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Urlaubsgrüße
Es war eine unruhige Nacht im Februar. Alles Hölzerne im Haus ächzte, gab ein jämmerliches Konzert der schiefen Töne, und ich wälzte mich bis Mitternacht in meinem Bett. Ich war seit drei Wochen Single, und auch wenn es noch an mir nagte, erklärte es nicht diese plötzliche Aufruhr, die nicht nur über mich, sondern über das ganze Haus gekommen war.
Das Schwarz vor meinen geschlossenen Augen wurde rot.
Ich öffnete sie, und sah eine Kugel aus Licht zwei Meter über dem Boden langsam nach rechts schweben.
Sie war weiß wie reflektierender Schnee und etwas größer als ein Menschenkopf. Ihre Ränder waren fransig, fast zackig, wie das Blatt einer Kreissäge. Das Zimmer war in eine dumpfe Helligkeit getaucht, als leuchte eine Neonröhre, über die man ein schwarzes Tuch gezogen hatte.
Im Bett sitzend starrte ich für Sekunden fassungslos in diesen schwebenden Schneeball, bis meine Augen schmerzten.
Rechts, neben der Tür, befand sich mein Schreibtisch mit der hölzernen Tischplatte und den Beinen aus Aluminium.
Auf diesen bewegte sich das Ding zu.
Dabei senkte es sich, als wolle das Kreissägenblatt die Tischplatte durchschneiden.
Der Tisch stand da wie eine hilflose Geisel.
Seine Beine schienen zu zittern. Ich rückte an den linken Rand des Bettes, weg von der unheimlichen Kugel, und sah zu, wie sie das Material misshandelte. Wie ein Rad mit scharfen Kanten fuhr sie über die schwarz lackierte Tischplatte, ohne wirklich an ihr zu sägen. Knarrend bog sich das Holz nach unten, als laste ein schweres Gewicht auf ihm. Das Knarren wurde zu einem Quietschen, und unter der Platte fielen graue Tropfen auf den Holzboden.
Nachdem sie minutenlang die Holzplatte malträtiert hatte, verformte sich die Kugel zu einer zylinderförmigen Hülse und umschlang das erste der Alubeine. Ich konnte ein helles Winseln hören, ein Ton, gerade noch tief genug, um ihn mit dem menschlichen Ohr zu erfassen.
Auf- und abwandernd wichste die Hülse über das Metall.
Nach dem alle vier Beine die Folter hinter sich hatten, war der Tisch kleiner geworden. Die Beine hatten Falten gebildet und sich zusammengezogen. Der Lack war aufgerieben.
Die Kugel wanderte weiter.
Alle bösen Kräfte hatten sich zu diesem wesenlosen Monstrum vereint. Ich konnte die Feindseligkeit spüren, als hätte sich die Aura des Teufels im Raum verteilt. An der Wand entlang wanderte es zur Tür und verharrte.
Das Weiß wurde dichter. Es kam auf mich zu. Ich vergrub mein Gesicht in das Kopfkissen, zitterte und kämpfte mit dem Schließmuskel meiner vollen Blase.
„Lass mich, bitte!“, schrie ich in das Kissen hinein, während ich fühlte, wie sich die Energie meinem Körper näherte.
Was sollte ich hier mit Worten ausrichten? Mag sein, dass diese Gestalt intelligent war, außer Hass hatte sie jedoch nichts Lebendiges an sich. Ich hoffte nur noch auf Gottes Gnade, auf Mitleid, das dem Tisch verwehrt gewesen war.
Mein Gott, das war ein toter Gegenstand, ich aber bin aus Fleisch und Blut! Vielleicht würde ich schon bei der ersten Berührung sterben – Herzinfarkt, Hirntod, Ersticken, und vielleicht wäre es sogar ein Segen, verglichen mit einem qualvollen Tod durch die willkürliche Folter dieser Hasskugel.
Zuerst spürte ich es in meinem Arsch. Der ganze Bereich um meinen After, bis hinein in den Darm, schmerzte, als werkten hundert kleine Sägen darin. Durch die Sägen schien eine Energie zu laufen, anders als elektrischer Strom, unangenehmer, ein Strom des Bösen. Dazu fühlte ich abwechselnd starke Hitze und Frost in meinem Unterleib. Ich sah an mir herab. Eine leuchtende Halbkugel ragte zwischen meinen Beinen heraus, und über meiner Bauchdecke bildete sich eine Art fluoreszierender Nebel. Nach ein paar Minuten schlüpfte das Ding aus mir heraus und umschlang meine Beine, dann meinen ganzen Leib. Es epilierte meine Haare, während es an meiner Haut zog, als wolle es zwischen Knochen und Fleisch eine Luftschicht schieben.
