Verhandlungspreis
„...hätten SIE ihre verdammten Henker besser unter Kontrolle, dann gäbe es auch keinen Grund, warum meine Leute sich zur Wehr setzen müssten!“, zischte ein hagerer Mann aufgebracht. Zornesröte stieg ihm ins Gesicht. Er lockerte den Krawattenknoten, als würde er nicht genügend Luft bekommen.
„Pah! Ich würde es andersherum formulieren. Wenn Sie und ihresgleichen nicht für Unsicherheit auf den Straßen sorgen würden, dann müssten meine Sicherheitsleute nicht auf solch harte Maßnahmen zurückgreifen. Das ist nicht unbedingt ihr größtes Vergnügen!“, schmetterte ein untersetzter Mann das Argument lässig ab. Im Eifer des Gefechtes hatten sich kleine Schweißperlen auf seiner Stirn gebildet. Sein schwarzes Jackett hatte er über einen Stuhl gehängt und die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt.
„Wer soll das bitte glauben?“, entgegnete der erste zynisch.
„Meine Herren, verlieren wir nicht das Ziel aus den Augen. Wir wollen hier, heute, eine friedliche Lösung für den Konflikt finden“, schaltete sich plötzlich ein dritter Mann ein. Wie ein Fels saß zwischen den beiden und blickte sie abwechselnd an.
„Natürlich, dazu muss aber die Sicherheit meiner Leute von IHM garantieren werden können“, entgegnete der Dünne.
„Dieser Forderung müssen Sie aber auch selbst nachkommen. Wir haben ja gesehen, wie Sie sich vor zwei Monaten an die Friedensvereinbarung gehalten haben. Ich will dieses Mal Sicherheiten, sonst steige ich aus“, erklärte sein Kontrahent.
„Herr Noir, dieses Thema haben wir schon diskutiert. Herr Pranko hat mehrmals versichert, dass der Übergriff von einer abgespaltenen Gruppe verübt worden ist und daher unbeabsichtigt war. Rufen Sie sich bitte ins Gedächtnis, dass ein Ausstieg zu noch mehr Toten führen wird. Wir alle drei wollen doch Leben bewahren, oder nicht?“, fragte der Schlichter.
„Natürlich, aber...“, brummte der Dickwanstige.
„Nein, nicht aber. Sie beide müssen den Mut besitzen, einen Neuanfang zu wagen. Sonst werden noch viele ihrer Brüder und Schwestern sterben.“
„Wie soll ich das bitte meinen Leuten verkaufen?“, seufzte Herr Noir kopfschüttelnd.
Stunden später entspannte sich der Schlichter von dem Verhandlungsmarathon in einem angenehm beheizten Whirlpool. Es hatte einige Anstrengung gekostet, beide Parteien zu einer Annäherung zu bewegen, aber letztendlich hatten sie den Vorteil des Friedens eingesehen. Nun war nur noch abzuwarten, wie die Basis der beiden reagieren würde, reflektierte er zufrieden. Wenn dieses Mal keine verrückten Attentäter dazwischenfunken würde, könnte endlich Ruhe einkehren! Vom Rand nahm er eine Flasche Bier und trank einen großen Schluck daraus. Kühl umspülte es seinen Gaumen. Mit der freien Hand schnappte er sich die Fernbedienung, die neben dem zweiten Bier positioniert war und schaltete den Fernseher an. Auf dem Premierekanal des Hotels lief ein erotischer Film mit asiatischen Schauspielerinnen. Nicht unbedingt sein Geschmack, aber zur Entspannung gut genug. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, eines der Hotelmädchen auf sein Zimmer zu bestellen. Wenn der Service schon mal angeboten wurde, sollte dieser auch ausgenutzt werden. Doch verschmiss er die Idee sofort wieder. Heutzutage war man vor ungebetenen Folgen nicht mehr sicher.
Er legte die Fernbedienung wieder zur Seite und machte sich selbst an die Arbeit. Da wusste er wenigstens, was er hatte.
Auf einmal klingelte das Handy. Die asiatische Frau in der Flimmerkiste stand kurz vor ihrem Höhepunkt. Er auch. Genervt griff er nach dem Mobiltelefon.
