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- 01.06.2007
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Vergiss Mein Nicht!
Piep … Piep .. Piep. Piep Piep. Gab es ein schlimmeres Geräusch auf der Welt als dieses Piepen? Müde hob er seine Hand und ließ sie auf den Wecker fallen. Daneben. Er hatte wieder zu viel getrunken. Wie schon so oft in letzter Zeit. Er griff hinter sich, zögerte dann aber.
Seit geraumer Zeit fehlte dort etwas. Er verdrängte den Gedanken, so schnell wie er gekommen war.
Der Wecker rief ihn zur Arbeit. Dass er daneben geschlagen hatte, macht ihm nun aber bewusst, dass er immer noch betrunken war. Sein Kopf dröhnte im Takt des Pieptons. Langsam öffnete er die Augen. Es war noch dunkel. War es immer im Winter um kurz vor 6 Uhr. Langsam drehte er seinen Kopf. Bloß nicht zu schnell. Das würde nur noch mehr Schmerzen verursachen. Nun sah er den Wecker. Behutsam, wie er meinte, drückte er den Knopf am Wecker.
Stille.
Mühsam raffte er sich auf. Nur nicht schon wieder zu spät bei der Arbeit erscheinen. Seine Kündigung konnte ruhig noch warten. Er schwankte rüber ins Bad. Fast hätte er sich in seiner Hose verheddert und wäre gestürzt. Rechzeitig fand seine Hand noch den Schrank. Er warf die Hose in die Ecke. Dabei fühlte er, dass sie starr geworden war. Irgendwas ist wohl darüber verschüttet worden.
Nebensächlich.
Er sah sehr krank aus. Blutunterlaufene Augen und sehr blass. An seinen Händen klebte irgendetwas. Schnell wusch er sie sich ab. Die Marmelade. Wie immer aß er irgendwas, wenn er betrunken war. Dabei würde er die Erdbeermarmelade seiner Mutter lieber im nüchternen Zustand genießen.
Gab es etwas Besseres wie diese Marmelade? Wohl kaum.
Zähne putzen, duschen, noch mal Zähne putzen. Frische Kleider. Und dann schnell raus aus dem Haus.
Mit dem Taxi, selber Fahren traute er sich noch nicht zu, ging es erst zum Bäcker und dann weiter zur Firma. Die Verkäuferin beim Bäcker musterte ihn mitleidig, wünschte ihm aber dennoch einen schönen guten Morgen.
Natürlich grüßte er zurück. Obwohl der Morgen alles anderen als gut und schön war, zumindest nicht für ihn. Doch gegen die Routine wollte er sich nicht wehren, konnte er auch nicht.
Welchen Sinn hätte sonst noch sein Leben?
Keinen.
So war es und nicht anders. Doch auch diese Gedanken erstickte er schnell wieder. Nicht zu viel denken. Immer noch schmerzte sein Kopf. Und er hatte einen Brandt, zu dumm dass er seine Sprudel vergessen hatte. Er war ein lausiger Trinker. Eigentlich hatte er noch nie viel getrunken. Aber seid kurzem blieb ihm gar nichts anderes übrig. Nur noch Arbeiten und Trinken. Beim Trinken vergaß er Alles. Die Arbeit lenkte ab. Weiter ging es mit dem Taxi. Das Gewirr der Menschen und Autos in der Stadt war immer groß. Sein Blick schweifte über die Gesichter der Menschen. Ausdruckslos, fröhlich, traurig, alle Emotionen waren vorhanden. Zu jedem Ausdruck gehörte eine eigene Geschichte. Doch keine war so grausam wie die seine. Selbstmitleid. Sein altes Ich schrie auf. Früher hätte er solch einen Gedanken nie zugelassen. Aber jetzt… Alles erschien ihm so sinnlos.
„Wir sind da!“, meldete sich plötzlich der Taxifahrer.
Man konnte es fast Freude nennen was ihn nun überfiel.
Die Arbeit würde ihn schon wieder auf andere Gedanken bringen.
Er zahlte.
Dann marschierte er schnell zu dem Gebäudekomplex. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er heute pünktlich war. Auch darüber freute er sich, so würde er seinen Job behalten. Sein Chef hatte ihn schon zu oft ermahnt, weil er wegen seiner Trinkerei des Öfteren zu spät gekommen war. Schon seltsam wie man sich über die kleinen Dinge des Lebens freuen konnte.