Es zieht das Fell ab…zieht mein Fell ab, kam mir in den Sinn. Ich überlebte.
Die Kugel entzog mir die Kontrolle über meine Muskeln. Sie ließ ihre Kraft auf meinen Kopf wirken. Eine kleine Veränderung der Wirkungspunkte, und das Wasser, Fett und Blut unter meiner Haut würden heraus rinnen wie die Feuchtigkeit aus einem Schwamm. Es kam anders. Meine Augen öffneten sich so weit, bis ich dachte, die Schädeldecke klappt auf. Mein Maul öffnete sich ebenfalls, dabei renkte sich mein Kiefer aus.
Am Ende schrumpfte die Kugel auf die Größe einer Videokassette und verschwand in meinem Gehirn.
Mein Kopf war das Abspielgerät. Was jetzt vor meinem inneren Auge ablief, war realer als das Leben selbst.
Ich spürte mein Ego so stark, dass ich mich hassen musste.
Ich! Ich! Ich! Ich erdrückte mich.
Vor meinem geistigen Auge war ich wieder mit Andrea zusammen. Vor drei Wochen hatte sie mit mir Schluss gemacht. Ich hatte es zu weit getrieben. Kaum noch hatte ich ihr Beachtung geschenkt, und einmal sperrte ich sie sogar Barfuss, nur mit Pulli und Unterhose bekleidet aus unserer gemeinsamen Wohnung, um sie los zu werden. Erst als sie mich verließ kam bei mir die Reue.
Jetzt ist sie weit weg.
Eine Woche nachdem sie unsere Beziehung beendet hatte, fuhr sie mit einer Freundin nach Schwarzafrika.
Urlaub als Trennungsmedizin.
In meiner von der Kugel auferlegten Welt schlug ich sie. Ich trat mit schwarzen, stahlbekappten Springerstiefeln in ihr Gesicht, als sie auf dem Boden lag. Dabei fühlte ich mich wie das letzte Schwein, konnte aber mein Verhalten nicht kontrollieren.
Ich war Täter, und im selben Moment Büßer.
Mein Geist wollte mich richten, Selbstmord begehen.
Stattdessen prügelten meine Hände auf Andreas Gesicht ein.
Den Nachgeschmack des unerträglichen Selbsthasses in meiner Seele hinterlassend, ließ die Kugel von mir ab.
Ich konnte nicht mehr aufstehen, verfügte kaum noch über Muskelkraft.
Die Kugel hatte sie mir abgesaugt. So lag ich da, ohne Wasser, geschockt, an die Wand starrend, nachdenkend, ängstlich, abwartend. Bis es wieder finster wurde.
Ich fragte mich, ob das Ding in dieser Nacht wieder kommen würde. Warum sollte es nicht? Warum sollte es? Wenn ja, was könnte ich tun?
Die Nacht blieb ruhig. So lag ich noch einen Tag und eine weitere Nacht in meinem Bett.
Neben der Ungewissheit quälte mich der Durst immer mehr. Ohne Nahrung kam ich nicht zu Kräften, war nicht fähig, mich zum Wasserhahn zu bewegen.
Ich drohte zu verdursten, als am dritten Tag nach dem Horror plötzlich Andrea in der Tür stand.
„Hallo Frank. Du siehst aber mitgenommen aus. Wir sind gestern aus Afrika zurückgekommen. Ein spannender Urlaub. Ich dachte, ich besuch dich heute mal, hab nämlich fast ein schlechtes Gewissen. Wir waren bei einer echten Voodoozauberin. Schade dass wir die erst am letzten Abend entdeckt haben. Sie arbeitet mit transportierbaren Energien. Wir sollten an einen Menschen denken, an dem wir uns rächen wollen. Was denkst du, wer mir da eingefallen ist?“
Sie sah etwas verlegen an die Decke, betrachtete mich erst jetzt genau, und ein Entsetzen fuhr in ihre Augen.
Kaum fähig zu sprechen, röchelte ich: „Wasser. Gib mir Wasser.“