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Von Flüchen
Flammen loderten aus dem ewigen Strom des Lebens und erhellten die geweihte Grabkammer des Prinzen. Die Erde erzitterte und ließ den Putz von der hohen Decke rieseln, als des Pharaos Hohepriester die heiligen Worte »Gnah munkh pachthet« sprach und dem Abgott den Weg ins Reich der Toten wies. Brodem und Schwefel waberte durch die Grabstätte und kroch unaufhaltsam in die Nüstern derer, die dem kalten Nachfahren die letzte Würde zu Teil werden ließen. Eine lausig gemeißelte, steinerne Schrifttafel versiegelte den Sarkophag und warnte jeden, aber auch wirklich jeden, der auf die Idee kommen sollte, den Prinzen zu erwecken. Denn der Tod würde zu ihnen kommen, auf schnellen Schwingen. Einmal erwacht, gedeiht er zum Sohn der Verdammnis, der den Fluch vollziehen muss, der auf ihm lastet. Denen, die diesen Sarg öffnen, wird er, durch heilige Gesetze verpflichtet, den Tod bringen und deren Organe und Körperflüssigkeiten entleihen um zu einer unbesiegbaren Plage der Menschheit zu werden.
»Hör auf Hieroglyphen in die Luft zu meißeln, Gratumathep und bring mir gefälligst die Kadaverpaste! Der Kalte nimmt sich nicht von selbst aus hier.« Totenmeister Atoti rollte die Augen, welche in seinen Händen lagen, hin und her, begutachtete diese kritisch und legte sie schließlich zufrieden in eine kleine, mit Öl gefüllte Tonschale.
Er wusste genau was zu tun war und jede Handbewegung hätte den besten Leichenpräparatoren des Landes den Neid ins Gesicht getrieben. Atoti blickte auf eine lange Familientradition zurück. Naja, er musste sich einer Zwangstradition beugen, da sein Vater, seines Vaters Vater, seines Vaters Vaters Vater, seine Tante mütterlicherseits, sein Bruder, dessen Schwippschwager und des Schwippschwagers Schwippschwager ebenfalls im Totengeschäft tätig waren. Gern gesehene Abendgäste waren sie deswegen nicht. Denn auch das dollste Schrubben half nicht, den Mief aus den Klamotten zu bekommen.
Trotz alledem liebte er seinen Job und führte ihn mit Gewissenhaftigkeit aus. Und als königlicher "Hoflieferant" musste er das auch.
In letzter Zeit liefen die Geschäfte jedoch mehr schlecht als recht und der neue Azubi half auch nicht sonderlich, seine Stimmung aufzuheitern.
»Nur Ärger mit den neuen Auszubildenden. Wie kann man bloß solche Pfeifen aus der Schule entlassen? Da mangelt es doch vorne und hinten an Qualität. Und warum muss immer ich diese Holzköpfe abkriegen? Ist ja kein Wunder, dass die Wirtschaft den Nil runtergeht. Na, wenn ich was zu sagen hätte…« Atoti schlang sich ein dickes Leinentuch um die rechte Hand und griff nach einem glühend heißen Feuerhaken, der in der Glut einer großen Kupferschale lag. Den Gram vergessend, war er froh, seit langem wieder ein Mitglied der Pharaonenfamilie vor sich auf dem Tisch zu haben, denn seit mehreren Monaten gab es kaum noch Todesopfer innerhalb der königlichen Sippschaft zu beklagen. Die Kornkammern waren bis zum Rand gefüllt, das Volk litt keinen Hunger, Seuchen waren derzeit nicht in Sicht, Kriege wurden gegenwärtig auch keine gefochten und an die zehn Plagen glaubte eh niemand mehr. Keine neuen Toten in Sicht also.
Und dann war da noch diese neue Begräbnismode, die ihm seit geraumer Zeit tüchtig das Magengeschwür bluten ließ.
»Verbrennungen – pah!«
Denn nicht jeder konnte sich die kostspielige Einbalsamierung in einem königlichen Totenstudio leisten, geschweige denn die immensen Kosten für einen Sarkophag oder den Bau einer dieser imageträchtigen Pyramiden aufbringen.
Und zu allem Überfluss hatte irgend so ein findiger Geschäftsmann aus dem Orient, jene Idee mitgebracht, mehrere Menschen, in prunklosen Steinhäuschen zu bestatten, auf einem kleinen Grundstück auf dem kaum genug Platz für eine Woche Kamelkacke war. Wenn man nicht schon dreißig Jahre im Voraus wusste, wann man den Löffel abgeben würde, war dies ohne Zweifel und allen Unkenrufen zum Trotz, eine recht preisgünstige Alternative.
Gruften wurden diese kryptomeren Steinhäuschen genannt und sie waren nicht nur viel billiger als die hiesigen, in ihrem Protz kaum zu übertreffenden Rautengebäude, sondern auch viel sklavenfreundlicher. Der durchschnittliche Verschleiß bei einer normal großen Pyramide, lag immerhin bei weit über tausend Stück.
So viele Völker konnte man gar nicht unterjochen um an Nachschub zu gelangen. Aber wenn das schon alles gewesen wäre, hätte sich Atoti sein Magengeschwür wohl kaum auf Haselnussgröße ängstigen müssen, denn für ganz findige Geizhammel gab es überdies die Möglichkeit, durch Eigenleistung zusätzlich zu sparen. Horte in der Not, dann hast du was vom Tod, so die Devise dieser Unternehmer.
»Gruften – pah! Alles Verbrecher! Auspeitschen müsste man die! Den Krokodilen zum Fraß vorwerfen, sollte man die!«
Durch die veränderte Geschäftslage, war Atoti gezwungen, sein Angebot zu erweitern und nach einigen Kursen an der Volkshochschule, bot er nun auch jegliche Art von Verfluchung an. Man muss eben mit der Zeit gehen und auf Draht sein, dachte er sich.
