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Verlangen

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07.02.2005
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Verlangen

Dies war ihr letzter Wurm. Sie hatten ihn gejagt von den saftigen Weidegründen ihrer Heimat durch die dunsttriefenden Dschungel der Tiefebene, über die glühenden Lavafelder des Zentralplateaus und hinauf in die eisklaren Gletscher des Hochgebirges. Bis zu diesen schneeverkrusteten Zwillingsgipfeln, auf denen er seinen Horst hatte.
Der Lindwurm war schlau und verschlagen. Aber die beiden bildeten ein gutes Gespann. Bisher hatten sie noch jeden Wurm spätestens bei den Lavaströmen hingestreckt. Dies war das erste Mal, dass sie einem Wurm zu seinem Horst folgten. Aber seinen letzten Wurm lässt man nicht so einfach fahren.
Nach dieser Jagd würden sie nicht mehr zusammen losziehen. Der Barbar würde Halbwüchsige im Gebrauch der Doppelaxt unterweisen, und der Seher würde Geschwüre heilen und im Traumdistelwahn die Zukunft erahnen. Vorher jedoch sollte das Hornmark des Lindwurms noch ihnen gehören.

Seit zwei Tagen und Nächten kauerten sie nun auf diesem eisüberzogenen Sims an der Außenseite des einen der beiden Gipfel, unter dem Loch in der Felswand, durch das der Wurm sich in seinen Horst gewunden hatte. Als sie bei Sonnenaufgang immer noch kein Geräusch aus der Höhle wahrnehmen konnten, inspizierten sie ihre Vorräte und ihre klammen Gliedmaßen unter den Fellüberwürfen und beschlossen zu handeln. Unendlich langsam und vorsichtig legten sie ihre Hände um die Unterkante des Eingangslochs und zogen sich hoch, bis sie in den Stollen hineinsehen konnten.
Zuerst war nicht viel zu erkennen, da die Sonnenstrahlen nur an der Gipfelwand entlangstreiften. Der Lindwurm hatte das Felsmassiv für seinen Horst in gerader Linie durchbrochen, das Loch auf der gegenüberliegenden Seite gab den Blick auf den anderen der beiden Zwillingsgipfel frei.
Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an das Halbdunkel in der Röhre, und sie konnten Einzelheiten ausmachen. Der Boden war mit Geröll übersät. Dazwischen lagen Gebeine und Reste von Pelzen und Innereien. Alles war bedeckt mit einer Schicht von grünlichem, gefrorenem Wurmsaft. Über die Wände zogen sich lange Rillenstreifen, immer sieben Rillen nebeneinander, jede einzelne an der Oberfläche so breit wie ihr Handrücken und tief ins Gestein hinein spitz zulaufend - Spuren der Vorderschaufeln des Tieres. Die Decke wölbte sich nach oben und blieb auch weiterhin im Zwielicht verborgen. Vom Wurm war nichts zu sehen.
Schließlich erweckte ein schwaches aber beständiges Glitzern und Schillern am Boden fast auf halbem Weg zur anderen Seite ihre Aufmerksamkeit. Sie stemmten sich in den Horsteingang hoch und schritten behutsam auf das Glimmern zu. Unablässig schauten sie sich nervös um. Der Barbar hielt seine Axt in beiden Fäusten auf halber Höhe, während der Seher die Spitzen seines Medusenstabs etwas weiter oben langsam nach links und rechts pendeln ließ.
Als sie das Glitzern erreichten, glaubten sie zuerst, es sei ein von innen heraus leuchtender Felsbrocken. Vorsichtig klopften sie die Kruste aus festgefrorenem Wurmsaft ab, und ein hypnotisierendes Irisieren in allen Regenbogenfarben kam zum Vorschein. Sie trauten ihren Augen kaum. Es war ein Funkelstein, größer als das Herz in der Weihenhalle der Hauptstadt!
Wispernd berieten sie sich und starrten dabei immer wieder ungläubig auf ihren Fund. Dieser Stein würde ihnen Plätze an der Heldentafel verschaffen. Luxus bis ans Ende ihrer Tage! Und mit der richtigen Geschichte um sein Erbeutung sogar Ruhm darüber hinaus.
Allmählich ging ihnen die ganze Tragweite ihrer Entdeckung auf, und sie gerieten mehr und mehr in Verzückung. Besonders der Barbar wusste sich nicht mehr zu halten. Schließlich stieß er einen Freudenschrei aus und reckte seine Doppelaxt in die Höhe. Da stürzte hinter ihnen mit einem ohrenbetäubenden Krachen die Decke ein.

