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- 05.01.2005
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Vers-Stimmung
Es kommt mir immer vor, als sei mir etwas abhanden gekommen oder als seien Dinge da, die nicht da sein müssen.
Irgendetwas war heute; es hätte etwas werden können. Es hätte etwas mit dem anderen Geschlecht werden können.
Darüber nachzudenken wäre wertlos. Es ist Nacht. " Ach" raunt mein Herz zynisch, "das Begehr zu Begatten endigt der Schatten."
Und Kant, Galleonsfigur am Sonnenschiff der so erhellenden Aufklärung würde in Bezug auf meine Begattungsversuche transzendentalphilosophisch
von der "Bedingung der Möglichkeit" sprechen, von der Bedingung der Möglichkeit, zu begatten.
Du Kant immer mit deinem "Hätte-Hätte"...
Die aufgeklärten Erwägungen verlaufen sich auf dem Heimweg in dunklen, betrübten Verdruss.
Schlecht ist mir von all dem "Hätte-Hätte". Hölzerne Gespräche, jähes Ende und im Nachhinein "Hätte-Hätte": nichtswürdiger, tattriger Onkel Konjunktiv.
Die Stätte des Indikativ, das Ruhen umdunkelt mich nun wieder.
Dann öffne ich die Tür, die mich ansieht.
Es ist immer so mattes Licht, wenn ich wieder nach Hause komme.
Das Holz hat dann immer diesen Schein, der es mir unsympathisch werden lässt.
" Komm schon, " denke ich mir dann. "Es ist nur Holz; es ist leblos."
Leblos ist es und Holz und gegenständlich, begeh- und überkommbar, wenn Füße darüberwischen in beschwingter Geste, willige Hingabe einer hölzernen Haut über dem Boden - aber sie schwillt manchmal fast atmend an, wenn du verstehst, was ich meine.
" Holz nur ist es ," sage ich mir, und schon komm' ich auf ein anderes Thema; der Boden der Tatsachen hat mich wieder; keinen Gedanken verschwende ich mehr an die elende Beschäftigung mit dem Grund meines Gehens, mit der Grundlage meiner persönlichen Lage, mit dem, das mich auf- und von dem mancher annimmt, es sei nur Holz und jeder Gedanke daran, dass es Lebe ein misslungener Gedanke, eitler Schein.
Komm' ich schon mal auf ein anderes Thema, packt mich aber doch alsbald der Schein, dieser miese, zwielichtige, milchig-unwirkliche Schein des Holzes, der es mir unsympathisch werden lässt.
Aber dann schlage ich in der Wirrnis ein Buch auf, mich darin zu vertiefen, Inhalt zu atmen, Kontemplation zu erfahren in der Huldigung höherer Götter, der Weihung wahrer Heiligkeit, die dem Banalen, dem Barabarischen, dem Fratzenhaften des nackten Holzes derart entgegensteht, dass ich es vergesse für eine Zeit.
Zeit: eine für das Holz, eine für mich.
Raum: Ein Mich-Umstehen, ein Umstand.
Welt: Ein einziges Ungewiss.
Dessen aber vergewissere ich mich nicht, weil ich lesend dem Begehr nach Erkenntnis nachgehe, eher aber: dem Begehr nach Erfühlnis, nach Erfühlung, nach dem Pochen eines anderen Herzens außer meinem in diesem nur ahnbaren Gewimmel aus Möbeln, aus vorm Auge schwirrenden, amöbenartig kribbelnden Pixeln, ein dumpfes Blut pulst hinter all dem Eindruck dieses doch so Toten, dieses ... Lauernden.
Dem Kauernden, dem Lesenden macht das nichts aus.
Nur manchmal, an den Nägeln kauend, denke ich: " Da ist was."
Und dann: "Aber da ist nichts. Das hattest du doch auch als Kind. Bist du immer noch so infantil? Früher sahst du in den schwarzen Schwaden der Nacht Schafe, die von Schakalen in den Schlaf gebissen werden. Und dabei war da nichts. Nichts als deine schluderig von Falten zerruderte Wäsche. Du sahst einen Bären im Schrank. Und dabei war da nichts".
Dies denkend lese ich weiter.
Und dabei bin ich gebettet auf mein Sofa, das ersäuft im Tintenblau der Nacht und das fleddrige Haut hat, über die ich zuweilen, bei einem besonders anregenden Vers, fahre und hochschrecke und feststelle:
" Es ist nur ein Sofa."
Innerhalb kürzester Zeit vollzieht sich dieser Gedanke.
Was zieht er nach sich?
Nichts als meine Hand, die das Raue, das Unebenmäßige, das Ungenaue der Sofastruktur erfährt, überfährt, entlangfährt.
Und die Lektüre geht weiter.
