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Urlaub im Bus
Urlaub auf Balkonien, das kann doch jeder. Ist außerdem total einfallslos. Eine Gartenpalme von OBI, Fertigcocktails für 1.49 Euro von Penny Markt, Reggaemusik und schon kommt Urlaubsfeeling auf. Ich habe das früher auch ganz gerne gemacht, doch mittlerweile erinnere ich mich da nicht mehr an Urlaub, sondern erinnere mich an den letzten Sommer, den Sommer davor und den Sommer davor, als ich exakt das Gleiche tat. Meine Kumpels sind alle mit ihren Freundinnen im romantischen Liebesurlaub. Nein danke, nichts für mich.
Aber Erholung braucht doch jeder, also packe ich eine Cola aus dem Kühlschrank in die Gefrierbox, ziehe meine Sonnenbrille an, packe ein Buch ein, nehme meine Musikboxen für unterwegs mit und verlasse das Haus. Ich habe mir vorgenommen Urlaub zu machen und ich werde Urlaub machen, mal sehen, wohin es mich verschlägt.
Zuerst gehe ich zu Subway, denn seelische Erholung kann sich nur dann einstellen, wenn es auch dem Körper gut geht.
Mmh lecker, was will ich denn heute auf mein Sandwich?
Ich verlasse Subway und trete hinaus auf die Straße. Tief einatmen, ja ich spüre es, so duftet Urlaub, es warm, aber nicht heiß, ideal.
Ich überlege erst gar nicht, wo ich hingehen soll, sondern gehe einfach. In der Nähe ist eine Bushaltestelle, gut, dieser Bus bringt mich bestimmt zu meinem Urlaubsziel, wo immer das auch sein wird.
Sehr schön, ganz hinten sind Plätze frei. Ich mache es mir gemütlich, fange an zu futtern, dreh die Musik auf und gucke aus dem Fenster.
Da draußen hetzten sich die Leute ab, verladen hastig ihre Einkäufe in ihre Autos, kaum sitzen sie in ihren Autos, schimpfen sie, wenn ihnen ein Fahrradfahrer die Vorfahrt nimmt und verfluchen jede Ampel, die es wagt vor ihrem Wagen rot zu werden. Als ob es nichts Wichtigeres gibt?!
Ich strecke die Beine aus und lege sie auf den Sitz neben mir.
„Entschuldigen Sie bitte, ist da denn noch frei?“
Ein kleines Mädchen mit einem kastenförmigen Schulranzen, der so hoch hinter ihr hängt, dass sie ihn auch gleich auf den Kopf stellen kann, steht plötzlich neben mir und zeigt auf meine Füße.
„Äh klar, setzt dich doch, wie heißt du denn?“
„Marlena“
„Marlena, mmh schöner Name, kommst du aus der Schule?“
„Ja, heute haben wir da Löwenzahn angeguckt!“
„Löwenzahn, soso, in welcher Klasse bist du denn?“
„In der dritten“, sagte sie und streckte mir drei ihrer winzigen Finger vors Gesicht.
„Und du fährst ganz alleine mit dem Bus durch die Stadt?“
„Ja, Mama sagt ich bin schon ein großes Mädchen und Mamas Freund sagt, er will mich nicht abholen, weil ich schon früh genug heimkomme. Ich fahr nicht mim Schulbus, da bin ich so schnell zu Hause und werde geschimpft.“
„Was?“, das schockte mich jetzt doch.
„Ach das macht nix, ich fahr gerne Bus, das macht Spaß!“
Ich sah Marlena an, sie lächelte und guckte aus dem Fenster während sie ihre Beine baumeln ließ. Indertat, sie sah glücklich aus.
„Wie heißt du eigentlich?“, sie hatte ihre Blick vom Fenster abgewandt und lächelte mich an.
„Matze.“
„Das ist ein komischer Name“
„Ja, wahrscheinlich“, ich schmunzelte und schenkte uns beiden erst mal ein Glas Cola ein. Wir fuhren noch ein Stück gemeinsam, bis Marlena ausstieg und sich verabschiedete.
