Vaters Handschuhe
Seine Handschuhe sind eine schmerzhafte Erinnerung, die er immer bei sich trägt. Eine Erinnerung an seinen Vater. Sie weisen ihn immer wieder auf die schreckliche Wirklichkeit hin, aber trotzdem sind sie ein Teil von ihm geworden.
Freitagnachmittag, 27. Januar, die Schule war endlich wieder einmal überstanden und die Ferien nahten. Das Zeugnis war gut, nicht allzu gut, aber immer noch gut. Natürlich wollte er es seinem Vater, der nicht mehr bei ihm wohnte, zeigen, aber zuerst hatte er versprochen, auf einen Kollegen zu warten. Als dieser nach 10 Minuten immer noch nicht gekommen war, wurde er ungeduldig und ging, denn er wollte endlich sein Zeugnis vorführen. Er beeilte sich, ging über die Brücke und klingelte an der Tür des Mehrfamilienhauses. Er hörte den Hund bellen und fragte sich schon, wie sein Vater reagieren würde.
Freitag, ca. 10.00 Uhr, Vater machte seine letzten Schritte. Er hatte, wie so oft, seine ledernen Handschuhe an, erzählte alles, alle seine Gefühle und Empfindungen einer guten Freundin, die er getroffen hatte. So offen gegenüber anderen hatte er sich noch nie benommen. Es war beinahe beängstigend. Sie hörte ihm zu, sagte nur ab und zu: „Und was ist mit deinen Kindern? Willst du das aufgeben, was dir am meisten bedeutet hat?“, doch er liess sich nicht davon abbringen, stapfte weiter, kraftlos, mit dem Hund an der Leine. Die Route, die er jeden Morgen gegangen war, war jetzt eine Tortur für ihn, doch er musste diesen Weg noch gehen, diesen einen noch.
Niemand öffnete dem Sohn, darum klingelte er noch mal, doch nur das Bellen des Hundes ertönte. Er wollte durch die Hintertür rein, denn sein Vater kam bestimmt gleich wieder, war nur schnell weggefahren.
Die Hintertür war normalerweise immer offen, nur an diesem Freitag nicht. Er schaute durchs Fenster, sah aber nichts, ausser die Umrisse eines Mantels, der in der düsteren Waschküche hing. Oder stand da jemand? Nein! Wahrscheinlich nicht.
Er klingelte ein zweites Mal, der Hund bellte, niemand öffnete. Er bekam ein flaues Gefühl im Magen, ging noch mal zur Hintertür und bemerkte erst dann, dass das Auto in der Garage stand. Er schaute noch mal durchs Fenster, schaute genauer und sah jetzt deutlich, dass da jemand war, mit dem Rücken zur Tür. Er klopfte, doch die Person reagierte nicht.
Sein Vater hatte den eisernen Papierkorb geleert, einen Brief auf den Tisch gelegt und sich von seinem Hund verabschiedet. Er nahm den Papierkorb, ging die Treppe runter und schloss die Türe ab.
Den Sohn ergriff eine Angst, die ihn fast erdrückte. Er rannte noch einmal zu der Klingel, drückte lange, hörte den Hund bellen. Er hastete zurück zur Hintertür, hämmerte gegen die Scheibe, schrie nach seinem Vater, doch niemand regte sich. Er fuhr so schnell er konnte mit dem Fahrrad nach Hause, warf es auf den Boden, zog nur noch die Schuhe aus und rannte zum Telefon, um die Polizei anzurufen.
Noch zwei Stunden vorher hatte er die Lederhandschuhe angehabt, jetzt nahm er Abschied von der Welt. Er stellte sich auf den Abfalleimer, zögerte, legte sich die Schlinge um den Hals und tat dann den entscheidenden Schritt.