„Ja, was gibt es?“, frage er freundlich.
„Hier ist Tanja“, meldete sich eine helle Stimme.
„Hey, Kleine. Was machst du denn noch so spät? Solltest du nicht schon längst schlafen? Weiß Mama, dass du jetzt noch im Haus rumläufst?“
„Nein, aber du wirst es ihr doch nicht etwa erzählen?“, fragte seine Tochter ängstlich.
Ein verschmitztes Lächeln huschte über seine Lippen. „Nein, natürlich nicht. Das bleibt unser kleines Geheimnis.“
„Was gibt es, dass du mich so spät anrufst?“
„Ach, ich kann nicht schlafen...“
„Was, so schlimm? Vielleicht solltest du einen Schluck von Opas Selbstgebrannten trinken“, scherzte er.
„Ihhh, Papa, ich trinke doch keinen Alkohol. Aber, also weißt du, du kennst doch Henrik, oder?“
„Natürlich, das ist ein Freund von dir aus der Schule.“
„Nein Papa. Das ist MEIN Freund.“
„Ach so. Tut mir leid. Seid wann das denn? Hast du noch gar nicht erzählt!“
„Doch, das habe ich schon erzählt. Aber du hörst ja nie richtig zu.“
„Na gut. Dann eben so. Aber was hält dich daran denn wach? Ist doch toll, verliebt zu sein!“
„Nein überhaupt nicht! Er hat ein anderes Mädchen geküsst.“
„Nein, nicht wirklich. Er ist fremdgegangen?“, versuchte er so ungläubig wie möglich zu fragen.
„Wie, fremdgegangen?! Hä? Wir haben Tat oder Wahrheit gespielt.“ Er konnte sich noch aus seiner eigenen Kindheit daran erinnern.
„Und da musste er ein anderes Mädchen küssen? So richtig?“
„Ja. So richtig. Neben den Mund. Liebt er mich denn nicht?“
„Aber es war doch nur ein Spiel, oder nicht?“
„Ja, er hätte aber auch einfach verweigern können!“
Es dauerte eine Weile, aber dann hatte er seine Tochter davon überzeugt, dass Henrik doch ein ganz Netter war. Mittlerweile hatte die asiatische Frau natürlich ihren Höhepunkt schon erreicht und der billige Streifen neigte sich seinem unbefriedigenden Ende. Gelangweilt schaltete er um. Auf einem anderen Kanal flimmerte eine Dokumentation über Steuerpolitik in Deutschland. Wut keimte in ihm empor. Was die Politiker fabrizierten, war ein Ausverkauf seines Landes, dachte er sich. Von seinem Gehalt blieb nicht mal die Hälfte übrig. Was war das Argument? Der Staat brauchte mehr Geld, weil deutsche Großkonzerne ihre Stellen nach Asien verlagerten oder weil immer noch Gelder an kriegsgeschädigte Länder gezahlt werden mussten. Die beiden großen Parteien hatten ausgedient. Bei der nächsten Wahl würde er sein Kreuz weiter rechts setzen. Diese wussten wenigstens noch was deutsche Werte waren! Allmählich musste etwas gegen die Ungerechtigkeit und den Ausverkauf des hart erarbeiteten Staates unternommen werden. Notfalls auch mit Gewalt.
Plötzlich ertönte ein zweites Mal der polyphone Ton des Handys.
„Ja, was gibt es?“, fragte er wieder professionell freundlich.
„Wie ist es gelaufen?“, entgegnete eine raue Stimme.
„Exzellent. Die Verhandlungen waren erfolgreich. Wenn die beiden es schaffen, ihre Anhänger von den Vorteilen zu überzeugen, dann hat dieses Morden ein Ende.“
„Hoffen wir’s. Bei den Bastarden weiß man nie. “
„Wie auch immer. Ihre Interessen dürften in der Region wieder geschützt sein.“
„Sollte dem so sein, wird sich auf Ihrem Konto eine schöne Summe einfinden.“
Der Schlichter nahm einen Schluck aus der Bierflasche und nickte zufrieden. Durch Frieden konnten alle gewinnen – er selbst am meisten.