Aber sie betrübt mich, denn einer meiner Götter, der sich bezeichnender Weise Gottfried Benn nennt und nicht zuletzt namenhaft ist wegen seiner morbiden, aber eben göttlich morbiden Gedichte, raunt mir durch das Dunkle und das Ungenaue, die fragmenthafte, fratzenhafte Zersplitterung der Welt um mich herum im Wort, im entäußerten Umstand das "Du" zu:
Ein Geist, ein großer allzumal, der Kontakt zu mir aufnimmt auf meine Anrufung hin, er möge mir einen Halt im Leeren, eine Raststatt im Wald der Welt gewähren, den ich einsam durchstreifte, im Gewimmel aus Gesichtern, um letztlich doch, auf mich gestellt, in mich versunken, allein, daheim dem Irrglauben anheim zu fallen, da sei etwas unter mir, da sei ein ewig bestehender Grund, da sei etwas Lauerndes, das mich ängstigen müsse.
Aber das Wort, der Klang im Kopf, die Schwingung der von Lähmung bedrohten Seelenbewegung:
Wer allein ist, ist auch im Geheimnis.
Immer steht er in der Bilder Flut.
" Wie wahr, Gottfried," denk' ich, " wie flutend ist dieser Wust Welt, aber schon so spröde; eigentlich eher trüb als flutend, eigentlich mit Nebel angefüllt. Eigentlich egal."
Ihrer Zeugung, ihrer Keimnis.
Selbst die Schatten tragen ihre Glut.
- Ist da was?
Wie eine Pranke, die die Nacht ausfährt, gleitet mir das wimmelnde Nichts aus dunklem Flackern, das blutrauschende Etwas, das Angst macht, meinen Arm entlang und ich klammere mich Halt suchend an das blaue Buch.
" Was da ist," denke ich mir dann, " bist du. Und um dich das Nichts. Nichts als du. Mehr bist du nicht, weniger auch nicht. "
Ich komme wieder zu mir.
Doch was heißt hier "wieder"?
Hier, bei mir, daheim, hierheim ist es mir widerlich.
Einer Höhle einheimgegeben aus dunklen und wunderlichen Gestalten, die in lautlosen Gebärden - ein Bär neben mir! - um mich walten.
Es hat so etwas von Ur-Chaos: eine einzige Zerstreuung ineinander ragender, einander verstellender Gegenstände, willkürlich und lieblos formiert, eine widerliche, nackte Fratze, vor Inhalt schwelende Bögen, Texte bergende Blöcke, einstmals aufgeschlagen und weggeschleudert, die, wenn ich mich neuerlich darin versenken würde, auch nichts hergäben als:
anstarren. Unleserliche Schrift, Fragment eines Lebens, aus dem kaum Deutung hervorgeht.
Starre, Reglosigkeit: Eine nicht gegliederte Regellosigkeit zufällig dort liegender, zufällig dahin gestellter Gegenstände umgibt mich.
Was, wenn es sich ebenso mit unserem Leben verhielte?
Die Leben, die aufeinander-, die ineinander prallenden, lediglich von den Wallungen der Triebe bewegten Liebenden, deren Vorstellungen von "wahrer Liebe", wie sie nicht zuletzt auch das Kabelfernsehen kundig offenbaren möchte, ohne all den Schleier von Form und Norm, ohne all die Heuchelei von Wort und Wert nichts ist als: Nichts. Zufall. Willkür. Rohheit. Urknall. Eine ins Endlose wuchernde Reihe mit alberner Sehnsucht überdünkten Gefühlsunkrauts, das auszurupfen mich-ausrupfen hieße, so dass ich sie weiter wuchern lasse, die Sehnsucht, die Suche, das Leben zu sehnen, bis sich süchtig und müde die Herzkammern dehnen, zu eng, ach zu eng!
Wohin führt dies alles?
Das Wohnzimmer verschweigt mir jede Antwort. Nur Benn spendet mir Worte:
Trächtig ist er jeder Schichtung,
denkerisch erfüllt und aufgespart.
" Ach ja, mein Benn," denk' ich, " wie angefüllt mit Gefühl bin ich, aber weißt du: Es ist keine Glut, es ist müdes Gemurmel. Und die Gedanken, die sich in mir schichten,
errichten einen Turm, der unbegehbar bleibt; an die Sonne führt er mich nicht. Andächtig bleibe ich allnächtlich vor ihm stehen und kann ihn mit nichts anderem würdigen als mit einem hingedichteten Wort. Wenn ich das auch heute könnte. Aber stattdessen: Überdruss, so großer Überdruss."
Und ich denke, das strömende Dunkel sei eine Frauenhand, die nach mir greift, die Wange streift, um mich zu necken.
Und ich sehe in ihr konturloses Gesicht. In dieses Nichts an Möglichkeiten. Grinsend raunt sie, ich sei dem Leben entlegen.
