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Vom weisen Weibe und schwertschwingenden Helden
Ich habe mal wieder das Weite gesucht, bin luft- und lebenshungrig. Raus ins Grüne, würde man sagen, wenn es noch hell wäre. Doch heute gab es den ganzen Tag lang keinen Sonnenschein, nur eine trübe graue Brühe am Himmel. Jetzt, nach der Dämmerung, lässt mir diese Wolkendecke noch genügend Licht, um die Gegend, die ich durchstreife, schemenhaft zu erkennen.
Ich will nur meine Ruhe haben, gehen, ahnen, nicht denken. Doch schon spüre ich ihn in meiner Nähe, ungefragt huscht er hinter mir her. Er folgt mir auf dem Weg, an den Bäumen vorbei, am Wasser entlang. Ein Labyrinth aus kleinen Kanälen. Schon ist sein astraler Leib neben mir, und ich fühle mich wieder wie ein altes weises Weib. Soviel durchlebt, durchlitten. Er ist so jung, gerade der Pubertät entwachsen, ungeduldig, rebellisch. Trotz des Regens gönne ich mir eine Rast, stehe am Ufer und schaue auf die silbrigen Fäden in ihren Betonwannen. Ich bin mir seiner Präsenz bewusst, und trügerisch fühle ich mich beschützt.
Mit dumpfen Schritten holt mich die Wirklichkeit ein. Ich zucke zusammen, mein Herz pumpt das hormonüberschwemmte Blut verschreckt durch die Adern. Versichernd ergreife ich das Pfefferspray in meiner Manteltasche. Ein Riese mit aufgespanntem Regenschirm schreitet an mir vorüber, mit großen, eiligen Schritten. Für ihn nur eine dunkle Gestalt am Wegesrand hält er mich vielleicht für einen Baum.
Den Knaben neben mir lässt das unberührt. „Es ist langweilig, banal. Mach doch mal was!“, mault er ungeduldig.
„Ich habe dich nicht gebeten, mit mir zu kommen!“, gebe ich patzig zurück. Doch ich verstehe ihn. Er ist immer auf der Suche nach einem Sinn, einem Platz in der Gesellschaft, einer zu rettenden Prinzessin. Warum muss er auch Eckhard heißen, der Schwertstarke? Wir gehen weiter. Hut und Mantel halten den Regen gut ab, aber meine Hose klebt feucht an den Schenkeln. Hier bin ich noch nie im Dunkeln gewandert, durch dieses Gewirr von Stegen und Kanälen. Müsste nicht gleich links ein kleines offenes Holzhäuschen sein?
Da, ein Licht glimmt in der Ferne. Der Unterstand ist leer, und das Licht scheint aus einer Öffnung in der Rückwand. Anscheinend ist dort ein niedriger Gang, der in den Hügel hinter uns führt.
„Na, geh!“, sage ich zu Eckhard, „du wolltest doch ein Abenteuer!“
„Es ist aber nicht dasselbe, wenn du nicht dabei bist!“ Wieder diese Jungenstimme! „Komm doch mit!“
Auch das noch! Wir entfliehen den Nachtschatten und kriechen in den Gang. Zunächst muss Eckard nur den Kopf einziehen. Das Ganze erinnert mich an einen Schaustollen auf dem Lehrpfad über Kohlegewinnung, wie es hier mehrere gibt. Zunächst noch mit Pfeilern und Schilden abgestützt und mit nur geringer Neigung, dann als Felsweg immer steiler schlängelt sich der Gang in den Boden, hier und da trübe beleuchtet von einer Ölfunzel. Eckhard muss sich zusammenklappen, und selbst ich kann nicht mehr aufrecht gehen. Eher so ein Entengang, und schon nach wenigen Schritten meutern meine Oberschenkel gegen die ungewohnte Haltung. Dazu in der Ferne ein mir bekanntes Quieken. Ratten! Ich bin kein klischeehaftes Weibchen, hatte früher selbst so einen kleinen Nager . Aber meine „Morgaine“ war weiß, mit schwarzen Punkten am Hinterteil und passte in meine Jackentasche. Bei den Exemplaren, die uns hier womöglich in die Quere kommen, würde es sich um ein ganz anderes Kaliber handeln – und einen anderen Charakter noch dazu. Ich schaudere!