Dieser Gedanke zauberte sogar ein kleines Lächeln auf sein Gesicht. Doch ein erneutes Aufflammen seiner Kopfschmerzen lies es genauso schnell wieder verschwinden. Er passierte den Eingang und warf der Empfangsdame ein Kopfnicken zu. Diese schaute auf, lächelte und grüßte zurück. Aber er hatte noch gesehen wie sie kurz zuvor vor Ekel das Gesicht verzogen hatte.
Unverschämtes Gör!
Der Aufzug kam gerade. Schnell stieg er ein. Auch hier erntete er mehr oder weniger angewiderte Blicke. Vermutlich hatte er immer noch eine Fahne. Schnell schob er sich einen Kaugummi in den Mund.
Sein einziger Kumpel, Derek, war schon da.
„Morgen!“, grüßte er ihn.
„Hi! Hast du mal wieder einen über den Durst getrunken?“, fragte Derek streng, manchmal konnte er schlimmer sein wie seine Mutter. Schulter zuckend, setzte er sich. Derek schien noch etwas sagen zu wollen, aber irgendwie traute er sich nicht.
„Was ist los?“, fragte er.
„Hmm.“, war das einzige was Derek von sich gab.
„Na sag schon!“ Auf solche Spielchen hatte er am frühen morgen keine Lust.
„Dein Bruder hat vorhin angerufen.“ Zorn loderte ihn im auf.
„Ja?“, schnappte er. Er wollte sich nicht erinnern.
„Ja. Er wollte eine Vermisstenanzeige für sie aufgeben.“, berichtete Derek neutral.
„Ist ihm die Schlampe abhanden gekommen?“, rutschte es ihm heraus.
Mitleidig schüttelte Derek den Kopf. Er kannte die Geschichte. Und nun stieg in ihm auch wieder die Erinnerung hoch. SEINE FRAU hatte ihn mit SEINEM BRUDER betrogen. Und jetzt waren die beiden sogar ein Paar.
„Ich dachte es wäre besser, wenn ich es dir sage.“ Natürlich war es besser so. Sonst wäre er nur im nach hinein sauer gewesen, dass Derek es ihm nicht gesagt hätte. Er nickte knapp.
„Und wird schon gesucht?“
„Nein, es sind noch keine 24 Stunden um, zudem ist sie erwachsen. Du weißt ja wie die Regeln sind. Ich muss jetzt weiter. Man sieht sich. Und trink nicht soviel. Ich würde dich gern wieder als meinen Partner haben.“ Aufmunternd zwinkerte ihm Derek zu.
Wütend stürzte er sich in die Büroarbeit, dazu war er verdonnert worden, bis er wieder vernünftig zur Arbeit erschien.
Dabei war er zur Polizei gegangen, um etwas zu erleben und nicht weil er gern vor dem Computer saß.
Was wäre wenn…, fragte er sich wehmütig.
Doch so war es nicht.
Sein Bruder hatte ihm alles Glück der Welt genommen, dabei zeigte er kein bisschen Reue. Aber das hätte auch keine Rolle gespielt, seine große Liebe hatte ihn betrogen und verlassen. Zornig schlug er auf den Bürotisch. Erntete dafür ein paar fragende Blicke.
Er beachtete sie nicht und tippte weiter.
Die Mittagspause ignorierte er. Sowie auch die Tatsache, dass der Uhrzeiger schon die 5 passiert hatte.
Bis 8 Uhr schuftete er weiter.
Zwischendurch trank er einen Kaffee und ging aufs Klo mehr nicht. Aber schließlich schmerzten seine Augen zu sehr. Er schaltete den PC aus und stand auf. Es war fast keiner mehr da. Müde verließ er das Gebäude. Schnell ging er noch bei der Tankstelle vorbei und holte sich zwei Flaschen Wodka.
Der Abend nahm seinen Lauf. Wie konnte es auch anders sein. Er betrank sich.
Am nächsten Tag wusste er nichts mehr, schaffte es aber glücklicherweise rechtzeitig zur Arbeit. Derek wartet auf ihn so wie es schien.
„Morgen!“
„Hi!Was gibt es?“, wollte er wissen.
„Sie wurde gefunden.“ Nicht schon wieder das Thema. Derek wusste doch, dass er dieses Thema hasste. Wieder stieg der Zorn in ihm auf.
