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Unter Zwang

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18.12.2004
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Unter Zwang

Der dichte Rauch hüllt mich vollkommen ein. Das Atmen fällt mir schwer. Ich fühle mich hier fehl am Platz, völlig fehl am Platz und frage mich, warum er diesen Ort als Treffpunkt ausgewählt hat und ob er sich an solchen Orten wohl fühlt.
Ich sitze an einem Tisch, vor mir steht ein Bier. In einer Ecke des Raumes nehmen vier alte Männer einen Tisch in Beschlag. Sie sind in ein Kartenspiel vertieft und beobachten sich gegenseitig. Ihre Blicke sind starr und scheinen ihre Kontrahenten durchbohren zu wollen. Sie sprechen kaum. Ganz im Gegensatz zu vier Jünglingen, die sich in einer anderen Ecke des Raums aufhalten. Sie prahlen mit ihren Liebschaften und Eroberungen – versuchen sich, gegenseitig zu übertrumpfen. Einer von ihnen hat ein Mädchen auf dem Schoß und küßt sie auf eine Art und Weise, die hierher passt. Seine Hand ist unter ihrem Rock verschwunden.
Nicht unweit davon steht ein Spielautomat, an dem eine andere junge Frau ihr Glück versucht. Hinter einer Theke steht ein Mann. Von Zeit zu Zeit wirft er mir einen Blick zu, während er sich mit einer Frau, die auf der anderen Seite der Theke auf einem der Barhocker sitzt, unterhält. In der Mitte des Raums befindet sich ein Pärchen und tanzt fest umklammert zu der leiernden Musik, die aus einem Lautsprecher ertönt.
Ich sitze abseits von allem und jedem und warte; warte darauf, daß eine weitere Person, eine ganz bestimmte Person den Raum betritt. Plötzlich öffnet sich die Tür und ein großer, breitschultriger Mann kommt herein. Er schaut sich suchend um und als er mich erblickt, kommt er auf mich zu und setzt sich mir gegenüber an den Tisch. Er mustert die Umgebung, dann holt er einen Umschlag hervor und schiebt ihn über den Tisch zu mir. Darin ist Geld, viel Geld. Ich nicke.
Wir stehen auf und gehen zu einer Tür, direkt neben dem Spielautomat. Nur noch mit viel Mühe lassen sich die Buchstaben "W" und "C" daran ausmachen. Niemand achtet auf uns, nur der Wirt wirft mir noch einen letzten Blick zu. Mein Begleiter öffnet die Tür und schiebt mich in den Raum. Ich höre sie noch knarrend zu gehen, da zieht er mich schon in eine der Kabinen. Er baut sich vor mir auf. Ich hole eine kleine Tüte aus meiner Tasche und gebe sie ihm. Er reißt die Tüte auf und begutachtet den Inhalt. Er nickt. Dann geht er.
Allein, lasse ich mich an die Wand fallen. Jegliche Spannung weicht aus meinem Körper und ich gleite zu Boden. So kauernd bleibe ich ein Weile sitzen und überlege, wie oft ich noch heil aus solchen Situationen herauskomme. Doch dann fallen mir wieder meine Kinder ein, für die ich nach dem Tod meines Mannes allein sorgen muß. Neuen Mut schöpfend rapple ich mich auf, schlüpfe aus der Kabine und verlasse ebenfalls den Raum.
Ich höre noch das Knarren der zugehenden Tür, doch den Mann, der kurze Zeit später eine der anderen Kabine verlässt und aus dem kleinen Fenster über dem Waschbecken klettert, nehme ich nicht mehr wahr.

 

Hallo
Ich schreib jetzt mal ausnahmsweise, was mir besonders an der Geschichte gefiel. Das kann ja auch weiterhelfen und Negatives lässt sich hier wirklich nur schwer finden. Also: Schön ist, dass du die Beschreibung nicht an den Anfang gestellt hast, sondern im ersten Abschnitt schon mal etwas Spannung aufgebaust. So liest man dann die die folgenden Zeilen viel aufmerksamer und kommt leichter zum Ende. Gut fand ich auch die Wahl der Zeitform - einmal etwas Abwechslung. Einziger Kritikpunkt: Ich würde erst später verraten, was in dem Umschlag ist. Das sorgt für etwas mehr Spannung (vielleicht kennst du den Film Ronin: Darin jagen ein paar Gangster in einem ganzen Film einem Koffer nach und der Zuschauer erfährt nie, was sich darin befindet). Das ist aber auch schon alles.

Grüsse
Sorontur

 

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