»Kameldung und Leichenfäulnis soll über eure Frauen kommen. Treu sein bis zum letzten Tag. Ätsch. Verflucht – pah! «
Atoti quirlte den glühenden Haken etwas herum und zog ihn schließlich aus der Nase der vor ihm liegenden Leiche. Jungpharao Pechmathep, eine vermeintliche Halbgottheit, Thronfolger des amtierenden Pharaos der elften Dynastie und ein, von maßloser Selbstüberschätzung zugemüllter Schwachkopf, war erst kürzlich verstorben. Der hatte es noch nicht mal zum bronzenen Nilpferdchen geschafft.
»Von wegen Freischwimmer – pah!«
»Ich schwimm mal schnell ans andere Ufer, Papi.«
»Sohn, du kannst nicht schwimmen! Du bist schon dreimal beim Freischwimmer durchgefallen.«
»Ach, hab mal keine Sorge. Wozu bin ich denn ein Halbgo…« *Blubb*
An der Spitze des Hakens hing nun der breiige Rest Pechmatheps Gehirns.
»Ist ja nicht gerade viel gewesen«, murmelte Atoti und stopfte, um Vorsicht bemüht, die graue, in sich verschlungene Masse in ein tönernes Gefäß, welches Pepi, sein zartbesaiteter Assistent, weit von sich gestreckt, in den Händen hielt.
»Na, nu hab dich mal nicht so», meinte Atoti, »du müsstest doch langsam an sowas gewöhnt sein.«
Erst lief er gelb an, kurz danach grün und schließlich verlor Pepis Gesicht vollends an Farbe, was unter den schlechten Lichtverhältnissen aber nur den Hauch einer Vermutung bedeuten konnte.
»Tut mir leid, Meister. Ich glaub mir wird schlecht.«
»Was du so alles glaubst. Na, verschwinde schon!«
Inzwischen aschfahl im Teint, stellte Pepi das Behältnis mit dem Gehirn, zwischen die Beine Pechmatheps auf den Steintisch, und verschwand, würgend und sich krümmend, Richtung Ausgang.
»Ist ja widerlich. Gratumathep«, rief Atoti, »wo bleibt denn nur die Paste? Ach, das hält man doch im Kopf nicht aus!«
Während sein Meister in Pechmatheps Brustkorb herumstocherte um dessen Herz zu entfernen, war Gratumathep mehr als irritiert, und immer wenn er irritiert war, verspürte er den unaufhaltsamen Drang zu popeln. Folglich stand er verunsichert vor dem großen Holzregal, welches mit hunderten kleiner Tiegel voll gestopft war und versuchte mit dem Zeigefinger, überaus erfolgreich, den Putz von der Nasenscheidewand zu kratzen.
»Ich weiß nicht in welchem Topf die richtige Paste steckt, Meister.« Er begutachtete das Resultat dessen, was er zu Tage gefördert hatte, wischte es sichtlich stolz an seinem Gewand ab und untersuchte anschließend die Beschichtung im anderen Nasenloch. »Ich kann diese Hüro… Hieru… Ich kann diese Schriftzeichen nicht entziffern.«
Atoti blickte auf und die Bestürzung in seinem Gesicht hätte wohl ein Blinder mit Krückstock erkennen können, wären die Lichtverhältnisse nicht so unter aller Sau gewesen.
»Lesen kann er also auch nicht«, seufzte er, während er den Bauchraum des stinkenden Pharaos mit Stroh fütterte. »Bei Osiris, ich sehe, das Popelhandwerk scheinst du ja gut zu beherrschen…« Er hielt inne, und da es um seine Augen nicht zum Besten bestellt war, zog er die Lider zu kleinen Schlitzen zusammen, in der Hoffnung deutlicher sehen zu können. Nur ein halbes dutzend Fackeln versuchten flackernd, der finsteren Kammer ein gewisses Maß an Gemütlichkeit zu spendieren. Durch die rings umherstehenden Sarkophage, schrecklichen Folter- und Operationsinstrumente und zur Ausblutung an Haken hängenden Toten, wirkte der Raum jedoch nicht gerade einladend – wenn man denn überhaupt an einen solchen Ort hätte eingeladen werden wollen. Aber es soll ja Leute geben, die gerade solch eine Atmosphäre für romantische Stunden bevorzugen.
»Äh, es ist der Napf mit den Wellenlinien, der buckligen Katze, der geknickten Palme, Amun-Re und seiner Ollen und dem…« Atoti kniff die Augen noch ein Stückchen weiter zusammen. »…und dem äh, Gockel drauf.«
Er widmete sich wieder Pechmathep und schnitt ihm die Zunge heraus, schaute sie sich gründlich an, schabte den Belag herunter und verstaute sie gewissenhaft in einer kleinen Holzschachtel. Wer weiß, wozu man die noch gebrauchen kann, dachte er sich.
Der Stift hob derweil das entsprechende Gefäß aus dem Regal und begutachtete die Hieroglyphen darauf kritisch. Seiner Meinung nach, handelte es sich keineswegs um einen Gockel. Er zweifelte auch, ob die Olle auf dem Porzellan, nicht viel eher zu Nephthys gehörte, dem dritten Gott Oberägyptens - nach nem Clinch mit Osiris aber nur noch fünfter Gott Unterägyptens. Götterkunde war sein Lieblingsfach und möglicherweise war es ja von immenser Bedeutung, mit welcher Paste der Tote zugekleistert wird. Gewissenhaftigkeit schien Gratumathep zu überfluten und er musste den Prinzipal auf seine Zweifel hinweisen.
