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Uxmal

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12.01.2009
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Uxmal

Die von zahllos durchwachten Nächten in sein Gesicht geprägten, schwarzen Ringe unter seinen Augen, die unordentliche, teils blutverschmierte Kleidung und sein wirres, strähniges Haar waren nur unbedeutende Nebenerscheinungen zu dem wahnsinnigen Ausdruck in seinen Augen, der mich schaudern ließ.
Es war als hätte mein Onkel einen Blick über die Grenze geworfen, welche die rationale Konstruktion unserer Wirklichkeit von dem Abgrund des Irrsinns trennt und hätte den Weg nicht ganz zurückgefunden. Wenn ich heute daran denke, zweifle ich immer mehr, ob mein Onkel den Weg zurück überhaupt finden wollte, oder ob der Wahnsinn für ihn eine Art Schild war - dass die gnädige Umarmung des Irrsinns ihn vor der Erkenntnis schützte, dass tief in ihm, auf den unbewussten Ebenen seines Verstandes eine Wahrheit lag, die ihn in schlimmere und dunklere Tiefen als die geistige Umnachtung gestoßen hätte.
Ich halte mich selbst für einen aufgeklärten Menschen, doch die Geschichte meines Onkels zeigte mir, dass der Wahn nicht das schlimmste ist, was dem menschlichen Verstand zustoßen kann. Er kann die Sicht auf Dinge verhüllen, für die die unsere Psyche nicht geschaffen ist, die selbst menschliche Begriffe nicht beschreiben, geschweige denn benennen können. Und das kann, wie ich jetzt weiß, eine Gnade sein.
Man hatte mich von der Nervenklinik aus einen Boten gesandt und als mir mein Butler mit vor Schreck geweiteten Augen die Nachricht in das Kaminzimmer brachte, wusste ich mit Gewissheit dass etwas Schlimmes mit meinem letzten Familienangehörigen geschehen sein musste.
Mein Onkel hatte die letzten Jahre, nachdem er aus Altersgründen seine Stellung bei der weltweiten Minengesellschaft, für die er 30 Jahre lang als Bauingenieur gearbeitet hatte, aufgegeben und seine Zeit mit wunderlichen anthropologischen Studien und geologischen Untersuchungen im südamerikanischem Raum verbracht, was ich ihm, nachdem er sich fast sein ganzes Arbeitsleben lang hauptsächlich unter Tage aufgehalten hatte, voll und ganz zugestand, obwohl mich seine monatelangen Reisen in zivilisationsferne Gegenden der Welt oft mit Sorge erfüllten, das letzte Bindeglied in die Vergangenheit und in meine Kindheit zu verlieren.
Er lag wie aufgebahrt auf einer Krankenhausprietsche, mit Lederriemen am Metallgitter des verschiebbaren Bettes fixiert, während sein Atem mit rasselnden Geräuschen einem immer schneller werdenden Takt folgte, dann plötzlich ganz inne hielt und sich wieder langsam beginnend zu einem Keuchen steigerte, um in einem fürchterlich langen und hohem Winseln zu enden, das dem schmerzerfülltem Jaulen eines angefahrenen Hundes ähnelte.
Der Arzt, der mich bereits am Eingang zu dieser über die Grenzen Londons bekannten Nervenheilanstalt empfangen und über die Vorkommnisse die zur Einlieferung meines Onkels führten, unterrichtet hatte, erklärte mir, dass mein Onkel sich seit seiner Ankunft schon, also seit mehr als vier Stunden in diesem ungewöhnlichen Zustand befand und nicht einmal das stärkste Beruhigungsmittel, das ihm verabreicht wurde, das grässliche Kreischen unterdrücken konnte, welches der Arzt, wie er mir unter Schulterzucken gestand, noch nie in seiner gesamten Laufbahn als renommierter Doktor der Psyche in einer derartigen Heftigkeit, nicht einmal bei den schwersten Fällen der Epilepsie, erlebt hatte.
Meinen Onkel als einen wimmernden, gebrochenen Mann wiederzusehen - zuletzt war er mir vor dreieinhalb Monaten begegnet, bevor er zu einer Reise nach Yucatan aufbrach - bedeutete für mich, der ich ihn als einen stattlichen Mann von Welt und einen englischen Gentleman kannte und achtete, ein besonderes Entsetzen.
Doch zunächst war meine Aufmerksamkeit auf den Blick meines Onkels gerichtet, der starr auf mich fokussiert zu sein schien, aber so leer von Erkennen und Wissen ob meiner Anwesenheit war, dass ich nicht sicher sein konnte ob mein Onkel ansprechbar war oder überhaupt über seine demütigende Position Bescheid wusste.
Ich versuchte ihn am Arm zu fassen, um ihm damit die Anwesenheit einer bekannten Person mitzuteilen, doch er zuckte zusammen und wimmerte wieder dieses laute und langgezogene Jaulen, das mir eine Gänsehaut auf den Rücken zauberte, die langsam vom Nacken zum Steiß wanderte und mich unangenehm frösteln ließ.
Ich fragte den Arzt nach seiner Diagnose, was dieser wieder mit einem Schulterzucken quittierte und ausschweifend von einem hysterischen Anfall, wahrscheinlich ausgelöst durch übermäßige Anstrengungen, sprach. Ich bemerkte, dass er genauso ahnungslos war wie ich. Auf die künftige Verfahrensweise angesprochen, antwortete der Arzt, mein Onkel müsse zur Untersuchung im Krankenhaus bleiben, da er aber meinen Ruf als hervorragenden Psychiater kenne, würde auch die Möglichkeit bestehen, meinen Onkel auf meine eigene Verantwortung hin mit mir zu nehmen und ihn zu Hause zu versorgen, was ich natürlich sofort annahm und den Arzt um einen Transport meines Onkels zu meinem Haus bat.

Mir war natürlich bewusst, dass der Arzt aus der Nervenheilanstalt froh war, meinen Onkel nicht weiter behandeln zu müssen. Die Angst einen Patienten aufgrund einer falschen Diagnose mit Behandlungsmöglichkeiten zu schaden ist bei jedem Arzt vorhanden, und hier war es aufgrund der doch sehr ungewöhnlich Symptomatik schwer, eine richtige Diagnose zu stellen.
Ich hingegen war auch froh, denn wenn weiterhin kein Beruhigungsmittel angeschlagen hätte, wären die Ärzte in der für meine Begriffe sehr altmodischen Heilanstalt noch auf den Gedanken gekommen, meinen Onkel mit ihren geringen Fähigkeiten der Dosierung starker Schlafmittel ruhig zu stellen.
So hatte ich ihn nun bei mir im Haus und konnte meine ganze Fürsorge auf ihn verwenden.
Ich ordnete den Fahrern des Krankentransports an, meinen immer noch laut kreischenden Onkel in das Gästezimmer zu legen, ihn aber erneut zu fixieren. Währenddessen mischte ich eine Lösung aus Morphium und Chloroform an, um sicher gehen zu können, dass mein Onkel einschlafen und in einem tiefen, traumlosen und erholsamen Zustand dem nächsten Morgen entgegen dämmern würde.
Ich begab mich in das Zimmer in dem mein Onkel gerade mit weißen Bänder gefesselt wurde und verabreichte ihm die Lösung mittels einer Spritze. Er stierte immer noch abwesend in die Luft auf einen nur für ihn existenten Punkt, doch langsam machte sich das Mittel bemerkbar und sein Blick schien zu brechen, bis sich langsam seine Augen schlossen und das Atmen ruhiger und regelmäßiger wurde.
Ich bedankte mich bei den Fahrern und wollte ihnen ein üppiges Trinkgeld für ihre nächtlichen Mühen geben, als mir der eine von ihnen einen kleinen, groben Leinensack, früher weiß, doch jetzt vom langen Gebrauch verblichen, mit den Worten überreichte, das Bündel hätte sich im Besitz meines Onkels befunden.
Ich nahm es und war von der Schwere des Inhalts überrascht, anscheinend war der Inhalt aus Metall oder Stein aber von geringem Durchmesser, war doch der Beutel nicht größer als eine Damenhandtasche.
Nachdem ich das Säckchen auf dem kleinen Tisch neben der Tür zum Gästezimmer gelegt hatte, begleitete ich die beiden Fahrer zur Haustür und versperrte das Schloss hinter ihnen. Danach begab ich mich in das Kaminzimmer um Pfeife zu rauchen und über den seltsamen Zustand meines Onkels nachzudenken.