In plötzlicher Panik fuhren die beiden herum und wurden von einer Sturmfront aus Granitstaub und kleinen, scharfkantigen Gesteinsbrocken überrollt. Schützend rissen sie die Arme vor ihre Gesichter. Die Splitterwolke lichtete sich schnell, und vor ihnen zeichnete sich ein knapp mannshoher, solider Felsblock ab, der aus dem herabgefallenen Schutt herausragte und fast bis zurück zu ihrem Einstiegsloch reichte. Sie husteten noch Staub aus den Lungen und zogen Steinsplitter aus ihren Fellüberwürfen - manche auch aus ihren Gliedmaßen - als der Felsblock seinen bizarren Schädel hob und unter nervenzerreißendem Kreischen und Scharren begann, auf sie zuzukriechen.
Der Wurm! Voller Entsetzen stolperten sie rückwärts weiter in den Horst hinein. Das Tier kam unaufhaltsam immer näher. Die drei kurzen, scharfen Schnäbel auf dem breiten, überhängenden Stirnwulst des bedrohlich vorgereckten Hauptes stießen hohe, abgehackte Schreie aus. Unter dem Wulst bogen sich an den Seiten die beiden mächtigen Hörner nach vorne, wo sie in leicht nach oben zeigenden Spitzen ausliefen. Zwischen den Hörnern und etwas unterhalb, fast schon im Rumpf, schimmerte böse das purpurne Auge des Wurms.
Seine Vorderschaufeln gruben sich in schnellem Rhythmus in den Felsboden und zogen den massigen Leib vorwärts. Hinter diesen Schaufeln war der bleiche, bläulich marmorierte, ungepanzerte Bauch des Tieres mit den beiden Reihen violetter Nüstern links und rechts zu erkennen. Die kleineren Hinterschaufeln wurden vom Dämmerlicht fast verschluckt. Die Nüstern öffneten und schlossen sich gierig, und Wurmsaft troff von ihnen herab. Dann schleifte das Tier seinen gewaltigen Körper dicht an dem zurückgelassenen Funkelstein vorbei, und es geschah. Eine der Nüstern stülpte sich über die Gemme und sog sie ein.

Als der Barbar dies sah, stürmte er in blinder Wut auf den Wurm los. Wie durch ein Wunder gelangte er an den Schnäbeln, Hörnern und Vorderschaufeln vorbei. Er erreichte die Öffnung im Leib des Tieres, die den Funkelstein verschlungen hatte, und begann, mit seiner Axt wie ein Berserker darauf einzuhauen.
Der Wurm warf seinen Schädel in die Höhe und brach in drei langgezogene, sich unangenehm überlagernde Heultöne aus. Sein Körper zuckte und wand sich in dem Versuch, den Barbaren abzuschütteln. Dieser wurde hart gegen die schartige Felswand geworfen, ließ aber nicht von seinem ekelerregenden Tun. Von der Körperöffnung des Tieres hingen Fetzen herab. Der riesige Leib ruckte vor und zurück und scheuerte den Rücken des Barbaren über das kantige Gestein.
Schließlich musste die Doppelaxt eine Saftader durchtrennt haben. Ein breiter Strahl des gelbgrünen, kochend heißen Sirups bohrte wie ein Rammbock in die Magengrube des Barbaren und verbrannte seine Haut unter dem Pelzumhang. Die Kiefer des Barbaren klafften weit auseinander, und an seinem Hals traten Blutgefäße hervor, aber sein Brüllen ging unter im markerschütternden Trompeten des Wurms.
Das Tier schleuderte seinen Schädel hin und her. Die Hörner krachten gegen die Stollenwände. Seine Schaufeln mahlten über den Fels. Der Wurm schoss vorwärts. Der Ruck riss den Barbaren von den Beinen. Eine seiner Hände löste sich vom Schaft der tief in die zerfetzte Nüster getriebenen Axt. Sie fuhr über die glitschige, grünlich verschmierte Haut des Tieres. Wühlte im freigelegten, goldgelb schimmernden Inneren der Atemöffnung. Krallte sich fest an einem Sehnenstrang. Die fellumwickelten Füße des Barbaren schleiften über den Boden, schlugen gegen Steinbrocken. Der Wurm raste weiter, auf den Seher zu.

