus, fallende Aktienkurse oder Existenzangst konnte man lesen, obwohl noch gestern von Anschlägen, Produktionseinbrüchen und Katastrophen berichtet worden war! Wie konnte das sein? Gelassen wogten friedliche Menschenmassen an mir vorbei. Seltsame Stille lag über den Tagesgeräuschen, den flimmernden Farben dieser Stadt. Die gesamte Umgebung schien in behagliche Decken gebettet, behütet. Ein älterer Herr hatte, bequem seine Beine ausstreckend, auch auf der Bank Platz genommen. Ich sprach ihn an, ob er nicht erleichtert sei, dass heute keine einzige Zeitungsmeldung mit Schrecknissen aufwartete. Er lächelte nur verlegen, schien überhaupt nicht zu verstehen, worum es ging ... Verunsichert verabschiedete ich mich.
Plötzlich kam lauer Wind auf, wie man ihn vor Sommerregen häufig spürt. Schon fingen alle Menschen im Park an schnell zu laufen, verließen ihre Bänke, suchten Schutz in Gebäuden und Autos, obwohl kein Wölkchen den Himmel bevölkerte. Verstört schaute ich diesen hastigen Bemühungen zu. Jetzt - schlagartig bedeckten sich Gehsteig, Straße, der gesamte Boden mit unruhig bewegtem Wasser. Regendunst entstand und aus den Pfützen stiegen dünne Wasserfäden auf, glitzernd, stetig dem Himmel zustrebend. Dort vereinigten sie ihre Kräfte, um große graue Wolkenungeheuer zu bilden, welche das unerwartete Nass gierig aufsogen und verschlangen. Bühnenvorhängen gleich wurden letzte Regenschleier nach oben gezogen, sonnige Landschaft, überall wohin man blickte. Alle Wasserlachen waren leer geregnet, kräftiger Wind ließ die satte Wolkenherde davon galoppieren, in hellblauer Klarheit zeigte sich der Himmel.
Ich war vollkommen nass, nur meine Haare nicht. Bilder tobten mir durch den Kopf: ein lächelnder älterer Herr, spöttisch tanzende Zeitungsartikel, Regen, den es so keinesfalls geben durfte.

Eigentlich ein Tag wie jeder andere, zu freundlich, vielleicht. Beunruhigt frage ich mich: „Welchen Preis müssen wir letztendlich zahlen?“

 

Hallo Woltochinon.

Meiner Meinung nach ein Text, zu dem man keine wirkliche Kritik schreiben kann, sondern den man einfach seine Wirkung tun lassen sollte.
Jedenfalls hast du mich nachdenklich gemacht, und ich denke, dass dies auch deine Absicht gewesen ist.
Der Schlussatz gefällt mir sehr gut und hat mir sogar eine leichte Gänsehaut bereitet.

Eine schöne, kurzweilige Geschichte, die mehr das emotionale, als das Sachverständnis anspricht.

Viele Grüße

Cerberus

 

Hallo Cerberus,

freue mich sehr über Deine positiven Anmerkungen.

"Jedenfalls hast du mich nachdenklich gemacht"

Ich habe da auch viel darüber nachgedacht, ob es wirklich so ist, wie die Geschichte es andeutet. Es ist schwierig, zu einem endgültigem Schluss zu kommen.

Besonderen Dank für die Bestätigung des Emotionalen, ich muss immer kämpfen, nicht zu kopflastig rüberzukommen.

Tschüß... Woltochinon

 

Sehr schön, diese Geschichte.

Um ganz ehrlich zu sein: Ich habe deine Geschichte nicht verstanden. Aber ich denke, dass das egal ist, denn sie hat sehr stark auf mich eingewirkt und Gefühle geweckt. Der Schlusssatz gefällt, philosophisch oder nicht. Sehr gute Leistung, zweifelsohne. Allerdings würde ich mir als extrapost schreiben: "was der Autor uns damit sagen wollte", auch wenn es fies klingt, nicht aber so gemeint ist.

Blandon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Blandon,

finde ich nicht, dass das fies klingt oder ist. Der Schlusssatz steht tatsächlich für eine philosophische Anschauung. Kann ich mit der Auflösung noch etwas warten? Ein Hinweis: Welcher Preis ist gemeint, für was?
Ich schicke Dir eine PN.
Ich bin ganz happy wegen "denn sie hat sehr stark auf mich eingewirkt und Gefühle geweckt" - wie gesagt ist das nicht so meine Spezialität.