Ich hatte mich gerade in ein wissenschaftliches Werk über hysterische Anfälle vertieft, einige Symptome wiesen doch darauf hin, wobei das seltsame Jaulen und die Resistenz gegen die Beruhigungsmittel sehr seltsam erschienen und nicht in das Bild eines durch Überbeanspruchung der psychischen Konstitution und dem damit zusammenhängenden Zusammenbruch passen wollten, als ich aus dem ersten Stock, also da wo das Gästezimmer lag, ein lautes Kreischen vernahm, gefolgt von einem unheimlich lauten Klirren von Glas und dem jetzt typischen Kreischen meines Onkels, doch diesmal viel lauter und markerschütternder als jemals zuvor. Ich sprang aus meinem Sessel auf und gerade als ich die Tür zur Halle öffnete, verstummten die Geräusche im ersten Stock auf einen Schlag, als wären die Schallwellen auf dem Weg zu mir in der Mitte durchgeschnitten worden.
Der unerwartete Ausbruch hatte mich schon erschreckt, doch diese plötzliche Stille war noch beunruhigender und ich hetzte die Treppe hinauf, während ich laut nach meinem bereits zu Bett gegangen Butler rief. Die Tür zum Zimmer meines Onkels war verschlossen und so musste ich erst ungeduldig meinen Schlüsselbund nach dem richtigen Schlüssel durchsuchen, wobei ich viel Zeit verlor, bis ich die Tür endlich entriegelte und sie mit heftigem Schwung öffnete.
Das Bild das sich mir bot war so unglaublich, dass ich erst einige Sekunden brauchte um zu realisieren, was in diesem Zimmer geschehen war.
Die ganze Wand neben dem großen Fenster zur Straße war blutverschmiert und auch von der Decke tropfte das hellrote Blut und gab der weißen Tapete durch den Kontrast das Aussehen eines chaotischen Gemäldes.
Mein Onkel lag vor dem Fenster in einem Scherbenhaufen, verkrümmt und immer noch gefesselt, was mich erst nicht erkennen ließ, dass nicht mein ganzer Onkel vor dem Fenster lag. Sein Hals endete an der zersprungenen Scheibe, sein Kopf fehlte und lag mutmaßlich auf der Straße. Irgendwie hatte mein Onkel es trotz der Betäubung geschafft, vom Bett aufzustehen und sich, gehindert von den Fesseln, Kopf voraus in die Fensterscheibe fallen zu lassen, sie zu zerbrechen, direkt mit dem Hals auf einer Bruchkante aufzuschlagen und sich damit, diese wie ein umgekehrtes Fallbeil verwendend, seinen Kopf abzuschneiden.
Mein Butler hetzte durch die Tür in dieses nun durch den schrecklichen Tod meines Oheims geschändeten Zimmers und stieß einen Schrei aus, als er sah, was sich zugetragen hatte. Ich legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm und gab ihm zu verstehen, er solle das Zimmer verlassen und sofort die Polizei informieren, was er mit einem dankbaren Nicken quittierte und zitternd das Zimmer verließ.
Zurückblickend muss ich gestehen, dass ich aus heutiger Sicht immer noch nicht nachvollziehen kann, wie es meinem Onkel überhaupt gelungen war, das Bett zu verlassen. Selbst wenn durch eine seltsame biologische und exotische Krankheit, wie ich sie unter den jetzigen Umständen an meinem Onkel als Ursache für seinen seltsamen Anfall zu erkennen glaube, die Aufnahme der starken Dosierung des Betäubungsmittels im Gehirn durch noch unbekannte chemische Vorgänge gehemmt wurde, kann ich nicht erklären, wie er sich, gehindert durch die stark angelegten Fesseln, aufrichten und die für einen Gefesselten doch erhebliche Entfernung zwischen Bett und Fenster bewältigen konnte. Seine Knöchel waren so eng aneinander gebunden, dass nicht einmal ein Blatt Papier dazwischen gepasst hätte.
Man nimmt an, der Körper besitze geheime Kraftreserven, die in Zeiten größter Not verwendet werden können, doch nach der Position der Leiche meines Onkels zu schließen, musste er aufgestanden und in einem gewaltigen Satz vom Bett aus mit dem Kopf voraus durch das Fenster gesprungen sein, was, selbst unter Einfluss einer noch unbekannten Krankheit aus den Regenwäldern Mittelamerikas nicht möglich ist; mein Onkel hatte schon seit geraumer Zeit an einer Nervenerkrankung in den Beinen gelitten, die es ihm unmöglich machte zu springen.
Ich trat näher an den kopflosen Leichnam meines Onkels heran um ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Seine an den Gelenken miteinander fixierten Hände hatten sich zu Klauen gekrümmt und umklammerten mit eiserner Kraft ein graues Bündel, das über und über von Blut besudelt war.
Ich erschrak wie noch nie zuvor in meinem Leben und der Schauer der meinen Rücken hinunter kroch, ergriff meinen ganzen Körper und brachte ihn zum Zittern. Den Blick zwischen dem Bündel in den toten Händen meines Onkels und dem Tisch, auf dem ich das Säckchen mit dem schweren Inhalt mindestens vier Meter vom Fußende des Bettes entfernt abgestellt hatte, hin und her wandern lassend, trat ich einen Schritt zurück und zählte in Gedanken von zehn abwärts, was sich als eine wirksame Methode zur Überwindung eines Schocks herausgestellt hatte, doch der Tisch an der Tür war, als ich bereits bei eins angelangt war, immer noch leer, mein Onkel hatte das Säckchen in seinen Händen.

Selbst viele Wochen nach der Beerdigung der vollständigen Leiche meines Onkels, den Kopf hatte man auf der Straße gefunden, die Augen waren gnädigerweise geschlossen gewesen, verstehe ich es nicht. Einen Mord muss ich ausschließen, die Eingangstüre zu meinem Haus war verschlossen, die Tür zum Gästezimmer war verschlossen und ich habe den einzigen Schlüssel dafür. Auch war das Fenster von innen nach außen zerbrochen worden, es gab also keine Möglichkeit ins Zimmer meines Onkels zu gelangen. Ich hatte Mühe der Polizei zu versichern, dass ich keine Schuld an diesem schrecklichem Tod hatte, doch mein hervorragender Ruf und meine guten Beziehungen zu höheren Stellen in der Staatsverwaltung machten sich schließlich bezahlt und die Ermittlungen wurden mit dem Ergebnis Selbstmord abgeschlossen.
Hätte die Polizei aber erfahren, dass ich das Säckchen aus den Händen meines Onkels gerissen und versteckt hatte, wäre eine Anklage wegen Mordes durchaus möglich gewesen.
Meine Neugierde war einfach zu groß gewesen, nicht nur die eigenartige Wanderung des Bündels zu meinem Onkel, sondern natürlich auch den Inhalt betreffend. Betrachtet man die Umstände, durch die mein Onkel in die Nervenklinik eingewiesen wurde, wurde das schwere Ding im Leinensack, dass sich als letzter Besitz meines Onkels erwiesen hatte, nur noch interessanter und wurde für mich, als einen gebildeten und rationalen Weltbürger, den die Tatsache des schrecklichen Selbstmord meines Onkels, während er das Säckchen in den Händen hielt, immer noch zu irrationalem Unbehagen trieb, zu etwas, dass es zu untersuchen galt.
So begab ich mich dann bald nach der Beerdigung meines Onkels in mein Kaminzimmer und legte das blutverkrustete Bündel vor mir auf den Tisch. Beim Tragen hatte mich das ungewöhnliche Gewicht wieder verwundert, aber ich nahm an, dass es sich bei dem Inhalt wohl um einen schweren Stein, oder einen Brocken aus seltenem Metall handelte - mein Onkel hatte nach seiner Pensionierung einen Faible für derartige Dinge entwickelt. Doch nicht nur die Geologie war eines seiner verwunderlichen Forschungsfelder geworden, ihn interessierte vor allem die okkulte Nutzung von seltenem Material durch die Ureinwohner des südamerikanischen Kontinents, basierend auf seiner Theorie, durch Meteoriteneinschläge auf die Erde gelangtes außerirdisches Material hätte die archaische Religion von heute bereits ausgestorbenen Urwald-Stämmen beeinflusst, wovon auch einige bekannte Anthropologen ausgingen, was aber noch nie bewiesen werden konnte.
Vielleicht hatte mein Onkel kurz vor seiner schweren Erkrankung den Beweis für diese bahnbrechende Annahme gefunden und sich dabei einen noch unbekannten Dschungel-Virus zugezogen, der ihn schließlich in einen hysterischen Wahn verfallen ließ und ihn dazu trieb, die irrsinnigen Handlungen zu vollführen, welche schließlich zu seiner Einweisung und zu seinem Selbstmord führten.
Ich öffnete das Säckchen. Der Inhalt bestätigte meine Annahme. Ich entnahm dem Blut verkrusteten Leinensack einen schwarzen, eigentümlich matt glänzenden Stein in Faustgröße und ein kleines Notizbuch, auf dem der Name meines Onkels in seiner Handschrift notiert war.
Die schimmernde Oberfläche des Steins, der das Licht der daneben stehenden Petroleumlampe irgendwie zu verschlucken schien, ich konnte keine Reflexionen der Flamme auf dem Schwarz des Steins erkennen - was seltsam war, da er glänzte wie nicht poliertes Metall - war nicht porös, sondern eigenartig glatt und wirkte wie geschliffen. Die Form sah aber zufällig und natürlich aus und wies keine Anzeichen von menschlichen Arbeiten am Stein auf.
Ich hatte, wie ich zu meinem Bedauern zugeben muss, keinerlei geologische Fähigkeiten oder Erfahrungen und so legte ich den Stein auf die Seite und wandte mich dem Notizbuch zu.
Die erste Seite war in der kleinen aber präzisen Handschrift meines Onkels eng beschrieben. Ich konnte keine Absätze erkennen, was sich bis zu den letzten Seiten des Buches fortsetzte, wo aber die Handschrift meines Onkels immer verschmierter und unordentlicher, gar teilweise unlesbar wurde, was ich von ihm nicht kannte – er war geradezu fixiert auf eine schöne Schrift gewesen.
Auch gab es seltsame Verwischungen in den letzten Passagen, als wären Wassertropfen auf das Papier getropft und dann abgewischt worden, wobei die Tinte verschmiert und ganze Sätze unkenntlich gemacht wurden. Da ich, aufgrund des Datums am Anfang des Textes, welches die Erstellung des Textes auf den 30. Dezember festlegt, annehmen muss, dass mein Onkel zu diesem Zeitpunkt bereits unter Einfluss der Tropenkrankheit stand, gehe ich davon aus, dass die Wassertropfen kein Regen sondern Tränen waren, die mein Onkel in Hysterie vergossen hatte.
Im Folgenden gebe ich nun den Text aus dem Notizbuch wieder, wobei anzumerken ist, dass in den letzten Passagen einige Teile aufgrund der fahrigen Schrift meines Onkels nicht zu entziffern waren.