Hier sah ihr nach, als sie die aus dem Bus hüpfte und bedankte mich in Gedanken bei meinen Eltern für meine unbeschwerte Kindheit.
Ich beobachtete jetzt nicht mehr das Leben auf der Straße sondern im Bus.
Da war zum Beispiel eine alte Dame, die das Schild „Während der Fahrt, bitte nicht mit dem Fahrer sprechen!“ einfach ignorierte und mit dem Fahrer über das schöne Wetter plauderte.
Als der Bus in einem Wohngebiet hielt, stieg eine Frau mit zwei Kindern ein. Wahrscheinlich die typische Familie. Vater arbeitet und hat das Auto und Mami fährt mit den kleinen ein Eis kaufen. Wie langweilig, wie klischeehaft.
„Jonas nein, ihr geht jetzt nicht heim!“
„Aber ich will nicht schon wieder zu Oma.“
„Ich habe es dir doch schon so oft erzählt, ich muss arbeiten gehen, der Kühlschrank füllt sich nun mal nicht von alleine. Außerdem kocht euch Oma sicher was Leckeres zu essen“
„Omas Essen riecht aber so komisch“
„Verena, bitte. Sag das bloß nicht Oma, ich hol euch heute Abend wieder ab und dann kochen wir uns leckeren Pudding, wie wär das?“
„Okay“
„Ja, gut Mama“
Ich stelle lieber meine Musik wieder an, ich will schließlich niemanden belauschen.
Im Stadtzentrum steigt eine Gruppe von Jugendlichen ein, ein Haufen gackernder Mädchen der Marke „XY von der Boygroup sowieso ist ja soooooo süß!“. Sie setzen sich zusammen und tuscheln und kichern miteinander. Mädchen …
Die Musik sollte wohl noch lauter sein, ich stelle sie lauter, lege die Füße wieder hoch und fange an zu lesen. Goethes Faust, das kommt so gebildet rüber. Zwar studiere ich nicht, habe es nie getan und werde es auch nie tun aber es tut dem Ego gut, wenn man später behaupten kann, man hat Goethe gelesen, auch wenn man rein gar nichts davon verstanden hat, was dieser offensichtlich geistig verwirrte Wortschatzpicasso einst auf ein unschuldiges Blatt Papier kritzelte. Sei’s drum.
Ich komme nicht allzu weit mit meinem Buch, da werde ich schon wieder unterbrochen.
„Mandarinenmatze!“
Autsch, ich hatte diesen Spitznamen verdrängt. So wurde ich in der Schule immer genannt, weil meine Mutter meinte, sie müsse mir immer eine Mandarine als Vesper einpacken. Diese Dinger kann ich bis heute nicht leiden.
„Hey Fritz, Mensch lange nicht gesehen, seit dem letzten Klassentreffen“, und ich bin da auch ganz froh drum.
„Na wie geht’s dir? Ich bin gerade auf dem Weg zur Arbeit, der Wagen ist gerade in der Werkstatt und Teresa, meine Verlobte, ja ich komme bald unter die Haube, braucht ihr Auto um die letzten Sachen in die neue Wohnung zu bringen. Wir wohnen seit kurzem zusammen. Aber jetzt erzähl schon, was machst du so?“
Erzähl schon ist gut, du lässt mich ja nicht zu Wort kommen, habe ich da was nicht mitgekriegt, hat mein imaginärer Doppelgänger ihn etwa aufgefordert, aus seinem Leben zu referieren?!
„Ach, dies und das. Herzlichen Glückwunsch“
„Danke, oh, du liest Faust, tolles Buch“
„Ja man muss ja mal was für seine Bildung tun, nicht wahr?!“ Ha, und schon hat es sich gelohnt, das Buch zu kaufen. Außerdem war die Kleine aus der Buchhandlung echt süß.
