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Verwandtenbesuche

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23.01.2008
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Verwandtenbesuche

Eine angedeutete Verbeugung, ein etwas gezwungenes Lächeln "Miss Margaret. Gut, dass sie da sind."
"Simon." Sie betrat mit einem knappen Nicken in Richtung des Butlers das Haus. "Wie geht es meinem Onkel?"
"Nicht sehr gut, fürchte ich. Der Priester war gerade hier. Aber vielleicht sollten sie mit Schwester Anna sprechen. Sie kann die Sachlage bestimmt exakter erklären."
Margaret ließ sich ihren Mantel abnehmen "Ich will ihn zuerst sehen."
"Wie sie wünschen, Miss. Bitte folgen sie mir."

Sie kannte den Weg natürlich, wollte den alten Butler aber nicht vor den Kopf stoßen.
Die langen Gänge hatten sich seit ihrem letzten Besuch nicht verändert. Mit dunklem Holz getäfelt, mit einst kostbaren, jetzt ausgetretenen Läufern versehen. Wenigstens hatte Tante Charlotte vor Jahrzehnten schon die schrecklichen Ahnenportraits entfernen und durch Landschaftsmalerei ersetzen lassen. Eine kleine Erleichterung.
Margaret verzog das Gesicht. Tante Charlotte. Wäre sie noch hier ... die Situation wäre für alle einfacher.
Simon öffnete die große Flügeltuer und schlüpfte hinein. "Sir, Miss Margaret macht ihre Aufwartung."
"Erst der Priester und jetzt die kleine Ausreißerin. Ich will sie nicht sehen." die Stimme klang wohlbekannt, krächzend, hohl.

Simon schloss zögernd die Tür wieder und rang verlegen die Hände "Miss ... sie wissen, wie er ist ..."
"Es ist schon gut, Simon. Dann werde ich mich eben doch zuerst mit Schwester Anna unterhalten."
Der Butler lächelte erleichtert und deutet mit einer weiß behandschuhten Hand den Gang weiter entlang "Schwester Anna befindet sich in der Bibliothek."
Irgendwie behielt dieser alte Kasten immer den selben Geruch. Margaret fragte sich, ob das Schloss wohl immer schon so gerochen hatte. Nach Stein und Staub und Moder. Wahrscheinlich konnte man sowas beim Architekten mitbestellen.

"Miss Margaret. Wie schön, sie zu sehen." Die kleine, pummelige Nonne eilte mit fliegendem Schleier auf sie zu und umarmte sie freundlich.
Margaret erwiderte die Umarmung mit echter Zuneigung. Schwester Anna war sowas wie eine Familienvertraute. Sie war seit einer halben Ewigkeit hier und kümmerte sich um Onkel Henry.
"Also, Schwester Anna - Simon meinte, der Priester wäre hier gewesen. Sieht es wirklich so ernst aus?"
Sofort glitt das Lächeln aus dem rundlichen Gesicht der Nonne. "Ich fürchte ja, meine Liebe. Er verblasst täglich etwas mehr. Vater Nicolas hat versucht, ihn aufzumuntern, aber nicht einmal das Schachspiel kann ihren Onkel mehr aus seiner Ecke locken."
Margaret seufzte. Wenn Onkel Henry nicht mehr da war, würde sie das Schloss übernehmen müssen, ob sie wollte oder nicht.