„30. Dezember 1841, an Bord des Linienschiffes HMS Empire of Glory, auf dem Weg von Mérida, Mexiko nach London

Die im Folgenden beschriebenen Ereignisse haben tatsächlich stattgefunden und ich versichere, dass ich in der ganzen Zeit, seit ich von London nach Yucatan abgereist bin, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte war und auch jetzt, wo ich das Warten nicht mehr ertragen kann und zur Tat schreiten muss, bin.
Mein guter Freund John Lloyd Stephens, der auf einer zwei-jährigen Expedition in Mittelamerika, genauer gesagt in Yucatan, einem Kernland der untergegangen Mayakultur, die Ruinen der Kultstätten der untergegangen Großkultur näher untersuchen, kartographieren und zum Ruhme des Empires als erster Brite erforschen wollte, bat mich, ihn auf dieser nicht ganz ungefährlichen Reise zu begleiten, was ich als passionierter Laie in der Forschung der Anthropologie - im speziellen interessieren mich amerikanische Eingeborenenvölker und ihre Religion - dankend annahm und wir mit dem Linienschiff HMS John Ross am 13. September 1840 von London aus in See stachen. Unser Ziel war die Hauptstadt von Yucatan, Mérida, eine 1541 von einem spanischen Conquistador eroberte Maya-Stadt. Nicht mehr als 60 Meilen südlich davon lag die alte religiöse Kultstätte Uxmal, eine mehr als 1000 Jahre alte Stadt, die, wie ich aber dachte, auf viel älteren Wurzeln gebaut worden war, was sich als richtig erweisen sollte. Diesen Tempelkomplex, der aus drei großen Maya-Palästen bestand, hatten John Lloyd Stephens und ich als ersten Forschungsgegenstand ausgesucht und er war demnach auch das erste Ziel unserer Expedition.
Wir erreichten Mérida nach einer ruhigen und ereignislosen Fahrt quer über den Atlantik am
20. Oktober und fanden uns nach Einlauf in den Hafen beim Gouverneur Yucatans, Santiago Mendez, einem grobschlächtigen, bäuerlichen und unsympathischen Mann spanischer Abstammung ein, der uns zum Abendessen einlud und uns jedwede Unterstützung bei unserer Reise versprach. Der Inhalt des Gespräches während des Essens ist es nicht Wert wiedergegeben zu werden, bestand es doch hauptsächlich aus Lobreden des Gouverneurs über sich selbst. Auch prahlte er mit seinem harten Regime über die Nachfahren der indigenen Bevölkerung, gerade an diesem Tag habe er wieder „ein paar aufgeknüpft“. Mein Ekel vor ihm verbat es mir, das nach der langen Schiffahrt wohlschmeckende, frische Essen entsprechend zu würdigen, seine Ausführungen über die
verschiedenen Bestrafungsmethoden von aufständischen Eingeborenen waren doch zu plastisch.
Nach dem Essen machten Lloyd Stephens und ich noch einen Nachtspaziergang durch das Hafengelände, welches in der Nähe des Regierungspalastes lag. Hauptsächlich bestand es aus Kaschemen und Bordellen, besucht von Matrosen, Seemännern und wohlbetuchten Grundbesitzern aus dem Inneren des Landes. Zwar hatten wir wider Erwarten gehofft, Abkömmlinge der Maya zu sehen, doch wie sich herausstellte, entsprachen die in Armut dahin vegetierenden und als Arbeitssklaven benutzten Eingeborenen nicht dem Bild, dass ich mir unter dem Volk von starken und stolzen Kriegern gemacht hatte; die Eingeborenen, die uns begegneten, waren entweder Prostituierte oder bettelnde Kinder, welche uns mit ausgestreckten schmutzigen Händen nachliefen, bis sie von der patrouillierenden Stadtwache verscheucht wurden.
Den nächsten Tag verbrachten wir auf der Suche nach ortskundigen Führern, die uns durch den Dschungel nach Uxmal bringen sollten, zusätzlich stellten wir Träger ein und kauften kleine Pferde, um unsere doch erhebliche Last von Material - Zelte, diverse schwere Vermessungswerkzeuge, Schaufeln und Pickeln, Proviant sowie die große Reisebibliothek Lloyd Stephens' und meiner Person – in die alten verfallenen Ruinen der Mayakultstätte zu transportieren. Die Führer waren Mestizen, Nachfahren der Weißen Usurpatoren und der eingeborenen Bevölkerung, die Träger hauptsächlich schwarze ehemalige Sklaven; alle Eingeborene, welche wir gebeten hatten uns als Führer zu dienen, verweigerten dies mit dem Hinweis, die alte Kultstätte wäre ein verfluchter Ort, seit die spanischen Conquistadores vor 200 Jahren die 25.000-köpfige Bevölkerung abgeschlachtet und die Tempel verwüstet hätten. Die Mestizen hingegen, kolonisiert und missioniert, hatten keinen derartigen Aberglauben und führten uns nach Uxmal, welches wir am 2. November erreichten.