Danke,

tschüß... Woltochinon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Woltochinon!

Ja, ein interessantes Szenario hast Du hier gezeichnet und gut lesbar beschrieben.

Was die Aussage dahinter ist, bin ich eigentlich noch nicht so sicher, aber ich denke in die Richtung: Wenn es plötzlich keine Probleme/nichts Böses auf der Welt mehr gibt, stimmt auch etwas nicht, manches läuft verkehrt, und man muß vermutlich Angst haben, was als nächstes kommt…
Meinst Du, der Mensch braucht seine Probleme als Beschäftigungstherapie...? ;)

Eigentlich war es ein Tag wie jeder andere. Vielleicht grüßte mich meine Hauswirtin beim Verlassen der Wohnung etwas freundlicher als gewohnt.
Zierliche Vorgärten mit reichlicher Blütenpracht verschwendeten ihren süßen Duft, Kinder spielten. Alles schien etwas gelöster, freier als sonst.
– sinngemäß hast Du hier drei gleiche Satzenden, wenngleich es auch keine direkten Wortwiederholungen sind: »wie jeder andere«, »als gewohnt« und »als sonst« – ist aber eigentlich auch nicht nötig, dem Leser so oft zu sagen, daß es alles anders als gewohnt ist. ;)

Meine Morgenzeitung in der Hand, lies ich mich auf einer Parkbank nieder.
– ließ


schien überhaupt nicht zu verstehen, um was es mir ging
– fände »worum es ging« schöner (»mir« ist eigentlich nicht notwendig


welche das unerwartete Nass gierig aufsaugten und verschlangen.
– »aufsogen« fände ich schöner


Als wären es Bühnenvorhänge wurden letzte Regenschleier nach oben gezogen,
– Bühnenvorhänge, wurden – fände aber eine Kürzung schöner: Bühnenvorhängen gleich wurden letzte Regenschleier …


kräftiger Wind lies die satte Wolkenherde davon galoppieren
– ließ … davongaloppieren (zusammen)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl,

danke für die guten Hinweise! Natürlich sollte da keine Aufforderung zum Lesen (lies!) im Text stehen. Es ist auch immer gut, ein "mir" zu sparen (darf gar nicht sagen, wie viele ich vor dem Veröffentlichen rausgeschmissen habe...). Ursprünglich `rissen´ die Wolkenungeheuer das Nass an sich, dann hätte `sich´ aber zu oft wiederholt. "Aufsogen" klingt sehr passend.
Beim ersten Satz muss ich noch überlegen, wie ich Deinen Vorschlag umsetze.

"Beschäftigungstherapie" - eine hübsche Umschreibung...

Vielen Dank für Deine Hilfe,

lG,

tschüß... Woltochinon

 

okay - also in aller Öffentlichkeit, um was es mir geht :):


Es ist überraschend Friede.
Es regnet rückwärts.

Der Prot. sieht einen Zusammenhang: das Rückwärtsregnen ist der Preis für den Frieden, er befürchtet, dass da noch mehr auf ihn bzw. die Menschheit zukommt. Schließlich ist ein natürlicher Kreislauf zerstört (man überlege die praktischen Folgen) und partiell ein Naturgesetz aufgehoben (die Schwerkraft). Was, wenn es bald nicht mehr partiell wäre...

Die Grundidee des philosophischen geht auf die archaische Vorstellung (siehe z.B. Mayas) zurück man müsse, um gutes zu erfahren (eine reiche Ernte), den Göttern einen Ausgleich in Leid bezahlen, sie durch Opfer besänftigen. Hier geht es natürlich nicht um solche Opfer, aber es wird indirekt die Ansicht ausgedrückt, wir Menschen müssen selbst für das Gute immer Negatives in Kauf nehmen, sitzen gewissermaßen in einer Falle, müssen diese Bürde tragen.

Ich hatte eigentlich erwartet, dass es Widerspruch gegen diese pessimistische Sichtweise gibt, die ja die persönliche Freiheit einschränkt.

