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Von hier bis da drüben
Eines Tages ging ich in der Stadt spazieren. Ich wollte nach Hause, aber da ich Zeit hatte, bog ich nicht wie geplant nach rechts sondern nach links ab. Ich wollte nur mal so, ohne bestimmten Grund, in der Fußgängerzone herumspazieren und in die zahllosen verhärmten und verlorenen Gesichter einer seelenlosen Stadt blicken. Aber wie zum Hohn sah ich fast nur glückliche Menschen. Alle gingen frohgemut, wie nach dem Gewinn eines Hauptpreises, durch die Strasse. Es war im Sommer und die Sonne schien, aber war das Grund genug um zu grinsen wie ein Honigkuchenpferd? Der Unterschied zwischen einem glücklichen und einem unglücklichem Menschen mag darin bestehen, dass beide die Dinge nur unterschiedlich betrachten. Wenn einem der Sohn stirbt, könnte man beispielsweise sagen, na ja ich hab ja noch ne Tochter, oder macht nichts, mach ich mir nen neuen. Glückliche und besonders nette Menschen mochte ich nie, denn die schienen mir immer etwas zu verbergen. Wer zu jedem nett ist, versucht es jedem Recht zu machen und ich bezweifle, dass man dabei noch ehrlich bleiben kann. Dennoch entschied ich mich zu einem kleinen Experiment. Betreffend dem glücklich sein, nicht dem höflich sein. Bereits nahe einer Kreuzung, beschloss ich, nach links abzubiegen und die Strasse bis zur nächsten Kreuzung als glücklicher Mensch entlang zu gehen. Von hier bis da drüben wollte ich alles nur noch durch die rosarote Brille sehen. Wenn alles nur eine Frage der Sichtweise ist, so müsste es doch möglich sein für eine kurze Weile zumindest, fröhlich zu sein, oder sich so zu fühlen. Und ja, schon der erste Schritt war beschwingter, denn mein Körper wußte wohl, dass er jetzt gefälligst glücklich zu sein hatte. Eine hübsche Frau fixierte mich kurz mit ihrem durchdringendem Blick. Ich entschloß mich, zu denken: ich gefalle ihr wohl, statt anzunehmen, sie würde denken: was will der Pisser? - kenn ich den? Eine andere Frau wäre mir beinahe mit ihrem Kinderwagen über den Fuß gefahren, aber eben nur beinahe. Die Sonne quälte mich nicht mehr, wie noch vor sechs Minuten. Jetzt war es toll zu schwitzen und das ohne sich anstrengen zu müssen. So viel Glück strengt an. Da - ein Softeisstand, ich kaufte mir ein Eis und bekleckerte mich, und das Positive daran? Ah ja - toll, dass die Waschmaschine schon erfunden wurde, trallallala. Die Verkäuferin hatte ihre besten Jahre sicher schon lange hinter sich und die nächstbesten auch. Also wollen wir mal annehmen, dass sie ein langes und erfülltes Leben hinter sich hat. Wenn sie noch so lange lebt bis sie mein Wechselgeld gefunden hat, sind wir beide happy. Sie lächelte freundlich und beim Betrachten ihrer Zähne weiß ich auch wofür das Geld wohl brauchen konnte. Lächeln ist eben immer noch die Beste Art jemandem die Zähne zu zeigen, egal wie sie auch aussehen. Die Kinder spielten hier in der Fußgängerzone und weil ich ja gerade so glücklich war, wollte ich mal annehmen, dass auch alle so etwas wie eine Zukunft haben werden. Wenn die groß sind, dann haben Kühe zwei Euter und Hühner vier Flügel. Sicher hat auch das etwas Positives. Aus dem einem Euter kommt dann wie gehabt die Milch, aus dem anderen Kakao. Außerdem werden die Hühnchen-Grill-Tassen dann sicher noch billiger. Sie werden in einer Welt aufwachsen in der das Wasser schon zum Teil vergiftet ist, aber dafür gibt’s ja Spielegutscheine in jeder Cornflakes-Packung.
Jeder Schritt ein gnadenloses Bemühen in einem Misthaufen ein Stück Gold zu finden. Dieses Spiel ist anstrengender als gedacht, und wenn ich einfach in eine Seitenstraße abbiege? Nein, angefangen - zu Ende gebracht. Das Ende, die nächste Kreuzung, kommt ja auch immer näher. Wonach sieht das da vorne denn aus? Ein Verkehrsunfall? - trallallala. Nun fiel mir aber nichts positives mehr ein, doch: es regnet nicht, es gibt kein Erdbeben, ich habe keine Regelschmerzen und als Mann auch noch nie gehabt und ich könnte meinen Namen in den Schnee schreiben, wenn es schneien würde. Ich merkte plötzlich, wie ich schneller ging, um mich aus einer für mich völlig ungewohnten Situation, der des Glücklichseins, zu befreien. Ich freute mich auf das Ende der Wegstrecke, auch was Positives, jetzt ist es vorbei. Puh, was für ein Glück, nicht mehr glücklich sein zu müssen. Und was habe ich daraus gelernt? - eigentlich nur, dass es einen Grund braucht, um glücklich zu sein, dass man Glück nicht erzwingen kann und dass Softeis-Flecken schwer wieder raus gehen.