Das mit Regenwald bedeckte Gebiet in dem Uxmal lag, umfasste mehrere tausend Quadratkilometer und war das Hauptrückzugsgebiet einer sich im Aufbau befindenden Rebellenarmee - die Halbinsel Yucatan liegt im Staatsgebiet von Mexiko, hat sich aber schon vor einiger Zeit zum Zentrum zahlreicher Seperationsbewegungen entwickelt, die die Abspaltung von Mexiko fordern - was doch zu einigen Behinderungen auf dem Weg zur Maya-Stadt führte; wir mussten uns das Durchkommen mit Schmiergeldern erkaufen.
Zwar liegen nur 50 Meilen Luftlinie zwischen Mérida und Uxmal, doch der Urwald verringerte unsere Geschwindigkeit erheblich; oft waren wir gezwungen auf Umwege von einigen Meilen auszuweichen, da das Gelände dort eher einem steil abfallendem, mit riesigen Steinen überwuchertem Abhang gleicht als der planen Ebene, die auf den Karten verzeichnet ist.
Der Dschungel selbst war so durchwachsen mit den exotischsten Pflanzen, dass nur wenig Licht den Weg durch die Baumkronen der mit Schlingengewächsen bedeckten Bäume fand und wir nur wagen konnten wenige Stunden bei Tag zu reisen, da in den Nächten nicht das geringste zu erkennen war.
Seltsame Tiere streiften durch den Urwald, einmal glaubte ich eine gigantische Schlange von unglaublicher Länge um einen Ast eines riesigen Yucca-Gewächses geringelt zu sehen, was ich aber durch das spärliche Tageslicht bedingt einer optischen Täuschung zuschreibe. Doch in den schrecklichen Träumen, die ich seit dem meiner Flucht aus Uxmal habe, spielt die gigantische Schlange eine wichtige Rolle und ich bin mir heute nicht mehr sicher, ob sie nicht doch da war, markerschütternd zischend, ihr Körper von fast grotesker Größe, dicker als ein Baumstamm, länger als der höchste Baum des Dschungels, doch scheinbar gewichtslos um den Ast gewickelt.
Von diesen Dingen abgesehen verlief die Reise ohne größere Komplikationen und wir erreichten alle sicher und gesund unser Ziel: die Mayastadt Uxmal.
Die Aussicht die sich uns bot, als wir von einem kleinen Hügel aus auf die Stadt hinunterblickten, war phantastischer als ich es in meinen kühnsten Träumen vermutet hatte. Es war als blicke man in eine andere Zeit, als blicke man mehr als vier Jahrhunderte zurück; die majestätische Pyramide des Zauberers, der gigantische Gouverneurspalast, erbaut vor mehr als tausend Jahren, die aber nur in der von grünen Kletterpflanzen umwachsenen Fassade sichtbar waren – dem Verfall der Jahrzehnte hatten die grauen, klobigen Steine mühelos getrotzt - die Große Pyramide und in ihrem Schatten der Tempel des Südens - erbaut von genialen Architekten in einer Ära der Macht und des Wohlstands, Ausdruck einer Hochkultur und Symbol für die Bändigung der Natur durch die Hand des Menschen.
Das Gelände der Kultstätte war frei von Bäumen, nur spärlich wuchsen Büsche am Rande alter, steinerner Wege und so entkamen wir dem seltsamen Rhythmus vom Wechsel des kurzen Tages in die endlos währende Nacht als wir aus dem Wald heraustraten. Während wir den Hügel hinunterstiegen und rechts von uns die Sonne am Horizont versank, wähnten wir uns alle glücklich, die Nacht endlich wieder unter Sternen verbringen zu dürfen.
Während ich hier schreibe, hat der Sturm, der unser Schiff schon seit Stunden auf dem nächtlichen Meer hin und her schüttelt ein bisschen nachgelassen, aber nicht genug dass ich es wagen kann, mein Experiment zu beginnen – die Seekrankheit ist bei diesem Schaukeln einfach zu stark, um mich richtig konzentrieren zu können. Doch der Stein liegt schon neben mir, bereit für das Ritual, dämonisch schimmernd im Licht der schaukelnden Petroleumlampe an der Decke der Kajüte.
Ich habe fast 30 Jahre als Geologe für eine Minengesellschaft gearbeitet, und dachte bisher, jedes Gestein zu erkennen, doch dieser matte Stein, nicht mal faustgroß, ist mir von seiner Farbe, Oberflächenstruktur und Form völlig unbekannt und in keinem meiner Geologiebücher zu finden.
Die Glätte des Brockens ist mir auch ein Rätsel, wirkt sie doch künstlich - aber als ich versucht habe mit einem Hammer auf den Stein zu hauen, hinterließ er keinerlei Spuren und zerbrach nach mehrmaligem Schlagen; wie also sollte der Stein bearbeitet worden sein.
Der Grund meiner Reise war die Überprüfung einer Theorie gewesen, die besagte, dass die Religionen zahlreicher Urvölker durch Kultgegenstände außerirdischer Herkunft beeinflusst worden waren. Diese durch Meteoriteneinschläge auf die Erde gelangten Steine und Metalle waren für Geschenke der Götter gehalten und in die archaischen Rituale der Religionsausübung eingebunden worden. Manche Vertreter dieser Theorie gingen sogar davon aus, dass der Inhalt der Bundeslade der Hebräer außerirdischen Ursprungs gewesen war. Neben Funden bei Azteken und Ägyptern waren sogar bei Stämmen in den weiten immer schneebedeckten Weiten Sibiriens seltsame Metallobjekte gefunden worden, alle zu religiösen Ritualen genutzt. Nun wollte ich der erste sein, der derartige Kultgegenstände bei den Maya entdeckte.
Im letzten verbliebenen Tageslicht, schlugen wir unser Lager nördlich vom Palast des Zauberers auf und planten, die ersten Strahlen der Morgensonne zu nutzen, um die Stadt näher zu erkunden.
Ich verbrachte die erste Nacht in Uxmal sehr unruhig, ständig weckten mich seltsame Geräusche aus meinen wirren Träumen auf, lautes Zischen und fürchterliches Kreischen, aber auch dunkle chorale Gesänge, als würden irgendwo in der seit 300 Jahren Menschenleeren Stadt, düstere, längst vergessene Messen verlesen. Doch immer wenn ich aufschreckte und in die Dunkelheit in meinem Zelt starrte, verstummten die Geräusche auf der Stelle. Ich schob diese Vorgänge auf meine Alpträume, ausgelöst durch ein leichtes Fieber, dass ich seit einigen Tagen, seltsamerweise seit meiner irren Halluzination von der gigantischen Schlange hatte.
Im Morgengrauen machten wir uns für die Erkundung der Stadt fertig und präparierten unsere Ausrüstung. Wir waren zu siebt, Lloyd Stephens und ich, ein Mestizen-Führer, vier Träger, einer bewaffnet mit einem Gewehr, die anderen mit Schaufeln, und als wir aufbrachen, hüllte die im Osten aufsteigende Sonne die Große Pyramide in ein majestätisches Licht, dass, gepaart mit dem Morgennebel, die ganze Kultstätte in eine unwirkliche Atmosphäre tauchte und mich schaudern ließ. Der Nebel war dicht und feucht, dicke, große Wassertropfen auf meiner Brille erschwerten mir die Sicht, die durch die für einen morgendlichen Verdunstungsnebel untypischen Schwaden ohnehin schon stark eingeschränkt war; man konnte nicht weiter als einige Meter vor sich blicken, bis einem die immer dichter werdende Nebelwand die Sicht auf den Weg versperrte.
Die Pyramide des Zauberers hinter uns zurücklassend, wandten wir uns nach Süden in Richtung des Gouverneurspalast, nur überragt von der Großen Pyramide, die ihrem Namen gerecht wurde; mehr als hundert Meter erstreckte sich die quadratische Plattform an der Spitze gen Himmel. Dort oben hatten die archaischen Priester der Maya Gefangene und Verbrecher ihren jetzt toten Göttern als Opfer dargebracht, während das Blut der Sterbenden die endlosen, steinernen Treppen hinunterfloss und sich am Fuße der Pyramide mit dem eingetrocknetem Blut von anderen unzähligen Menschenopfern vermischte.
So grausam, unmenschlich und moralisch verwerflich die Religion der Maya gewesen war, so hoch entwickelt, genial und unsterblich ist ihre Architektur. Der Gouverneurspalast strahlte eine Aura unendlicher Macht aus, übermenschlich und allgewaltig und ich konnte mir gut vorstellen, wie die Untertanen der in dem Palast residierenden Herrschaftsfamilie vor Angst und Furcht erzittert sein müssen, wenn sie ihren Blick nach oben auf den kaskadenartig gebauten, mit Flachreliefs verzierten Trutzbau richteten.
John Lloyd Stephens wollte zuerst den Tempel des Südens, die im Schatten der Großen Pyramide liegt, erkunden, doch ich trennte mich von der Gruppe und ging im sich langsam auflösenden Nebel zum Ballplatz zurück, einer riesigen, von Bänken eingerahmten, mit Steinen gepflasterten ebenen Fläche, auf der damals religiöse Ballspiele um Leben und Tod stattgefunden hatten.
Wie viele Menschen mochten hier in dieser Stadt auf gewalttätige Weise ums Leben gekommen sein? Sah man von den Menschenopfern ab, waren es immer noch mindestens 20.000 die bei der Eroberung der Stadt durch die Spanier dahingeschlachtet wurden. Ich bin zwar kein abergläubischer Mensch, meine seltsamen Träume der vorigen Nacht, kombiniert mit der immer noch präsenten Erinnerung - eine Art Geruch der in den alternden Gemäuern festhing - an den Tod von so vielen unschuldigen Seelen, lasteten aber doch schwer auf meinem Gemüt; hinzu kam die stickige, schwere und feuchte Luft des Dschungels, der die Stadt umgab und die schwüle Hitze der hiesigen tropischen Breiten – das Atmen fiel mir schwer. Ich fühlte mich unwohl, etwas fiebrig und erschöpft, doch entgegen der Warnsignale meines Körpers entschloss ich mich, die Pyramide des Zauberers zumindest von außen zu untersuchen.
Ich kehrte also in Richtung unseres Lagers zurück, als ich plötzlich wieder dieses laute Kreischen aus meiner ersten Nacht hier hörte. Erschrocken sah ich mich um, doch nirgends war die Quelle des anhaltenden Geräusches zu erspähen, es schien aus Richtung unseres Lagers zu kommen. In leichten Trabschritt verfallend, bewegte ich mich auf das Kreischen zu, welches an- und abschwellend seinen Weg durch den Gehörgang in meinen Kopf fraß und einem dumpfen Schmerz Platz schuf, der sich in meinem ganzen Körper auszubreiten schien, je näher ich der Quelle des Geräusches kam. Als ich die Längsseite der Pyramide des Zauberers entlanglief, fiel mein Blick auf eine kleine, fensterartige Öffnung an der Außenwand, etwa auf Hüfthöhe liegend und von Büschen verdeckt. Das Kreischen kam aus diesem Loch, jetzt noch lauter und schmerzender als zuvor, wie das Schreien eines verletzten kleinen Katze, doch viel lauter und kraftvoller, als es selbst der größte Puma zustande gebracht hätte. Ich blieb ruckartig stehen und das Kreischen brach abrupt ab, der Schmerz in meinem Schädel und meine Wirbelsäule hinunter blieb aber. Die Öffnung vorsichtig betrachtend, näherte ich mich auf Zehenspitzen dem Loch in der Wand. Es war oval, nicht breiter als eineinhalb Fuß, ungefähr gleich in der Höhe und schien aus der massiven, aus festen Steinblöcken bestehenden Wand herausgebrochen worden zu sein, was der zackige Rand des Loches zeigte. Ich versuchte weiter in die Öffnung hineinzusehen, doch herrschte dort so vollkommene Finsternis, sodass man nicht erkennen konnte, ob es sich hier um eine Verbindung in das Innere des Tempels oder nur um eine kleine Einbuchtung in der Wand handelte.
Ich muss zugeben, zu diesem Zeitpunkt stand mein Herz nahe an der Grenze eines Infarkts, so heftig klopfte es. Das Kreischen hatte mir Angst gemacht, doch wurde es nach dem plötzlichen Verstummen derart unwirklich, dass ich kaum noch glaubte es gehört zu haben, und es auf eine akustische Halluzination, ausgelöst durch einen Erschöpfungsanfall schob, was bei meinen schon immerhin 60 Jahren ja nun nicht ungewöhnlich wäre.
Ich habe vergessen zu erwähnen, dass ich mich aus bestimmten Gründen für die Pyramide des Zauberers interessierte, doch versuche ich die Geschichte so schnell wie möglich zu beenden; der Sturm lässt langsam nach und ich kann durch das Bullauge schon einige Sterne erkennen, was für mein Experiment eine gewisse Bedeutung hat. Wie schon in Mexiko-Stadt entdeckt, nehme ich auch für Uxmal an, dass die Kultstätte vor tausend Jahren über einen bereits bestehenden, doch schon verfallenen Tempelkomplex gebaut wurde, welcher selbst vielleicht nicht der erste auf diesem Platz gewesen war. In Mexiko-Stadt hatte man drei verschiedene Paläste übereinander gebaut gefunden, die wie Erdschichten ihrem Alter entsprechend immer tiefer in die Erde hineingingen, was von einer mehr als dreitausendjährigen Geschichte der Stadt zeugte. Die Pyramide des Zauberers nahm in Uxmal eine - durch ihre von den Sternen bestimmte Lage - so hohe Bedeutung ein, dass, falls es Beweise für einen älteren Tempel unter Uxmal gab, sie in den Kellern der Pyramide des Zauberers zu finden sei.
Da ich keine Möglichkeit hatte, das Loch weiter zu untersuchen und ich mich nicht traute, meine Hand oder gar meinen Arm in die Öffnung zu stoßen – das Kreischen war dagewesen, ich bin mir heute sicherer als damals – ging ich zum Lager zurück, wo ich die restliche Mitglieder unserer Expedition vorfand. Als ich aber danach fragte, ob sie irgendwelche seltsamen Geräusche aus Richtung der Stadt vernommen hatten, verneinte es jeder der Mestizen, nur die dunkelhäutigen Träger sahen mich mit angsterfülltem Blick an, leugneten aber jedwede Vorkommnisse. Ich setzte eine Belohnung von einem Goldsouvereign aus, für diejenigen, die mich auf meiner für den nächsten Tag geplanten Expedition in die Kellergewölbe der Pyramide des Zauberers begleiten würden und es meldeten sich zwei Träger und einer der Führer; alle anderen schoben ungute Gefühle vor, die sie seit Betreten der Stadt hätten und nicht einmal die fürstliche Belohnung konnte ihre Unruhe besänftigen.
Danach begab ich mich in mein Zelt um bis zur Rückkehr von Lloyd Stephens ein bisschen zu ruhen. Zuvor nahm ich aber noch etwas Morphium ein, um traumlos schlafen zu können und mein Fieber zu senken.