»Es scheint doch eher ein Falke zu sein, Meister«, spekulierte er pflichtbewusst.
»Jaja, dann ist es eben ein Falke. Meinetwegen ein Falke, zum Kuckuck«, totterte Atoti und begann, Pechmatheps Bauch, mit dickem Faden zuzunähen. »Falke, Hahn, wo zum Geier ist der Unterschied? Hauptsache der Rest stimmt.«
Gratumathep sah seine Stunde gekommen. Jetzt konnte er beweisen, dass er mehr draufhatte als nur dumm in der Gegend herumzustehen und ab und an einen fahren zu lassen. »Amun-Res Olle sieht aber eher aus wie…«
»Steh da nicht so dumm in der Gegend rum!« erboste sich Atoti. »Der cremt sich hier nicht von selber ein. Nanu, wie riecht’s denn hier? Hast du etwa schon wieder gepupt?«
Die Kränkung war Gratumathep förmlich ins Gesicht graviert. Lehrjahre sind eben keine Herrenjahre, auch im Alten Ägypten nicht. Es wäre wohl das Beste, die Sache zu vergessen, dachte sich Gratumathep. Wird schon nicht so schlimm sein, beruhigte er sein Gewissen. Immerhin wird der Typ in einer Grabkammer, tief tief tief im Wüstensand verscharrt und eine großkotzige, tonnenschwere Pyramide drüber aufgestellt. Falls der jemals von den Toten auferstehen sollte, müsste er schon verflucht viel Düne wegschaufeln um sich anschließend durch die Pyramide meißeln zu können.
»Warum werden die Innereien eigentlich alle gesondert aufbewahrt?«, fragte Gratumathep und reichte Atoti den Tiegel mit der Kadaverpaste.
»Nun...« Der Meister holte tief Luft und begann Pechmathep einzuwichsen. »In der Totenwelt ist alles ein wenig anders als hier, klar soweit? Wenn man rübermacht, hat man seinen ganzen Krimskrams dabei und der hier«, erläuterte Atoti und salbte Pechmatheps Schritt großzügig ein, »bekommt ja Unmengen von Gold, Edelsteinen und Essen mit in sein Grab gepackt, dass einem ganz schwindlig werden kann. Da, da kannst du noch ein bisschen mehr drauf tun.«
Atoti schmierte Pechmatheps Augenhöhlen ordentlich mit Kadaverpaste voll und wischte sich danach die Hände an seinem Gewand ab.
»Es ist ganz praktisch, seine Sachen schön geordnet und einzeln verpackt zu wissen, bevor man die Schwelle zur anderen Seite... Nein!«, erboste sich Atoti und verpasste seinem Lehrling eine schellende Ohrfeige, »bei den Zehen gehört ordentlich was zwischen!«
»Hm, das ist für mich nicht ganz nachvollziehbar«, entgegnete Gratumathep und rieb sich die feuerrote Wange. »Ist man denn auf der anderen Seite nicht körperlos? Wozu braucht man denn bitteschön seine Leber in einer Urne oder sein Herz in einem Tontopf?«
Gratumathep half seinem Meister, den Leichnam mit schmalen Leinentüchern fest einzuwickeln.
»Hast du etwa nen Fragenkatalog zum Frühstück gegessen? Was weiß denn ich?« Atoti zurrte das Stofftuch fest um die steife Hüfte Pechmatheps. »Vielleicht wollen die den da drüben ja wieder neu montieren? Keine Ahnung warum das so gemacht wird. Tradition? Aus Spaß an der Freud? Such dir was aus, Junge. Ich mach die nur auf, bau die Teile raus, wickel sie hübsch ein und lege sie in einen schicken Sarkophag. Deckel druff und gut is. Da, da kannst du ihn was strammer einpacken. So. Fertig. Jetzt nur noch die Organe einwecken.«
Theben, Tal der Toten - 1935
Stabsunteroffizier Meier hielt das Telegramm fest in seiner Hand und versuchte erfolglos, keinen Sand in seine Stiefel zu bekommen, als er zum Zelt von Major Strecker stapfte. Es war kurz nach eins und die Sonne brannte erbarmungslos auf ihn herab. Zu allem Überfluss war auch der Sand glühend heiß und ließ die Hitze unaufhörlich durch die Sohlen in die Stiefel sickern. Ein Garant für Käsefüße.
Meier wusste, dass sich der Major täglich um diese Zeit zur Ruhe legt, doch die Nachricht, die er zu überbringen hatte war dringend und duldete keinerlei Aufschub. Sie kam direkt aus Berlin - vom Führer höchstpersönlich.
Am Zelt angekommen, stand Meier ein wenig ratlos vor selbigem und überlegte angestrengt, wie er an den Stoffbahnen laut genug anklopfen könnte.
»Hal lo, Major Stre cker?«, fispelte er mit gespitzten Lippen, wobei er den Zelteingang ein wenig lupfte.
»Meier«, pfiff Strecker. Der Stabsunteroffizier erschrak und hätte beinahe Hitlers Post zerknittert.
»Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, dass Sie klopfen sollen, bevor Sie eintreten?« Strecker lag auf seinem Feldbett, der Stiefel entledigt, die Jacke bis zur Koppel geöffnet und seinen Tropenhut auf dem Gesicht. Aus einem Grammophon säuselte leise aber rumpelnd, Marschmusik vom allerfeinsten.