Der Seher stemmte den Schaft seines Medusenstabs gegen den felsigen Grund und richtete die Spitzen auf das Auge des Tieres. Der Lindwurm tobte heran. Die Schaufeln rissen Wände und Boden auf als wären sie aus Kerzenwachs. Er warf sein Haupt hoch in die Luft. Seine Hörner donnerten in die Decke. Steinbrocken fielen herab. Ein kopfgroßer schlug vor den Füßen des Sehers auf. Der Seher schaute nach oben - und hechtete zur Seite.
Ein Felsblock, groß wie ein Höhlenbär, riss seinen Überwurf entzwei und zerschmetterte den Medusenstab. Der Aufprall ließ den Stollen erzittern. Staub und Splitter fraßen das diffuse Licht. Taub und blind richtete sich der Seher auf dem glitschigen Boden auf. Von vorne drang schrilles, langgezogenes Heulen durch seine Benommenheit. Der Seher wandte sich um und stolperte in die entgegengesetzte Richtung. Hinter ihm pflügten riesige Hornklauen mit nervenzerfetzendem Kreischen durch das Gestein.
Die Splitterschwaden lichteten sich. Vorne tauchte ein heller Fleck zwischen ihnen auf. Der Ausgang zur anderen Seite. Der Seher rannte schneller. Sonnenlicht sog sich in die Staubwolken. Der Seher warf einen Blick über seine Schulter. Der Schädel des Tieres fegte dicht über dem Boden auf ihn zu. Die Hörner zerfurchten den felsigen Grund, schleuderten ihm Fontänen aus Stein entgegen.
Der Seher riss schützend die Arme hoch, krümmte sich zusammen. Er strauchelte, fiel, überschlug sich. Das mehrstimmige Trompeten erdrückte seine Sinne, raubte ihm jede Orientierung. Er blickte auf und sah die drei Schnäbel heranstürzen. Gierig schnappten sie auf und zu. Die zernarbte Stirnplatte dahinter füllte sein Gesichtsfeld.
Er kroch auf allen Vieren rückwärts. Scharfe Felssplitter schnitten in Unterarme und Hände. Plötzlich fuhr ein Luftzug über seine staubverklebte Haut. Er legte den Kopf in den Nacken und sah sich um.
Blauer Himmel. Darunter der schroffe Fels des ewig eisbedeckten Gipfels über dem Wurmhorst. Der Seher zog sich weiter hinaus aus dem dunklen, stickigen Stollen. Gierig sog er die klare Luft in seine Lungen. Da sackte ein Ellbogen ins Leere.
Eine Hand knickte um eine Kante. Der Seher blickte über seine Schulter hinab - auf eine Steilwand in einen bodenlosen Abgrund. Steinsplitter rieselten über den Grat hinunter. Sie schlugen ein paar Mal gegen die Wand und sprangen hinaus ins Nichts. Der Seher setzte sich auf - und sah den Wurm aus dem Loch im Fels brechen.
Das Tier schüttelte sein Haupt. Der Stirnwulst mit den Schnäbeln schwang durch die Luft wie ein riesiger Morgenstern. Die Hörner krachten links und rechts auf den Boden des kleinen Plateaus vor dem Horsteingang. Die Schaufeln zerfetzten die Ränder der Stollenöffnung. Aus dem Zentrum dieser Urgewalten glühte das purpurne Auge auf den Seher herab.
Der Seher rückte dichter an die Kante heran. Der Lindwurm hob seinen Schädel hoch über ihn. Er verdunkelte den Himmel wie eine Gewitterwolke vor dem Ausspeien des Blitzes. Der Seher lehnte sich über den Abgrund. Der Wurm spreizte seine Hautsegel. Die kleineren am Hals, die großen auf dem Rücken. Sie blähten sich wie Zeltbahnen in einem Steppensturm. Dann geschah das Unglaubliche.