Als ich erwachte war es bereits Nacht, da ich aber vergessen hatte meine Taschenuhr aufzuziehen, wusste ich die genaue Uhrzeit nicht. Ich fühlte mich ausgeruht, das Fieber schien weg zu sein und auch die Schmerzen, die mit dem schrecklichen, unmenschlichen Kreischen begonnen hatten, waren verstummt. Ich erhob mich von meinem Lager und trat aus dem Zelt.
Der Anblick war unglaublich. Vor mir, über der Pyramide des Zauberers, schwebte ein blutroter Mond, so riesig und von einer so dunklen und dominanten Farbe, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Er schien mehr als viermal so groß wie normal und ich konnte Einzelheiten auf seiner Oberfläche erkennen, die man sonst nur mit den besten Teleskopen so klar zu sehen vermag.
Er schien direkt über der Pyramide des Zauberers zu schweben, wie ein blutroter Heißluftballon den grauen Stein des Gebäudes in einem rötlich diffusen Licht erhellend, welches die grüne Farbe des Grases um die Pyramide herum in tiefstes Schwarz verwandelte, sodass es aussah als ob der Tempel auf einem Meer aus pechschwarzen, wogenden Wellen schwimmen würde. Die Sterne waren nicht zu sehen, zu hell war das rote Glühen, das die Pyramide wie mit Blut besudelt erscheinen ließ. Aus dem Waldrand hinter unserem Lager kam das Geräusch von Bäumen, welche sich ächzend und stöhnend der Last eines unnatürlich starken Windes beugen, während an meinem Standpunkt kein Lufthauch zu spüren war.
Ich war alleine. Keine Menschenseele war auf dem Platz vor unseren Zelten zu sehen, nicht die Wachen, die eigentlich die ganze Nacht aufgestellt waren, nicht mein Reisegefährte Lloyd Stephens und auch sonst keiner der Expeditionsteilnehmer. Laut rufend betrat ich jedes einzelne Zelt, nur um festzustellen, dass alle Lager im chaotischen Zustand zurückgelassen worden war, was auf einen plötzlichen Aufbruch hindeutete. Mich wunderte es nur, dass mich niemand aufgeweckt hatte, vielleicht war die Wirkung des Opiats zu stark gewesen.
Als ich aus dem Zelt Lloyd Stephens heraustrat, vernahm ich auf der Pyramide des Zauberers eine Bewegung. Ein Mann stand auf dem Plateau an der Spitze, übergossen vom Licht des blutroten Mondes starrte er in meine Richtung und begann langsam zu winken. So klar ich doch eigentlich in einer solch hellen Nacht hätte sehen müssen, so verschoben und verzerrt wirkte die Gestalt des Mannes, ich konnte weder Kleidung noch Gesicht erkennen, eine Art Hitzeflimmern hatte sich vor die winkende Figur geschoben und versperrte mir den Blick auf Details. Ich rannte schnell in mein Zelt um mein Fernglas zu holen, doch als ich zurück war, war der Mann verschwunden.
Ich muss zugeben, dass ich zu diesem Zeitpunkt einige Angst hatte, doch dachte ich zu diesem Zeitpunkt in dem winkenden Mann einen meiner Reisebegleiter erkannt zu haben; die Farbe seiner Haut war so dunkel wie die des Unbekannten gewesen und von Größe und Statur waren sich beide auch ähnlich.
Ich nahm an, meine Begleiter wären alle aus irgend einem, für mich noch nicht verständlichem Grund in die Pyramide gegangen und gaben mir nun Zeichen ihnen zu folgen. So ging ich in mein Zelt zurück, holte eine Petroleumlampe und meinen Perkussionsrevolver und schritt langsam den sanften Abstieg zur Pyramide des Zauberers hinab.“

Ab hier wird die Schrift meines Onkels fahriger und auch zum Teil verwischt, ganze Wörter sind nicht lesbar, doch werde ich versuchen die Lücken zu rekonstruieren um das Lesen bis zum Schluss, an dem der Text unkenntlich wird – eingetrocknete Blutflecken und Wasserschäden, aber auch wirres Gerede machen das Entziffern unmöglich – zu erleichtern. Doch auch diese Passagen werde ich wiedergegeben um einen kompletten Eindruck zu ermöglichen.
Ein Bote brachte mir heute die Nachricht, die, aus Mérida abgeschickt, den tragischen Tod von 18 Teilnehmern der Uxmal-Expedition John Lloyd Stephens' meldet und mich nach dem Verbleib meines Onkels fragt; er wäre seit dem Auffinden der Leichen nicht mehr gesehen worden. Lloyd Stephens erbot mir in der Nachricht selber Grüße und brachte seiner Sorge um seinen Freund, meinen Onkel Ausdruck. Nur er und fünf seiner Männer hätten das bis jetzt noch unbekannte Unglück überlebt, welches den grausamen Tod der im Lager zurückgelassenen Wachen verursacht hatte, während sich Lloyd Stephens und sein Trupp in den Katakomben des Regierungspalastes in Uxmal verirrt hatten.
Mag vieles im Bericht meines Onkels bis jetzt noch wie die Halluzination eines Fiebertraum gewirkt haben, die Botschaft die ich heute erhalten habe unterstützt auf eine schreckliche Weise die folgenden Eindrücke meines Onkels und haben mich auch dazu veranlasst, die ganzen Ereignisse hier niederzuschreiben.