»Entschuldigung Herr Ma…«
»Und hören Sie auf, sich ständig zu entschuldigen!«
»Tut mir Leid… Mist!«
»Auch wenn wir hier inmitten der Wüste Ägyptens unser Lager aufgeschlagen haben«, dozierte Strecker und setzte sich in einer zackigen Bewegung auf, »allenthalben umgeben von stinkenden Kamelen und halben Wilden«, er deutete mit einer verächtlichen Kopfbewegung nach draußen, »kann ich doch wohl eine ordentliche, dem Wüstenkorps adäquate Meldung erwarten! Oder? Sehen Sie das nicht genauso, Meier?«
Nachdem Meier die tägliche Standpauke verdaut hatte, kramte er seinen verlorenen Mut zusammen, der ihm vom Schreck zuvor im Sande verlaufen war, trat ein und nahm Haltung an. Er klatschte sich das Schreiben an den Kopf, als er salutierte.
»Hoppala.«
»Mensch Meier, womit habe ich Sie nur verdient?«
»’tschuldi… Verflixt!« Er räusperte sich und setzte noch einmal an. »Herr Major, Stabsunteroffizier Meier meldet sich vom Nachrichtendienst aus Theben zurück. Habe Post für Herrn Major.« Er hielt kurz inne. »Ach so, Heil Hitler.«
»Jaja, Heil… Ach, Schnickschnack. Lesen Sie vor!«
Es dauerte zwei Minuten, bis Meier das übliche Geschwafel vorgelesen hatte, welches der Führer für gewöhnlich an den Anfang seiner Briefe zu setzen pflegte, bevor er zum eigentlichen Kern der Sache vorstieß.
»…und somit haben Sie die uneingeschränkte Ermächtigung, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, die nötig sind, wenn das Grab Pechmatheps geöffnet wird. Sobald die Schose in Sack und Tüten ist, erwarte ich Ihren Bericht auf meinem Schreibtisch. Für Führer, Volk und Vaterland!
Herzlichst, Ihr Alois Schickelgru… Nee, Moment. Das hat er durchgestrichen. Arnulf… Artur…« Meier stockte und beugte sich mit dem Schreiben zu Strecker. »Können Sie das entziffern?«
»Da steht Adolf Hitler«, meinte Strecker und verdrehte die Augen.
»So unterschreibt der?« wunderte sich Meier und kratzte sich das Kinn.
»Na wie hätte er denn sonst unterschreiben sollen?«
»Hm… keine Ahnung.«
»Und deswegen bin ich Major und Sie nur Unteroffizier…«
»Pee Ess…«, fuhr Meier unvermittelt fort. »Ich werde mit Vergnügen Ihrer Hinrichtung beiwohnen, falls Sie diesen Auftrag nicht zu meiner vollsten Zufriedenheit durchführen. Bei Unklarheiten wenden Sie sich bitte an mein Sekretariat oder besuchen Sie mich in den Sprechstunden am Mittwoch, 13 – 14 Uhr und jeden zweiten Donnerstag, von 10 – 11 Uhr. Das war’s.« Meier faltete den Brief zusammen und legte ihn auf einen Holzklapptisch neben Streckers Nachttopf. »Ein bisschen größenwahnsinnig, wenn Sie mich fragen.«
»Wie auch immer, wie weit sind die Ausgrabungen?« Strecker knöpfte die Jacke zu, richtete seinen Hut und schob die Nadel auf der Schellackplatte zur Seite, womit der Marsch abrupt sein kratziges Ende fand.
Meier zückte eine Kladde und blätterte in ihr herum.
»Oh!«
»Was Oh?«
»Hier steht«, seufzte Meier und fuhr schwer atmend fort. »Öffnung des Sarges um Dreizehnhundert.« Meier schloss das Heft und hielt es sich vor das Gesicht, in der Hoffnung, vor einem möglichen Fausthieb Streckers ausreichend geschützt zu sein.
»Meier, wie Sie es geschafft haben, über den Mannschaftsdienstgrad hinaus zu kommen, ist mir mehr ein Mysterium denn ein Rätsel.«
Wortlos verließen der Major und das Dienstgradwunder das Zelt.
»Mann, stinkt’s hier vielleicht! Tun die hier nicht lüften?« Hanseb Wan, ein kleiner, schmerbäuchiger kaum angesehener Ägyptologe des Museums in Kairo, kletterte an einer steilen Holzleiter in die Grabkammer Pechmatheps. Rosa Trähter, Archäologin, Gelehrte der Sprachen und Schriften des Ägyptens der letzten tausendneunhundert Jahre – also knapp an der Zeit Pechmatheps vorbeigeschrammt - außerdem Leiterin der Ausgrabung und Frau unentdeckter Schönheit, stand bereits am Sarkophag, umgeben von einem guten Dutzend mehr oder weniger freiwilligen Helfern. Während sie auf Hanseb wartete, begutachtete sie ihre Fingernägel. Diese hätten dringend einer Maniküre bedurft, wenn sie eine Frau wie jede andere gewesen wäre. Aber sie war nun mal jemand, der gern im Dreck wühlte. Jeder noch so robuste Fingernagel hätte da irgendwann den Arsch hoch gerissen.
Die Begräbnisstätte war fast hundert Meter unter dem Sand erbaut worden. Dutzende Säulen, mehrere Meter hoch und eine jede mehr als drei Meter im Durchmesser, stemmten sich gegen eine Decke, auf der an Ornamenten und Verzierungen nicht geknausert wurde. Ungefähr einhundert Lampen, gespeist durch den Strom, des an der Oberfläche surrenden Generators, erleuchteten den Raum bis in den kleinsten Winkel. Wäre nicht alles von, über die Jahrhunderte angesammelten Staub, Dreck und Käferkacke eingesaut, hätte das Licht seine Wirkung womöglich doppelt so gut ausspielen können.
Und Hanseb Wan hatte Recht, es stank fürchterlich.
»Beeilen Sie sich ein bisschen, der Führer wartet auf Ergebnisse«, forderte Rosa den dicken Mann auf.
»Immer Hetze, das so typisch für Deutsche«, ächzte er. »Nichts für ungut.«
Eine kleine aber beachtliche Staubwolke aufwirbelnd, plumpste Hanseb den letzten Meter zu Boden.
