- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 2
Verabschieden
Ben ruft an und fragt, ob ich da bin.
„Bin ich“.
Mir fällt auf, dass ich seine sympathisch lakonische Art übernehme.
„Die Jenny kommt gleich und bringt die Anlage vorbei.“
Explosionsartiges Getrommel in meiner Brust.
„Okay.“
„Schade, dass du gestern so früh weg warst.“
Schuldbewusstes Nicken. Es wirkt wie eine Pause.
„Okay...“. sagt er schließlich. „...äh tschüs.“
„Tschüs.“
Ich mag ihn. Nicht die Sprechweise allein, sondern die damit verbundene Ausstrahlung.
Er wirkt selbstbewusst, überlegen, sogar bewundernswert.
Wir ergänzen uns prächtig. Er mit seinem Testosteron, ich mit meiner Tiefgründigkeit. Ben hat immer eine Meinung, ich eher selten - aber das kann ich dafür begründen. Ben erlebt viel, wäre aber unfähig, seine Memoiren zu schreiben. Ich kann und wollte, aber mein Leben ist zu langweilig.
Der Wagen fährt vor, ich stehe in der Tür.
Jenny schiebt die Sonnenbrille nach oben und grüßt. Trotz Ölflecken auf der Wange sieht sie toll aus. Nur wenige können das tragen. Die durchzechte Nacht ist ihr nicht anzumerken.
Ich schleppe die Anlage in den Keller während wir kurz angebunden über Nebensächlichkeiten reden.
„Kommst du morgen Abend auch?“, fragt sie.
„Joah“ sage ich in dem üblichen Bestreben, mir die Verbindlichkeit vom Hals zu halten.
„Ich fand’s nämlich ganz cool gestern.“
Gestern. Es ist das erste Mal ohne diese Spannung gewesen. Das erste Mal, seit sie weiß, dass ich weiß, dass sie mit Ben zusammen ist. Unsere romantische Heißluftballonfahrt zu zweit hatte an Rasanz gewonnen, denn der Ballon war geplatzt.
Aber Spannung? Da ist keine Spannung mehr, wenn man weiß, dass es ohnehin vorbei ist.
„Ich fand’s auch cool.“
„Okay, dann bis morgen!“
Jetzt ist es ja doch schon fast verbindlich. Die Fäden um ihre Finger kleben wie Öl.
Früher, als es noch spannend war, haben wir uns zum Abschied umarmt. Jetzt stehen wir circa einen Meter zweiundfünfzig voneinander entfernt und winken uns zu, nicht wissend, wohin sonst mit unseren Armen. Ich sehe so bescheuert aus in den Gläsern ihrer Sonnenbrille. Ein Spiegelbild dämlicher als das andere.
„Tschüs“, sagt sie und klingt dabei wie Ben.
„Tschüs“, sage ich und klinge dabei wie ich selber. Die Stimme tiefer, als wollte ich anspielen auf die Tiefgründigkeit, die ich mir einrede.
Sie zögert kurz. Kurz kann unendlich lang sein, wenn man in dieser Zeit etwas Wichtiges erwartet, und ist im Nachhinein betrachtet doch eigentlich nur kurz.
Sie lächelt - und steigt ins Auto.