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Vodka-Martini Session
20:31Uhr. Klaus feiert heute seine Blind-Date-Premiere. Allerdings bis jetzt noch alleine.
Na klasse! Acht Uhr hatten wir gesagt. Seit über einer halben Stunde sitz ich hier jetzt schon und warte auf mein Blind Date. Blind Date! So eine beknackte Idee! Was mache ich nur hier? Die Tussi hat diesen Schickimicki-Laden ausgesucht und jetzt hat sie nicht mal den Anstand pünktlich zu sein.
Oh, Mann! Hier gibt es ja wirklich Schwule, die einfach so hier reinkommen und sich hinsetzen, als sei alles in Ordnung mit ihnen! Und der Kellner erst! Das ist der Schlimmste von allen! Wie ich das hasse! Gerade heute, wo Championsleague läuft, sitz ich hier mit einem Rudel Schwuler. Hätte ich mir mal das Spiel angeschaut. Wenn meine Kumpels mich jetzt hier sehen würden… die würden sich totlachen. Wehe, jetzt warte ich hier so lange und die sieht am Ende noch Scheiße aus! Dann hat Steffen bei mir verschissen!
Klaus’ bester Freund Steffen hatte das Rendezvous zwischen ihm und dessen angeblich überaus hübschen Cousine Petra arrangiert.
Mit einem kräftigen Schluck leert der Wartende ohne mit der Wimper zu zucken den Rest seines dritten Vodka-Martini gegen die Verabredungs-Nervosität, was ihm die Aufmerksamkeit des brutal femininen Kellners verschafft.
„Möchten der Herr noch etwas trinken?“, erkundigt er sich mit einem Lächeln auf den Lippen. Klaus kommt es vor, als zwinkert er zu allem Übel dabei noch zusätzlich mit den Augen.
„Ja, der Herr möchten noch einen Vodka-Martini, der Herr.“
„Sehr gerne.“, Klaus schüttelt mit dem Kopf.
So eine Tunte! Spinn ich, oder wackelt der beim Gehen mit seinem Arsch?! Diese Leute gehören verboten! Schminken tut der sich auch! Da wird mir schlecht… Mann, wann kommt diese Petra denn endlich? Wenn das so weitergeht, bin ich schon voll, bevor die hier auftaucht… wenn die überhaupt noch auftaucht. Glaub, ich schreib der mal eine Sms. Gut, dass Steffen mir die Nummer noch gegeben hat. Vielleicht hat sie’s ja vergessen.
20:33 Uhr. Während Klaus gänzlich in sein Handy vertieft ist, was vor allem daran liegt, dass sich das Tippen der kleinen Tasten mit drei Vodka-Martinis im Blut schwieriger gestaltet als nüchtern, kommt der Kellner wieder und serviert Klaus den Vierten mit einem freundlichen „Bitte sehr.“. Trotz seines wackelarschigen Gangs, den er allein für seinen „Spezialkunden“ angelegt hat, hat Klaus dessen Rückkehr nicht bemerkt.
„Mann! Musst du mich so erschrecken?“, fährt Klaus den irritierten Kellner äußerst vernehmlich und wild gestikulierend an.
„Huch, Entschuldigung!“
„Huch, Entschuldigung! Ich geb' dir gleich Huch! Sag das nächste Mal, wenn du mir näher als drei Meter kommst, „Heiteitei, hier kommt die Polizei“ oder so.“
„Entschuldigen sie mal! Das können sie auch anders sagen!“, entrüstet sich der Kellner und geht fort, während er Klaus opulentes Mienenspiel nachäfft. Zwei weitere gleichgeschlechtlich Liebende haben die Szene verfolgt und würdigen Klaus eines unverständlichen, bösen Blickes.
Was glotzt ihr beiden Süßen denn so? Wen haben wir denn da überhaupt? Popeye mit seiner Olivia! Wer da wohl den Mann spielt?! Mit denen würde ich mich gerne mal prügeln! Diesen Olivia pump’ ich mit dem kleinen Finger um und Popeye schlägt bestimmt eh nicht zurück. Das wäre ja so, wie wenn ich ne Frau hauen würde.