»Sagen Sie mir, wie der Deckel geöffnet werden muss!«
»Lassen mich doch erst einmal lesen, was auf Grabplatte stehen tut.« Der kleine Mann ordnete seine Kleider und klopfte den Staub heraus. »Wo ist denn Liebha… äh, Leithammel, wenn ich Frage stellen tun darf? Muss Major nicht anwesend sein und überwachen das alles?« Er setzte ein spöttisches Grinsen auf und begutachtete die Tafel auf dem Sarkophag.
»Hüten Sie ihre Zunge, Wan. Ich benötige Sie nur für die Entzifferung dieses Textes. Danach kann ich mit Ihnen machen was ich will. Die Konsequenzen können mehr als nur unangenehm für Sie ausfallen.«
Hanseb wirbelte herum. »Was wollen Sie denn machen? Mit schlechte Fingernägel Hansebs Gesicht zerkratzen tun?« Er wendete sich wieder der Tafel zu.
»Außerdem, wo dann sein Ansporn, Ihnen und Nazischergen, mit Wissen von Hanseb zur Seite zu stehen tun?« Er lachte und fuhr mit der Hand vorsichtig über die Schriftzeichen. Plötzlich vernahm er ein Klicken und spürte etwas Kaltes auf dem Nacken.
»Nun, Wan. Meine Mauser dürfte Ansporn genug sein.« Strecker entfernte die Waffe vom Genick des Ägyptologen und steckte sie zurück in das Halfter.
»Sie sollten besser beginnen, wofür wir Sie bezahlen.«
»Jaja, nicht drängeln tun. Hanseb nicht so schnell wie Gewehre von Nazis«, blubberte er vor sich hin, während er einen schmierigen Zettel aus der Hosentasche kramte. Nachdem er das Papier mit der steinernen Platte abgeglichen hatte, fing er an.
»Chem dal kut Fer kesom Pechmathep. Chem dal kut Fer kesom Pechmathep.«
Strecker erteilte Hanseb eine Kopfnuss.
»Übersetz das gefälligst!«
Der dicke Ägyptologe fuhr sich, sichtlich in seiner Konzentration gestört, durch die Haare und fing noch einmal an.
»Chem dal kut fer Kesom Pechmathep. Äh, hier tut dein Meister sprechen tun, Pechmathep. Kaim dull gord sackh prangmhet…. Heilige Gesetze tun dich verpflichten tun,… …Grang fot skumgart Kesom shkeh. …dem Meister zu gehorchen... tun.«
Hanseb steckte den Zettel wieder in seine Tasche und trat einen Schritt zurück. »So, fertig. Zauberspruch gesprochen. Krieg ich jetzt Geld?«
Ein Knall hallte von den Säulen wider. Blut versickerte im Sand. Gehirn klebte auf dem Sarkophagdeckel.
»Also«, meinte Strecker, der geflissentlich den Rauch von der Mündung pustete. »Dann wollen wir den alten Sack mal zum Leben erwecken und uns seine Loyalität erfluchen.« Er wandte sich den Arbeitern zu, erteilte Befehle, wies die Leute auf ihre Positionen und Stemmeisen wurden gezückt. Rosa war jedes Mal hin und weg, wenn ihr Major andere herumkommandierte.
Hohepriester Siamun schritt durch einen langen, von der Abendsonne durchfluteten Säulengang im königlichen Palast. Er wurde stets von seinem Sekretär begleitet. Ein schmächtiger Kerl, der immerwährend in gebückter Haltung um Siamun herumtänzelte. Er war leidlich damit beschäftigt, mehrere Schriftrollen, ein Gefäß mit Farbe und einen Federkiel nicht zu verlieren, schaute sich dauernd in ruckartigen Bewegungen um, gab regelmäßig undefinierbare, gutturale Laute von sich und grinste wie ein Schwachsinniger.
»Scheschonk!«
»Ja, Hohepriester?«
»Ich werde gleich die Prozedur benötigen. Hast du sie zur Hand?«
»Äh, ich… einen Moment…« Er nahm den Federkiel in den Mund, klemmte das Farbfässchen unter die linke Achselhöhle und rollte eine Papyrusseite auf.
»Hier ift fie. Allef paleffi.«
»Gut zu hören. Aus dir wird mal… Also ich gehe jede Wette ein… Wenn ich’s nicht besser wüsste, dass… Herrlicher Sonnenuntergang, nicht wahr?«
Zwei Palastwachen, muskelbepackte Nubier mit Furcht einflößenden Katzenhelmen auf den Köpfen und noch viel mehr Furcht einflößenden Lanzen, öffneten die zwei, nicht minder Furcht einflößenden, goldbeschlagenen Tore zum Thronsaal.
Der Pharao lag ausgestreckt und sichtlich entspannt auf einem Meer aus Kissen und ließ sich von Oa’a, seiner achtzehnten Frau, Weintrauben geradewegs in den Mund reichen. Oa’a hatte etwas Besonderes an sich, was jedoch nicht ihre einzigartigen physischen Vorzüge meint, sondern die Art und Weise, wie sie ihren Mann zu füttern pflegte – alles mit den Füßen.
»Oh, der Hohepriester. Sieh zu, dass du Land gewinnst, Frau!«
Oa’a ließ noch eine letzte Weintraube in den Mund des Königs fallen und verschwand auf ebenso flinke wie verführerische Art und Weise hinter mehreren seidenen Vorhängen, die nur einen verschwommenen Blick auf ihren nackten Arsch und das restliche Dahinter gewährten.
»Hast du den passenden Fluch?« fragte der Pharao.
»Pscht!« Siamun bedeutete dem König, leiser zu sprechen und sah sich misstrauisch um.
