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Verdammt, ich habe ihm einen Mähdrescher verkauft

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04.08.2002
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Verdammt, ich habe ihm einen Mähdrescher verkauft

Der 8-Zylinder des giftgrünen Mähdreschers heult mit tiefem Röhren auf. Der Fahrer setzt zurück, bleibt stehen, die Haspel beginnt sich zu drehen, der Schneidetisch senkt sich langsam ab. Die Sonne brennt auf das endlose Weizenfeld. Die Ähren neigen sich unter dem Gewicht der prallen Körner. Das Dröhnen des Mähdreschers wird lauter. Schneidetisch und Haspel sind breiter als eine Autobahn und die Vorderräder größer als ein Mann. In der Kabine sehe ich ihn lachen. Sein Fuß steigt auf das Gaspedal. Die Messer beginnen ihren beißenden Tanz. Die Haspel wird immer schneller, der Mähdrescher rollt los, eine dunkle Rauchwolke hängt über dem Auspuff. Die Euphorie des Fahrers kennt keine Grenzen, denn dieses Mal will er das ganze Feld an einem Tag dreschen.
Schreiend wache ich auf.
Verdammt, ich hätte ihm den Mähdrescher nicht verkaufen sollen.

Der Typ stand in der schrecklichsten Mittagssonne auf meiner Ausstellungsfläche. Ich brachte ihm eine eiskalte Coladose, doch bevor ich etwas sagen konnte, zeigte er auf die in Reih und Glied stehenden Landmaschinen.
„Ich möchte einen Mähdrescher kaufen.“
Ich dachte, er will mich verarschen. In diesem Sommer der Wirtschaftskrise kam niemand auf die Idee einen neuen Mähdrescher zu kaufen.
„Kommen Sie erst mal in den Schatten. Ihnen muss ja furchtbar heiß sein.
Er schüttelte den Kopf. Unter der breiten Krempe des Huts waren seine Gesichtszüge kaum zu erkennen.
„Ich möchte ihn sofort mitnehmen.“
„Bitte?“ Im Landmaschinenhandel geht nichts schnell. Die Verhandlungen sind zäh und werden vom Jammern, über schlechte Ernte und schlechte Preise und überhaupt über den unverschämt hohen Preis ihrer Waren dominiert. Wenn einer sagt, kann ich den gleich mitnehmen, ist das genauso als würde er sagen: „Ich habe zu viel Geld. Bitte nehmen sie es mir ab.“
„Für welche Anwendung soll er denn sein? Mais oder Getreide?
„Mais? Nein, ich dresche Getreide. Volles, reifes Getreide. Mein Feld ist recht groß. Ich möchte den stärksten Mähdrescher, denn sie haben.“
„Getreide? Ja richtig, jetzt ist es Zeit für den Weizen. Kann ja jederzeit ein Gewitter kommen und alles niederwerfen. Oder Hagel. Da dürfen Sie jetzt wirklich nicht zögern. Sehen sie sich den Claas Lexion 600 mit 1200 er Vario Schneidwerk an. Eine sehr gute Wahl wäre auch der New Holland CR9090. Sein Schneidwerk hat zwar nur 9,15 Meter Schnittbreite, doch bei hohem Ertrag können sie die zwölf Meter vom Lexion nicht ausnutzen.“
Er sah unschlüssig zwischen dem giftgrünen Claas und dem gelben New Holland hin und her.
„Welcher drischt schneller?“
„Das kommt eben ganz darauf an, aber ehrlich gesagt, der Lexion ist bei guter Bodenbeschaffenheit sicher schneller. Allerdings ist der Korntank etwas kleiner. Wie groß sind den ihre Flächen?“
„Wenn ich mit der Arbeit an einem Ende beginne, ist das Korn dort wieder angewachsen, wenn ich am anderen Ende fertig bin.“
„Ha, ha, sehr gut, dann brauchen sie wirklich ein großes Gerät.“
