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Von Fehlern und Teufeln
Vor Tür und Tor tobte ein eisiger Sturm, überzog das Land mit frostig kalter Decke. Das geeigneteste aller Wetter, um lang verschobene Pflichten zu erfüllen.
Im Kamin prasselte ein wohliges Feuer, als ich mich an den Tisch setzte, die Hände bewaffnet mit Feder, Tintenfass und Blätterbündel. Lange schon plagte mich die Schuld ungetanen Werkes. Zu zahllosen Massen waren die Ideen, Phantastereien und Fetzen ungeschriebener Geschichten angewachsen, stetig brandend an den Gestaden meines Geistes, und endlich, in dieser günstigen Stunde nun, war ich willens und, ungehindert durch lästiges Tagwerk, auch fähig meinem schriftstellerischen Schaffen nachzugehen.
Mit schnellem Federzug schrieb ich nieder den Titel der erstbesten Idee, den Anfang einer lieblichen Erzählung. Eine Fabel würde es werden oder eine Mär für mündige Bürgersleut, dessen war ich mir noch nicht sicher.
Vor geistigen Augen sah ich meine Geschichte. Ihre Buchstaben flossen meinem Verstand hinaus, hindurch den Federkiel. Befleckten blau das weiße Papier, verflochten sich in kleinen Gruppen zu einzelnen Worten. Diese kombinierten sich zu Sätzen, woraufhin jene sich in Absätze banden. Sie formten eine Seite und dann eine zweite, bis schließlich der eben noch gedankliche Wortlaut tintige Tatsache geworden war.
Alsbald waren alle Bögen aufgebraucht und der Berg beschriebenen Papiers zu stattlicher Höhe aufgetürmt. So beschloss ich eine Rast in meinem Tun einzulegen und nahm nochmals zur Hand das vorletzte Blatt, um dieses einer gewissenhaften Prüfung zu unterziehen. Wie vortrefflich mir Ausdruck und Form doch gelungen waren. Wie fein die Linie der Schrift. Korrekturen oder gar Überarbeitungen des Geschriebenen würde ich nimmer vorzunehmen haben, auch wenn derart die Vorgehensweise anderer Schriftsteller beschaffen war. Demnach störte ich mich nicht an der Aussicht auf zukünftige Arbeit und genoss frei das vorliegende Ergebnis geschäftiger Stunden.
Doch wie sehr fuhr mir der Schreck in die Knochen, als ich erkennen musste, dass sich Fehler in mein Werk eingeschlichen hatten. Wörter waren entstellt in ihrer Form oder fehlten gänzlich im Satzgefüge. Hatte ich dies selbst dergestalt verfasst? Welch Schande wäre damit über mich gekommen. Welch öffentlicher Blamage hätte ich mich auf diese Weise ausgesetzt.
Die Schamesröte stieg mir ins Gesicht. Bitteren Tränen war ich nah. Die Herren Luther und Grimm täten sich im Grabe wälzen, hätten sie dies Unrecht mit ansehen können.
Solcher und ähnlicher Art waren meine Gedankengänge, als ein Rascheln an mein Ohr drang. Mein Blick fiel auf eine unscheinbare Bewegung im Blätterstapel vor mir. Vielleicht war es nur das Zittern einer Ecke oder das Beben einer Kante, das ihn fesselte, doch ich war mir gewiss, etwas gesehen zu haben.
Eine Minute lang starrte ich gebannt. Eine zweite folgte ihr kurzen Schrittes. Zweifelsohne gab es dort etwas Lebendiges im Papierhaufen.
Erneutes Rascheln ließ mich auffahren.
Ein Blatt glitt von der Bergesspitze herunter, und endlich wurde mir jenes Ding gewahr, welches meine Aufmerksamkeit so beharrlich auf sich zog.
Ein kleines Männlein, kaum länger als ein Daumen, bot sich meinen überraschten Augen dar, nicht wirklich flach aber auch nicht ganz ausgedehnt wie ein Körper. Ein Wesen irgendwo zwischen den Räumen, wie mir schien. Es trug ein spitzbärtiges Antlitz auf einem männlichen Oberleib. Jedoch hatten seine Beine und Füße die typische Form des Gamsbockes. Ebenso schmückten seinen Kopf jene Hörner, welche allerorts dem Teufel und seinen Spießgesellen zugeschrieben werden.
„Pfui Spinne und Fliegenbein, bei allen Dämonen der Hölle und des Fegefeuers, fahre hinfort aus diesem Haus!“, rief ich ihm aufgebracht entgegen. Doch anstatt sich den alten Beschwörungen zu beugen, grinste es nur diebisch zu mir herauf. Dann verhöhnte es mich mit dem Wedeln seines Eselsschwanzes und sprang urplötzlich zurück in den Papierberg, aus dem es gekommen war.
Meine Händen fuhren ihm hinterher, durchstoben die Blättermenge auf der Suche nach der Kreatur. Nach und nach schmiss ich alles vom Tisch hinunter, doch das Untier blieb verschwunden. Ich wollte schon vor Wut aufschreien, da sah ich es in einem der Bögen herumkriechen.