„Sie wurde tot gefunden.“
Ein Wirrwarr der Gefühle überkam ihn. Mit leerem Blick starrte auf die Wand hinter Derek. Empfand er Freude? Nein.
Trauer? Ein bisschen, aber nicht viel.
Was empfand er? Er konnte es sich nicht beantworten.
Er fühlte alles und doch auch nichts.
Derek legte eine Mappe vor ihn auf den Tisch.
„Du musst es nicht anschauen.“ Hörte er da eine Bitte heraus?
„Doch. Du weißt es, sonst hättest du die Mappe erst gar nicht gebracht.“
Er schlug die Mappe auf.
Seine Frau, Ex-Frau korrigierte er sich, lag in einer Wiese.
Daneben ein Bild wie sie tot auf einer Leichenbahre lag.
Er schlug die Mappe wieder zu. Jetzt war er sich sicher, dass sie es war. Mehr wollte er nicht wissen.
Sie war tot.
So pervers es klang, vielleicht half es ihm wieder zurück in sein Leben zu finden.
Zu wissen, dass sie nun nicht mehr mit seinem Bruder glücklich sein konnte, freute ihn.
Sein Bruder, auch er würde nun leiden. Leiden unter dem Tod der Frau, die er einst geliebt hatte.
Noch lieben würde, wollte, könnte, wenn …. Aber nun war es ein für allemal beendet.
„Hast du irgendetwas damit zu tun?“, fragte Derek vollen Ernstes.
Entsetzt starrte er Derek an.
„Sag einfach Nein. Du weißt ich muss das fragen. Ich weiß, als Mensch, der ich bin, dass du es nicht warst. Aber ich muss meine Arbeit tun.“
„Nein!“, sagte er mit Nachdruck, dann versank er kurz in Gedanken. War da nicht irgendwas gewesen kürzlich? Wollte sie nicht noch zu ihm kommen?
„Danke. Mehr muss ich nicht wissen.“
Etwas anderes hatte Derek nicht erwartet.
„Du leitest die Ermittlung also?“
„Ja. Soll ich dich auf dem Laufenden halten?“ Es war gut gemeint von Derek.
„Nein. Ich hab soeben mit ihr ganz abgeschlossen. Mich interessiert nicht, wer es war. Vielleicht noch ein Liebhaber?“ Derek schaute ihn empört an.
„Sorry, aber ich weiß nicht was ich fühlen soll.“ Dafür erntete er nur einen sorgenvollen Blick von Derek.
„Hast du schon mal überlegt dich behandeln zu lassen?“, fragte Derek vorsichtig.
Dafür erntete dieser aber einen bitter-bösen Blick.
„Überleg es dir! Du weißt, du kannst nicht ewig so weitermachen! Ich muss nun weiter. Später muss ich dich vermutlich noch dazu befragen. Du weißt ja wie das abläuft.“ Ja, er wusste es. Aber er hatte definitiv keine Lust darauf. Er massierte seinen Kopf. Vergessen. Das war alles was er wollte. Wieso konnten sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen?
Hatte er ihnen was getan? Grimmig starrte er die Wand an.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter.
„Alles in Ordnung mit ihnen?“, fragte ihn sein Chef besorgt.
Wieso musste der Mann nur so verdammt freundlich sein?
Lasst mich doch einfach in Ruhe! Hätte er am liebsten geschrieen.
„Natürlich. Ich mach mich gleich wieder an die Arbeit.“ Versuchte er überzeugend zu sagen. „Wenn sie wollen können sie sich ein paar Tage frei nehmen. Spannen sie mal richtig aus!“
Das war nun wirklich das letzte was er wollte.
„Nein, danke! Ich arbeite lieber.“
Sein Chef runzelte besorgt die Stirn: „Na gut. Wie sie meinen. Aber das Angebot steht.“
Er machte sich wieder an die Arbeit. Einen Vorteil hatte die Situation aber schon, zumindest war nun die Drohung vom Rauswurf in den Hintergrund getreten. Der Tag nahm seinen Lauf und er versank in der Büroarbeit. Er wunderte sich noch, dass Derek ihn nicht zu einer Befragung rief, aber er war froh darüber.
Am Abend das übliche Szenario, wie schon so oft war er schon betrunken als er daheim ankam. Als er die Treppe hochstieg entdeckte er eine Blume auf Treppe. Sie musste der Gärtnerin Marta herunter gefallen sein. Es war eine schöne blaue Blume. Er wollte sie ihr zurückbringen. Ihre Türe lag auf dem Weg nach oben. Er klingelte.