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,
Du hast mir eine angenehme Gänsehaut beschert, denn auch wenn das Gute so offensichtlich vorhanden ist, lehrt die Erfahrung, es ist niemals gut genug. Oder die Frage nach dem berühmten Haken stellt sich unmittelbar. Diese Gefühlswelt hast du mit dem seltsamen Geschehen schön eingefangen. Eigentlich muss ich sogar sagen, wenn alles nur gut um mich herum ist, reizt es mich, schlecht zu haben. Nur um zu wissen, was gut ist. ;)
Goldene Dame

 

Hallo Goldene Dame,

vielen Dank für die positive Beurteilung meiner kleinen Geschichte.

„... die Frage nach dem berühmten Haken stellt sich unmittelbar.“

Ja, das ist halt so mein Problem: Gibt es da eine Art Fluch oder ein Naturgesetz? Über Jahrhunderte wird philosophiert, gedroht, gebeten - doch der „berühmte Haken“ läßt sich nicht gerade biegen...

„Eigentlich muss ich sogar sagen, wenn alles nur gut um mich herum ist, reizt es mich, schlecht zu haben. Nur um zu wissen, was gut ist. ;)

Diese Aussage wäre schon wieder Stoff für eine Geschichte, aber diesen `Schuh´ ziehe ich mir nicht an, sonst könnte der Stein rausfallen, den ich extra reingetan habe, damit ich mich freuen kann, wie bequem ich mit 50% meiner Füße laufe.

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,
ein frohes Neues Jahr wünsche ich Dir :)

„Eigentlich muss ich sogar sagen, wenn alles nur gut um mich herum ist, reizt es mich, schlecht zu haben. Nur um zu wissen, was gut ist. “

Diese Aussage wäre schon wieder Stoff für eine Geschichte, aber diesen `Schuh´ ziehe ich mir nicht an, sonst könnte der Stein rausfallen, den ich extra reingetan habe, damit ich mich freuen kann, wie bequem ich mit 50% meiner Füße laufe.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Schuhe gibt, die dir zu groß sind. Und ein als einen Stein sehe ich deine Geschichte nicht. Auch wenn es dir schwer fällt, die Gefühle zwischen Zeilen entstehen zu lassen, es kann von pragmatischer Bedeutung sein.

Goldene Dame

 

Hi Woltochino,

eine erschreckende Geschichte.
Ich weiß nicht ob mir der heutige Zustand der Welt lieber ist.
Aber ich glaube schon.
Da wünscht sich jemand Friede und Harmonie für die Menschen.
Eine trügerrische Idylle entsteht. Die Menschen lächeln gequält.

Es ist, als würde sich der Planet für die fehlende Energie, die zwischen Gut und Böse entsteht, rächen. Der Ausgleich zwischen den Menschen ist verloren gegangen. Die Natur gerät aus den Fugen, ein Paradoxum entsteht.

Das bedeutet für mich: Die Erde lebt durch Licht und Schatten, die der Mensch ihr gibt.
Damit wäre jede Hoffnung auf eine nur friedvolle und gute Welt zerstört, sie scheint dafür nicht geboren zu sein.
Ein furchtbarer Gedanke und doch leuchtet er mir in diesem Moment ein.

Da kann man nur sagen: Gott beschütze uns.

Eine sehr eindringliche Geschichte.

lieben Gruß, coleratio

 

Hallo coleratio,

"Ich weiß nicht ob mir der heutige Zustand der Welt lieber ist.
Aber ich glaube schon."

Eine sehr interessante Frage. So hat das noch niemand gesehen. Ich glaube, es liegt in der Natur des Menschen lieber das bekannte (wenn auch nicht unbedingt perfekte) dem Unbekannten vorzuziehen (jedenfalls hat davon schon manch schlechter Präsident profitiert).

"Damit wäre jede Hoffnung auf eine nur friedvolle und gute Welt zerstört, sie scheint dafür nicht geboren zu sein."
Ja, das ist die These, wir sitzen in der Falle, ein Paradoum ist kein Ausweg. Da kann eigentlich nur ein ausen stehender Gott helfen (Kritiker würden jetzt natürlich anmerken, dass Gott nur eine Konstruktion des Menschen auf ihr psychisches Unbehagen angesichts der gemachten Erkenntnis ist). Es ist schwer, seuftz.

