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- 11.03.2008
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Verlangen
Nun versuche ich es schon seit vielen Monaten. Immer noch nicht habe ich das, wonach ich mich sehne, genau im Blick. Und der fixiert nun zuallermeist den Bildschirm meines Notebooks.
Diesen Weg zu nehmen, erschien mir Anfangs überaus vielversprechend, vor allem aus eigentlich praktischen Überlegungen heraus: Denn habe und hatte ich nur selten die benötigte Zeit, um auf andere Weise mein Ziel, das wohl das Ziel eines Jeden ist, zu erreichen und bin, auch wenn ich es eigentlich verabscheue, aufgrund meiner Lebensumstände dazu gezwungen, alles genau zu organisieren und zu planen.
Andernfalls, ich hätte es wohl auf andere Weise versucht. Ich hatte nie große Probleme damit, so war es mir erst unangenehm, ja sogar peinlich. Doch schon nach dem ersten Mal legten sich diese Gefühle.
Sie war fünf Jahre jünger als ich, Ende zwanzig. Als ich sie traf, führte ich sie in ein italienisches Restaurant. Es sollte, so beschloss ich bei der Auswahl, nicht zu teuer, aber auch nicht zu billig wirken, eine angenehme, offene und beschwingte Atmosphäre haben und dennoch auch ein intimeres Kennenlernen ermöglichen.
Wir tranken herben Rotwein, der bald die Stimmung hob. Ich erinnere mich an ihre Grübchen beim Lächeln. Ich dachte, sie wäre eigentlich perfekt.
Als es schon spät war und wir beide, wohl etwas angeheitert, ohne Eile auf der nächtlichen Straße entlang spazierten, kehrte die typische, im Laufe jenes Abends aber schon besiegte Nervosität der ersten Verabredung wieder zurück, sich ausdrückend in Gekicher und endlich in einem erst vorsichtigen Kuss, der rasch fordernder wurde.
Als ich die Schlüssel zur Wohnung aus meiner Jackentasche kramte, während meine Begleiterin von hinten über meine Brust streichelte, fiel dumpfe Müdigkeit auf mich herab und ließ meine Wangen, wie ich darauf im Badezimmer erkennen konnte, fahl und eingefallen wirken. Wahrscheinlich, dachte ich, vom Wein, von der Wärme ihrer Berührungen.
Danach erinnere ich mich nicht an mehr, als an einzelne, stumme Bilder: Von meinen Händen um ihre bloßen Hüften, ihrem Haar, wie es ihr Gesicht verbarg, von der schönen Akzentuierung ihrer Schulterpartie.
Die Erinnerung ist verschwommen, aber glaube ich, dass diese Nacht mit ihr doch schön war.
Dem ganz zum Trotz war ich am nächsten Morgen erleichtert, als sie von mir fort ging. Auch ihr Lächeln, dass ich so anziehend fand, und die Gedanken an den vergangenen Abend konnten daran nichts ändern. Wir machten miteinander aus, uns wieder zu sehen, doch vermied ich es mit allerlei Ausreden, das Versprechen eines baldigen Wiedersehens in die Tat umzusetzen. So entschied ich mich dazu, meine Suche fortzusetzen.
Ich durchforstete weiter die Profile. Ein Meer von Bildern, Lieblingsfilmen, Büchern, Leitsätzen, Träumen, beruflichen Werdegängen. In wenigen Zeilen aufbereitete, meist leicht verdauliche Lebensstilcocktails, mit einem Schuss berechnender Abweichung, die immer im Rahmen bleibend niemals zu grob ausfiel. Instabile Konglomerate von Eigenschaften und Vorlieben, die erst nach den Treffen ihre vollendete Festigkeit erhielten.
So seltsam es auch klingen mag, genau diese Einzelteile waren es, die ich genoss und immer noch genieße. Die Bausteine, die wie in einem Kinderzimmer, zwar verstreut und vielleicht sogar sorglos, aber nicht ganz ohne Grund da waren. Niemals war es der „ganze“ Mensch. Der Mensch, der sich beim Treffen üblicherweise von seinem Profil herauszuschälen versucht, ähnlich einer Puppe, die sich aus ihrem Kokon herauswindet. Fakt ist, dass dies Befreien zumeist auch gar nicht gelingt, vielleicht nicht gelingen kann. Und wenn es doch gelingt, so bleibt meistens nicht mehr viel übrig: Nimmt man Schnitzler aus dem Regal, kommt dahinter eine Fläche zum Vorschein, die manchmal rau und manchmal glatt, aber doch immer ebenmäßig und einfach beschaffen ist, nur selten findet man das Unerwartete.
Natürlich, ich sehe die ganzen Menschen mit ihren Geschichten und sie können mich berühren. Ich höre zu und fühle, das muss ich mit Bestimmtheit hinzufügen, wahrhaftig etwas. Und wenn es nicht die Menschen selbst sind, dann doch zumindest ihre Geschichten, die mich machtvoll ergreifen. Nur ist dies einfach nicht, was das Verlangen zu wecken vermag, nicht das, was die Spannung hervorbringt, die uns zu Glimmen bringt.
Die Photographien auf der Partnerseite andererseits vermögen es, auf eine bestimmte Art mein Interesse zu wecken. Ausschnitte, ein Portrait von der Seite, vom Nabel bis zum Kopf, von Beinen und sogar vom Rücken, von Tätowierungen auf den Unterarmen. Doch was mich fasziniert ist, was auf diesen Bildern nicht gezeigt wird. Im Geiste vervollständige ich die Teile zu einem Ganzen. Vielleicht erscheinen mir die Bilder auch deshalb geradezu obszön, sie versperren mir durch ihre Ausschnitthaftigkeit den Blick auf etwas und geben mir zugleich erst die Möglichkeit, mehr zu sehen. In dieser Unbestimmtheit manifestiert sich dann, so vermeine ich zu wissen, auch erst das, was mich dazu bewegt, eine Kontaktaufnahme anzustreben.
Immer wenn ich eine Frau über die Partnervermittlungsseite kennenlerne, ergeht es mir ganz ähnlich wie mit der Ersten. Doch kann ich nicht damit aufhören, denn, es muß doch einmal etwas über diese Farce, über diesen schlechten Witz - ich möchte beileibe nicht von Glück reden, aber es muss doch etwas darüber hinausgehen.
Es liegt nicht an der Art des Kennenlernens, über diese Seite im Netz, es liegt an etwas anderem, nur mühsam greifbaren: Welche Verwandlung sich vor mir abspielt, wenn ich einer von ihnen, zum Beispiel im Cafe, gegenüber sitze und das Lächeln des Profilphotos wiedererkenne, was geschieht, wenn ich bei ihr bin und sie anfängt, sich zu entkleiden, oder sie mir, nach mehrmaligen Treffen gesteht, dass sie sich in mich verliebt hätte, ist schwer zu beschreiben. Ganz so, als würde man eine Lupe zu Nahe an eine Schrift halten. Etwas, das da war, etwas, das doch so sicher da gewesen sein muss, wird unkenntlich fast bis zum Verschwinden. Neugierde und Lust weichen dem Gefühl eines fast schon unerträglichen Mangels. Und es ist mir jedes Mal ein Blick in einen Nebel, der nichts mehr verspricht.