Schon mehrmals hast du uns aufgefordert, vita, dir hierzu weitere Vorschläge zu unterbreiten. Ich habe mir die von dir zusammengetragenen Vorschläge durchgelesen, und ich muß sagen, daß deine Liste besser ist als ich gedacht habe.
Aber gut ist sie nicht, und ich fürchte, sie wird das auch niemals sein. Weil die Liste nur deine Ansichten wiedergibt oder nur das, was du an anderen Vorschlägen für gut befunden hast. Das kann auch gar nicht anders sein, denn nicht alles, was da an Vorschlägen eingegangen ist, kannst du gut heißen, dafür sind wir alle zu sehr Individualisten. Gewiß, wir haben Gemeinsamkeiten, aber in wichtigen Dingen sind wir oft unterschiedlicher Meinung, was die häufig kontrovers geführten Diskussionen zu den einzelnen Geschichten beweisen.
Diese Liste wird, wenn sie einmal veröffentlich wird, entweder der kleinste gemeinsame Nenner all derjenigen sein, die hierzu Vorschläge unterbreitet haben werden, oder aber ein Sammelsurium unterschiedlichster Ansichten, aus denen sich ein Autor das Seine herauspicken kann, um damit gleich bei diejenigen anzuecken, die diese Meinung nicht teilen. 
Erklärtermaßen bin ich für die Vielfalt, daher hier meine Bemerkungen zum Thema:
vita schrieb:
Achte darauf, genug Absätze zu machen. Stellen, an denen sich Absätze anbieten, sind zum Beispiel:
beim Wechsel einer Szene: "Er verließ die Bar. Zu Hause angekommen..."
beim Wechsel des Sprechers: "Tom sagte: "Wieso?" "Darum", antwortete..."
beim Wechsel des Inhalts: "bla bla, Autos, bla bla, bla bla, du musst mir noch viel Geld geben"
In jedem dieser Fälle ist es möglich, dass der Leser, der den Text mitunter vielleicht nur überfliegt, den Wechsel der Szene, des Sprechers, der Thematik, nicht mitbekommt.
Hier fände ich es besser, wenn man nicht nur sagt, wie es besser wäre, sondern auch zeigt, wo die Absätze hingehörten.
vita schrieb:
Eine klassische Kurzgeschichte hat eine Einleitung, einen Hauptteil und einen Schluss. Der Leser wird ohne viel Vorspiel mitten in die Geschichte geworfen und verlässt sie relativ abrupt wieder.
Diese zwei Sätze widersprechen sich. Besser wäre es, darauf hinzuweisen, daß eine kg Einleitung, Hauptteil und Schluß haben kann, und daß andere Formen genauso legitim sind – es sind alle Formen aufzuführen, denn alle sind, wenn überhaupt, klassisch.
vita schrieb:
Harpunen funktionieren zwar auf dem Meer, sind auf dem Land als Jagdwaffe jedoch denkbar ungeeignet
Dies ist eine unnötige Einschränkung, eine Harpune kann auch außerhalb des Wassers als Waffe eingesetzt werden, sie ist sogar wirkungsvoller.
vita schrieb:
Vermeide als Einstieg Suizid-, Bettler- und Drogengeschichten, denn die Dramatik einer Geschichte ist nicht die Hauptsache.
So kategorisch gesagt stimmt das nicht. Besser: Dramatik muß nicht die Hauptsache einer Geschichte sein. Noch besser wäre es, den ganzen Satz zu streichen, denn es gibt keinen Grund, warum ein Anfänger nicht diese Themen aufgreifen sollte!
vita schrieb:
pass auf die Perspektive auf
Bitte erklären, was eine Perspektive ist.
vita schrieb:
Plötzlich steckt der ganze Text voller Füllwörter, und man hat keine Ahnung, wie sie da hingekommen sind.
Bitte erklären, was Füllwörter sind. Und darauf hinweisen, daß auch Füllwörter eine Funktion haben – sonst gäbe es sie nicht.
vita schrieb:
#) Achte auf Wortwiederholungen.
Oftmals verfolgt man einen Gedanken, das führt dazu, dass im folgenden (oder übernächsten) Satz ähnliche Worte erneut vorkommen. Ersetze diese durch Synonyme.
Bitte darauf verweisen, daß Wortwiederholungen auch ein Stilmittel sein können, daß sie zum Beispiel die Dringlichkeit oder die Einzigartigkeit einer Situation oder einer Sache betonen helfen.
vita schrieb:
Die Handelnden, der Held, der Schurke, die Frau, alle sollten plausibel sein und plastisch dargestellt.
Das kann man so nicht sagen, es sollte schon Unterschied zwischen Protagonisten und den Statisten da sein, sonst verzettelt man sich und das hält die Geschichte auf.
vita schrieb:
Ein Bauarbeiter denkt nicht an "alabasterweiße Haut".
In dieser Absolutheit ist das ein Klischee. Es gibt Bauarbeiter mit Abitur oder Studium, andere, die kunstinteressiert oder selbst Künstler sind, oder welche, die schon eine Alabasterskulptur aufgestellt haben und daher wissend sind, etc.
vita schrieb:
#) Benenne keine Gefühle, beschreibe sie.