Der gewaltige Leib des Tieres löste sich vom Boden, stieg in die Luft wie ein Kormoran aus dem Wasser, glitt über den Seher hinweg wie ein Rochen über den Grund einer klaren Lagune. Aus den Schnäbeln drangen hohe, langgezogene Rufe, wie die eines Seeadlers. Die Nüstern pumpten wie Ochsenfrösche.
Von der Seite des Wurms, neben einer zerfetzten Nüster, hing der Barbar mit ausgestreckten Armen herunter. Geklammert an offenliegende Muskelstrünke und den Schaft seiner tief in die Wunde geschlagenen Doppelaxt. Aus der Atemöffnung troff Saft auf den Barbaren herab. Vor und hinter ihm lagen die Schaufeln des Tieres dicht am Bauch an.
Die Blicke des Sehers und des Barbaren kreuzten sich. Der Barbar bewegte seinen weit aufgerissenen Mund. Seine Worte gingen unter in den langen, ineinandergreifenden Schreien des Wurms. Er nickte zu seinen Füßen hinab, ließ sie leicht hin und her pendeln. An sie würde der Seher noch herankommen. Der Lindwurm war schon zu hoch.
Immer schneller, wie Treibholz vor einem Wasserfall, kam der Barbar dem Seher und der Kante zum Abgrund näher. Hastig richtete sich der Seher auf. Zu hastig. Sein Fuß rutschte an einem vereisten Stein ab, und er stürzte vornüber.
Hinter ihm ragten seine Beine über die Kante. Er trat ins Leere. Kopfgroße Felsbrocken lösten sich und fielen hinab. Über dem Seher kam der Barbar unaufhaltsam heran. Sein Mund öffnete sich noch weiter, die Adern an seinem Hals traten hervor.
Der Seher zog sich Handbreit um Handbreit von der Kante weg. Mit angewinkelten Knien setzte er sich auf. Der Barbar hing genau über ihm. Der Seher drehte sich vorsichtig zur Steilwand herum. Der Barbar überquerte die Grenze ins Bodenlose. Der Seher erhob sich zu seiner vollen Größe. Der Wurm trug den Barbaren hinaus über die Tiefe.
Der Seher schaute zum Barbaren hinauf. Dann warf er einen Blick auf das kurze Stück Fels bis zum Rand des Abgrunds. Danach sah er wieder zu den pendelnden Füßen des Barbaren hinüber. Schließlich machte der Seher ein paar schnelle Schritte und sprang ab ins Nichts.

Der Seher reckte die Arme nach oben. Der Barbar schwang ihm seine Beine entgegen. Eine Hand des Sehers packte einen Knöchel des Barbaren. Die andere griff ins Leere. Der Seher wurde von seinem Schwung weitergetragen, den vorderen Schaufeln des Tieres entgegen. Er ruderte mit den Beinen und der freien Hand, um sich zu stabilisieren. Er blickte hinab. Die Steilwand kippte unter ihm weg.
Dann schwang der Seher zurück, auf die Hinterschaufeln des Lindwurms zu. Er streckte seine Hand in die Höhe, bekam die pelzumwickelte Zehenspitze des Barbaren zu fassen. Der Seher zog sich weiter nach oben, umklammerte den Fuß, den Knöchel. Er pendelte noch ein paar Mal vor und zurück. Dann hing er ruhig und schwebte unter den ausladenden Segeln des Wurms über den Abgrund zwischen den beiden Zwillingsgipfeln.