Ich führte ihn zum Lexion. Er strich zärtlich über die Zinken der Haspel.
„Ich bin noch nie mit so etwas gefahren. Würden sie mir zeigen, wie man ihn bedient?“
„Ja, in den letzen Jahren hat sich viel verändert. Aber sie werden sich schnell daran gewöhnen.“ Ich kletterte die massive Metalleiter über dem großen Vorderreifen hinauf, öffnete ihm oben die Türe, startete den Motor und stellte die Klimaanlage auf höchste Stufe. Die Kabine hatte sich in der Hitze aufgeheizt wie ein Backofen. Schweiß rann in Strömen von meiner Stirn. Jetzt nur nichts verpatzen, dachte ich.
„Herrlich diese Aussicht, man fühlt sich so über den Dingen stehend.“
„Ja, das ist einer der Vorteile der Claas. Ihnen entgeht nichts. Das Axial Power System mit Roto Plus Restkornabscheidung verhindert selbst bei höchstem Durchsatz, dass Sie Körner verlieren. Konventionelle Schüttlertechnologie kommt da nicht mit. Es kostet natürlich etwas mehr. Aber dann haben Sie das Beste vom Besten. Cruise Pilot und Laserpilot halten das Gerät immer automatisch am höchstmöglichen Limit. Das Schneidwerk passt sich automatisch den Bodenunebenheiten an und wird links und rechts entlang der zu dreschenden Halmen nachgeführt. Sie können sich zurücklehnen und ihre Arbeit genießen.“
„Wozu ist dieser Knopf?“
„Damit stellen Sie die Schneidwerkhöhe ein. Und wenn Sie hier drücken, dann wird diese Höhe immer exakt beibehalten. Sie können sich ganz auf das Fahren konzentrieren.“
Er fasste das Lenkrad, drehte es hin und her.
„Was muss ich tun, um vorwärts zu fahren?“
„Ach, ja, die elektrohydraulische Schaltung ist für Sie ungewohnt. Um den Vorwärtsgang einzulegen, müssen sie diesen Schalter drücken. Daneben drücken Sie Overdrive auf Straßenfahrt. Bis 30 km/h. Und hier mit diesem Multifunktionsgriff steuern Sie das Schneidwerk. Hier können Sie die Höhe verstellen, hochziehen zum Hochheben. Und mit dem Knopf wird die Schnecke ausgefahren.“
„Ist das da unten das Gaspedal?“
„Ja, der Motor ist eine V8 Maschine mit nominell 431 Kilowatt und 41 Kilowatt Überleistung.“
„Darf ich ihn ausprobieren?“
Ich tauschte mit ihm Platz und drückte den Vorwärtsgang rein.
„Draußen können wir eine kleine Runde fahren. Leider sind die Weizenfelder hier schon alle abgeerntet.“
„Vorsicht!“ Ich riss das Lenkrad zur Seite und wich dem New Holland aus.
„Entschuldigung, ich bin diese neuen Geräte nicht gewohnt. Ich arbeitete bisher sehr traditionell.“
„Achtung, das Tor!“
Der Idiot tat, als hätte er noch nie einen Mähdrescher bedient. Nach zwei Stunden, in denen ich immer wieder beinahe den Ausknopf drückte, an das viele Geld dachte und ihm dann nochmal alles erklärte, war er soweit, dass er vermutlich ohne Unfall bis zum nächsten Bauernhof fahren konnte.
„Ich nehme ihn“, sagte er, nachdem ich den Ausknopf gedrückt hatte.
„Eine ausgezeichnete Wahl. Sie kommen dann am besten morgen Vormittag wieder. Dann gehen wir noch einmal alles in Ruhe durch. Der Preis gleich zum Gleichmitnehmen beträgt 650 000.“
„Einverstanden“, sagte er. „Aber ich will ihn sofort mitnehmen.“
„Bitte?“
„Wirklich ein tolles Gerät zu einem sehr fairen Preis.“
Ich schnappte nach Luft. Wollte er mich verarschen. Ich hatte den fairen Preis verdoppelt.
„Sie müssten aber auch gleich bezahlen.“
„Ich habe alles mit.“