„Guten Abend!“, begrüßte sie ihn.
„Guten Abend Marta! Sie haben eine ihrer Blumen verloren auf der Treppe.“ Er streckte sie ihr hin. „Oh, wie nett von ihnen. Aber behalten sie das Vergissmeinnicht. Ich habe einen ganzen Strauß davon.“
Er bedankte sich und verabschiedete sich höflich. Fröhlich durch die Wirkung des Alkohols und wegen der Schönheit des Vergissmeinnichts, stieg er weiter die Treppe hoch zu seiner Wohnung.
Dort wartet jedoch eine böse Überraschung. Sein verhasster Bruder stand vor seiner Türe.
„Was hast du mit ihr gemacht?“, ging dieser ihn an.
Keine Begrüßung und dieser aggressive Ton.
„Lass mich in Ruhe!“, fauchte er zurück.
„Sag es mir! Was hast du getan?“, schrie sein Bruder.
„Verpiss dich du Arschloch.“
Sein Bruder kam langsam auf ihn zu, den Finger auf seine Brust gestreckt.
„Sag es mir! Warst du es?“ Er schlug den Finger beiseite.
„Verschwinde! Hättest wohl besser auf sie aufpassen müssen! Vielleicht hatte sie ja noch einen Liebhaber.“
In seinem betrunkenen Zustand wollte er nur eins, seinen Bruder verletzen, mit Worten und wenn das nicht ging dann auch mit den Fäusten.
Sein Bruder packte ihn an den Schultern und presste ihn gegen die Wand. Sie waren beide von schmächtiger Statur, gewiss keine Schlägertypen.
„Ich weiß ganz genau, sie war hier an dem Abend. Sie wollte noch ein paar Sachen abholen.“
Die blauen Augen seines Bruders loderten vor Zorn. Jetzt wo sie sich so nah standen, roch er auch den von Alkohol schweren Atem. Und erinnerte sich zudem bei den Worten. Erinnerte sich, sie war tatsächlich hier. Er stand hinter der Tür und schaute durch den Spion. Doch mehr fiel ihm nicht mehr ein. Er wusste nicht ob er aufgemacht hatte.
„Rede mit mir!“ Sein Bruder riss ihn zurück in die Wirklichkeit.
Zorn viele Wochen lang angestaut, entlud sich. Er stieß seinen Bruder kraftvoll zurück. Dann hieb er ihm seine Rechte ins Gesicht. Sein Bruder stolperte rückwärts.
Er schlug noch einmal zu, dann rannte er zu Tür schloss sie auf und haute sie hinter sich wieder zu.
Zitternd stand er an der Wand, alles was er die letzten Wochen versucht hatte zu verdrängen strömte wieder auf ihn ein. Die Nacht als er die beiden in SEINEM BETT erwischt hatte.
Er schlug die Hände zornig vors Gesicht. Am liebsten würde er rausgehen und weiter auf seinen Bruder einschlagen. Aber etwas hielt ihn zurück. Der Anblick seines Bruders. Er konnte ihn nicht ertragen. Sein Bruder stand für all seine Schmach. Am liebsten hätte er ihn getötet. Doch eigentlich wollte er ihn einfach gar nicht mehr sehen.
Er wollte einfach weg von hier. Nachdem er sich eine andere Wohnung genommen hatte, weil ihn in der Alten zuviel an seine ehemalige, nun tote Frau, erinnerte hatte.
Riss nun der Anblick seines Bruders all die verdrängen Wunden seiner Seele erneut auf. All das Leid, die Schmach drang nun wieder auf ihn ein. Er hatte gedacht, er hätte alles vergessen. Doch immer wieder tauchte ein Bestandteil seines alten Lebens auf. Die Wunden konnten sich so nie schließen. Erst seine alte Wohnung, dann das Auftauchen seiner Frau hier, weil sie meinte er hätte noch etwas von ihr mitgenommen.
Schließlich ihr Tod, der ihn sogar auf der Arbeit heimsuchte. Und nun auch noch sein Bruder, der ihm nicht mal die Ruhe in seiner eigenen Wohnung gönnte. Seine Vergangenheit verfolgte ihn und sie erdrückte ihn. In seiner Wut zerstampfte er auch das Vergissmeinnicht. Dieser Name! Er machte ihn zornig. Vergessen war soviel besser.