Eckhard schnauft vor mir. Ich zaudere. Warum musste ich eigentlich mit? Warum krieche ich hier mit feuchten Sachen herum, wo ich doch gemütlich zu Hause sitzen könnte? Abwarten und Tee trinken. Oder eine Schokolade ... Mein Liebster macht den besten Kakao, den ich je genossen habe. Nicht aus billigem Fertigpulver, sondern selbst gemischt aus Kakao und Zucker und mit aufgeschäumter Milch, die wie Sahne schmeckt. Hmmm. Unwillkürlich lecke ich mir über die Lippen. Zu spät, und das in dieser Kälte! Ich krame in der Manteltasche nach einem Fettstift, finde aber nur etwas Metallisches . Ach ja, der tiefrote Lippenstift von der Fete der letzten Woche.
Also weiter hinunter! Steinchen lösen sich im Boden, geraten unter meinen Schritten ins Rollen. Der Lichtschein vor mir wird heller, und wir treten in eine Höhle ein. Fackeln in Halterungen an den Wänden, und wie auf einem Podest steht die gefangene Prinzessin. Fast wie aus einer Zeitschrift, mit unbeschriebenem Gesicht und fließend-langem Haar. Wenn das mein Bild von Weiblichkeit ist, wieso trage ich meins dann raspelkurz? Oder ist das nur meine Vorstellung von Jungfräulichkeit? Diese junge Maid, vom Kranz auf dem Kopf bis zu den Schühchen mit Rosen geschmückt? Ein weiterer Blick, und ich grinse zufrieden. Na ja, ihre lange Mähne scheint pink, und über der rechten Braue glitzert jetzt ein gepiercter Reif.
Während ich sinniere, ist Eckhard ganz Mann der Tat. Ein paar Meter zumindest. Dann bleibt auch er stehen, betrachtet die Schöne mit offenem Mund. Aufrecht steht sie da, die Hände nach hinten an die Wand gebunden. Ihre Brust wölbt sich unter dem Gewand, der kühle Hauch, der über die Felsen streift, tut sein übriges ...
Einen Moment zu lang gebannt, denn schon sind wir nicht mehr allein.
„Wass wollt Ihr hier, Eindringlinge?“, schrillt eine Stimme aus dem Dunkeln. Ein Männchen, halb Affe, halb Mensch, biegt um den hinteren Felsen, und ich erschrecke über seine Hässlichkeit. Affenaugen und ein Maul, nur die Nase streckt sich menschlich lang nach vorn. Dabei finde ich Nasen schon bei Menschen seltsam.
„Iss bin der Dominuss!“, stellt er sich drohend vor. Der Herr der Höhle?
„Eher ein Dominikus!“, entgegnet Eckhard höhnisch. Muss er denn immer mit seinem großen Latinum prahlen?
„Los, bekämpfe den Zwerg, rette die Frau und lass uns verschwinden!“, mische ich mich ein.
„Iss bin kein Tserk!“ Der Gnom ist beleidigt. Er reißt sein riesiges Maul auf, bleckt die Zähne.
„Los, tu doch was!“, feuere ich Eckhard wieder an. Mittlerweile ist der Gnom an uns vorbeigezogen und schneidet uns den Rückweg ab.
„Warum komme ich jetzt nicht vom Baseball-Training?“, fragt Eckhard mich vorwurfsvoll. Dann hätte ich jetzt meine Tasche dabei, mit dem Schläger drin.
Ich zucke mit den Achseln. „Kann nicht an alles denken.“
Aber irgendetwas muss geschehen. Ein Affe ist achtmal stärker als ein Mensch, habe ich mal gelernt. Er wird uns nicht einfach ziehen lassen.
Was nützt der Name, wenn ich Eckhard kein Schwert zugeschrieben habe? Fast bin ich versucht, einen Vogel herbeizurufen, damit sich der Knabe eins aus dem Hut zaubern kann. Aber der Trick ist schon bekannt, und gut ist er auch nicht.