Vielen Dank für Deine Anregung und die neue (italienische?) Variante meines `Namens´: Woltochino.

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Goldene Dame,

herzlichen Dank für Deine lieben Wünsche zum neuen Jahr. Ich wünsche Dir viel Erfolg und natürlich viel Freude beim Schreiben!

Den Horror und Fantasy `Schuh´ ziehe ich mir nicht an, das überlasse ich anderen :) - Du verstehst...

Wegen der Gefühle: Ich habe überlegt, ob ich den Protagonist mehr empfinden lassen soll, aber dann gedacht, dass der Inhalt an sich den Leser gefühlsmäßig und natürlich auch verstandbezogen ansprechen soll.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Im Zusammenhang mit der momentanen Diskussion über den genetischen Fingerabdruck, die durch den Tod von Rudolph Mooshammer aufgekommen ist, finde ich diese Geschichte noch interessanter.
Welchen Preis werden wir letztendlich bezahlen, wenn alles erst sauber und kontrolliert ist.

 

Woltochinon schrieb:
Hier geht es natürlich nicht um solche Opfer, aber es wird indirekt die Ansicht ausgedrückt, wir Menschen müssen selbst für das Gute immer Negatives in Kauf nehmen, sitzen gewissermaßen in einer Falle, müssen diese Bürde tragen.

Regen rückwärts ist insofern negativ, als dass man einen nassen Schritt bekommt. :hmm:

Aber wenn, wie du sagst, noch mehr hinzukommen könnte, ok. Wäre ich aber so nicht drauf gekommen.

 

Hallo Cerberus,

an so etwas wie den genetischen Fingerabdruck hatte ich gar nicht gedacht, doch manchmal wird eine Geschichte durch die Aktualität eingeholt.
Natürlich ist es toll, Verbrecher zu fangen - aber (wie Du sagst) „Welchen Preis werden wir letztendlich bezahlen?“ Mein Protagonist hätte jedenfalls wiederum keinen Grund sich zu freuen, ich kann es auch nicht, abgesehen von der Tatsache, dass ich mich immer über eine Anmerkung freue.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon


Hallo Leif,

das ist ja mal was, eine Anmerkung vom 2X (dem Experimente-Experten).
Der Regen ist gewissermaßen ein Symbol dafür, dass sich die Naturgesetze ändern müssen, bevor die Schreckensmeldungen auf der Erde wegfallen.

Zitat:
Regen rückwärts ist insofern negativ, als dass man einen nassen Schritt bekommt.

Mit der Zeit würde die Erde austrocknen, der Himmel immer bewölkt sein - also doch ein schlechter Deal?

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Woltochinon schrieb:
Mit der Zeit würde die Erde austrocknen, der Himmel immer bewölkt sein - also doch ein schlechter Deal?

Hehe, also wenn man es so sieht, ja.
Aber ich denke mir automatisch auch, dass die Verdunstung rückwärts läuft. Also kondensiert Wasser aus den Wolken in den Gewässern. Gut, aber so streng muss man da ja auch nicht drüber nachdenken. :D

Jedenfalls gute Story und der Grundgedanke ist mir nicht fremd. Zumal es ja auch oft die Naturgesetze sind, die Katastrophen möglich machen. Aber Naturgesetze ermöglichen auch das Leben.

 

Hallo Leif,

ist schon interessant, welche Probleme man sich aufhalst, wenn man nur an einem Rädchen dreht...


Die Rückwärtsverdunstung - die dürfte ja nicht als Regen (bzw. abwärts gerichtetes Wasser) stattfinden. Oh, Mann - da werde ich den kachelmann fragen, keine Ahnung, warum der solche Phänomene beim Wetterbericht unterschlägt!

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

ich glaube, dass es sich hier um eine offene Geschichte handelt, der man eigentlich keine genaue Erklärung hinterherschicken sollte. Durch die fremdwirkenden Bilder entsteht ein surrealer Eindruck, der wahrscheinlich auf jeden Leser etwas anders wirkt. Und somit wird jeder Leser etwas anderes in das von dir beschriebene hineininterpretieren. Der Text selber ist sehr gut geschrieben und trotz des absurdem kann man sich die Szenerie gut vorstellen.
Gern gelesen!

Einen lieben Gruß...
morti

 

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