„Mach auf! Gesteh was du getan hast!“ Sein Bruder hämmerte gegen die Tür.
„Was ist da los?“, rief eine Nachbarin von oben herunter.
Doch sein Bruder antwortet nicht darauf, hämmerte einfach weiter auf die Tür ein.
„Du hast sie umgebracht!“, erklang noch einmal sein Schrei.
Er stand auf und ging ins Wohnzimmer, wo er sich den Fernseher einschaltete. Mist! Er hatte seinen Wodka draußen stehen lassen. Er schaut sich im Zimmer um. Glücklicherweise entdeckte er noch eine halb volle Flasche hinter dem Fernseher. Er nahm einen kräftigen Schluck.
Nach fünf Minuten hörten das Hämmern und die Anklagen auf. Vermutlich hatten seine Nachbarn mit der Polizei gedroht.
Was bildete sich dieser Penner ein? Er würde nie jemand umbringen, dazu war er nicht der Typ.
Dieses arrogante Arschloch!
Erst schnappte er meine Frau und dann will er mir auch noch den Mord in die Schuhe schieben, dachte er. Nie würde er so was tun. Innerhalb kürzester Zeit leerte er die Flasche und fiel auf dem Sofa in einen tiefen Schlaf.
Als er am nächsten Morgen aufwachte, war ihm klar was er zu tun hatte. Er musste hier weg, irgendwohin. Hier konnte er nicht bleiben. Er wusste zwar nicht mehr viel vom letzten Abend, aber er wusste noch, dass er hier nicht von seiner Vergangenheit los kam. Er würde noch um seinen Verstand kommen.
Fieberhaft suchte er noch nach einer anderen Lösung. Er hatte keine! Er musste hier weg. Ihm blieb nichts anderes übrig.
Der Restalkohol tat sein übriges. Aber das war ihm egal.
Er sah einfach keinen anderen Weg.
Er fing an seine Sachen zu packen.
Eine Hose fehlte? Wo hatte er sie nur gelassen? Ah, in der Ecke. Als er sie aufhob bemerkte er, dass sie noch starr war.
Und ein seltsamer Geruch schlug ihm entgegen. Blut? Blut!
Was hatte er getan? Bilder strömten auf ihn an. Zerschmetterten ihn. Er mit einem blutigen Messer in der Hand. Das Messer steckte in seiner Ex-Frau. Sie schrie. Ihre Augen vor Entsetzen und Ungläubigkeit geweitet. Dann zog er es zurück.
Sein Bruder hatte doch Recht.
Er hatte es getan! Aber wie …?
Seine Knie gaben nach.
Als eine neue Welle Bilder seinen Kopf durchfluteten.
Wieder stach er zu.
Dabei hatte er es nicht gewollt!
Der Schrei erstarb und wurde zu einem Röcheln.
Nie hätte er gedacht… so weit…. Sein Gewissen spülte brutale Bilder durch seinen Kopf.
Ihre Augen wie sie ein letztes Mal vorwurfsvoll zu ihm aufschauten.
Seinen Blick aber nicht fanden.
Entsetzt starrten sie über seine Schulter.
Dann erstarb das Lebenslicht in ihnen.
„NEIN!“, schrie er laut auf.
Er stolperte ins Wohnzimmer, wollte einen Schluck vom Trank des Vergessens nehmen. Dann durchfuhr ihn Zorn.
Dieses Zeug hatte ihn in diese hässliche Lage gebracht.
Er schmetterte die Flasche gegen die Wand, wo sie in tausend Scherben zersprang.
Zersprang wie sein Herz, sein Verstand, seine Existenz.
Ein Polizist war er geworden um Morde zu verhindern.
Nun hatte er selbst einen begangen. Nun würde aus der Flucht vor der Vergangenheit auch eine Flucht vor der Polizei werden.
Seine Freiheit würde er sich nicht nehmen lassen, obwohl er wusste, dass es das Richtige wäre.
Mit dem Taxi fuhr er zur Bank, er wollte sein Konto auflösen.
Er brauchte sein Geld um irgendwo neu anfangen zu können.
„Guten Tag! Wie kann ich ihnen behilflich sein?“, fragte ihn der Angestellte der Bank am Schalter. „Ich möchte mein Konto auflösen. Jetzt!“, verlangte er mit Nachdruck.
Erstaunt schaute ihn der Angestellte an. Auf dem Schild an der Brust entdeckte er dessen Namen, Herr Kunz.