Es huschte zwischen den Zeilen meiner Schrift hin und her, bog hier eine Linie, stahl dort einen Buchstaben. Jetzt wusste ich, dass dieses Wesen die Schuld an meiner mangelhaften Rechtschreibung trug. Das Feuer meiner Zorneswut war nunmehr entfacht.
„Welch Schabernack willst du noch treiben?“, frug ich böse und griff nach dem fahrigen Teufelchen, „Was willst du mir antun?“
„Ich tue dir kein Leid“, rief es mir gehässig zu, während es mit Leichtigkeit meinen ungelenken Fingern auszuweichen vermochte.
„Ganz im Gegenteil: Ich helfe dir, bin dein nützlicher Diener.“
Ich trat einen Schritt zurück.
„Du hilfst und dienst mir?“, frug ich zögernd.
Die Kreatur sprang aus dem Blatt und stellte sich hochmütig an den Tischrand.
„Es ist dem wahrlich so!“
„Wie kann es mir helfen, dass du meine Schriften verfälschst und sie auf den Kopf stellst?“
Keinen Deut traute ich dieser Höllenbrut über den Weg.
„Ich helfe dir, indem ich dir deine Achtlosigkeit aufzeige“, gab das garstige Wesen spitz zur Antwort.
„Wie kann ich denn das verstehen?“
„Du schreibst nieder, was du gerade denkst, doch denkst du nur selten das, was du gerade schreibst. Du bist unaufmerksam bei den meisten Worten, die du niederkritzelst.“
Als es so gelehrsam dahersprach, stolzierte es vornehm über die Tischplatte.
„Diesen deinen Mangel an Obacht zu nutzen, ist meine Aufgabe. Und meine Taten zu bereinigen, die deinige. Ich diene dir also, wenn ich dir damit die Möglichkeit zur eigenen Besserung gewähre. Du solltest mir danken!“
Wilder Grimm packte meine Lüste. Voller Rage ob dieses bösartigen Verhaltens sprach ich den Dämon lautstark an.
„Dir will ich zeigen, was es heißt, mich in meiner eigenen Schrift belehren zu wollen! Da hast du meinen Dank!“
Erneut wollte ich das Untier fassen, doch entwandt es sich geschickt meines Griffs und spottete nur.
„Auf diesen Dank mag ich gern verzichten. Du kannst mich nicht fangen und mir nichts beibringen. Ich tue, was ich will.“
Dann sprang es mit weitem Satz vom Tisch und verschwand flink im großen Büchergestell neben dem Fensterloch.
Die Angst um meine kostbaren und geliebten Lektüren machte mir geschwinde Beine. Nicht auszudenken, was die Kreatur dem Meister Goethe anzutun vermochte oder gar den griechischen Alten. Schnell sprang ich hinterher, fasste nach dem erstbesten Buch, schlug es mit wildem Gebaren auf, und fand nichts. Der Reihe nach durchsuchte ich jedes weitere in jedem Regal. Aber kein Fitzelchen des Unglückstifters war zu sehen.
Auf dem Einband des letzten Buches sah ich ihn sitzen. Er lachte mich mit schriller Stimme aus. Dieweil ich nach ihm langte, war der kleine Teufel jedoch aufs neue wie vom Erdboden verschluckt.
Schweifenden Blickes suchte ich den Dielenboden ab. Erspähen allerdings konnte ich abermals nichts.
Wie vom Donner gerührt fuhr ich herum, als es hinter mir klimperte und klirrte. Das Tintenfässchen war vom Tisch gestürzt und entzwei gegangen, hatte die am Boden liegenden Blätter mit blauem Guss bespritzt. Die Arbeit eines ganzen Tages war zunichte.
Der kleine Teufel hockte auf dem Tischrand und betrachtete zufrieden sein Werk. Dann sah er voller Häme zu mir auf. Mein Ärger war jetzt grenzenlos. Ich sprang eilig zum Tisch, verfehlte ihn jedoch ein weiteres Mal, als er sich im beschmierten Haufen ein Versteck suchte.
Es war mir nun alles gleich. Mit grober Hand stauchte ich den Haufen zusammen, knüllte das bis eben wertvolle Papier. Dass dem Dämon mein Handeln nicht gefiel, hörte ich an seinem lauthalsigen Wehklagen und Gezeter. Er beschwor mich eindringlich und flehte um Gnade.
Ich hingegen war noch nicht fertig mit meinem Tun. Eilig schritt ich zum Kamin und warf den zappelnden Packen hinein.
Es zischte und fauchte in einem Fort, wie das Papier Feuer fing. Doch bald war alles in Asche und Ruß verwandelt, und nichts ganzes oder halbes war mehr übrig.
Müde ging ich zu Bett, und am nächsten Tag setzte ich mich von neuem an die Schreibarbeit. Den kleinen Fehlerteufel sah ich nicht mehr.
Iehn hate ichh wol zurük yn di Hoellnglut gäschikt deer ehr endstamte;