„Der Mond, dieses Mal ein bleicher, normal großer, erhellt die Sicht auf die wogende See, die ich durch mein Kajütenfenster sehen kann. Der Sturm ist abgeklungen und die Sterne, die ich für mein Vorhaben dringend benötige sind nun auch endlich in Sicht. Doch möchte ich, bevor ich dahin gehe, wo niemand sein darf und womöglich niemals wiederkehre, diesen Bericht vollenden, um die Geschichte, wie ich zu diesem unheimlichen, vor mir liegendem schwarz glänzendem Brocken gekommen bin, zu Ende zu erzählen. Möge es als Warnung dienen.
Ich habe 14 Leichen gezählt, Lloyd Stephens war Gott sei Dank nicht darunter, doch weiß ich über sein Schicksal nicht Bescheid, seit meiner Flucht aus Uxmal am Morgen des 4. November habe ich keinen mehr gesehen, der mit mir zu diesem schrecklichen Ort aufgebrochen ist; ich bin der einzige der wieder zurück gekommen ist. Doch ist ein Teil von mir immer noch in den dunklen Kellern der Pyramide des Zauberers eingesperrt, eingekerkert in den vor Millionen von Jahren erbauten Steinwänden, die verziert mit leuchtenden Kugeln mir unbekannter Beschaffenheit den unheiligen Raum, dort unten, tief unter der Erde der alten verfluchten Mayastadt umgeben und weiterhin vom Schmerz und vom Leid ungezählter Jahrtausende stöhnen und stinken.
Ich ging also in mein Verderben, ich ging den Hügel hinab zur Mondbeschienenen, blutrot glänzenden Pyramide des Zauberers, vorbei an den mit Flachreliefs verzierten Mauern, von denen mich die Fratze des Regengottes finster anblickte, vorbei an den Säulen, die von dicken Ranken umschlungen neben der Treppe zum Eingang hinauf aus der Erde wuchsen, erklomm die Stufen, während kleine Äste unter meinen Sohlen mit einem Geräusch zerbrachen, das mich an zermalmte Knochen erinnerte, und betrat den Tempel, hinein in die undurchdringliche Dunkelheit, die hinter dem Eingang auf mich lauerte.
Der Mondschein reichte nicht in die Eingangshalle hinein, ich entzündete meine Lampe und als das Licht den düsteren Raum erhellte, konnte ich ein weit entferntes Rufen vernehmen, das sich wie von tausend Kehlen ausgestoßen zu einem irren Kreischen steigerte und mich an das Erlebnis vom Tag erinnerte, nur dass das Jaulen dieses Mal noch lauter, noch bedrohlicher war. Es schien von hunderten Steinwänden in ein Echo verwandelt von Gängen und Mauern reflektiert seinen Weg aus der Tiefe eines großen Loches knapp vor mir zu kommen.
Ich trat näher und sah die Stufen einer Steintreppe. Auf dem zweiten Absatz lag ein dunkles Bündel, das sich bei näherem Betrachten als ein zusammengeschnürtes Tuch eines der Mestizenführer herausstellte; meine Reisebegleiter waren also hier gewesen und wahrscheinlich die Treppe hinuntergestiegen.
All meinen Mut zusammennehmend, trat ich die erste Stufe hinab und begann meinen Abstieg in das Unbekannte.
Meine Erinnerung scheint zu versagen, vermag ich es doch beim besten Willen nicht mehr, den Abstieg zu rekonstruieren und zeitlich einzuordnen. Das klarste Bild an welches ich mich noch erinnern kann, ist der Anblick der ersten Leiche von vielen, die ich bei meiner mir scheint stundenlangen Wanderung nach unten fand. Es war einer der schwarzen Träger, sein Körper lag zerschmettert bäuchlings die Stufen hinab, in seinem Kopf ein großes Loch, wie von einem Gewehrschuss aus nächster Nähe. Seine verkrampften Hände hielten eine lange Machete eng umklammert, an deren Klinge ich im Licht meiner Lampe dunkle Blutspuren erkennen konnte, zwar eingetrocknet, doch immer noch leicht feucht schimmernd. Das, was hier passiert war, lag erst einige Stunden zurück.
Je tiefer ich die endlose Treppe in meiner Erinnerung hinabsteige, desto verschwommener wird diese. Ich weiß noch, dass ich kurz nach dem Fund der ersten Leiche die nächsten beiden dahingeschlachteten Körper fand, diesmal von Messerschnitten zerfetzt, als hätten die beiden einen Kampf auf Leben und Tod ausgefochten, ihn aber beide verloren.
An der Wand neben den beiden Toten zeigten detaillierte Reliefs perverse, noch niemals von Menschenaugen auf der Erde erblickte Wesen, halb Tier, halb Echse, doch von einer solchen Fremdartigkeit, dass mir der Kopf schmerzte, so sehr stieß mich die Gestalt und die Form der unnatürlichen Wesen ab. Manche hatten drei Augen in den Erhebungen, die man als Köpfe bezeichnen konnte, manche die Körper von Kröten, aufgeplustert und fettig glänzend, andere wiederum wirkten so seltsam, dass keine Beschreibung möglich ist. Tausende von unterwürfig knienden, nur mit Fellen bekleidete Menschen schienen diese abnormen Wesen wie Götzen anzubeten, die groß wie Kathedralen im Gegensatz zu ihren zwergenhaften Jüngern wirkten.
Immer mehr Leichen kreuzten meinen Weg nach unten, erstochen, erschossen, aufs grausamste misshandelt und erschlagen und je weiter ich mich von der Oberfläche entfernte desto ekelhafter wurde der Geruch dem ich mich langsam aber sicher näherte; ein Gestank von Fäulnis, eine Ausdünstung verwesenden Fleisches.
Ich kann nicht einmal jetzt erklären, warum ich nicht beim Auffinden der ersten Leiche sofort geflohen bin, sondern weiter immer tiefer in Abgrund hinabstieg, in dem ich nur den Tod und weitere Abbilder der abnormalen Tierechsen finden konnte. Doch immer wieder wenn ich umdrehen wollte, erklang das Jaulen aus dem Schacht und hielt mich irgendwie davon ab, zurückzugehen.
Ich weiß nicht wie lange ich die Treppe hinabstieg, doch nach endloser Zeit wurde das Ende durch ein rötliches Schimmern erkennbar, das immer heller wurde, je näher ich mich der Quelle näherte. Das schreckliche Kreischen verstummte endlich, als ich meinen Fuß von der letzten Stufe nahm und auf den glatten Erdboden setzte und eine leichte Erschütterung durchzuckte meinen Körper.
Im Glühen der aus eigenartigem Stein zusammengebauten Wände, sah ich eine riesige Halle vor mir, deren Decke ich nicht mehr erkennen konnte, so hoch erstreckten sich die Mauern in die Höhe.
Am Ende der Halle, gegenüber der Treppenstufen an deren Fuß ich mich befand, war eine Art Altar in die Felswand eingelassen, an dem das rote Glühen am stärksten war. Vor dem Altar lagen drei Leichen, verkrümmt im Schmerze ihres Todes.
Ich durchschritt die Halle, deren Boden mit seltsamen Mustern und Fratzen unbekannter Götter verziert war, bis ich den Altar erreichte. Auf ihm lag, das Glühen schien davon auszugehen, der schwarze Stein, matt schimmernd im rötlichen Licht, von einer seltsamen dunklen Aura umgeben, die ich fühlen und sehen konnte. Dahinter stand eine Felstafel, beschriftet mit seltsamen Hieroglyphen.
Ich trat näher. Die Tafel hinter dem Stein zeigte zwei Zeichnungen; ein riesiger Mond beschien die Skizze der Pyramide des Zauberers auf deren Spitze ein Mann das leuchtende Abbild des Steines in den Himmel streckte, während die Sterne hoch über ihm glänzten.
Die zweite in die Tafel gravierte Abbildung zeigte den Mann dessen Kopf in einer schwarzen Blase steckte, die seinen ganzen Körper zu umhüllen drohte. Der Stein war noch in seinen Händen und an der Peripherie der Blase konnte ich in unglaublichsten Detailreichtum die Figuren dunkler Schemen erkennen, die alle ihren Blick auf den Stein gerichtet hatten, während im Hintergrund eine so monströse Gestalt ihre unzähligen Tentakel nach dem Mann auszustrecken schien, wie ich sie in meinen düstersten Fantasien nicht auszumalen im Stande gewesen wäre . Diese Wesenheit, die noch widernatürlicher war, als alles was ich je gesehen hatte, wirkte wie der Gott der Götzen, wie der Teufel selbst, hinauf gestiegen aus der Hölle, irgendwie verbunden mit dem schwarzen Stein, der immer noch rot pulsierte und den Bilder auf der Felstafel morbides Leben einhauchte.
Die Bilder schienen mich anzusprechen, mit einem Teil tief in meinem Inneren zu kommunizieren um mich ihre tiefere Bedeutung zu lehren.
Ich nahm den Stein an mich.