„Isst ssie nisst sssön?“, der Gnom deutet auf die Prinzessin, in deren Augen Angst sichtbar wird.“ Er nähert sich ihr. „Iss werde die SSSönheit vertilgen! Damit streicht er mit einer Klaue über ihre Wange.“ Dann kann sssie für miss dassein.“ Er lacht grauenvoll.
Eckhard und ich wechseln heimliche Blicke. Er braucht etwas, eine Waffe. Ich krame nervös nach dem Pfefferspray und reiche ihm den Gegenstand. Er springt auf den Affengnom zu, zieht – und starrt verdutzt auf den Lippenstift. Nur noch ein Meter zwischen Eckhard und dem Gnom. Eine kurze Sekunde, um die Strategie zu wechseln, dann sagt er mit klarer Stimme: „Hier, ein Geschenk für dich!“
Er zieht die Hülse ab und streicht dem Affen über das Maul. Blutrot strahlen seine Lippen. Der ist so erstaunt, dass er starr stehen bleibt. „Für miss?“, fragt er, und Tränen kullern aus seinen Augen. Als sie den Boden berühren, spritzt plötzlich Gischt auf, und stiebend und zischend umhüllt ihn eine Wasserwolke. Mit einem letzten Sprudeln zieht sich das Wasser zurück, und an der Stelle des Affengnoms steht ein Jüngling mit goldenem Haar. Wunderschön.
„Mein Name isst Renatuss. Iss bin ein vertsauberter Prints, der ssein Sspiegelbild zuviel im Bach bewundert hat. Dein Gessenk hat miss erlösst.“
Renatus? Eine passender Name. Rene wäre vielleicht noch besser, nicht so lang, nicht soviel zu tippen. Na toll, jetzt haben wir zwei Männer für die Prinzessin! Und wirklich, ihr Blick scheint ihm fast zugetan. Wo bleibt denn bloß Eckhards Witz, er muss doch jetzt kämpfen!
„Ja, mein Herzblatt, jetzt musst du dich entscheiden“, wendet er sich an die Prinzessin. „Willst du Kandidat eins, den strahlenden Helden mit den braunen Locken und dem Schwert im Namen ...?“ Dabei stellt er sich in Positur. Oder Kandidat zwei, den eitlen Wiedergeborenen, der sich vor dir zum Affen gemacht...?“
Seine Stimme hat einen gurrenden Unterton, und die Schöne lächelt verzaubert.
Gut, Sieg und Punk gehen an Eckhard! Während er die Prinzessin aus den Fesseln befreit, tut mir Renatus schon etwas Leid. Doch als er Eckhard einen Mantel reicht, gilt die Glut in seinen Augen nicht der Prinzessin. Ist es nur Dankbarkeit, oder was bringt er dem Helden entgegen? Oha.
„So, mein Herzblatt, nun hast du die Wahl. Willst du Kandidatin eins, den pinken Punk mit den Rosentretern...“, setze ich an, doch meine Stimme klingt nur flach.
„Ich habe gar nicht mit dem Schwert geschwungen, und das bei dem Titel“, schmollt Eckhard mir entgegen. Mir liegt etwas Anzügliches auf der Zunge, doch ich winke nur und sage fröhlich: „Vielleicht im nächsten Abenteuer ...“ Dann mache ich mich auf den Heimweg.
Draußen empfangen mich Kälte und Regen. Der Held hat bekommen, was er sich gewünscht hat: allseits beliebt und begehrt zu sein. Neid steigt in mir auf. Und was ist für mich?
Vor langer Zeit habe ich Prinzen erlöst und den Königssohn gefreit, und seitdem bin ich beschäftigt mit dem „glücklich bis an mein Lebensende“, und das ist harte Arbeit.. Ich will auch dem König kein weiteres Kind gebären, doch für die schwarze Kluft der Norne bin ich noch zu jung. Was werde ich bekommen, wenn ich den roten Mantel ablege?
Ein Flüstern erreicht mich in meinen Gedanken, diesmal ohne gurrenden Unterton. „Ich habe einen Zauber für dich bereitet ... Ich kenne deinen Wunsch ...“
Nass und durchkühlt betrete ich unseren Windfang. Als ich den Mantel aufhänge, begrüßt mich eine freundliche Stimme:: „Gut, dass du kommst. Wie wäre es jetzt mit einer heißen Schokolade?“