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Von null auf hundert

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16.07.2015
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Von null auf hundert

Es ist ein ganz normaler Dezembermorgen, kalt und verschneit. Draußen hat sich eine dicke Schneedecke über die Felder gelegt, als wäre es ihr Schutzschild vor dem eisernen Wind. Alles sieht noch unberührt und rein aus, nur einige Spuren im Schnee vom Parkplatz bis zum Café verraten, dass es nicht so ist. Ich bin froh, dass ich in meinem kleinen Lieblingscafé, fernab der Stadt und seinen Geräuschen, im Warmen sitze. Während sich die Wärme des Kamins verteilt, schaue ich gebannt zu wie die Flammen ihre Kämpfe miteinander austragen. Die roten Backsteinwände sind mit filigranem Weihnachtsschmuck verziert. Wild zusammengewürfelte Tische und Stühle geben mir ein heimisches Gefühl. Mein Blick wandert unentwegt von meiner Armbanduhr zu meinem Milchkaffee. Ich kann es weder erwarten meinen alten Bekannten Heinrich zu sehen, noch den warmen Schluck meines Milchkaffees zu genießen. Ich riskiere es und nippe an meinem Kaffee. Ein großer Fehler, denn augenblicklich fing meine Zunge Feuer. Ich hatte meine Zunge ermordet. Mit beeinträchtigten Geschmacksnerven und nun noch größerer Ungeduld starre ich auf den verschneiten Parkplatz hinaus, doch von Heinrich ist noch nicht zu sehen. Der Kellner schaut schon mitleidig zu mir herüber. Ob ich sehr erbärmlich wirke? Hektisch krame ich in meiner Tasche herum, dessen Inhalt das reinste Chaos ist, weshalb ich mein Handy nicht sofort finden kann. Ein Lippenstift, ein alter Kassenzettel, ein Bonbonpapier, aber kein Handy. Leichte Unruhe überfällt mich. Vielleicht hatte er abgesagt oder hatte er einen Unfall? Oh Gott, wo war mein Handy? Nach einer panischen Suche und drei Herzinfarkte später finde ich es endlich zwischen einem alten Prospekt und meinem Schlüsselbund. Energisch ziehe ich es heraus, doch da ist weder eine SMS noch ein Anruf in Abwesenheit, nichts. Mittlerweile konnte ich schon meinen Milchkaffee genießen, auch wenn meine Geschmacksnerven etwas angeschlagen waren. Ich schloss die Augen und atmete den Geruch meines Kaffees ein. Der Dampf stieg mir in die Nase. Etwas Ruhe kehrte in mir ein. Erfolgreich sein, glücklich sein, das predigte Heinrich immer, jedoch sollte man sein Sozialleben nicht vernachlässigen, dachte ich mir bissig. Die Pünktlichkeit war mir nämlich gerade das oberste Gebot. Im nächsten Moment geht die Tür auf, ein eisiger Windzug schleicht sich unter meine Kleidung und Gänsehaut machte sich breit. Ein Lächeln. Eine herzhafte Umarmung. Die Herzlichkeit auf zwei Beinen. Seine Anwesenheit wärmt mich. Die Kälte verfliegt. Eigentlich wollte ich böse auf ihn sein, aber wer kann da schon hart bleiben?! „Tut mir sehr Leid“, entschuldigte er sich, „ich hab bei meinem Projekt einfach die Zeit vergessen.“ Ich versuche meinen Blick zu verdüstern, leider vergeblich. Er lachte wieder. Der grüne Plastikstuhl neben ihm diente als Jackenablage. „Mein Projekt nimmt mich total ein“, entschuldigt er sich weiter, „aber es lohnt sich.“ Begeistert erzählt er mir von ‚MASCOT‘, einem Projekt, an dem er momentan am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt arbeitet. Zwischen seiner Euphorie und seinem Fachchinesisch verstehe ich nur Bahnhof – und Asteroidenlander - , dennoch macht es Spaß ihm beim Reden zuzuhören. Beim Erzählen fangen seine Augen an zu glänzen und ich merke wie ihn die Arbeit in seinem neuen Nebenjob erfüllt. Für ihn ist es ein guter Einstieg um Erfahrungen für seinen späteren Beruf zu sammeln. Ich freue mich für ihn. Wir kennen uns schon lange, doch so voller Begeisterung ist er erst seit ein paar Jahren. Da kommt in mir die Frage auf, ob er schon immer Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität in Braunschweig studieren wollte. „Wolltest du das schon immer machen?