Ich halte ihn in meiner Hand, während ich die letzten Zeilen in das Buch eintrage. Weder weiß ich noch, dass ich ihn mit ans Tageslicht genommen habe, noch kann ich mich erinnern, den ganzen Weg von Uxmal nach Mérida zurück - einen Wochenmarsch durch den Dschungel - gemacht zu haben. Nur noch einzelne Szenen sind vor meinem inneren Auge zu sehen: der Regenwald noch verwachsener erscheinend als auf der Hinreise, immer wieder Zweige, die mir blutige Striemen ins Gesicht kratzen während mir unfassbare Alpträume den Schlaf rauben und mich immer weiter treiben, Kreischen und Jaulen, Stöhnen und schreckliche Stimmen hinter mir und vor mir, manchmal sogar aus dem alten Leinensack in dem ich den unheimlichen Stein verwahrte, das Geräusch von brechenden Zweigen, als würde ein gigantisches Wesen meinem Weg folgen und einmal, ich musste gerade erwacht sein, die monströse, abartige Schlange, die sich zischend und fürchterliche Töne ausstoßend auf einem Ast über mir schlängelte und mein ganzes Sichtfeld ausfüllte bis ich schreiend tiefer in den Wald flüchtete.
Nur meine Träume waren klar, die wiederkehrenden Bilder der Felstafel über welche die gigantische Schlange aus dem Regenwald kriecht, laut jaulend und stöhnend, während die gigantische Gestalt des Tentakelwesens am Rande meines Sichtbereiches mit seinen Fangarmen die ganze Welt zu umschlingen droht.
Die erste wieder sichere Erinnerung ist, dass ich beim Kapitän der HMS „Empire of Glory“ eine Überfahrt über den Atlantik zurück nach London buchte. Er wies mir mit prüfenden Blick eine kleine Kajüte zu und fragte mich Gott sei Dank nicht weiter aus, obwohl ich bestimmt sehr merkwürdig gewirkt habe; zwar hatte ich mich vorher von dem Blut und dem Dreck meiner Reise gesäubert, doch bot ich ein so ausgemergeltes und erschöpftes Bild, dass ich Aufmerksamkeit erregen musste. Am 13. November des Jahres 1841 stachen wir in See, gen London, gen Heimat.
[...] Stimmen in meinem Kopf, laut, hohl [...] Stimmen erklären mir alles [...]
Ich weiß wie ich den Stein zu gebrauchen habe, wie ich die Zeremonie unter dem klaren Sternenhimmel zu vollführen habe, wie ich in die dunkle Welt der schwarzen Blase blicken kann, hinab in die düsteren Dimensionen jenseits unserer Realität, die von Wesenheiten erzählen, die vor Jahrmillionen die Erde regierten, schreckliche Gestalten, so gräulich, dass ein Mann blind werden würde, wenn er nur mit einem Blick versuchte das Wesen der fremden Götter zu ergründen. Das Blut und der Schmerz und die Pein, die Opfer für die fremden Götter ES IST NICHT TOT[...] doch aber ich werde es sehen, sein Wesen erkennen, nichts wird es geben, [...] die Schlange, dieses Jaulen, diese Kreischen [...], dass ich nicht weiß WAS EWIG LIEGT [...] was wir es sein? [...] Genug für mich und selbst wenn es mich verschlingt selbst wenn es mich auffrisst BIS DAS DIE ZEIT [...]
Die Sterne stehen klar, ich werde nun an Deck gehen, ich werde nun die Zeremonie unter dem klaren Nachthimmel vollziehen, ich werde sehen ich werde wissen DEN TOD BESIEGT [...]
falls ich nicht mehr wiederkomme, werft den Stein, diesen [...] ins Wasser, in die Tiefen des Ozeans [...] [...]

Die letzten Sätze sind nicht zu entziffern, mein Onkel muss in einem Wahn gewesen sein, als er die letzten Passagen niederschrieb, das Fieber, seine Halluzinationen, die Erschöpfung vom Marsch durch den Regenwald waren zuviel für seine 55 Jahre. Aber so enden die letzten verständlichen Teile seines Berichtes und ich bin mir nach der Nachricht Lloyd Stephens' nicht mehr sicher, was Wahn, was Realität war auf der Reise meines Onkels in die Abgründe, entweder seiner Psyche, oder die der Erdgeschichte. Laut Stephens fand man die Leichen nicht in der Pyramide des Zauberers, sondern nahe bei den Zelten, und die Überlebenden nahmen an, sie wären von Rebellen umgebracht worden, die Wunden wiesen auf einen heftigen Kampf hin und als mein Onkel nicht aufzufinden war, musste Lloyd Stephens annehmen, dieser wäre als von den Rebellen als Geisel genommen worden.
Ich denke natürlich nicht, dass mein Onkel selbst der Mörder war, von Fieberträumen dazu getrieben ein Massaker unter seinen Reisebegleitern anzurichten – ein einzelner Mann kann es nicht fertig bringen 14 starke Träger umzubringen, gerade nicht wenn er von einer verzehrenden Tropenkrankheit gezeichnet ist. Nein, ich denke, dass mein Onkel einem Angriff der Separatisten entfloh und zurück nach Mérida reiste, verwirrt von irren Fieberträumen.
Es gibt nur zwei Dinge, die nicht ganz in diese Theorie passen: Der Stein und die Anleitung.
Im Einband des Buches fand ich ein zusammengefaltetes Blatt Papier, das mit Blutflecken übersät war. Auf dem Blatt befand sich in fahriger, nicht mit Tinte, sondern mit irgendetwas hellerem, rötlichem gezeichneten Schrift, der Ablauf der Zeremonie - eine wirre Anzahl von seltsamen Ritualen – die es möglich machen würde, mit Hilfe des Steines in die fremde Dimension zu blicken, Äonen und Welten von unserer Realität entfernt, und Dinge und Wesen gefangen haltend, die sich der menschlichen Vorstellungskraft entziehen. Überall auf dem Blatt sind Zeichnungen von geradezu grotesker Hässlichkeit zu finden, die wohl die Wesenheiten darstellen, welche mein Onkel in seinen Alpträumen gesehen hat. Ich muss zugeben, die Bilder bereiten mir ein gewisses Unbehagen, doch hat das sicher mit der mir bekannten Entstehungsgeschichte zu tun und nicht mit der Annahme, mein Onkel wäre durch die Zeit hinab in das vergessene Reich einer längst verblichenen Zivilisation gestiegen um dort ein wahrscheinlich außerirdisches Kultobjekt an sich zu nehmen, welches gleichzeitig als Schlüssel zu einem Tor dient, das besser verschlossen bleiben sollte. Alleine die Beschreibung der Treppe, die auf physikalisch unmögliche Weise stundenlang hinablief in die Tiefe, um unter der Pyramide des Zauberers in einem Tempel, unbekannten Göttern geweiht, zu enden, ist so irrwitzig, dass man sie nicht als wahr ansehen kann. Ich nehme vielmehr an, dass die Fixierung meines Onkels auf den Gedanken, unter der Pyramide würden weit ältere Tempel schlummern, zu diesen fürchterlichen Visionen geführt hat, mit deren Hilfe das Unterbewusstsein meines Onkels versucht hat, die Gräuel und Schrecken des von ihm sicherlich bezeugten Massakers zu verarbeiten. In diesen Wahn muss er sich immer mehr gesteigert haben, was zuletzt mit seinem irrsinnigen Ritual an Deck des Schiffes endete, mit dem er eigentlich in die trügerische Sicherheit heimatlicher Gefilde segeln wollte.
Laut den Berichten der Polizei, die meinen Onkel in dem Zustand in dem ich ihn später vorfand, am Hafen von London vom Kapitän der HMS Empire of Glory in Empfang genommen und ihn sofort in das Sanatorium gebracht hatte, war mein Onkel irre tanzend und kreischend an Deck des Schiffes entdeckt worden und hatte versucht, sich den Beruhigungsversuchen der heraneilenden Mannschaft mit einem Sprung in das Meer zu entziehen, was ihm glücklicherweise durch die schnelle Reaktion eines Vollmatrosen bedingt missglückt war. In den Händen hatte er den dämonischen Stein gehalten, den er aus dem Dschungel mitgebracht hatte.
Den Anweisungen auf dem Blatt zufolge, ist das Ritual nur unter in einer Sternenklaren Nacht zu vollziehen, man soll einen kleinen Tropfen Blut auf den Stein reiben und eine düstere Beschwörungsformel murmeln, die ich aus nachvollziehbaren Gründen hier nicht wiedergeben will.
Damit würde man ein Ereignis auslösen, dessen Natur ich mir nicht genau sicher bin, aber laut den Beschreibungen, könne man einen Schritt in eine andere Welt machen.
Es ist natürlich Humbug, nur daran zu denken, die Zeremonie durchzuführen, als rationaler Mensch lache ich bei dem Gedanken daran, doch bin ich gewillt es im Andenken an meinen geliebten Onkel zu versuchen: ich werde mich heute Nacht nach draußen begeben, den Stein mit meinem Blut einreiben, die Formel aufsagen und sehen was passiert.
Ich will mich hier nicht mit pathetischen Schlussformen aufhalten, doch fühle ich mich genötigt dieses Dokument niederzuschreiben, bevor ich den Schritt in das Unmögliche vollziehe. Wissend, dass nichts passieren kann, aber trotzdem erschreckt vom Gedanken, es könnte mir möglich sein, einen Blick in die Welt dahinter zu werfen, in den Spalt, der unsere Wirklichkeit von anderen Realitäten trennt, schließe ich diesen Text ab, lösche die Lampe und fahre mit dem Stein hinaus in das Dunkel der Nacht, von wo ich möglicherweise nicht mehr wiederkehre.

21. Mai 1842 Sir James Owen

Artikel aus der TIMES, London, 23. Mai 1842

Bekannter Arzt richtet sich selbst, Verbindungen zu früherem Todesfall im gleichen Haus möglich

Eine schreckliche Tragödie passierte in der gestrigen Nacht im Hause des anerkannten Doktors der Psychiatrie Sir James Owen, dessen Onkel bereits vor Wochen durch einen grausamen Selbstmord Aufmerksamkeit erregte. Laut den Aussagen der am Unglücksort eingetroffenen Polizisten wurde die Leiche von Sir James Owen in seinem Arbeitszimmer mit aufgeschnittener Kehle von seinem Butler aufgefunden. Hinweise deuten darauf hin, dass er sich die tödliche Verwundung selbst mit einem scharfen Messer zugefügt hat. Unbestätigten Aussagen der Nachbarn zufolge war es spät nachts aus seiner Wohnung zu Ruhestörungen gekommen, die die Anwohner als lautes, unheimliches Kreischen beschrieben.
Das Haus des Doktors war bereits einige Wochen zuvor Gegenstand unserer Berichterstattung, als sich dort der Onkel Owens auf ebenso brutale Weise das Leben nahm. Verbindungen zwischen den beiden Selbsttötungen sind nicht auszuschließen, liegen aber noch völlig im Dunkeln.

