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Von der Bescheidenheit
Als sich die Kinder um Spielzeug (ich glaube, es war ein Plüschelefant, auf jeden Fall ein Stofftier) stritten, saß Manfred kreuzbrav da, weshalb die Eltern entschieden, dass er der Besitzer der umkämpften Kostbarkeit werden sollte. Auch in der Schule drängelte sich Manfred nie sinnlos nach vorne, als man irgendwohin pärchenweise ging. In Sport, beim Sprinten war er schnell, aber niemals der Schnellste - immer zweiter, dritter, vierter.
In Mathe, in Physik, da laß er vor dem Unterricht mehr als erfordert und ließ den Lehrer durch seltene, kurze Antworten durchblicken, daß er mehr wusste, als man fragte, ohne in den zweifelhaften Ruf eines Strebers zu kommen. Später dachten die Lehrer, er hätte Potenzial, den er ungern zeigte, in Wahrheit aber arbeitete er daran, dieses Gefühl in ihnen zu erwecken.
Als er die Schule mit höchstem Erfolg beendet hatte, beschloss er, ein Offizier zu werden - und weil seine Vorgesetzten seiner Art wegen dachten, er sei zuverlässiger und aufrichtiger als andere, ihren Ehrgeiz offen verkündende Soldaten, wurde er auch schon bald ein General.
Als solcher nahm er an einer Militärverschwörung teil, wollte sie aber nicht anführen, und wurde dementsprechend auch nicht Diktator, sondern bloß einer seiner Helfeshelfer. Still wie Manfred war, überlebte er auch die Säuberungen, die der frischgebackene Autokrat nach seiner Machtergreifung unter den ehemaligen Mitverschwörern veranstaltete. Später fiel auch der einem Attentat zum Opfer.
Nach einer Mischung aus Trauer und Erleichterung trat unser Manfred mit allgemeiner Zustimmung als der Unbefleckteste unter den Politikern seine Nachfolge an. Sofort befahl er den Bau einer Pyramide für sich, die nicht ganz so groß wie Kheopsens, aber doch schon etwas höher als Khephrens werden sollte - denn einer wie Manfred hatte Anspruch auf eine ordentliche Bestattung.
Statt seiner ließ er aber diesen Stoffelefanten in sein Sarkophag legen, während all die Medien Lügengeschichten über seinen Tod verbreiten mussten - er selbst aber verbrachte den Rest seines Lebens auf einer kleinen Südseeinsel mit sich und seinem betont-bescheidenen Palast zufrieden.