Die Sonnenstrahlen streiften an den oberen Rändern der Steilwände entlang. Der bodenlose Schlund darunter verbarg sich im Schatten. Zur einen Seite blieb die Bergspitze mit dem Wurmhorst zurück, zur anderen rückte ihre Schwester immer näher. Den Seher überkam ein Gefühl wie nach dem Einatmen von frischem Sternblütenstaub. Unsterblich. Gemacht für die Ewigkeit. Nein. Das hier war besser.

Die schartigen Felsspitzen und Eiszacken des herannahenden Gipfels wuchsen vor ihnen auf. Die Segel des Wurms blähten sich, und sie stiegen höher. Da regte sich der Barbar.
Er wühlte seinen Arm in die aufgerissene Nüster hinein, zerrte an seiner tief in der Wurmhaut steckenden Axt. Saft quoll aus den Wunden des Tieres, lief über die Schultern des Barbaren, troff auf den Seher hinab. Der Lindwurm bog sein Haupt in die Höhe und schrie auf. Er schwang seine Vorderschaufeln zurück, ruckte die hinteren nach vorn. Plötzlich war der Seher zu beiden Seiten von armlangen Stacheln umgeben, härter als die Felsplatten, schärfer als die Eisgrate, auf die sie zuglitten.
Der Seher legte seinen Kopf in den Nacken und brüllte hinauf. Außer dem Heulen des Wurms war nichts zu hören. Der Seher schüttelte die Beine des Barbaren. Der Barbar blickte herab. In seinem Haar klebte Wurmsaft. Seinen Mund hatte er aufgerissen, aber durch die Rufe des Tieres drang nicht das Geringste hindurch.
Immer wieder nickte der Barbar zu der Bergspitze hinunter, über deren Höhe sie nun hinaus waren. Dabei bewegte er seine Beine hin und her. Der Seher nahm den herankommenden Gipfel zwischen den schwingenden Vorderschaufeln mit ihren langen Krallen hindurch in Augenschein.
Vorne fiel die Steilwand senkrecht in die Tiefe. Darüber lief ein geneigtes Dreieck in die Bergspitze aus. Seine Fläche war nicht vereist und durchsetzt mit kleinen Einbuchtungen und Erhebungen. Die andere Seite des Gipfels blieb dem Seher verborgen. Er warf noch einen langen Blick auf das Dreieck, dann sah er hoch zum Barbaren und nickte mehrmals.
Der Barbar hob seinen Kopf wieder zu der zerrissenen Nüster und bohrte weiter hinein. Das Trompeten des Wurms wurden lauter und schriller. Er schwankte von einer Seite zur anderen. Der Seher pendelte an den Beinen des Barbaren hin und her. Seinen Blick hatte er starr auf die näherkommende Dreiecksfläche geheftet. Als unter ihm die Kante des Abgrunds vorbeizog, öffnete er den Griff seiner Hände um die Knöchel des Barbaren. Mit rudernden Armen und Beinen fiel er der Schräge entgegen.