In meinem Büro zog er einen schweren schwarzen Sack unter seinem Umhang hervor.
Ich nahm ihm den Sack aus der Hand und schnappte überrascht nach Luft, da ich ihn kaum halten konnte. Der Typ sah dürr aus, ich hatte nicht geglaubt, dass er so stark war.
„In Gold.“
„Ich dachte eigentlich an eine Überweisung.“
„Denken Sie doch nach. Gold ist die einzig wahre Hartwährung. Ich konnte mich die daran gewöhnen, mit Papier zu bezahlen. Kann doch jeder bessere Drucker machen, soviel er will. Und erst diese Überweisungen. Glauben sie mir: Nur Gold ist wirklich sicher.“
Er griff mit beiden Händen in den Sack und streute große Goldmünzen über meinen Schreibtisch. Ich griff zu, ließ sie durch meine Hände rieseln und mein Herz begann rascher zu schlagen.
„Es sind fünfundzwanzig Kilo. Wiegen sie es ab, ich hab noch mehr mit, wenn es zu wenig sein sollte.“
Ich sammelte die Münzen wieder auf und warf sie zurück in seinen Stoffsack. Die Vorderseite meines Hemdes war schweißnass. Ich hatte es vor lauter Nervosität nicht geschafft, die Münzen zu zählen. Es waren wohl Tausende.
„Hier einmal unterschreiben bitte. Ich geb ihnen gleich noch ein Überstellungskennzeichen mit.“ sagte ich, während ich hastig den Kaufvertrag ausfüllte. „Wo liegt den ihre Feld?“,
„Eigentlich überall. Kennzeichen brauche ich keines. Kann ich mein altes Gerät bei ihnen lassen?“
„Ja, jetzt habe ich ja wieder Platz.“
Er nickte. Ich schrieb weiter, ohne nachzufragen, was sein altes Gerät war. Fiel wohl schon auseinander, denn er wollt für die Rückgabe seines alten Mähdreschers keinen Preisnachlass für den Neuen.
Ich gab ihm den Kaufvertrag, als mich ein kalter Schreck durchfuhr. Für wie blöd hielt der Typ mich eigentlich. Beinahe hätte er mich reingelegt. Verdammte Gier.
„Moment bitte. Ich muss da noch etwas überprüfen.“ Ich riss ihm den Kaufvertrag aus der Hand. Das Ganze stank doch zum Himmel!
„Sehen Sie sich die Bedienungsanleitung an. Sicher haben sie noch Fragen. Ich muss ihre Hartwährung kurz überprüfen.“
Er grinste: Das spezifische Gewicht ist neunzehn Kilo pro Liter.“
Mit dem Zulassungsschein, Kaufvertrag und dem Sack voller Gold rannte ich in meine angebaute Wohnung. Zuerst schlug ich mit einem Stemmeisen auf eine Münze. Okay, sah auch innen aus wie Gold, dann schüttete ich die Münzen in ein Litergefäß, goss Wasser hinein, wog das Wasser, bestimmte das Volumen der Goldstücke und, verdammt: Neunzehn Kilo pro Liter, das Zeug war echt und ich hatte keine Sorgen mehr.
Mein Hemd klebte an mir wie ein nasser Fetzen, doch ich gönnte mir nicht die Zeit, ein Neues zu holen. Seine Unterschrift war ja noch nicht unter dem Vertrag. Als ich zurück ins Büro kam, war er weg. Genauso wie der Lexion 600. An seiner Stelle lag eine Sense. Ich hob sie auf, stellte sie zur Seite, keine Ahnung, wo das alte Ding herkam, rannte wieder zurück ins Haus, überprüfte noch einmal das Gold, ließ es durch meine Hände gleiten und begann zu lachen. Ich hatte wahrhaftig das Geschäft meines Lebens gemacht. Die Unterlagen zu fälschen würde mir nicht schwer fallen. Zweihunderttausend Euro, nein ich würde volle 250 000 abzweigen. Und mein Chef würde mich trotzdem für den erzielten Verkaufspreis loben.
In der darauf folgenden Nacht fingen die Albträume an.

