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Verzicht

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12.02.2004
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Verzicht

Mittagszeit: Ich koche. Das Wasser brodelt. Der Topf verschlingt, was man ihm gibt. Sonne erwärmt die Küche. Da klingelt es. Ich gehe in den Flur, öffne die Wohnungstür. Es ist Johanna! Sie stürmt herein. Die Tür knallt zu. Was wird das?

Sie nimmt sich einen Stuhl. Ich soll mich setzen. Sie sagt, sie weiß von mir und Flora. Ich schlucke. Sie erklärt, das hätte sie mir nicht zugetraut. Sie betont, sie selbst wäre nie zu so etwas in der Lage. Es riecht nach Nudeln und Konflikt. Ich stehe auf, drehe die Gasflamme zurück.

Oh, was für ein Sturm der Entrüstung! Nie hätte ich ihr die Kenntnis solcher Ausdrücke zugetraut. Sie weiß Details, sagt sie. Hat sie mich beobachtet oder beobachten lassen? Sie kennt Floras Adresse, kennt Floras Gewohnheiten, kenne unsere Gewohnheiten. Ich staune! Johanna weint: Tropfen, wie vom Regen. Dann wartet sie.

Und ich? Ich gebe alles zu. Leugnen hätte keinen Zweck. Niemand kann bei einer Lüge bleiben, außer er beginnt, sie selbst zu glauben.

Da geht sie mit den Fäusten auf mich los! Ein Trommelfeuer. Schmerzen breiten sich aus, wie Ringe in einem Teich, in den jemand einen Stein geworfen hat. Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein... Sie schreit mich an! Sicher können die Nachbarn alles hören.

Die Nudeln müssten längst al dente sein. Tomaten warten, dass jemand sie schält und passiert. Knoblauchzehen fordern auf, sie zu pressen. Johanna fordert auf, sie in den Arm zu nehmen. Ich will...

"Nein!" ruft sie.
Ihre Handfläche gebietet Einhalt. Mein Blick sucht ihren. Ich spüre ihre Wut. Dann beginnt sie, mich vor sich selbst zu verteidigen, Ausreden zu erfinden, verfällt in den Ton der Anklägerin, sucht Gründe zu meinen Gunsten - freut sich am Ende über die Aussprache. Und geht.

Ich drehe die Gasflamme wieder auf. Brodeln setzt ein. Johanna liebt mich und ich liebe Johanna. Johanna weiß von mir und Flora. Sie weiß nicht, dass ich von ihr und Kurt weiß. Sie kennt Details. Auch ich kenne Details. Aber ich werde mich hüten, sie das wissen zu lassen. Ich lächle.

Das Klingeln des Telefons unterscheidet sich vom Klingeln der Türklingel, wie ein Kuss von einem Händedruck. Ich gehe in den Flur. Das Parkett knarrt. Schon ehe ich den Hörer abnehme, weiß ich, wer mich da anruft...

 

Hallo Berg!

Also das Ende ... also - ich weiß nicht. Der Rest gefällt mir, bis auf ein paar Kleinigkeiten. Aber das Ende? Ne. Da hätte ich mehr erwartet.

Schmerzen breiten sich aus, wie Ringe in einem Teich, in den jemand einen Stein geworfen hat.

"in den jemand" klingt kompliziert. Ich hab aber auch keine Idee, was man machen könnte. Das "jemand" stört, in die Beziehung "in den", da muss man denken. Was ja nicht schlecht ist, aber es geht nicht so ins Ohr. :)

Außerdem hast du nachher gleich nochmal Stein.

Tropfen, wie vom Regen.

Hm. Das hat bei mir kein schönes Bild erzeugt. Viel zu ... einfach, irgendwie. Regentropfen sind klein, schnell und viele. Außerdem sind sie grau, kalt und meistens unangenehm. Sind ihre Tränen so?

"Nein!" ruft sie.

Komma vor "ruft".