»’tschuldige. Wusste ja nicht, dass es verboten ist, das Wort Fluch…«
»Pschschscht!« Der Hohepriester fuchtelte wild mit der Hand vor seinem Hals herum. »Wollt Ihr etwa, dass irgendjemand von Eurem Vorhaben erfährt?«
»Meine Fresse, kack dir mal nicht ein. Außerdem ist dein Sekretär eingeweiht…«, begründete der König und nahm etwas Huhn, welches auf einem silbernen Tablett lag.
»Ja, aber laut Vertrag wird der doch mit verbuddelt.«
Scheschonk ließ das Fässchen fallen, welches in tausend Stücke zerbarst, wobei sich sein Grinsen ebenso schnell verflüchtigte, wie die Farbe, die nun zwischen den Fugen des Marmorbodens versickerte.
»…und Du weißt davon ebenso.« Mentu-Hotep deutete mit einem Hähnchenschlegel auf seinen Hohepriester und streckte die Beine von sich.
»Schon, aber ich halt die Klappe. Versprochen.«
»Darauf kann ich leider nicht vertrauen. Ich kann doch nicht meinen Sohn mit einem Fluch belegen lassen, der mir zusichert, dass er zur Geißel der Menschheit wird, wenn ihn jemand aus seinem Sarg pult. Du weißt wie das läuft. Da hättest du dich eben nicht zum Hohepriester ernennen lassen sollen«, sagte Mentu-Hotep, wischte sich die fettigen Finger an einem Kissen ab, schüttelte ein anderes auf und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, nachdem er aufgestoßen hatte.
Scheschonk ließ eine Papyrusrolle zu Boden gleiten, welche sich mit verschütteter Tinte voll sog.
»Aber das Amt ist verpflichtend und die Wahl muss angenommen werden. Das konnte ich doch gar nicht ableh…«
»Wie gesagt«, unterbrach ihn Mentu-Hotep. »Du weißt wie das läuft«, führte der Pharao gelangweilt aus und schob ein Kissen von seinem Bauch.
Manche hätten bei dem Anblick, der sich Siamun und seinem Sekretär augenblicklich bot, gesagt, der Gebieter wäre nackt. Andere hätten dem widersprochen und auf die beachtliche Körperbehaarung hingewiesen.
»Iiihhh… Soll das etwa bedeuten, dass wir nach der Zeremonie getötet werden? Ach, ich hätte diesem ganzen Hokuspokus überhaupt nicht zustimmen sollen.« Obwohl Siamun eine stattliche Person war und in jeder noch so heiklen Situation Haltung bewahrte, war ein gewisser verängstigter Unterton und ein, durch des Pharaos Blöße hervorgerufenes Zittern in seiner Stimme, nicht zu überhören.
Scheschonk rutschte der Federkiel aus dem Mund.
»Aber nein. Du wirst in der Grabkammer ein wundervolles Domizil erhalten. Mit allen Annehmlichkeiten, die einem ehemaligen Hohepriester zustehen. Ohne Tageslicht zwar aber wie gesagt, mit allen Annehmlichkeiten.« Mentu-Hotep strich sich über den Bauch und verkündete gleichgültig: »Der Sekretär wird vielleicht getötet.« Er verzog das Gesicht. »Ich muss dem Volk schließlich einen Sündenbock für den Tod meines Sohnes präsentieren. Mal sehen…« Kurze Zeit später roch die Halle nach verfaulten Eiern.
Die restlichen Schriftrollen entglitten Scheschonks Händen und rollten über den Boden.
Der Hohepriester war sich seiner trostlosen Lage bewusst und legte leidenschaftslos die Stirn in Falten. Was konnte er schon tun?
Scheschonk kippte rücklings auf den harten Boden.
Das war eine Option, dachte sich Siamun, keine Lösung, aber eine Option.
»Ähm… mein Pharao«, begann er. »Göttlicher Herrscher über Ägypten, Gewalthaber über die doofen Libyer und die noch viel dooferen Syrier… oh mein…«
»Sülz hier nicht so rum, Siamun. Zeig mir lieber den Zeremonieablauf.«
»Ja, gleich. Ich hätte da nämlich noch eine klitzekleine Frage, oh mein Gebieter«, räusperte sich der Priester und hob die Schriftrollen auf. »Erhalte ich eine angemessene…?«
»Nur keine Sorge, dir wird ein riesiger Batzen Gold, zwei kleinere Truhen Edelsteine, Dörrfleisch und eine Menge Eingemachtes mitgegeben«, erläuterte der Pharao mit einer blumigen Handbewegung. »Genug, um sich in der Ewigkeit einzurichten und davon leben zu… naja, um auch als Toter noch reich zu sein.«
»Gold«, freute sich Siamun. »Und Eingemachtes.« Er klatschte vergnügt in die Hände.
In der Halle, die extra tief unter dem Sand errichtet worden war, so tief, dass beinahe mit bloßen Händen die Hitze des Erdkerns spürbar gewesen wäre - wenn man zu dieser Zeit schon etwas vom Erdkern, geschweige denn von der Hitze dieses flüssigen Dings gewusst hätte - versammelten sich Pharao Mentu-Hotep, Hohepriester Siamun und Totenmeister Atoti zur geheiligten Zeremonie mit anschließender Verfluchung.
»Ist der Mumifizierte korrekt äh… mumifiziert worden?« wollte Siamun wissen und faltete bedächtig die Hände.
»Na klar«, antwortete Atoti.
Mentu-Hotep machte es sich derweil auf einem Stuhl gemütlich, welcher auf einem Podium installiert worden war. Da solche Riten erfahrungsgemäß mit endlosem Geschwafel verbunden waren, hatte er sich sicherheitshalber ein wenig Hühnchen und was zu trinken mitgebracht.