"Es hält ihn hier einfach nichts mehr, Miss Margaret. Als Lady Charlotte noch da war ..." sie verstummte und seufzte ebenfalls "Ich tue alles um ihn bei Laune zu halten. Ich lese ihm vor, ich diskutiere über Politik mit ihm - obwohl er da natürlich schon lange nicht mehr auf dem neuesten Stand ist, ich schalte das alte Grammophon für ihn ein und ich sehe zu, dass er von Zeit zu Zeit auch das Zimmer verlässt." Sie zuckte hilflos die Schultern "Aber das alles hilft nicht mehr viel ... er ist eben schon sehr, sehr alt."
"Ich weiß, machen sie sich nur keine Vorwürfe. Sie waren immer eine große Hilfe." Margaret tätschelte tröstend die kleine, rosige Hand der Nonne.
"Ich war schon bei ihm um ihn zu begrüßen, aber er wollte mich nicht sehen. Ich fürchte, ich bin eine Enttäuschung für ihn."
"Eine Enttäuschung? Das kann ich mir nicht vorstellen. Sie sind doch so klug und erfolgreich in ihrem Beruf. Wie heißt das noch ... irgendwas mit schreiben, nicht wahr?"
"Ghostwriter – ich schreibe Biographien für Prominente." half Margaret freundlich und recht stolz aus. Obwohl sie vom eigenen, großen Roman träumte, hatte ihr Erfolg sie eine Menge Mühe gekostet. Man musste schon gut sein um in dieser Branche nicht unsichtbar zu bleiben.
Schwester Anna nickte und stemmte dann resolut die Hände in die Hüften "Das wollen wir doch sehen, ob er sie empfängt. Er kann ja nicht die eigene Nichte vor den Kopf stoßen!"
Mit Margaret im schwarz-weißen Schlepptau rauschte die Nonne hinaus und den Gang hinunter. Dabei sprach sie über ihre Schulter weiter "Er muss doch verstehen, dass sie für so einen Beruf nicht hier in diesem alten Schloss leben können – so weit vom Schuss. Sie bewegen sich ja in den modernsten und besten Kreisen."

"Sir Henry. Ihre Nichte würde sie gerne besuchen. Ist das nicht entzückend von ihr. Ich bin sicher, sie freuen sich darüber eben so wie ich. Nicht wahr?" die fröhliche Stimme der Nonne zwitscherte durch den Türspalt.
Margaret konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen als ihrem Onkel nur ein nichtssagendes Brummen blieb, bevor Schwester Anna die Tür öffnete um sie herein zu lassen.
"Guten Tag, Onkel Henry." sagte Margaret höflich und knickste leicht.
"Na, wenigstens die guten Manieren hat die Großstadt nicht aus ihr heraus getrieben." krächzte es. "Und wann kommst du endlich und übernimmst das Anwesen deiner Vorfahren. So wie es sich gehört?"
Margaret verkniff sich eine spitze Antwort. Es wäre sonst zum selben ewigen Streit geworden, der sie schon seit Jahren von hier fernhielt. Statt dessen zuckt sie nur die Schultern.
"Du kannst es sowieso nicht länger rauszögern, Meg." meinte ihr Onkel jovial "Bald bin ich nicht mehr hier und dann musst du."
Margaret kniff im Halbdunkle des großen Schlafzimmers die Augen zusammen. Onkel Henry wirkte tatsächlich blasser - daran war nicht zu rütteln. Inzwischen konnte man schon recht klar die Zimmerdecke durch ihn hindurch sehen, so wie er da in seiner Lieblingsecke schwebte. Nun, er war eben ein sehr, sehr altes Gespenst.

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Macalla!

Ein sehr interessanter Text! Hat mich zum Ende hin sehr zum Schmunzeln gebracht. Auch wenn das Ende ein bißchen abrupt kommt. So, als hättest du nur auf den Punkt hinausgewollt, dass er ein Gespenst ist, und der Rest fehlt irgendwie. Da hängen noch lose Fäden herunter. Obwohl, wenn ich so überlege, fängt er auch einfach mitten im Geschehen an, also könnte es Methode sein. Etwas unkonventionell vielleicht ;-) Aber auf jeden Fall sehr amüsant zu lesen.

Du hast eine sehr "leichtfüßige" Art zu schreiben, wie ein Schmetterling, der übers Papier geht. Das wirft die Frage auf, ob dieser Text eher ein Kindertext ist? Allerdings könntest du in diesem Schreibstil auch richtig schocken, soetwas mag ich persönlich besonders gern. So richtig leicht, bis man ganz eingesponnen ist...

Stilistisch habe ich nachfolgend noch ein Paar punkte notiert, an denen du dich meiner Meinung nach noch Verbessern könntest. Ich hoffe, du bist mir nicht böse, wenn ich sie unterbreite.

"Miss Margaret. Gut, dass sie da sind."
Sie schreibt man in dem Fall groß, genau wie hier:
Aber vielleicht sollten sie mit Schwester Anna
und hier:
Bitte folgen sie mir.
genauso hier:
"Miss ... sie wissen, wie er ist ..."
und
Wie schön, sie zu sehen."
Und so weiter, den Rest findest du sicher selbst...
Sie kann die Sachlage bestimmt exakter erklären.
Exakter klingt hier falsch. Besser klingt besser ;-)

Simon öffnete die große Flügeltuer
Flügel mit ü und Tür mit ue?

