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Von Hochmut und Dummheit
Generalmajor Herbert Röder führte ein ausgesprochen wohlgeordnetes Leben. Jeden Morgen um 6.00 Uhr stand er auf, duschte und rasierte sich, frühstückte Schwarzbrot mit Butter und Marmelade, trank Kaffee und begab sich exakt um 7.00 Uhr zur Haltestelle, an der zehn Minuten später der Bus abfuhr.
Pünktlich zehn Minuten vor Beginn seiner Arbeitszeit, betrat er wie jeden Tag sein Büro, in das man ihn verbannt hatte, nachdem er in einem Einsatz für sein Vaterland eine Verwundung erlitten und für felduntauglich erklärt worden war.
Hier hatte sich der Generalmajor, der hunderte Soldaten ausgebildet, geformt und siegreich ins Feld geführt hatte, mit Lagerhaltung, Marschbefehlen, Urlaubsanträgen und Besoldungstabellen herumzuschlagen; eine überflüssige und inakzeptable Beschäftigung für einen Mann seines Kalibers, wie er fand.
Exakt um 12.00 Uhr wie jeden Tag, begab sich Herbert Röder in die Offiziersmesse, um zu Mittag zu essen.
Es war alles wie immer, an jenem Tag, der für den Generalmajor a.D, der letzte seines Lebens werden sollte.
Um 17.10 Uhr verließ Herbert Röder sein Büro auf dem üblichen Weg und begab sich zur Bushaltestelle. Jedenfalls war es das, was er wollte, als er aus dem Bürogebäude heraustrat. Doch man hatte kurzerhand die Straße aufgebaggert und zur Baustelle gemacht, ohne dass er informiert worden war.
„Verdammte Zivilisten. Allesamt nichtsnutzige Verweigerer.“
Missmutig wendete er sich nach links und ging den ihm verhassten Weg durch die Stadtgassen. "Nicht einmal eine Straßenbeleuchtung kann sich diese Stadt leisten."
Die Gasse wurde rechts und links von dicht aneinandergedrängten, mehr oder weniger einfachen Häusern flankiert und hatte noch nicht einmal einen Gehweg.
Er hatte noch keine zweihundert Meter zurückgelegt, als ihn ein kleiner Junge, der seinem Ball hinterherjagte, fast umrannte.
„Mach gefälligst die Augen auf, wenn du dich auf der Straße bewegst! Du kannst doch nicht wie ein Blindgänger hier umhertrampeln. Und überhaupt, es wird bereits dunkel, sieh zu das du nach Hause kommst.“
„Schuldigung.“, presste der Junge zwischen den Zähnen hervor.
„Schuldigung? Schuldigung? Ist das das Einzige, was dir einfällt? Das ist doch wohl nicht zu fassen. Hast du keinen Anstand im Leibe? Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede und stell dich gerade hin! Gott hat dem Menschen den aufrechten Gang nicht gegeben, damit sie dann dastehen, wie die letzten Primaten. Wenn du die Zukunft unseres Landes bist, dann frage ich mich, wozu ich dieses im Schweiße meines Angesichts verteidigt habe. Geh mir aus den Augen! Sofort!“ Das letzte Wort hatte Generalmajor Röder fast geschrien und der kleine Junge war nach kurzem Zögern in der Dämmerung verschwunden.
In Gedanken beglückwünschte sich Herbert Röder zu dem Entschluss nie eine Familie gegründet zu haben, als ihn etwas an der Uniformjacke zupfte.
Es war der kleine Junge.
„Habe ich dir nicht gesagt, du sollst verschwinden?“
„Ja … aber … ich …“, stotterte der Kleine.
„Für eine Entschuldigung ist es zu spät.“
„Aber da … da ist …“
„Bist du taub? Ich habe gesagt du darfst dich entfernen.“ Der Generalmajor machte eine wedelnde Geste mit der Hand und lief unbeeindruckt weiter.
Der kleine Junge nahm all seinen Mut zusammen und verstellte ihm den Weg. „Sie dürfen nicht …“
„Also das ist ja wohl der Gipfel der Unverschämtheit. Geh mir aus dem Weg, du vorlauter Bengel. Sofort!“
Als der Junge seinem Befehl nicht nachkam, schob er ihn kurzerhand beiseite und lief im Sturmschritt weiter, er hatte ja schließlich einen Bus zu erreichen.
„Aber da … da ist doch … da vorne ... müssen sie aufpassen ...“ , rief der Junge ihm hinterher.
„Ich bin Generalmajor, habe mehrere Orden erhalten und lasse mir nicht von Rotzbengel sagen, was ich darf und was nicht.“, rief er über die Schulter hinweg, ohne stehen zu bleiben.
Er drehte seinen Kopf wieder nach vorn, doch es war zu spät, sein linker Fuß schritt ins Leere, er verlor den Halt und stürzte in einen abgesackten Heizungsschacht. Er fiel nicht besonders tief, aber so unglücklich, dass er sich den Hals brach und auf der Stelle tot war.
Allgemeine Zeitung Deutschland, 13. Dezember
Zutiefst erschüttert und betroffen geben wir den Tod unseres Vorgesetzten, Ausbilders und langjährigen Kameraden Generalmajor a.D Herbert Röder bekannt. Sein tragischer Tod hat eine tiefe Lücke hinterlassen und ein erfülltes, von Respekt geprägtes Leben, welches er im Dienste seines Landes und zum Schutz und Wohle aller Menschen eingesetzt hat, sinnlos und viel zu früh beendet.
Das Begräbnis mit allen militärischen Ehren findet am Donnerstag, den 17. Dezember auf dem Soldatenfriedhof, Lahberg statt.