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Von der gefühlten Idee und ihrer Unmöglichkeit
Meiner Lunge war alle Luft entwichen. Meinem Herzen alles Blut. Meine Lippen waren gerötet, fühlten sich pochend und heiß an. Auch in die Wangen war eine ungeahnte, zarte Röte gestiegen. Ich spürte wie meine kalten Hände zu zittern begannen.
Sein Blick fiel umher; ungewollt fing ich ihn auf, er fiel mir in die Hände, die kalten, zitternden, ängstlichen Hände, die bebenden, erstarrten Hände; und seine Ehrlichkeit überrumpelte mich, überrumpelte mich, dass ich ihn beinah – beinah! – hätte fallen lassen. Doch meine Hände krampften sich um ihn, meine Augen nagelten ihn fest. Angstvoll, geweitet. Kein Wind strich um meine kalten Wangen, kein Regentropfen benässte meine trockenen, begierigen Lippen; eine plötzliche Gänsehaut fuhr mir über die Glieder, rann mir über den in Ängstlichkeit gekrümmten Rücken. Ich fühlte den dürstenden Blick meiner bebenden Lippen auf den seinen, so rot und so wild! Seine Augen ruhten noch immer herrlich sanft und weich, so vorsichtig und furchtlos, so würdevoll in meinen, ohne jegliche Forderung, ohne jeglichen Gedanken, nur so zart! Ich konnte sie nur zärtlich auffangen, verwirrt zurückblicken! Ich hatte doch keine Wahl! Überall, überall und doch nirgends als in dieser Sekunde weilten meine Gedanken, meine Kehle schnürte sich zu. Leere, trockene Luft schluckend.
Ein Kuss, oh je, ein Kuss! Flehte und fürchtete es in mir, ganz unverfroren, ganz vorsichtig. Sein Blick reichte tief in mich hinab, so tief, doch ohne mich zu bedrängen – zärtlich drang er in meine Seele, nein, er drang nicht, ich ließ ihn ein, ohne dass er hatte fragen müssen, ich lud ihn ein, und konnte ihn als guter Gastgeber nicht hinausschicken, ertrug ihn kaum und wollte nicht, dass er geht; und er sah sich um, vorsichtig, er sah nur um sich, betrachtete meine kleine Seele so behutsam, berührungslos und voller Verständnis, als wäre sie in irgendeiner Weise bedeutungsvoll. Ohne ihr auch nur ein Haar zu krümmen, oder sie in beliebiger Form anzufassen, streichelte er sie, so sanft, so vorsichtig, wie man die gedeihlichen, zerknitterten Wangen eines Säuglings berührt, beinah ehrfürchtig, streichelte er, streichelte er sie.
Küss mich, küss mich! Schrien meine Augen, flehten sie, zwangen sie, knieten sie nieder voller Liebe und Blindheit. Doch mein Gesicht, das blasse Gesicht, mit den geröteten Wangen, den Zähnen, die inzwischen ununterbrochen auf der ohnehin schon roten Unterlippe, wie im größten Zweifel, der größten Angst, heftig kauten, ja, mein Gesicht, mit der Stirn, in kreischende Falten gelegt, mein Gesicht wandte sich ab von ihm, wie von allein. In die andere Richtung blickend spürte ich, wie seine Augen sich ebenso, langsam, unschlüssig von mir abwandten, auch er sich umsah.
Eine warme, abendliche Spätsommersonne lächelte mir ins Gesicht, malte mir im Zusammenspiel mit der sanften, streichelnden Brise, die um meine Haarstränen tänzelte, muntere, hin und her hüpfende Schatten auf die Wangen, kitzelte meine erstarrten Mundwinkel beinahe dazu, ihr Lächeln zu erwidern. Ich blickte direkt in den Kern der herausfließenden, gelben Strahlen; rieb mir die schwimmenden Augen. Diese erkannten aus dem Augenwinkel, wie er vorsichtig seine Hand hob, zu meinem Gesicht, mein Kinn berührte, es mit einem einzelnen Finger mühelos und mit äußerst zartem Druck in seine Richtung bewegte. Meine Augen erstarrten in Panik, meine Lippen durchzuckte eine heftige Erregung, ich hörte das Blut in meinen Ohren rasen, die Farbe erneut in mein Gesicht steigend. Ein Messer in meinem Herzen. Meine Hände angstvoll ineinander verwoben. Sanft und vertraut empfingen seine Augen mich, völlig unverändert. Mit unendlicher Wärme fuhren seine Lieder einmal auf und ab, er blinzelte; seine Augen verengten sich ein wenig unter einem wonnevollen, unglücklichen Lächeln, das sich wohl auf seine Lippen verirrt hatte, seine nicht-küssenden Lippen, die sich einfach herausnahmen, in diesem Moment zu lächeln. Die Sonne malte nun auch ihm winzige Schattenspiele ins Gesicht. Eine scheinbar unzerbrechliche, weiche, nicht lastende Stille flog durch die milde Luft, setzte sich neben uns nieder. Die Hand, die schöne Hand, die mein Kinn berührt hatte, näherte sich schon wieder; und vorsichtig, ganz vorsichtig, und liebevoll, ja, so voller Liebe, mehr Liebe, als er sich eingestehen durfte, strichen die warmen Finger, die liebende Hand, zärtlich, unendlich zärtlich und langsam, mich dabei noch mit seinem ewigen Blicke liebkosend über die kalte Wange, die kalte, rote Wange. Ich zerfloss, verlor mich vollkommen, in endlosem Genuss und endloser Angst ließ ich ihn gewähren, zu ängstlich, ihn anzublicken, die Augen schließend und doch gleich wieder öffnend, auf der Flucht, auf der Suche nach seinem Blick. Die Stille war unvorstellbar geworden. Sein Blick war noch da, doch seine Hand ließ langsam ab von mir. Ganz, ganz leise und sanft durchbrachen zart gesprochene, vorsichtige, die Wahrheit lügende Worte die Stille, behutsam, wie von weiter, unwirklicher Ferne schlichen sie in meine schweren Ohren:
„Es muss wohl so sein.“ Sein weniger trockener Blick lächelte mich voller Wärme und Sehnsucht an, umschmeichelte mich nahezu, voller Gefühl, Begierde, voll so vieler unausgesprochener Phrasen und Poesien, alle verschlungen, in diesem kleinen Satz, alle verloren, all die Versprechen, die in seinen Augen, auf seinen Lippen ja so unverfroren warteten - doch erhob er sich, wandte sich ab, straffte sich, setzte langsam, ganz langsam, einen Schritt vor den anderen. Völlig unbewegt blieb ich sitzen. Er sah sich nicht mehr um. Meine Hand umfasste ungläubig meine Wange. Die Sonne war versunken. Es war kalt. Eine plötzliche Bö frischte auf, und wehte mir das Haar ins Gesicht. Das leise, unwillkürliche „Warte“, das ich ihm angstvoll hinterher gerufen hatte, vernahm er längst nicht mehr, noch weniger die unvernommen hinterher gelispelten Worte, denen ich mir selbst nicht mehr ganz im Klaren bin. Mein Heimweg ging durch einen heftigen Sturm; und ich kann nicht sagen, ob ich viel geweint hatte, oder es doch nur die zahlreichen Regentropfen waren, die meine bleichen Wangen benetzten, hinab zu meinen farblosen, kalten Lippen flossen.