 

Hallo Existence

erstmal vielen Dank für Deine Kritik.

Ich habe längere Zeit an der Geschichte gesessen und ein bisschen die Distanz dazu verloren; zum Beispiel sind mir viele Fehler trotz mehreren Korrekturlesungen erst aufgefallen, als ich den Text schon fertig gepostet hatte. Ich habe mich scheinbar auch zu sehr auf das Rechtschreibprogramm verlassen ;-)

Die Lovecraft'sche Art und Weise eine Geschichte aufzubauen hat mich als einen sehr unerfahrenen Autor stark gereizt: der Plot ist ja sozusagen schon vorgegeben und eigentlich nur noch in eine neue Umgebung zu versetzen.
Auch mag ich den Briefroman-Stil, den ich bis jetzt in jeder Geschichte Lovecrafts angetroffen habe und finde die Sprache einfach schön.
Die Vorstellung, das Böse würde von uralten, außerirdischen Göttern repräsentiert, die schon einmal auf der Erde geherrscht haben, ist für mich realistischer als übernatürliche Wesen wie Werwölfe, Vampire und Dämonen.

Bei dem was Du über den Text des Onkels sagst, hast Du vollkommen recht:
Entweder hätte ich den letzten Abschnitt im Stil des Vorangegangenen verfassen müssen, oder den ganzen Reisebericht im Stil des letzten Abschnittes, es fehlt auf jeden Fall die Herausarbeitung der Geisteskrankheit.

Ich dachte, die Motivation der beiden Protagonisten wäre klar, aber aus einem distanzierten Blickwinkel betrachtet, stimmt das nicht ganz. Zu den Bezügen auf Cthulu, Nyarlathotep, Mu, etc. muss ich sagen, dass ich dachte, die Beschreibung der Flachreliefs würde reichen; mir fiel keine Möglichkeit ein, die Bezüge ohne ausschweifende Schilderungen von Träumen oder fiktiven Werken wie die "Unaussprechlichen Kulte" oder das "Necronomicon" im Text unterzubringen und versuchte deshalb einen Cthulhu-Mythos-light einzubringen.

Stilistisch werde ich den Text auf jeden Fall noch einmal bearbeiten, wahrscheinlich auch im Hinblick au Deine Kritikpunkte.

Ich hoffe aber, dass die Geschichte trotz der Länge nicht zu mühsam zu lesen war und bedanke mich für Dein Lob zum Schluss.

Scyvius

PS.: Ich bin mir sicher, die beschriebene Selbstötungsmethode funktioniert; ich hab das schließlich mal in einem Film gesehen! ;-)

 

Hi Scyvius!

Ich kann nur hoffen, dass dies hier nicht die einzige Geschichte bleibt, die du hier postest. Ich hoffe dazu, dass du dich rege an den Disskussionen hier beteiligst, Geschichten kritisierst und Kritiken abbekommst. So, und meiner Meinung nach nur so, kannst du lernen, besser zu werden.

Wie der verehrte Kollege Existence vor mir erwähnte, hast du Potential. Mich würde interessieren, wie du dich weiter machst, wie du dich entwickelst und verbesserst. Habe schon einige Mitglieder hier wachsen sehen, leider bleiben die wenigsten dran, so dass sich die Texte in diesem Forum als Eintagsfliegen erweisen.

Nun denn: Der Text hier hat natürlich nicht viel Gehalt. Er ist aufgeblasen und unendlich vergrößert. Würde man eine Nadel nehmen und hineinpieksen, würde das Stück ganz schnell auf die reale Größe schrumpfen.
Aber das ist fast immer so bei solchen Texten. Er, dessen Namen ich nicht zu nennen brauche, hat fast nur so geschrieben.

Die Kunst ist, mit diesem Stil und in dieser Form doch noch Innovatives herüber zu bringen.

Du hast ganz ohne Zweifel Talent, der Stil gefällt mir. Wenn er nicht manches Mal die Fakten mehr und mehrmals ausbreitet.

Ich stehe auf dem Standpunkt, dass man dem Leser mit kürzestmöglicher Weise klarmachen muss, was Sache ist. Zumindest in Szenen, in denen es um Spannung geht. Du musst auch kanpp schreiben können, denke ich.

Der erste Satz:
Der Anfang ist schon eindeutig zu ausführlich, wenn auch recht angenehm geschrieben. Es ist allerdings tödlich, gleich zu Beginn ein und dieselbe Mitteilung mehrmals zu machen. Damit langweilst du schon und gerade beim ersten Satz springen dir haufenweise Leser ab.
Der erste Satz soll hineinziehen ins Geschehen und es gleichzeitig diffizil vorwegnehmen.

Also - nochmal drübergehen (am Besten mit etwas Abstand) und selbst mal lesen, was rauskann. Da gibt es 'ne Menge.

Es gibt 'ne Menge Fehlerchen, die du dabei auch finden und ausmerzen kannst. Mit dass und das hast du es offensichtlich auch nicht so.

Ich hatte mich gerade in ein wissenschaftliches Werk über hysterische Anfälle vertieft, einige Symptome wiesen doch darauf hin, wobei das seltsame Jaulen und die Resistenz gegen die Beruhigungsmittel sehr seltsam erschienen und nicht in das Bild eines durch Überbeanspruchung der psychischen Konstitution und dem damit zusammenhängenden Zusammenbruch passen wollten, als ich aus dem ersten Stock, also da wo das Gästezimmer lag, ein lautes Kreischen vernahm, gefolgt von einem unheimlich lauten Klirren von Glas und dem jetzt typischen Kreischen meines Onkels, doch diesmal viel lauter und markerschütternder als jemals zuvor.

Das ist ein - willkürlich herausgegriffener - Satz. Uiuiui, bei mir würde er höchstens so aussehen:

Ich hatte mich gerade in ein wissenschaftliches Werk über hysterische Anfälle vertieft ... als ich aus dem ersten Stock ... ein lautes Kreischen vernahm, gefolgt von einem ... lauten Klirren ... und dem ... Kreischen meines Onkels ...

Ich finde, das ist prägnanter und schneller zu lesen. Dabei ist aber auch alles gesagt.


Weshalb ich den Satz herausgegriffen hatte: markerschütternder als jemals zuvor

Gibt es eine Steigerungsform von markerschütternd?


Zurückblickend muss ich gestehen, dass ich aus heutiger Sicht immer noch nicht nachvollziehen kann

Da sagst du zweimal in einem Satz dasselbe.


Was, zum Teufel, ist ein passionierter Laie?

Und kurz danach:

Der Inhalt des Gespräches während des Essens ist es nicht Wert wiedergegeben zu werden,

und warum tust du es dann doch?

Es sind nur einige herausgepickte Stellen gewesen, aber sie stehen für den gesamten Text.

Abschließend kann ich sagen, dass ich das Stück gerne gelesen habe, auch wenn man es der vorstehenden Kritik nicht ansehen mag. Es steckt viel Fleiß in der Geschichte, sie ist unterhaltsam geschrieben, aber eben nicht an jeder Stelle und nicht flüssig.

Abspecken, abspecken, abspecken. und wenn du dabei ein Adjektiv siehst, kill him!


Schöne Grüße von meiner Seite!

 

Hallo Hanniball,

auch Dir vielen Dank für die Kritik.

Es freut mich, dass sich noch jemand die Mühe gemacht hat, meine doch sehr lange Geschichte zu lesen und ein Feedback zu geben.

Zu den einzelnen Punkten:

Ich gebe zu, der Text ist aufgeblasen. Ich werde ihn nochmal vollständig überarbeiten und versuchen, Längen und Wiederholungen rauszukürzen.
Aber wenn Du den Originaltext gesehen hättest, wärst Du stolz auf mich, was ich schon alles rausgestrichen habe ;-).

Mein Versuch, den Text wie einen Art Abschiedsbrief zu verfassen und trotzdem eine gewisse Spannung zu erhalten, ist mir leider nicht so geglückt, wie ich es vorhatte. Trotzdem denke ich, dass ich den Stil, der mir vorschwebte, doch in gewisser Weise getroffen habe und der schreibt nun mal eine gewisse, von ewig langen Schachtelsätzen geprägte, immer wieder zum eigentlichen Knackpunkt zurückkommende und umkreisende Sprache vor.

Zum Schluss hin fielen mir die Ausschweifungen inhaltlicher und sprachlicher Art auch auf, was sich in dem etwas abrupten Ende (im Verhältnis zum übrigen Text) zeigt. Doch wenn ich meine Geschichte in dieser Hinsicht mit manch anderen von Lovecraft vergleiche, finde ich, dass ich noch recht gut dastehe ;-).

Interessant, dass auch Du die zeitliche Distanz zwischen Schreiben und Korrektur ansprichst. Vielleicht sollte man eine Geschichte, nachdem sie fertig geworden ist noch längere Zeit iegen lassen, ehe man sie postet (so habe ich es bei den weiteren jedenfalls vor), aber ich war bei diesem Text einfach nur froh als ich fertig war und hab mir nicht mehr so viel Mühe gegeben, die Fehler auszumerzen; was man ja jetzt auch sieht.

Auf jeden Fall nehme ich mir deine Ratschläge zu Herzen und versuche sie in meine künftigen Arbeiten aufzunehmen.

Mit Grüßen,

Scyvius

 

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