Statt einfach zu schreiben "A ist traurig" beschreibe besser die Effekte, die diese Traurigkeit auf A hat: "A fühlte sich, als würde sein Inneres von einer Baggerschaufel ausgehöhlt." (Wir erinnern uns: A ist Bauarbeiter! )
Diese Methode ist auch zur Schilderung von Situationen und Gefühlen vorzuziehen. Also nicht "Es war unheimlich", sondern undurchdringliche Dunkelheit, knarrende Türen etc. beschreiben. Nicht "X hatte Angst", sondern das Gefühl von beschleunigtem Herzschlag und Atmung, erweiterte Augen, offenen Mund, Gänsehaut etc beschreiben, wobei "Gänsehaut" z.B. auch noch eher platt ist. Überlegen, wie sich das wirklich anfühlt. Als würden viele kleine Insekten über die Haut krabbeln? Als würde eine Flüssigkeit den Rücken hinunterlaufen? Als wäre die Haut plötzlich zu eng für den Körper?
(Das nennt man übrigens im englischen Sprachraum "Show don't tell".)
Die meisten Beispiele gehören auf den Müll. Beispiele: Undurchdringliche Dunkelheit muß nicht unheimlich wirken, und wenn Gänsehaut platt ist, dann ist eine knarrende Tür das schon zweimal.
vita schrieb:
#) Nicht mit Adjektiven charakterisieren. Also nicht schreiben "X war ein böser Mensch", sondern ihn etwas Böses tun oder sagen lassen. Diese Methode kann man gut aus Filmen oder Theaterstücken lernen, wo es gar nicht anders geht.
Wieso das? Ein Mensch kann auch durch das Gerede anderer Leute charakterisiert werden, ja er muß gar nicht persönlich auftreten, sondern nur in Gedanken oder Gesprächen anderer präsent sein. Auf diese Weise kann man zum Beispiel zeigen, daß ein sogenannter böser Mensch in Wirklichkeit gar nicht bös ist.
vita schrieb:
Dieser Punkt ist zu überarbeiten, denn die dortigen Beispiele sind größtenteils nur Schmarrn: ging langsam ist nicht das gleiche wie schleichen, lief was anderes als taumelte/wankte/schlurfte, und ging was anderes als rannte/flitzte/hüpfte. -> Man soll immer das Wort benutzen, das am besten das trifft, was ein Autor vor seinem inneren Auge sieht, alles andere ist Kokolores.
vita schrieb:
keine witzigen Vergleiche in todernsten Situationen.
Wieso nicht? Es gibt auch tragikomische Geschichten.
vita schrieb:
#) Der Dialog
Du kannst deine Protagonisten noch so gut beschreiben und charakterisieren; Leben hauchst du ihnen erst ein, wenn du sie zu Wort kommen lässt.
Schmarrn.
vita schrieb:
Zuviele Sprechverben bremsen den Lesefluss und provozieren Wortwiederholungen. Deshalb sind Nachsätze die elegantere Variante.
Schmarrn.
vita schrieb:
Ein Arzt wird sicherlich anders sprechen als ein Handwerker
Klischee. Siehe auch oben die Bemerkung über „den“ Bauarbeiter.
vita schrieb:
Vor dem Posten solltest du die Geschichte noch einmal eine Weile liegenlassen, je nachdem, wie fit du in Rechtschreibung, Grammatik und Stil bist, ein paar Stunden bis ein paar Tage. Danach lies den Text noch einmal durch, dann hast du ein bisschen Abstand gewonnen. Vielleicht fallen dir jetzt noch Holprigkeiten auf, die du beim ersten Schreiben gar nicht gesehen hast?
Vielleicht sollte man hier darauf hinweisen, daß das Überarbeiten auch Nachteile haben kann – es kann eine Geschichte verwässern. Vor allem Geschichten, die in einem Rutsch, in einem emotionalen Ausnahmezustand geschrieben wurden, haben meistens viel Herzblut inne, das beim Versuch, die Geschichte zu glätten oder in Form zu bringen, verloren gehen kann. Ich meine hier ausdrücklich nicht die Grammatik- oder Schreibfehler, die sollten schon beseitigt werden, sondern politische und sonstige Ungerechtigkeiten oder gar Ungeheuerlichkeiten, die ein Autor hat unbewußt einfließen lassen.
Noch etwas von mir: Etwas, das der Leser schon weiß (oder wissen müßte), nicht mehr noch einmal erzählen, es sei denn, es sprechen trifftige Gründe dafür. Mit anderen Worten: Jeder Satz soll etwas Neues bringen, dann kann schwerlich Langweile entstehen.
Zuletzt noch ein paar Weißheiten, die ich für sehr treffend halte – vielleicht kann man sie in der Liste irgendwo unterbringen, möglicherweise sogar als Motto voranstellen:
Allen Ginsberg schrieb:
Der erste Gedanke ist der beste Gedanke. Beobachte, was lebendig ist. Bemerke, was Du bemerkst. Ertappe Dich beim Denken.
Roland Barthes schrieb:
Der Text, den ihr schreibt, muss mir zeigen, dass er mich begehrt.
Pablo Picasso schrieb:
Der größte Feind der Kreativität ist der sogenannte gute Geschmack.
Dion
PS: Ich habe nur vitas Liste gelesen, ich weiß also nicht genau, von wem die darin enthaltenen Regeln bzw. Beispiele kommen. Und das Ganze ist wie immer nur meine ganz persönliche Meinung.