Atoti öffnete unterdessen die einfache Holzkiste, in welcher der Sohn des Pharaos verstaut war, wuchtete ihn unter Mühen und Ächzen heraus und stellte ihn in den hübschen Sarkophag auf dem Altar. Kurz darauf übergab er Siamun ein schlichtes Kästchen sowie eine dilettantisch zurechtgehauene Steinplatte, auf der ein Standardhinweis eingraviert war, der von der Erweckungen einer Mumie abriet. In dem Kästchen befanden sich fünf Gefäße aus Jade. Darin waren Augen, Zunge, Herz, Lunge und Gehirn des Verstorbenen eingemacht.
Der Rest der Organe Pechmatheps wurde an streunende Hunde und Katzen verfüttert. Es gab da ein Tierheim um die Ecke, in dem alle herrenlosen Geschöpfe kostenlos abgegeben werden konnten, darunter auch manchmal Sklaven. Aber das ist ein völlig anderes Thema.
Wer Scheschonk vermissen sollte, sei darauf hingewiesen, dass er in keiner Weise zum Ausgang dieser Geschichte beigetragen hätte, übrigens ebenso wenig wie Gratumathep.
Der Hohepriester begutachtete die vor sich liegende Mumie und prüfte mit mehreren Druckproben, die Qualität der abgelieferten Arbeit.
»Mhm… wirklich saftig«, lobte er.
»Ist ja auch noch ganz frisch. Hat erst vor drei Tagen die Hufe hochgerissen«, meinte Atoti und grinste zufrieden. Siamun forderte die Genehmigung für die Prozedur ein und entsandte einen fragenden Blick zu Mentu-Hotep. Dieser nickte äußerst gelangweilt, biss von einem Stück Hähnchenbrust ab und lehnte sich nun noch viel gelangweilter zurück.
»Gut. Du kannst nun der Zeremonie fern bleiben, Atoti.«
»Danke. Wer weiß, was mein Lehrling gerade alles anstellt. Naja, bestimmt wird er nur dumm in der Gegend rumstehen, oder so. Wenn’s hochkommt popelt er vielleicht«, klärte der Totenmeister auf und verschwand.
»Also«, begann der Hohepriester, rollte eine bestimmte, von Scheschonk fallen gelassene Papierrolle aus, warf noch einen kurzen Blick auf seine Reichtümer, die für die letzte Reise in einer Ecke bereitgestellt waren und fing an zu beschwören.
»Vugnhar glum kmathmäh… Ähm stört’s, wenn ich den offiziellen Teil weglasse und gleich zum Punkt komme?« Siamun richtete einen fragenden Blick zum Pharao. Der war jedoch eingenickt und murmelte im Traum schmutzige Wörter, die dem Anlass enorm unangemessen waren.
»Na gut. Also. Gnah munkh… pachthet! Rigadh agnunzepthah gunh phor… äh… gunh phor… kwasi? Öhm, Moment mal. Ist das überhaupt der richtige Schwur?«
Ein Licht, wie es noch kein Mensch zuvor erblickt hatte und wie es womöglich auch kein Mensch hätte erblicken wollen, denn es war mehr als gleißend, erfüllte plötzlich die Halle. Blitze formten sich aus diesem Licht und zuckten in den Körper der Mumie. Keine gewöhnlichen Blitze übrigens, sondern welche von der Sorte, die einen Toten zum Leben erwecken können und Pechmathep auf dem Altar höchst lebhaft herum ruckeln ließen.
Mauern fuhren aus dem Boden und umschlossen den Altar. Ein Stück der Decke löste sich krachend und fiel auf den Pharao. Sand, viel Sand und allerlei Dreck sowie anderweitiges altägyptisches Gedöns donnerte in die Grabkammer. Der Pharao hätte es gar nicht bemerkt, wenn er im Sand erstickt wäre, so schnell strömte alles auf ihn ein und der Hohepriester wurde wahrhaftig vom Blitz getroffen. Für Lebende waren diese Blitze nämlich ziemlich tödlich. Keine Einbalsamierung. Keine Zeremonie.
»Und was passiert jetzt?« Meier stand etwas ratlos neben der Menge, die unter großen Anstrengungen versuchte den Sarg aufzuhebeln.
»Nun«, erwiderte Rosa. »Der Deckel wird abgemacht, dann werde ich den althergebrachten Erweckungsschwur sprechen - Gnah munkh pachthet – na Sie wissen schon, wenn das geklappt hat wird’s ne nette Lichtshow geben… Tja, und dann wird uns Pechmathep mit seinen mächtigen Fähigkeiten dienen müssen. So wie’s die Legende besagt. Ist doch ganz einfach, nicht?«
Meier notierte sich alles in seine Kladde, denn er wollte sich künftig anstrengen um auf der Karriereleiter noch höher zu steigen. Leutnant wäre nicht schlecht, Oberfeldwebel wäre aber auch okay.
Strecker gab derweil lautstark Befehle und trieb die Männer an, schneller zu arbeiten. Ein Hau-Ruck jagte das nächste.
Kurze Zeit später fiel die schwere Platte vom Sarg ab und brach entzwei.
Aus dem Inneren entwich Staub und ein heulendes, furchterregendes Geräusch vermischte sich damit, welches durch das Echo in der Halle nur noch unheimlicher wirkte. Das wiederum erfüllte die unfreiwilligen Helfer mit unbändiger Angst, was eine kleine Massenpanik nach sich zog.
Strecker wedelte die Staubwolke mit seinem Hut beiseite und schaute entzaubert in den Sarg.