„Am besten gefällt mir die Stelle, wo…“
Ich muss mit diesem imaginären Doppelgänger mal ein ernstes Wörtchen reden, oder hat hier sonst irgendjemand Fritz aufgefordert einen Faustvortrag zu halten?! Ich höre ihm gar nicht zu, sondern denke weiter über die kleine aus dem Buchladen nach, ich denke ich könnte sie mal nach ihrer Nummer fragen, vielleicht hole ich mir das nächste mal was von Schiller, Lessing oder wie sie nicht alle heißen. Boah - ist das hier heiß im Bus, die Karibik ist nichts dagegen, ob ich auf dem Sitz wohl ein Steak grillen kann?
„Also dann, ich muss hier raus. Hoffentlich sehen wir uns bald mal wieder. Und ich setze dich auf die Gästeliste für die Hochzeit. Ciao.“
Kann’s kaum erwarten…
„Toll, ich freu mich schon. Sers“
Die Mädchengruppe hat mittlerweile zu kichern aufgehört, jetzt stecken sie dir Köpfe zusammen und brüten über einem Stadtplan. So, so, sind also gar nicht von hier. Ich beobachte sie noch ein paar Minuten, bis sie so verzweifelt wirken, dass sie mir Leid tun.
„Hey, kann man euch helfen?“
„Ja, wie suchen den Theaterplatz, wissen Sie wo der ist?“
„Äh, mmh ja, ist gar nicht so schwer, aber ihr fahrt in die falsche Richtung. Steigt am besten am Hauptbahnhof aus, da kommen wir gleich vorbei. Direkt beim Bahnhof ist auch die S-Bahn-Station. Nehmt am besten die Linie 5, die fährt direkt zum Theaterplatz, ist idiotensicher.“
„Dankeschön, da sind wir aber erleichtert, sie haben uns gerettet!“, grins, Zahnspange.
„Kein Problem“
Ich setzte mich wieder an meinen alten Platz. Mann, das wird immer heißer hier, hoffentlich fährt der Bus bald in die andere Richtung, sonst krieg ich noch ne Truckerbräune.
Die Mädchen haben mittlerweile wieder angefangen zu tuscheln und zu kichern, wobei sie immer wieder verstohlen zu mir hintergucken und sich schnell wieder rumdrehen. Gott mach, dass sie wirklich am Hauptbahnhof aussteigen. Ob das bei der Kleinen aus dem Buchladen auch funktioniert. Ihr bei etwas helfen und dann in der Nähe zu bleiben, so dass sie mich beobachten kann? Einen Versuch wär’s wert.
Ich beobachte weiter die Leute, die in den Bus steigen und auch wieder aus. Draußen geht das geschäftige Alltagstreiben weiter und ich, ich sitze hier einfach im Bus. Da fällt mir mein eigentliches Vorhaben wieder ein, ich wollte doch in den Urlaub fahren. Hätte ich am Freibad aussteigen sollen?
„Wisse se, es isch ja scho sche, wenns woarm isch, abba es isch so heiß, da hab ichs dann manchmal doch mim Kopf“
Ich muss lachen, das ist schon die vierte Rentnerin an diesem Tag, die den Fahrer mit dem aktuellen Wetterbericht versorgt. Wahrscheinlich denkt der gerade über eine Umschulung zum Meteorologen nach.
Da fällt mir etwas auf. Ich sitze jetzt schon stundenlang im Bus und es ist nicht langweilig geworden. Ganz im Gegenteil, es war echt cool, lustig, lehrreich und erholsam. Kurzum, genau so wie es im Urlaub sein sollte. Als gerade „Schiiiiiiiiiiiiiiiiii foan“ im Discman dudelt, erkenne ich, dass ich mein Ziel längst erreicht habe. Ich bin im Urlaub, nicht auf Balkonien sondern im Bus. Der perfekte Sommertag, okay, ich sollte doch lieber eine andere CD einlegen.