Schöne Grüße,

yours

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Berg!

So kurz. So kurze Sätze. So kurze Gedanken. – Und, ähm: So kurze, matschige Nudeln. :D

Schon ehe ich den Hörer abnehme, weiß ich, wer mich da anruft...
Ich glaub, ich weiß es auch. Die Antwort steht im vorherigen Absatz … ;)
Aber war das das Experiment? Wenn ja, finde ich das etwas mager, viel besser würde die Geschichte doch in Romantik/Erotik passen – jedenfalls mit meiner Auflösung. :)

Wesentlich mehr an Experiment scheint für den Protagonisten das Kochen von Nudeln zu sein … ;)

Der Topf verschlingt, was man ihm gibt.
Er rührt nicht um.
Ich stehe auf, drehe die Gasflamme zurück.
Nudeln sollten immer brodelnd kochen, und er rührt wieder nicht um.
Die Nudeln müssten längst al dente sein.
»längst al dente« gibt es nicht. Wenn sie zu lang kochen, sind sie nicht mehr al dente sondern nur mehr weich, sodaß sie zerfallen (daher oben die kurzen Nudeln ;)).
Ich drehe die Gasflamme wieder auf. Brodeln setzt ein.
Er hat sich entschlossen, auf das Essen zu verzichten, sie zu Teig zu kochen und neue Nudeln zu formen? :D
Na gut: Der Verzicht liegt natürlich vor allem darin, daß er sich im vorletzten Absatz zurückhält und dadurch letztlich gewinnt.

Noch ein paar Kleinigkeiten:

»Ich koche. Das Wasser brodelt. Der Topf verschlingt, was man ihm gibt. Sonne erwärmt die Küche.«
– Wer ist "man"? Schreib doch einfach: »Der Topf verschlingt die Nudeln.«
– Daß die Sonne die Küche erwärmt, finde ich an dieser Stelle eine unpassende Information, wo doch die Herdflamme brennt und das Wasser dampft.

»Sie stürmt herein. Die Tür knallt zu.«
Knallt die Tür von selbst zu? Vorschlag: Sie stürm herein und knallt die Tür zu.

»Oh, was für ein Sturm der Entrüstung! Nie hätte ich ihr die Kenntnis solcher Ausdrücke zugetraut.«
– Öhm, welcher Ausdrücke?, frag ich mich als Leser. Wäre schön, wenn Du da noch ein wenig ins Detail gehst, sie vielleicht als direkte Rede einbaust.

»Johanna weint: Tropfen, wie vom Regen.«
– Eigentlich weint man ja Tränen. Was Du mit den Tropfen wie vom Regen sagen willst, sehe ich auch nicht. Vielleicht so viele, als wäre es Regen? Wahrscheinlich nicht, das würde nicht zur Geschichte passen. Aber was dann?

»Schmerzen breiten sich aus, wie Ringe in einem Teich, in den jemand einen Stein geworfen hat.«
– Die Schmerzen entfernen sich also immer weiter von der Stelle, von der sie ausgehen? (Jedenfalls tun das die Wellen im Teich.)

»Dann beginnt sie, mich vor sich selbst zu verteidigen, Ausreden zu erfinden, verfällt in den Ton der Anklägerin, sucht Gründe zu meinen Gunsten«
– Auch die würde ich gern »live« hören!

»Das Klingeln des Telefons unterscheidet sich vom Klingeln der Türklingel, wie ein Kuss von einem Händedruck.«
– Der Beistrich gehört da glaub ich nicht hin.
Den Vergleich verstehe ich nicht. Das Läuten des Telefons ist ein Kuss, das Klingeln an der Tür ein Händedruck? :confused: (Meine Wortwahl sollte ein Vorschlag gegen dreimaliges Klingeln sein. ;-))


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo yourstruly und Häferl,

vielen Dank für die schnelle (yours) und profunde (Susi) Kritik! Eure Anmerkungen und Korrekturen werden bald in die Verbesserung einfließen.