„Ja heute noch, Herr Kunz.“, bekräftigte er noch einmal seinen Wunsch.
„Natürlich. Aus welchem Grund, wenn ich fragen darf?“, wollte Herr Kunz wissen.
„Nein, das dürfen sie nicht. Hier, die Kontopapiere.“
Er streckte ihm das Kontobuch über den Schalter.
„Also jetzt gleich? Wollen sie nicht noch eine Nacht darüber schlafen?“, versuchte es Herr Kunz.
„Nein! Und jetzt tun sie bitte ihre Arbeit.“
Beleidigt verzog der Angestellte sein Gesicht: „Wie sie wünschen!“
Provozierend langsam machte Herr Kunz sich an die Arbeit.
Was sollte das nun schon wieder? Oder bildete er sich es ein? Für ihn konnte es einfach nicht schnell genug gehen.
Er wollte raus aus diesem Land, seine Vergangenheit hinter sicht lassen. Nur wohin sollte er? Eigentlich gab es nur ein Land, das ihm einfiel: Australien. Dort wollte er schon seit seiner Kindheit hin. Urlaub hatte er dort auch hin und wieder gemacht. Da kamen sie wieder, unerwünschte Bilder. Er lag mit seiner Frau am Strand, sie lachte, er gab ihr einen Kuss. Es war sogar erst ein Jahr her. Doch ihm kam es wie zehn Jahre vor. Ein Bild seiner verbluteten Frau, zerstörte die schöne Erinnerung. Wieso hatte sie ihm das angetan? Sie hatte sein Leben zerstört! Die Erinnerungen brachen über ihn herein. All die schönen Momente mit ihr, ihre Fehler und letztlich die Bilder seiner Tat. Das blutige Messer, seine schreiende Ex-Frau. Er fasste sich mit den Händen an den Kopf.
„Geht es ihnen nicht gut?“, fragte ihn Herr Kunz besorgt und unterbrach damit die Erinnerung. „Natürlich geht es mir gut. Machen sie weiter!“, antwortete er zornig.
Am liebsten hätte er dem Mann eine rein gehauen. Wie seinem Bruder gestern.
Zum Glück war seine Frau nun tot, er freute sich und zugleich war er angewidert von sich selbst.
Doch zumindest ging es seinem Bruder nun auch schlecht.
Vermutlich war es für seinen Bruder nicht so schlimm.
Aber dennoch, immerhin musste dieser nun auch leiden. Erfuhr, was es bedeutet einen geliebten Menschen zu verlieren.
Darüber freute er sich. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht, wurde aber sogleich wieder von Gewissensbissen ausgelöscht.
Er wollte diesen Teil seines Lebens vergessen, nicht mehr daran denken.
Herr Kunz kam zu ihm an den Schalter: „Hier bräuchte ich noch ihre Unterschrift.“
Schnell unterzeichnete er den Wisch.
„Einen Moment noch, dann haben sie ihr Geld.“
Er hatte knapp 10000€ angespart.
In zwei Kurverse erhielt er sein Geld. Er riss sie dem Angestellten aus der Hand.
„Einen schönen Tag….“
Da war er schon raus aus der Bank. Er winkte sich ein Taxi her. Dieses brachte ihn schnell zum Flughafen.
Dort angekommen, fand er auch gleich was er suchte.
Den Schalter für Sonderangebote.
Nach einer kurzen Beratung hatte er sich entschieden nach Südafrika auszuwandern.
Er wollte vorerst einfach raus aus Deutschland und an einen Ort an dem ihn seine Vergangenheit nicht einholen konnte.
Glücklich marschierte er mit dem Ticket durch den Terminal.
In einer Stunde ging sein Flug zum Neuanfang. Er kaufte sich noch einen Snack, dann ging er zu zum Check-in.
Als er sein Gepäck abgab, musterte ihn die Frau kritisch. Er zeigte sein Ticket der Frau hinter dem Schalter, welche ihn durchdringen anschaute. Verunsichert warf er einen Blick nach rechts.
Mehrere Polizisten standen dort.
Dahinter sein Bruder.
Und… er grinste.
Bei diesem Grinsen brach die letzte Barriere seiner Erinnerungen.
Nicht nur seine Frau war an diesem Abend in seiner Wohnung…
Diese grinsende Visage war ebenfalls an diesem Abend zugegen gewesen…