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Verzweiflung
Tränen laufen mir über die Wangen. Das Licht blendet meine empfindlichen Augen. Hier ist es so still, dass ich die salzigen Tropfen höre, wenn sie auf dem Boden brechen. Mein Schluchzen zerstört die Stille die so undurchdringlich scheint. Ich wippe hin und her, so wie Eltern ihre Kinder im Kinderwagen schaukeln. Ich bekomme kaum noch Luft. Verschlucke mich aus lauter Verzweiflung. Meine Tränen tropfen weiter und bilden eine kleine Pfütze unter mir. Warum nimmt mich niemand in den Arm? Warum ist niemand da, der mir zuhört, mich versteht oder wenigstens zu verstehen glaubt? Was würde ich dafür geben, die Zeit zurück zu drehen. Nur ein paar Stunden. Den Tag noch mal von vorne zu leben. Morgens aufzuwachen, aus dem Fenster zu sehen, mit dem Lächeln der Sonne begrüßt zu werden und zu wissen, dass jeder Tag an sich schön ist.
Verdammt warum bin ich hier so allein? Die Stille knabbert an mir, frisst mich auf, langsam und qualvoll. Wieso habe ich nichts gehört? Wozu habe ich Ohren wenn sie mir im entscheidenden Moment keine Treue erweisen?
Ich knie auf dem Boden, die Handflächen aneinander gepresst, den Kopf in den Nacken gelegt und die schmerzenden Augen geschlossen. Bitte lieber Gott mach es ungeschehen! Hilf mir. Steh mir bei. Konntest du es nicht verhindern, oder musste es so kommen? Aber wozu nur?
Mein Kopf dröhnt, und wieder weine ich aus Verzweiflung. Was soll ich jetzt überhaupt machen? Soll ich den Krankenwagen rufen? Oder die Polizei? Der leblose Körper liegt neben mir. Die Augen starren ins Leere. Der Mund ist angstvoll verzogen. Meine Hand krallt sich so fest in meinen Unterarm, dass ich vor Schmerz schreie. Wozu denn? Mich hört doch sowieso niemand! Ich spüre meinen Puls. Wie es sich wohl anfühlt sich die Pulsader aufzuschneiden? Wie lange man noch hat? Ein paar Minuten, oder mehr? Wie lange spüre ich den Schmerz noch? Wie viel Zeit bleibt noch zum Denken? Ich will nicht mehr. Was hat es denn noch für einen Sinn? Hättest du doch nur lauter geschrieen! Hättest du ihn doch nur verletzt, ihm in die Eier getreten, um seine Hand von deinem Mund lösen zu können, als er dir weh tat.
Während du die schlimmsten Momente deines Lebens durchmachst, schlafe ich seelenruhig, träume vom vollkommenen Leben und ahne nichts von dem Leid das dir zugefügt wird.
Ich krabble auf allen Vieren zum Telefon, hebe den Hörer ab und wähle die Nummer meiner Schwester. Sie meldet sich mit ihrem Namen, ich stottere und versuche vollständige Sätze hervorzustoßen. „Laura…“ Ich hole noch mal tief Luft und fange von vorne an: „Laura ist tot!!“ von Sekunde zu Sekunde wird mir immer bewusster was das für meine Zukunft bedeutet. Ein einsames Leben wartet auf mich. „Bitte tu was!“ ich schreie sie fast an. „Wie ist das passiert?“ fragt sie mich. „Jonas…“ sage ich, schnappe tief nach Luft, finde nicht die richtigen Worte. Sie versucht mich zu beruhigen. „Ruf die Polizei - ich bin gleich bei dir!“.
„Sind Sie Frau Dirrer?“ Mein nicken bestätigt diese Frage und mein Türöffnen bittet die Polizisten herein. „Wie ist es passiert?“ Ich entgegne leise und mit rauer Stimme „Er hat sie umgebracht!“ „Wer ist denn `er´?“ „Ihr Freund.“ Verdammt warum starren die mich so an? Ich hab doch nichts verbrochen. Meine Knie zittern, als ich die zwei Polizisten zu dem reglosen Körper meiner Tochter führe.
Die Frage, die kommen musste, kam jetzt nüchtern und sachlich von einem der beiden Männer: „Sind Sie sich sicher dass es ihr Freund war?“ „Ja bin ich. Er hat schon oft damit gedroht, dass er sie umbringt, wenn sie ihn verlässt.“ „Hat sie ihn denn verlassen?“ Unsicher entgegne ich: „Nein, nicht dass ich wüsste!“
„Was denken Sie warum er sie dann umgebracht haben soll?“ „Ich weiß es nicht.“ Erneut breche ich in Tränen aus. Ich fühle mich so hilflos. Warum fragen die mich bloß so viel? Die zwei Beamten untersuchen den Körper. Ich kann das nicht mit ansehen wie sie sie anfassen, schon fast befummeln. Ich wende meinen Blick von dem brechreizerregenden Szenario ab und versuche mich mit dem Blick aus dem Fenster abzulenken. Traurig fallen die bunten Blätter der Bäume auf den nassen Boden. Gestresste Menschen laufen über die Straße. Jeder von ihnen hat seine Aufgabe, sein Schicksal. Alles ist voller Hektik. Wer genießt noch mit ganzem Herzen die schönen Augenblicke im Leben?
„Sie ist vergewaltigt und schließlich erwürgt worden“, stellt der Eine fest. Wieder klingelt es an der Tür. Meine Schwester ist da, nimmt mich in den Arm, kann mir aber nicht helfen.
Niemand kann mir helfen. Ich kann nicht ohne meine Tochter leben. Sie war mein Leben. Sie hat mich tagtäglich zum Lächeln gebracht, hat mir das Gefühl gegeben immer geliebt zu werden. Wenigstens von ihr, denn Freunde hatte ich nie. Ich bin ein Einzelkämpfer und der Vater meines Lebensinhaltes hat mich geschwängert, als ich selbst noch ein Kind war und hat mich dann sitzengelassen.
Und mit dem Mörder, den sie ihren >Schatz< nannte habe ich sie mir >geteilt<, habe ihn in meinem Haus willkommen geheißen, ihm sogar einen Schlüssel gegeben.
Das war ihr Tod. Mein Leichtsinn hat ihr den Tod gebracht. Hätte ich mich nur nicht erweichen lassen. Einen Gefallen wollte ich ihr tun. Ihr beweisen, dass ich auch ihm vertraue. Das ist sein Dank dafür.
Vor drei Tagen vergewaltigte der 21-jährige Jonas Soner die 18-jährige Laura Dirrer. Mir der Hilfe eines Schlüssels, drang er unbemerkt in das Haus ein, während Mutter und Tochter schliefen. Er war ein sehr nahestehender Bekannter der Familie. Es wird vermutet, dass er knapp eine Stunde lang mit seinem viel schwächerem Opfer spielte und sich schließlich nachdem er sie erwürgte still, heimlich und leise aus dem Staub machte. Die Polizei fand ihn schließlich 300 km weiter, weil er durch seinen auffälligen Fahrstil auffiel. Mit 2,0 Promille gestand er sein Vergehen zum ersten Mal.