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Verzweifelt
Es hätte klappen können. Er ist doch da und ich bin da. Auf der Geburtstagsparty von meiner Freundin. Der Raum ist in ein schummriges rötliches Licht getaucht, es läuft irgendein Lied, das ich nicht kenne. Auf dem Tisch angebrochene und leere Bierflaschen, in einer Slalomlinie angeordnet. Aufgetakelte Mädels sitzen mit müdem, arrogantem Blick am Tisch, es ist schon spät.
Er steht vor der Musikbox, meine kleine Schwester auch. Wer zum Teufel hat meine Schwester eingeladen? Meine süße, hübsche, unglaublich charmante Schwester in ihrem roten Pulli, dem kurzen Minirock und den hochhackigen Stiefeln. Ich war immer so stolz auf sie. Nur heute, heute möchte ich sie am liebsten wegbeamen. Weit, weit weg. Ich merke, dass er auf sie steht. Ich sehe es an seinem blitzenden Blick, an seinem verschmitzten Lächeln. Sie lachen über irgendwas, er gibt ihr sein Handy, zeigt ihr seine Lieblingsmusik, sie steckt es wieder in seine Tasche. Irgendwas läuft falsch. Ich bin es doch, die ihn toll findet, ich bin doch seit Jahren in ihn verliebt. Leider bin ich es auch, die kein vernünftiges Wort rausbringt, wenn sie vor ihm steht und die die Stille, die dann entsteht, kaum ertragen kann. Ich kann ihn nicht so bezirzen, ich kann nicht locker mit ihm reden, ich bin verdammt noch mal verliebt. So verliebt, dass ich erstarre, wenn ich ihn sehe und handlungsunfähig werde.
So wie jetzt. Ich merke, wie mir übel wird, wie sich mein Magen umstülpt und mir schwach auf den Beinen wird. Ich kann nichts mehr tun. Ich kann nicht angreifen. Ich weiß jetzt schon, dass ich verloren habe. Wie eine leere Plastiktüte, deren Inhalt man entnommen hat und die langsam einknickt und in sich zusammenfällt, sacke ich auf einen Stuhl. Die Party nähert sich dem Ende, wir müssen gleich gehen. Er zieht seine Jacke an, sie auch. Ich überlege mir, wie ich das überleben soll.
Mit letzter Kraft schleiche ich zur Tür, setzte mich auf mein Rad, warte. Er kommt raus, sieht mich und sagt kein Wort. Ich auch nicht. Ich bin zu schwach dazu. Er guckt solange auf sein Handy, bis die anderen kommen. Wir fahren los, meine Schwester eingehakt neben ihm. Er geht zu Fuß. Ich fahre langsam vor, lasse mir von einer Freundin irgendwas erzählen, ich kapiere nicht, worum es geht. Ich kann ihr einfach nicht folgen, zu angestrengt lausche ich dem Gespräch hinter mir. Glucksende Kichergeräusche und hormonbeladene Wortlawinen werden vom Wind an mein Ohr getragen und überrollen mich. Begraben mich tief unter sich, ohne eine Chance zu entkommen.
Wir sind an seinem Haus angekommen, ich fahre vor, kann kaum noch trampeln. Hinter mir ist es still geworden. Ich drehe mich nicht um. Es ist klar, was die beiden jetzt machen. Ich muss an früher denken, als meine Schwester und ich zusammengekuschelt auf dem Sofa fern gesehen haben. Sesamstraße. Immer wenn Bert böse zu Ernie war, haben wir einfach ausgeschaltet und uns eingeredet, dass nichts passiert ist, weil wir es ja nicht sehen.
Ich schalte auch einfach ab. Ich würde sonst durchdrehen. Was man nicht sieht, ist auch nicht passiert. Ob ich mich einfach auf dem Seitenweg hinlege und solange liegen bleibe, bis ich mich aufgelöst habe?
Plötzlich höre ich neben mir ein fröhliches, Na Du Trantüte, gib mal Gas, wir haben noch ´n ganzes Stück vor uns. Meine Schwester lacht mich an. Sie hat keine Ahnung. Ich drehe mein Gesicht zur Seite, so dass sie nicht sehen kann, dass mein Gesicht leichenblass ist. Ein blasses rundes Etwas, umrandet von tiefer Dunkelheit, genau wie der Mond. Genau so allein, genau so weit weg. Komm, gib Gas, ruft meine Schwester und fährt zügig vor.
Sie war schon immer schneller als ich.