Das Getreidefeld ist riesig, doch der Mähdrescher pflügt unermüdlich eine Schneise nach der anderen in die goldgelben Halme.
Die Haspel zwingt die Ähren zum Schneidwerk, wo die scharfen Messer sie tausendfach abtrennen. Das Getreide wandert in den Bauch des Ungeheuers. Tausendfach, millionenfach und dann spüre ich die atomare Gluthitze das Fleisch von den Knochen der Menschen reißen. Ich höre sein schreckliches Lachen. Und dann sehe ich sein Gesicht. Die Augen sind leere Höhlen in denen langsam atomare Pilzwolken aufsteigen. Ich falle hinein, renne in überfüllten Städten zwischen panisch kreischenden Frauen, Männern, Kindern. Wegen der Hitze und des Drucks bekomme ich minutenlang keine Luft mehr und dann kann ich endlich schreien.

 
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Hallo Bernhard

Gefällt mir sehr, ich bin zwar kein Freund von Landmaschinen und technischen Details, aber die zu Beginn angedeutete Idee, dass er einen unwiderruflichen, schlimmen Fehler begangen hat, hält mich am Lesen, weil ich wissen möchte was denn nun daran so schlimm ist, eine Maschine zu verkaufen. Und von mir aus ist der allerletzten Abschnitt sogar überflüssig! Du hast vorher schon alles so gut konstruiert und beschrieben! Der allerletzte Abschnitt dagegen wirkt auf mich wenig elegant geschrieben. Also entweder weglassen - und das würde dem Text nicht schaden, oder besser schreiben, weil das kannst du ja.


Einige Anmerkungen:

„Wo liegen den ihre großes Feld?“
merkst du selber oder?

Ich hatte wohl richtig graten, dass sein Alter inzwischen auseinander fiel, denn er wollte nichts dafür.
"sein Alter" sollte sich hier auf "das Gerät" beziehen oder? Ich fände es am elegantesten wenn du einfach nur "es" schreibst.

Das Ganze stank doch zum Himmel!
Schlusszeichen nach Himmel.

„Sehen sie sich vielleicht so die Bedienungsanleitung an. Sicher haben sie noch Fragen. Ich muss nur ihre Hartwährung kurz überprüfen.“
"so" -> ersetze z.b. mit "noch einmal"
"muss" -> fände ich schöner mit "möchte"

--> hier irritiert mich, dass ein Landmaschinenverkäufer weiss, wie man Gold auf seine Echtheit überprüft?! Und auch, dass er weiss dass es genug ist für den Rechnungsbetrag, respektive, dass der Käufer weiss dass es nicht zu viel ist für den Rechnungsbetrag. Er erfährt den Preis ja erst im Laden und muss nichts nachzählen sondern hat exakt die richtige Menge dabei?
Oder gehört das auch mit zu seinen speziellen Fähigkeiten?

dann, schüttete ich die Münzen in ein Litergefäß, goss Wasser hinein,
kein Komma nach "dann".
-> in diesem letzten Abschnitt bin ich mir nicht sicher, ob es vielleicht noch mehr Kommafehler hat, bin da selber keine Spezialistin.

Als ich zurück im Büro kam, war er weg. Genauso wie der Lexion 600.
"im" -> ersetzen mit "ins"

rannte wieder zurück in mein Haus überprüfte noch einmal das Gold, ließ es durch meine Hände rinnen und begann schallend zu lachen.
"in mein" -> ersetzen mit "ins" er wird ja wohl nicht in ein fremdes Haus rennen.

Warum machst du nur im letzten Viertel Fehler?

Liebe Grüsse,
Siiba

 

Hi Siiba,
Erst Mal vielen Dank für dein Lob und deine Anmerkungen.
Ich war ja recht unsicher wie weit die Geschichte funktioniert, weil ja der eine Leser früher und der andere später die Pointe des ganzen errät.

--> hier irritiert mich, dass ein Landmaschinenverkäufer weiss, wie man Gold auf seine Echtheit überprüft?! Und auch, dass er weiss dass es genug ist für den Rechnungsbetrag, respektive, dass der Käufer weiss dass es nicht zu viel ist für den Rechnungsbetrag. Er erfährt den Preis ja erst im Laden und muss nichts nachzählen sondern hat exakt die richtige Menge dabei?
Oder gehört das auch mit zu seinen speziellen Fähigkeite
hast recht. Hab ich jetzt anders geschrieben

Bezüglich Ende: Ich mags einfach so, kanns gar nicht genau erklären, aber wenn so der Anfang am Schluß zu Ende geschrieben wird, das hat irgendwie was rundes. Habs versucht jetzt mit anderen WOrten zu beschreiben.
Auf jeden Fall vielen Dank, deine Vorschläge waren allesamt sehr hilfreich

LG
Bernhard

 

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