Etwas krachte in den Rücken des Sehers wie ein wütender Auerochse. Die Hinterschaufel des Tieres! Der Seher wurde vorwärts geschleudert. Die Bergspitze raste auf ihn zu. Er segelte dicht über sie hinweg, überschlug sich in der Luft, pflügte in eine Schneewehe zwischen zwei Felsgraten. Der Seher verlor jede Orientierung. Er krümmte sich zusammen, rollte weiter, bis er mit Armen und Beinen auf etwas hartes prallte.
Der Seher hob den Kopf. Vor ihm ragte ein niedriger, breiter Felsriegel aus dem Schnee. Hinter dem Block knickte das Gestein um in eine weitere Steilwand. Von der Warte des Sehers aus fiel die Kante ins Bodenlose nach links und rechts ab. Der Seher blickte über seine Schulter. Zum Gipfel hin stieg ein Schneefeld an, unterbrochen von vereinzelt herausragenden Steinspitzen und Felsbrocken. Vom Barbaren war nichts zu sehen. Plötzlich brachen die Schreie des Wurms ab. Die Stille traf den Seher wie ein Schlag ins Genick. Er fuhr herum und suchte im Himmel über dem Abgrund.
Da! Dort glitt das Tier. Der Barbar hing immer noch an seiner Seite. Die Beine hatte er hochgeschwungen und um einen heraushängenden Muskelstrang des Wurms gelegt. Ein Arm steckte bis über den Ellbogen in den bloßliegenden Innereien der zerschlissenen Nüster. Der andere führte die Doppelaxt in einem weiten Bogen gegen die Wunde des Tieres.
Der Seher schwenkte die Arme über dem Kopf und brüllte aus vollem Hals. Die Axt des Barbaren fuhr tief ins gelbtriefende Fleisch des Wurms. Die Rufe des Sehers wurden ausgelöscht von den Schreien des Tieres wie eine Kerzenflamme von einer Springflut.

Der Barbar legte seinen Kopf in den Nacken und blickte zum Seher zurück. Er riss die Doppelaxt aus der klaffenden Wunde im Körper des Wurms. Ein Saftstrahl schoss hervor und stürzte wie ein Wasserfall in den Abgrund. Der Barbar reckte und schüttelte seine Axt ins Leere. Eine Dampfwolke hüllte ihn ein. Er grub die Doppelaxt ein weiteres Mal in den offenen Bauch des Tieres.
Der Lindwurm warf seinen Schädel zu dem Barbaren herum. Stieß seine Schaufeln gegen ihn. Hackte mit seinen Schnäbeln nach dem Peiniger. Dabei neigte sein Rumpf sich auf die andere Seite. Zu weit.

Der Seher ließ die Arme sinken und starrte fasziniert auf das Schauspiel hoch am Himmel. Das Tier zuckte mit seinen Segeln. Zu spät. Sie knickten ein. Der Wurm drehte sich auf den Rücken. Eine kleine Gestalt wurde von seinem riesigen Leib in die Luft hinaus fortgeschleudert. Mit einem nervenzerreißenden Kreischen stürzte der Lindwurm in die Tiefe. Die Gestalt fiel mit rudernden Gliedmaßen hinterher.
Der Seher richtete sich auf und spähte in den Abgrund. Die Felswand verlor sich im schattigen Zwielicht. Das Kreischen verhallte. Ein fernes Donnern drang zu ihm herauf, wie von einem Gewitter am Horizont.
Der Seher kniff die Lippen zusammen und neigte den Kopf. Für einen Moment verharrte er regungslos. Dann holte er tief Luft und schaute in den Himmel. Er schüttelte den Schnee aus seinem Haar. Der Barbar hatte noch nie erkannt, wann er aufhören musste.

Der Seher warf lange Blicke auf die abfallenden Felsgrate links und rechts. Er entschied sich für eine Seite und machte sich an den Abstieg. Er wusste nun, was er tun würde.
Das Spurenlesen und Verfolgen von Würmern hatte Hand und Fuß und war eines Mannes würdig. Doch damit war es für ihn vorbei. Das Lesen der Zukunft aus aufgeschlitzten Fischen war dagegen etwas für zahnlose Greise und hysterische Waschweiber. Damit würde er sich nicht abgeben. Er würde etwas ganz anderes machen. Warum sollte man nicht aus der getrockneten Haut und den leichten Knochen einer Gazelle die Segel des Wurms nachbilden können?