"Schwester Anna befindet sich in der Bibliothek."
Sei mir nicht böse, das klingt ein wenig, als hätte jemand sie ins Regal eingeordnet oder da platziert. In meinen Ohren klingt es besser, wenn du sagst, dass sie sich dort aufhält.

Wahrscheinlich konnte man sowas beim Architekten mitbestellen.

Ich finde es besser, wenn man in nicht-wörtlicher Rede soetwas schreibt.

Die kleine, pummelige Nonne
Pummelig finde ich ein bißchen unpassend für eine Nonne, so würdelos. Und auch für einen Text in einem solchen Ambiente, wo sich alle so höflich benehmen. Was hältst du von "beleibt", "kräftig" oder "rundlich"?

Er verblasst täglich etwas mehr.
Wow, verblassen finde ich wirklich gut in dem zusammenhang... (edit: Und das habe ich geschrieben, bevor ich das Ende kannte. Aber es würde auch zu einem alten Menschen passen)

Mit Margaret im schwarz-weißen Schlepptau
Eigentlich eine gute Idee soetwas zu machen, aber ich denke, dass sich der Schlepptau sich sprichwörtlich hier eher auf Margaret bezieht als auf die Nonne...

Ist das nicht entzückend von ihr.
Hier fehlt ein Fragezeichen.

"Und wann kommst du endlich und übernimmst das Anwesen deiner Vorfahren. So wie es sich gehört?"
Hier würde ich eher Fragezeichen und Punkt tauschen. Oder vielleicht sogar ein Ausrufezeichen nach dem zweiten Satz? Das wäre noch vorwurfsvoller.

zum selben ewigen Streit geworden,
zum Streit gekommen (was wäre geworden, müßte man sonst fragen)

Mach weiter so, ich hoffe, man liest bald mehr von dir

lg Nigromantia

 

Hallo Nigromantia,

erst einmal: ganz, ganz herzlichen Dank für die Mühe meinen Text zu lesen und noch dazu so ausführlich zu kommentieren.
Ich weiß das sehr zu schätzen.
Böse bin ich wegen sachlicher Kritik niemals. Jeder nimmt Literatur und Sprache anders wahr und manchmal wird man auch einfach betriebsblind.

Ich freue mich, dass dir die Geschichte gefällt. Der 'leichtfüßige' Stil war Absicht. Es sollte eine lockere, nicht zu ernste Geschichte werden, die zum Schmunzeln einlädt.

Zum Thema 'Sie/sie' habe ich damals als ich die Geschichte geschrieben habe, nach einer brauchbaren Rechtschreibregel gesucht.
Mein Problem war: Ich als Autor bin ja gar nicht höflich, sondern meine Figur ist es. Und sie schreibt die Anrede ja nicht sondern spricht sie. Schreibt man Sie dann trotzdem noch groß?
Leider habe ich nur Anweisungen zur direkten Anrede gefunden und mich dann im Text für die Kleinschreibung entschieden.

Zu den aufgelösten Umlauten muss ich mich einfach entschuldigen. Ich arbeite sehr oft mit einer englischen Tastatur, deshalb rutscht mir das oe, ue, etc von Zeit zu Zeit in meine Texte und so sorgfältig ich auch korrekturlese ... manchmal entwischt mir eines davon :)

Ich habe mir die anderen detailierten Anmerkungen sehr sorgfältig angesehen und werde sie mir im Zusammenhang mit dem gesamten Text noch einmal durch den Kopf gehen lassen.

Vielen Dank, noch einmal, für die Mühe.

Macalla

 

Liebe Macalla,

zum Thema Sie/sie: Es wird groß geschrieben, egal wer höflich ist. In schriftllicher Form immer. Das ist alleine schon deshalb nötig, um es von der Mehrzahlform zu trennen. Nehmen wir nur mal diesen Satz am Anfang:

Miss Margaret. Gut, dass sie da sind."
Stell dir vor, du hättest deinen Diener etwas wortkarger gestaltet und er hätte bloß gesagt: "Gut, dass sie da sind." Wenn man es kleinschreibt, könnte man denken, jemand hätte einen Korb voll Hundewelpen mitgebracht, oder so. Oder neue Sklaven ;-)

Frag mich bitte nicht nach einer Quelle, ich weiß einfach nur, dass es so ist. (Und das ist bei mir meistens so)

lg Nigromantia

 

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