Du bist dem Leben entlegen, du bist dem Leben entlegen...
Da krampft sich meine Hand, das Herz vereitert.
" Verschwinde! ", denke ich so, dass der Gedanke fast in Stimme umschlägt, " verschwinde, Liebe, verschwinde, Lüge, verschwinde, Glück, du bist es nicht!"
Glück und Liebe: Lüge, Lüge.
Das ganze Erdenrund: nichtig.
Was tut es? Es dreht sich im Kreis.
Die Menschen? Sich paarende Scharen!
Wie Milben, die sich begatten, und eines Tages, gekrümmt und gewunden im Staub verrecken, den ihre immer dumm hoffenden, immer begierigen, immer durchlässigen Körper- und Seelenöffnungen einatmen, einatmen, ein-at-men.
Ein Atmen bis zum jämmerlichen Ende.
Mächtig ist er der Vernichtung.
Allem Menschlichen, das nährt und paart.
Bis es sich ausgeatmet hat.
Auftauchen, aushauchen will ich, was mich aufwühlt; fahrig taste ich nach dem Boden; staubverklumptes Notizheft, verwitterter Bleistift, ich schreibe:
Ich, allein
Von mir bedingt, verdingt im Nichts, alleine,
versuche ich, Kontur in mich zu reißen.
Die Welt zerwälzt mich: Seele voller Steine.
Kein Licht kann sie ein Ich, ein Handeln heißen.
Vernennen und Verkennen und Verheißen,
verwunschen, ausgedorrt, die Lust versiegt,
will ich auf alle Glückesformen scheißen,
so lang', bis mich das Glück dann doch noch kriegt.
Da löst er sich, mein Seelenwundstarrkrampf.
Im Nichts zergeht die Luftfrau, Tageslicht. Zwitschern rauscht schon im Ohr. Sonne kommt. Das Fensterglas wird glänzend.
Jene Zeit, zu der Kant zu schreiben begann. Im Dienste der Aufklärung.
Letztgültige Klärung gibt es nicht, wenn man wie ich am Rand des Weltenrundes in ewiger Sehnsucht, die fast schon staubt, umherschleicht, nur Narr und nur Dichter, nie nur froh: Hinrichter,
Ich bin ein Hinrichter, verurteile die Welt so scharf, bis sich die nächtlich gewetzte Schärfe, da sie nur Schatten attackieren kann, verstumpft und im Sumpf all dieses ollen Lichts, all dieser Lebensfreude untergeht und versinkt.
Gleichzeitig mit meinem Vers sinkt auch der Verdruss.
Wenn ich in Verstimmung gerate, geraten mir die besten Verse, weil ich gleichsam in Vers-Stimmung bin.
Sind die Verse verklingend gelungen, gelingt das Besingen der Welt wieder gut:
Komm, o Fortschrittsoptimismus, komm Liebe, komm Liebchen!
Wie ein Minnesänger will ich dein wonniges Äußeres idealisieren:
Kunstlust
Nur durch Apollons ideelen Glanz
kann ich die Schönheit in den Himmel loben,
denn du, Liebchen, lebst nur im Herzen ganz,
kannst dort mit ideellem Pimmel toben!
Ich bin wohl zuviel bei mir. Man könnte argumentieren, ich beschwöre mir die Gesellschaft einer schweigenden, aber lebenden Welt, einer Welt aus Geistern vielleicht, oder im Mindesten eine Welt der belebten Gegenstände herauf.
Aber muss die Einsamkeit denn zwangsläufig Nahrung für Irrsinn gebären?
Ist dieser Irrsinn nicht vielmehr eine theoretisch jederzeit erfahrbare Welt in der Welt, etwas nur sehnsüchtig mit seinem weichen Schemen Ertastbare, etwas, das man etwa "das Poetische" nennen könnte?
Dieses ist dem Leben entfernt wie der Tag der Nacht.
Aber beide gleiten ineinander über, übergleiten sich, befruchten einander und zeugen:
wahres Leben, dichtes Leben, das Leben schlechthin, den Erfahrungsrausch, dessen heilige Quellen dem Profansten entspringen.
Die Pforten auf: Die Welt will ich besingen!
Mit tänzelnder Geste rausche ich über den Boden, den gedeihenden Grund, der mich auf Händen trägt.
Gottfried - penn!
Barfuß gehe ich. Bargefühlig. Empfängnisbereite Erde ist meine Seele. Her, Saat, ach satte Lebenssaat!
" Das "Hätte" ist "Ist" ", denk' ich mir schlendernd und singend, " der Traum schafft Raum, die Abstinenz gegenüber dem Leben steigert seine Präsenz und lockt den Dichter ins Freie.
Und nun, ihr Weiblein, seid i h r an der Reihe!"