 

Hi jflipp,

das Ende deiner Geschichte hat mich doch etwas überrascht. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, das die beiden Abenteurer den Stein kriegen, und sich dann darum streiten. (Vielleicht sogar gegenseitig umbringen) Das liegt bei dem Titel zumindest nah.
Aber etwas zu der Form: Zwischen 'normalen' Absätzen brauchst du keine Leerzeile zu machen. Wohl bei Szenen- und/oder Perspektivwechseln ist das angebracht.

Gruß
Shinji

 

Hallo Shinji,

danke fürs Lesen und Kommentieren.

Das Ende hat dich überrascht?
Schonmal nicht schlecht.
:)

Und wegen der Form:
Das sind absichtlich lauter kleine, gleichberechtigte Absätze.
Wenn's dir nicht gefällt - vielleicht änder ich's doch noch.

viele Grüße
jflipp

 

Hi jflipp,

deine Geschichte liest sich relativ anstrengend, was bei so einem Thema eigentlich nicht sein dürfte. Ein paar Mal wollte ich sogar mit dem Lesen aufhören, hab dann aber doch bis zum Schluss durchgehalten.
Meiner Meinung nach krankt die Geschichte an drei Dingen:

  • Die Perspektivenlosigkeit. Du erzählst einfach von oben drauf, niemals erfährt man die Gedanken eines Protagonisten, niemals wird näher auf jemanden eingegangen. Entscheide dich für eine Person, aus deren Sicht du die Geschichte erzählen willst. So, wie du es jetzt schilderst, kann man nicht mit den Figuren mitfühlen, was blöd ist.
  • Die extrem flachen Charaktere: Ein Barbar und ein Seher. Zwar sehr klischeehaft, aber das soll uns nicht weiter stören. Viel mehr hat mich gestört, dass die zwei kein einziges Wort miteinander wechseln, geschweige denn, das man die Gedanken von jemandem erfährt. Das wäre aber wichtig gewesen, um beim Kampf mit den Prots mitfühlen zu können. Da die beiden nur namenlose Schatten sind, war mir relativ egal, ob sie jetzt draufgehen oder nicht. Unbedingt ausbauen - es würde vielleicht schon reichen, wenn die beiden einen Namen hätten und sich miteinander unterhalten würden.
  • Der Stil war relativ holprig und schwerfällig. Vor allem zum Schuss wird alles sehr verworren und schwer lesbar. Wenn dir holprige Stellen selbst nicht auffallen, dann lies dir den Text doch einmal laut vor - dabei fallen einem solche Stellen besser auf.
    Und bitte editiere die vielen Absätze.
Noch was:
Es war ein Funkelstein, größer als das Herz in der Weihenhalle der Hauptstadt!
Diese Information ist völlig unbrauchbar, da der Leser nichts über dieses "Herz" weiß. Ein zusätzlicher erklärender Satz wäre angebracht.

Du siehst, deine Geschichte kann noch nicht wirklich überzeugen, sie krankt noch an vielen Stellen.

Liebe Grüße
131aine

 

Hallo jflipp,

ich kann Blaine nur zustimmen, deine Geschichte liest sich wirklich nicht leicht. Ich habe ab der Mitte eigentlich alles nur noch überflogen, weil ich weder die Zeit noch die Lust hatte, mich da weiter durchzuquälen. Neben den von den anderen schon angemerkten Sachen - bitte Absätze ändern! - konnte ich mir auch nicht wirklich vorstellen, wie dieser Lindwurm nun aussieht. Du hast zwar versucht, ihn zu beschreiben, aber dennoch konnte ich mir nicht wirklich ein Bild von ihm machen, vor allem nicht von dem Segeldings, mit dem er anscheinend fliegt.

Also, nimms mir nicht übel, aber an der Geschichte muss wirklich noch einiges verbessert werden.