20:35 Uhr. Klaus steckt sein Handy unverrichteter Dinge wieder in seine Jackentasche.
Ach, ich schreib der doch nicht. Das wär bestimmt unhöflich. Ist vielleicht auch gar kein schlechtes Zeichen. Die muss sich bestimmt noch so lange aufmotzen, um perfekt für mich auszusehen und kommt dann jeden Augenblick. Pimp my Date! Hehe…
Während sich Klaus an seinen vierten Vodka-Martini macht, kommt ein kleiner Junge, der mit seinem Vater am Nachbartisch sitzt an ihn heran und stellt sich direkt neben ihn, grinst so breit, dass seine Mundwinkel beinahe in den Ohren verschwinden und sagt: „Na, Onkel?“ Oh, Gott! Was ist das denn? Das kann nicht gesund sein, so hässlich zu sein!
„Na du kleines Arschloch!“ Mann wie ich Kinder hasse! Noch mehr als Schwul…oh Scheiße, hab ich das gerade laut gesagt?
„Entschuldigen Sie mal, wie haben Sie gerade meinen Jungen genannt? Arschloch?“ Ja, ich hab’s laut gesagt… Scheiße! Schnell, ne Ausrede…
„Äh… Sie haben das wohl falsch verstanden. Ich sagte nämlich … Ramschlock! Äh… das ist Urdu und bedeutet Prachtjunge!
„Urdu?“
„Das ist die Amtssprache in Pakistan!“ Was rede ich denn da für ’ne Gülle? Das glaubt mir doch kein Mensch…
„Komisch, Sie sind Pakistaner? Sieht man gar nicht!“ …er schon!„Äh… bin ich auch gar nicht… ist nur so eine blöde Angewohnheit, dieses Urdu. Werde ich einfach nicht mehr los!“
Immer schön freundlich lächeln, genau wie die Tunte. Sieht der wohl, dass ich schwitze?
„Verstehe, Klaus komm bitte wieder an unseren Tisch. Lass den Onkel in Ruhe.“
Klaus? Dieses komische Kind heißt genau wie ich! Ob ich wohl früher auch so hässlich war? Nein! Das geht ja gar nicht.
20:45 Uhr. Der Kellner serviert am Nachbartisch das Essen. Dem Tisch mit dem unschön anzusehenden Geforme von Kind. Als er fertig ist, schaut er Klaus fragend an, ob er noch etwas möchte.
„Ey, du da! Noch einen bitte!“, sagt Klaus befehlshaberisch und halb angetrunken, während er mit seinem Finger auf sein Glas tippelt.
„Ihnen wurden früher wohl überhaupt keine Manieren beigebracht, was? Wie kommen Sie denn darauf mich zu duzen?“
„Mal ganz davon abgesehen, dass in deiner Erziehung offensichtlich etwas schief gegangen ist, kannst du mich doch auch duzen. Ich bin Klaus. Das einzige, was du nicht darfst, ist, mich anzufassen. Ach, gib mir am besten sofort zwei.“
„Klaus? Dann leide ich ab heute unter einer riesengroßen Klaustrophobie!“, antwortet der Kellner forsch und geht lachend fort, um Nachschub zu holen. Inzwischen scheint ihm das Spiel mit seinem vor Intoleranz sprühenden Kunden zu gefallen. Auch Popeye und Olivia können sich das Lachen nicht verkneifen.
Ich glaub, mein Schwein pfeift! Dir hat wohl jemand Emanzenpulver in deinen Latte Machiatto gestreut, was? Herzlichen Glückwunsch zum Witz des Jahrzehnts! Das kriegst du gleich wied…
20:46 Uhr. Plötzlich, aus dem Nichts heraus, fangen Klaus’ Alarmglocken an zu klingeln. Ein elfenähnliches Wesen öffnet die Tür und betritt galant, graziös, einfach göttlich den Raum. Hochgestecktes, langes, blondes Haar. Ein Gesicht, wie von Gott persönlich in jahrelanger Mühe geschaffen und dazu natürlich die obligatorische Baywatch-Figur.
