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Unter den Sternen
Als ich aus der dunklen Seitengasse trete und mir im diffusen Licht einer Straßenlaterne etwas Blut aus den Mundwinkeln streiche, stelle ich einmal mehr erfreut fest, dass New York auch bei Nacht schrecklich überfüllt ist. Ich hatte schon immer etwas für die Anonymität der Menge übrig. Heute noch mehr als einst. Bevor ich mir das schwarze Seidenhemd glatt streiche, lecke ich mir meine Finger ab und ziehe schließlich eine Zigarette aus einer noch nicht geöffneten Schachtel. Die Folie schmeiße ich auf den Gehsteig. Mit einer gelb-roten Flamme, aus einem silbernen, auf Hochglanz polierten Feuerzeug zünde ich sie an. Verfolge für wenige Bruchstücke von Augenblicken den ersten Qualm, wie er wabbernd der Nacht entgegen schwimmt. Nachdem ich den letzten Zug genommen habe und dem ausgestoßenen Rauch ein letztes Mal mit den Augen folge, trete ich die glühenden Überreste mit meinen kniehohen Schnürstiefeln in schwarzen Leder aus. Ein Mädchen mit onyxfarbenem Haar, schwarz umrahmten Augen und ebenso schwarzen Lippen, wie es der Nachthimmel ohne Sterne ist, starrt mich von der anderen Straßenseite aus an. Als sie vor mir steht, sehe ich Netzstrümpfe, einen schwarzen, kurzen Rock und ein, mit feiner Spitze besetztes, ärmelloses Oberteil. Sie tritt ins Licht und gibt den Blick auf blasse Haut und rote Pupillen frei. Farbige Kontaktlinsen. Um das kräftige Rot schwebt ein Rand Himmelblau. Viele Ohrringe reflektieren das Licht.
„Ich will sein wie du.“, meint sie und versucht, verzweifelt verführerisch zu klingen. Es gelingt ihr nicht im Mindesten. So etwas braucht, das habe ich über die Jahre gelernt, Zeit und manche Frauen schaffen es nie.
„Nein, das willst du nicht.“, antworte ich und weiß um den samtigen Nachklang meiner Stimme.
Sie schluckt. „Doch.“
Ich zucke gleichgültig mit den Schultern und weise sie mit einer Geste an, in die Seitenstraße zu gehen. Dicht hinter ihr folge ich. Im Dunkeln der Nacht und Schatten der Häuserwände, verwandelt sich mein schönes Gesicht in eine Fratze. Sie sieht es nicht, spürt nur den Kuss des Todes an ihrem Hals. Für einen Moment, sehe ich das Entsetzen hinter den Kontaktlinsen, dann fällt sie in meiner Umarmung in einen tiefen Schlaf. Ich lasse sie los und sie sackt wie tot zu Boden. Ein Stück von ihr ist es. In meinen Adern fließt nun ein Teil ihres Blutes. Mit einer flüssigen Bewegung reinige ich meine Lippen und kehre der Gasse den Rücken. Immer noch ist die Stadt belebt, pocht, wie das Blut in meinen Adern. Ich schlendere den Gehweg hoch, reihe mich in die Masse ein und verschwinde doch nicht unter ihnen. Die meisten starren mich an, andere beobachten mich lediglich aus dem Augenwinkel. Ich genieße es, finde es aber auch lästig. Ich werde es überdrüssig anders zu sein.
Vor einer Bar mache ich Halt, lehne mich an die Hauswand und stecke mir abermals eine Zigarette an. Auch sie wird nicht meinen Tod bedeuten.
„Kann ich mal ziehen?“, fragt mich eine blonde Frau mit ozeangrünen Augen, im schwarzen Mini-Kleid. Ein silbernes Armband, mit kleinen Herzen ziert ihr schmales Handgelenk.
Ich nicke. Sie nimmt meine Hand und führt so den Glimmstängel zu ihrem roten Mund. Auch mit ihr verschwinde ich in die Finsternis, ohne Sterne, ohne Mond, ohne Straßenlaternen, ohne Autolichter, ohne Neonschilder. Auch ihr sage ich, dass sie nicht das sein will, was ich aus ihr machen kann. Auch sie widerspricht. Auch sie beiße ich. Auch sie überlasse ich ihrem Schicksal.
Der Sonnenaufgang steht kurz bevor und mein Wandeln neigt sich dem Ende zu, da sehe ich eine junge Frau, ein Mädchen, fast noch ein Kind. Sie schaut mir in die Augen und ruft mich zu sich. Sie will ich in meine dunkle Welt ziehen, sie will ich zu einer von uns machen. Die Sterne schimmern blass über uns als ich sie küsse, aber kein Blut schmecke. Sie schaut mir in die Augen, spürt die Reißzähne, die ihren Hals berühren, ihn aber nicht verletzen, streicht mir durchs Haar über das Gesicht zur Fratze entstellt, ohne zu erschrecken.
„Auf wieder sehen.“, haucht sie und verführt mich. Doch während ich im Dunkel der Nacht zurückbleibe und nur die Sterne meine Begleiter nennen darf, wird sie verschluckt im Fluss der morgendlichen Betriebsamkeit.