Gruß,

Red Unicorn

 

Hallo jflipp,
ich muss Blaine zustimmen. Die drei Hauptkritikpunkte wollte ich dir auch gerade um die Ohren knallen, aber das ist ja schon erledigt. Ich bin nebenher im anderen Fenster im Korrekturcenter am Wurschteln und habe mich ziemlich über die seltsame Satzstruktur gewundert, auch, wenn ich mich mit der Zeit eingelesen hatte. Die Geschichte läd allerdings zum Überfliegen ein, gerade, weil die Perspektive fehlt... Das Ende kommt zwar überraschend, ist aber nicht wirklich witzig, weil die Bindung zum Charakter fehlt. Da musst du noch mal ran.

gruß
vita
:bounce:

 

Hallo jflipp,

ich fange mal mit dem positiven an: zum Teil schaffst du es sehr gut, Dramatik in deine Geschichte hineinzulegen, es richtig knallen zu lassen. Ebenso hat mir der Schluss sehr gut gefallen - er steht in seiner Ruhe in krassem Widerspruch zur Story und das gefällt mir. Auch den Anfang fand ich gut, auch wenn du im ersten Absatz vielleicht ein, zwei Adjektive zu viel drin hast, so schafft doch jedes für sich ein eindeutiges Gefühl beim leser.

Apropos Gefühl, da kommen wir dann zum schon angesprochenen "Problem" deiner Geschichte. Der Leser kann mit deinen Prots nicht mitfühlen. Erzähle uns in einem längeren dritten Absatz mehr über die beiden (vielleicht hat jemand seinen Vater durch einen Lindwurm verloren oder den Barabaren haben alle seine sechs Frauen verlassen und er muss seine Wut an jemandem auslassen oder sie haben sich gegenseitig das Leben gerettet - was auch immer). Erzähle etwas über ihre Freundschaft, ihre Erlebnisse. Etwas bei dem ich beginnen kann, mich mit ihnen zu identifizieren - schließlich soll ich(!) Angst vor dem Lindwurm haben und deshalb muss ich es mit den Augen des Sehers sehen und seine Gefühle mit ihm teilen. Es braucht gar nicht soviel dafür, denke ich.

Dann ist deine Schlacht wohl etwas zu ausführlich. Das sagten ja auch die Bemerkungen weiter oben schon. Man stumpft mit der Zeit etwas ab. Aber das haben ja auch viele Regiesseure in Hollywood noch nicht begriffen - und die Actionszenen werden immer länger - die filme aber dadurch nicht besser (Matrix).

Mit diesen beiden gar nicht so aufwendigen Änderungen würde die Geschichte schon ne Menge gewinnen. Das Handwerk des dramatischen Schreibens hast du sicher drauf.

Viele Grüße, streicher

 

hallo jflipp,
du legst bei deiner kg zuviel wert auf den "action-anteil". die eigentliche geschichte bleibt dadurch leider etwas flach. und manchmal meinst du es etwas zu gut mit dem leser. vor allem an absätzen könntest du sparen...und:
Der gewaltige Leib des Tieres löste sich vom Boden, stieg in die Luft wie ein Kormoran aus dem Wasser, glitt über den Seher hinweg wie ein Rochen über den Grund einer klaren Lagune. Aus den Schnäbeln drangen hohe, langgezogene Rufe, wie die eines Seeadlers. Die Nüstern pumpten wie Ochsenfrösche.
Vergleiche sind ja gut, aber sooo viele auf einmal???

Ansonsten liest sich deine Geschichte recht solide, wobei ich aber auch auf die bereits genannten Kritikpunkte verweisen muss.

viel mehr hab ich auch gar nicht mehr zu sagen, da ja schon soweit alles gesagt worden ist.

einen lieben gruß...
morti

 

Hallo morti,

danke fürs Lesen und Kommentieren.

morti schrieb:
Vergleiche sind ja gut, aber sooo viele auf einmal???

Wenn sogar du mit deiner Geschichte Aktaion das sagst, muss es ja wirklich schlimm sein.
:)

Die Absätze hab ich bei der Gelegenheit gleich mal aufgeräumt.

viele Grüße
jflipp

 

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