Einige Menschen fluchen, wenn ihnen etwas misslingt oder enttäuscht werden. Manche schieben die Unterlippe vor und spielen die beleidigte Leberwurst. Der Major erinnerte eher an ein kleines Mädchen, das sein Prinzessinnenkleid nicht anziehen darf und dann eingeschnappt mit den Füßen aufstampft.
»Och menno! Der ist ja total kaputt.«
»Das ist schon in Ordnung so«, beschwichtigte Rosa und tätschelte dem Major den Kopf. »Siehst du die Kiste am Fußende?«
»Mhm.«
»Da sind die Gefäße mit seinen Organen drin.«
»A…«, schluchzte Strecker. »Auch sei-ne Au-gen?«
»Natürlich«, tröstete sie und wischte ihm eine Träne von der Wange. »So, und nun woll’n wir beginnen.«
Die Beschwörung verlief wie aus dem Lehrbuch. Naja, im Grunde wurde sie ja auch aus einem solchen vorgelesen. Nachdem die kleinen Urnen mit Pechmatheps Organen aus der Kiste entnommen wurden, hatte Meier sie geöffnet. Es dürfte wohl kaum verwundern, dass der Inhalt zu Staub zerfallen war.
Als Rosa die finalen Worte Gnah munkh pachthet gesprochen hatte, welche zur endgültigen Erweckung einer jeden Mumie nötig waren, konnte die Lichtschau beginnen.
Es passierte jedoch nichts Derartiges.
Es passierte gar nichts.
Doch, eine Kleinigkeit schon.
Bumm
Die Mumie kippte aus der Kiste und lag im Dreck.
»Scheiße!«
»Und nu?« Meier kroch vorsichtig hinter einer umgestürzten Säule hervor. »Isser jetzt am Leben, oder so?«
Rosa blätterte aufgeregt im Lehrbuch herum, in der Hoffnung irgendetwas übersehen zu haben, was vielleicht von Bedeutung gewesen wäre.
Strecker näherte sich dem Einbalsamierten und stieß ihn argwöhnisch mit dem Fuß an.
Nichts.
»Was habe ich nur übersehen, was habe ich nur übersehen?« Rosa stöberte, wie von der Tarantel gestochen, im großen Buch der Mumienflüche herum.
»Tja, der ist so tot wie er hässlich ist. Das war’s dann wohl.« Strecker nahm seinen Hut und schlug ihn gegen sein Bein. Meier notierte sich alles in seiner Kladde.
»Es war alles korrekt ausgeführt. Wieso hat das denn nicht funktioniert?« Rosa schlug das Buch zu und pfefferte es in den Sand. »So ein Mist!«
Nach diesem Debakel hatte es Strecker vorgezogen, den Job als Major zu schmeißen und ist mit Rosa nach Abu Dhabi durchgebrannt. Man hat nie wieder etwas von ihnen gehört, was auch niemanden gestört hatte.
Und Meier? Tja, der hat’s doch tatsächlich geschafft, Oberfeldwebel zu werden - in einer anderen Kurzgeschichte. Somit hatte die Sache, für die meisten in dieser Geschichte, ein relativ harmloses aber dennoch nettes Ende gefunden.
Einige Stunden später, als die ungebrannten Feuer erloschen, der Staub sich gelichtet und die Trübungen vorüber gezogen waren, erhob sich die Mumie aus der Kloake der Vergangenheit und klopfte sich den Schmutz aus den Wickeln.
»Mmmmmhhhhhmmmmuuuuuuhhhh!«
Einer verständlichen Stimme beraubt, stapfte sie zum Sarg, der für zweitausend Jahre die beengte Behausung dargestellt hatte und schnappte sich eines der geheiligten Gefäße. Durch das Schicksal geführt, griff sie nach Urne, in der sich die zur Staub zerfallene Zunge befand. Die verwesten Lungen atmeten die Flüchtigkeit ein und der Fluch formte dem Bandagierten ein neues Sprechwerkzeug.
»Augen?« sagte Pechmathep in einer längst vergangenen Sprache und fuchtelte suchend mit den Armen herum.
Eine Urne nach der anderen zerbrach, als die Mumie sie aus der Kiste zu nehmen versuchte. Leber, Herz und Augen vermischten sich mit dem Sand, als die Urnen auf den Boden fielen und zerbrachen. Keine Augen. Wie sollte er ein Volk unterjochen, wenn man es nicht sieht?
Mit Bedacht und Geduld ertastete die Mumie das letzte Gefäß und umklammerte es, so fest es seine brüchigen Hände zuließen. Er atmete den Inhalt ein und frische Lungen füllten den löchrigen Brustkorb aus. Endlich wieder das geheiligte Land riechen. Er hatte es nicht so stinkend in Erinnerung.
Der Bewegungsdrang führte den morschen Mann schließlich an die Oberfläche. Die Grabungsstätte war nur noch eine Wüste innerhalb einer Wüste. Die Deutschen hatten ihre Zelte abgebrochen und waren verschwunden. Blind aber tief atmend, irrte er eine Weile umher, stolperte mehrmals über vergessene Heringe oder zurückgelassenen Schaufeln, bis er einen vertrauten Geruch wahrnahm, der nur eine Nuance darzustellen vermochte. Es war der Nil. Nur der Nil hatte solch einen Duft.
Die Mumie lief zielstrebig auf den Fluss zu.
Kurze Zeit später bemerkte sie, wie das Wasser ihre Bandagen tränkte.
Kurze Zeit später hatten sich diese Leinentücher so stark vollgesaugt, dass sie unterging wie ein Stein.
Sie paddelte wild mit den Armen herum und schrie in einer Sprache um Hilfe, die kein Mensch verstanden hätte, wenn denn welche da gewesen wären.
Nun ertrank Pechmathep ein zweites Mal. Bronzenes Nilpferdchen hin oder her, ohne Lungen wäre ihm das wohl nicht passiert.