Zitat:
Schon ehe ich den Hörer abnehme, weiß ich, wer mich da anruft...
Ich glaub, ich weiß es auch. Die Antwort steht im vorherigen Absatz …
Aber war das das Experiment? Wenn ja, finde ich das etwas mager, viel besser würde die Geschichte doch in Romantik/Erotik passen – jedenfalls mit meiner Auflösung.

Er hat sich entschlossen, auf das Essen zu verzichten, sie zu Teig zu kochen und neue Nudeln zu formen?
Na gut: Der Verzicht liegt natürlich vor allem darin, daß er sich im vorletzten Absatz zurückhält und dadurch letztlich gewinnt.

Das Experiment besteht in dem, was der Text nicht enthält. ;)

Freundliche Grüße vom

Berg

 

Hey Berg,

jau, das hat mir gut gefallen. Bis auf das hier:

Knoblauchzehen fordern auf, sie zu pressen. Johanna fordert auf, sie in den Arm zu nehmen.
Das fällt sprachlich aus dem Rahmen.

Ich denke in der Geschichte geht es ein bisschen um den Feenstaub, den Zuckerguß auf den Beziehungen. Für beide scheint es nun nicht die allumfassende große Liebe zu sein, sondern beide halten sich was nebenbei. Und so ist auch die Aufregung und die Dramatik eher Scharade. Wenn sie da auch was nebenbei hat und er auch, dann kann das kaum die Ausmaße einer Tragödie annehmen, sondern bleibt so oberflächlich, dass man nebenbei noch an Nudeln denken kann.

Gruß
Quinn

 

Hallo Quinn,

danke fürs Lesen! :) Noch mehr als um den Zuckerguss auf Beziehungen ging es mir bei diesem Text darum, mal zu versuchen, eine Situation ganz ohne Adjektive und mit so wenigen Adverbien wie möglich zu beschreiben.

lg Berg

 

Hey Berg!

Der Verzicht ist dir gelungen, stellenweise ist der Text intensiver, als wenn er mit irgendwelchen Adjektiven bespickt wäre. So ist er viel lebendiger, da passiert was, da wird nicht großartig viel erzählt.
Hat mir gefallen.

JoBlack

 

Der Verzicht liegt natürlich vor allem darin, daß er sich im vorletzten Absatz zurückhält und dadurch letztlich gewinnt.
Das Experiment besteht in dem, was der Text nicht enthält.
Ich hatte das gar nicht auf das Experiment bezogen. Da ich ja nicht wußte, daß im Titel selbst schon ein Hinweis auf das Experiment steckt, suchte ich seine Bedeutung (die des Verzichts) im Inhalt. Und so paßt er ja auch. :)
Daß er im Verzicht auf das Essen besteht, war natürlich nicht ernst gemeint. - Das mit den Adjektiven finde ich ein witziges Experiment, allerdings sind da grad zwei an mir vorbeigelaufen ... ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo JoBlack und Susi,

danke fürs Vorbeischauen! :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Berg

Liebe geht durch den Magen, normalerweise, denn hier bleibt sie vorderhand auf der Strecke. "Ich liebe Johanna und Johanna liebt mich". Wieder eine Lüge, und dabei bleibt's!

Interessantes Experiment, obwohl ich es nur durch deinen Hinweis auf den Verzicht erkenne. Der Text beschreibt die Situation zweier getrennt lebender Eheleute nüchtern und kalt, Emotionen wirken nicht echt, die Tränen wie kalter Regen auf glattem Beton.
Guten Appetit.

Gruss.dot

 

Hallo dotslash & granny green,

danke fürs Lesen und interessant finden!
Ach, ein Meisterwerk ist es wohl nicht, nur das Ergebnis des Versuchs, mal einen Text ohne Adjektive zu schreiben. ;)

Freundliche Grüße,

Berg

 

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