Kurzes, schwarzes Kleid mit Spaghetti-Trägern. Das Erkennungszeichen! Das isse! Hol mich der Teufel, ist die geil! Aus der Geilheit kann man ja zehn Frauen machen und die sind dann immer noch geil! Ja los… genau in diese Richtung! Komm zu Papa! Steffen, du hast was bei mir gut, wenn das was wird! Das gibt’s nicht, sie kommt her!
„Klaus, komm her mein Schatz! Mama ist wieder da!“, sagt das von übermäßiger Schönheit befallene Wesen. In dem Augenblick steht der Junge vom Nachbartisch auf und rennt zu der Frau, die schon eine Umarmung erster Güte vorbereitet hat.
„Mama!“, erwidert der Kleine unter Freudentränen.
Klaus Kinnlade sackt einige Zentimeter hinunter, während der Rest seines Körpers erstarrt.
Nee, ne?! Wie geht das denn? So eine Mutter und so ein hässliches Kind? Das ist zuviel für mich! Erstmal pissen!
20:51 Uhr. Nach seinem sechsten Vodka-Martini und dem dazugehörigen Toilettenbesuch sagt Klaus dem Kellner im Vorbeigehen: „Die Rechnung bitte… der Herr.“
„Gerne. Sie wollen nichts mehr essen?“
„Ach, stimmt. Hätte ich ja fast vergessen, dass ich und meine unsichtbaren Freunde noch gar nichts gehabt haben. Nein, Mann! Ich will nichts mehr essen! Gib mir einfach die scheiß Rechnung! Ist sowieso kein Platz mehr im Magen. Da hat sich schon ein Liter Vodka-Martini eingenistet.“
„Verstehe.“, antwortet er, dreht sich um und verkündet Popeye und Olivia den Sieges-Augenzwinker.
Während der Kellner die Rechnung vorbereitet, schaut Klaus zum ersten Mal in die Karte, um im Voraus schon zu wissen, was ihm der gelungene Abend wohl kosten mag.
Mal gucken… Ouzo… Kümmerling…Vodka…Vodka-Martini… 8 Euro. 8 Euro? Herzlichen Glückwunsch! Wie viele hatte ich denn jetzt? 4? 5? 6? Was für ein schöner Abend! Fehlt bloß noch, dass ich gleich überfallen werde und bewusstlosgeschlagen auf der Straße liegen muss, bis mich solche Leute wie Popeye finden, um den Abend perfekt zu machen.
„So, das macht dann 48 Euro.“
Klaus knallt ihm einen Fünfziger auf den Tisch und sagt: „Der Rest ist für dich. Kannste dir ja Schminke von kaufen oder Strumpfhosen oder so.“
„Danke. Hören sie mal, ich glaube, Sie sollten hier nicht noch einmal herkommen mit ihrer konservativen Einstellung. Dies ist ein sehr aufgeschlossenes Restaurant. Hier verkehren viele Homosexuelle.“
„Aufgeschlossen? Klar bist du aufgeschlossen! Und zwar da untenrum!“, schreit Klaus und zieht dabei sämtliche Blicke des Lokals auf sich.
Oh, das war ein bisschen zu laut. Jetzt nichts wie raus hier!
21:03 Uhr. Draußen angekommen klingelt Klaus’ Handy.
„Wer ist das denn jetzt? Wenn das diese Petra ist, dann erzähl ich der erst mal was! Ne, Steffen… was will der denn? Hallo?“
„Klaus wo bleibst du? Das Spiel ist schon angefangen! Eins zu null für Bayern stehts schon.“
„Ja… wo muss ich hin? Zu dir?“
„Ja, aber beeil dich. Und bring was zu trinken mit, hab kein Bier mehr.“
„Alles klar, bis gleich!“
„Ach, und Klaus… Petra ist übrigens stocksauer, dass du gestern nicht da warst. Haste vergessen, stimmt’s?“
„Gestern? Das war doch… Ja stimmt, hab’s vergessen. Tut mir leid. Bis gleich. Tschüß.“
Schnell legt Klaus auf, schmeißt sein Handy mit voller Wucht auf den Bürgersteig, woraufhin es in tausend Teile zerbricht, und geht weiter als sei nichts gewesen.