“, frage ich ihn, „schon von deiner Kindheit an?“ Durch die Frage plötzlich verstummt, senkt er seinen Blick und seine eben noch so offensichtliche Freude verfliegt. Es war als ob ihm der eisige Windzug des eintretenden Gastes das Lächeln genommen hätte. Ich schiebe die Ärmel meines grünen Kaschmirpullovers herunter, denn meine Gänsehaut ist nicht zu übersehen. Der Wind hatte uns das Kerzenlicht genommen und während der Raum sich verdunkelte, verdüsterte sich die Stimmung ebenfalls. Er fängt wieder an zu erzählen, aber diesmal mal etwas angespannter und ein komplett anderes Bild entsteht. Lange Zeit war es für ihn nicht so einfach wie es scheint. Der gebürtige Russe reiste 1993 in Deutschland ein und begann sein neues Leben in Gütersloh, einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen. Seine Familie und er wurden von einer Notwohnung in die nächste geschickt. Dann kam irgendwann die Beständigkeit, mehr oder weniger. Zwei Jahre war sein Zuhause ein Klassenzimmer, das aus einem Waschbecken und zwei Hochbetten bestand. Seine Schwestern und er hatten jeweils ein Bett, seine Eltern teilten sich eins, wobei er überaus stolz erzählte, dass er das obere Bett beziehen durfte. Mit fünf Jahren ging er das erste Mal in den Kindergarten. Deutsch konnte er nicht, doch viel brauchen Kinder nicht, um sich zu verständigen. Trotzdem spielte er lieber mit den russischen Kindern aus den Notwohnungen. Sein bester Freund war Herr Costi, der Hausmeister, mit dem er ständig an Dingen herumschraubte, die Herr Costi hinter der alten Schule, die sie bewohnten, deponierte. „Schon damals habe ich es geliebt an Sachen zu werkeln und herumzuschrauben.“, erzählt er. Nun hat er sein Lächeln auch einigermaßen wiedergefunden. Der Kellner zündet die Kerze an unserem Tisch wieder an, doch die harmonische Stimmung will sich nicht wieder einfinden. Kurz bevor er in die Grundschule kam, zogen sie in eine der weniger guten Gegenden in Herford, doch sie hatten endlich ihre eigene Wohnung, die aus mehr bestand, als einem Zimmer und vier Wänden. Trotz der Scheidung seiner Eltern in der zweiten Klasse, brachte Heinrich Bestnoten hervor. Die Schule machte ihm Spaß, doch auf dem Gymnasium veränderte sich einiges. Heinrich interessierte sich plötzlich nicht mehr für die Schule, trank Alkohol auf Spielplätzen und ging spät schlafen. Trotz dieser schlimmen Phase, schaffte er es durch jede Klasse zu kommen. Zwischen Drogen, Wodka und kriminellen Freunden öffnete ihm der erschaudernde Gedanke in einer Notwohnung zu enden, die Augen. „Ich wollte nicht in Notwohnungen enden.“, sagt er steif. Unsere Blicke treffen sich und es ist fast spürbar, wie unangenehm ihm das Thema ist. Unruhig zieht er die rot-grün-karierte Tischdecke zu recht. Langsam schiebe ich meine Hand über seine und drückte sie ganz fest, ich will ihm Halt geben. Es ist eine sehr ungewohnte Situation ihn so zu sehen, doch schnell hat er sich wieder gefasst. Das Kinn, das er in seinem karamell-farbenen Wollschall vergraben hatte, erhebt sich langsam. „Ab der zehnten Klasse wurde alles anders..“, fährt er fort. Er wechselte den Freundeskreis, schenkte seinen Lehrern Aufmerksamkeit und machte seine Hausaufgaben gewissenhaft. Er schaffte es zum Musterschüler innerhalb eines Monats. So etwas schaffen nicht viele. Die Kindheit, die er erlebt hatte, wollte er seinen Kindern nicht zumuten. Mit einem Einser-Abitur stand ihm die Welt nun offen. Zu der Zeit gab es noch die Wehrpflicht und da er seinem Mann stehen wollte, ging Heinrich zur Marine. „Eine Zeit, die ich niemals vergessen werde.“, beteuert er.
Ein Jahr später hatte er sich nun entschlossen. „Mathe und Physik haben mir in der Schule am meisten Spaß gemacht“, hatte er festgestellt. Handwerklich begabt war er auch. Da brauchte er nicht lange überlegen. Er wollte Maschinenbau studieren und sich später auf die Luft- und Raumfahrttechnik spezialisieren. Er sah nun alles klar vor sich. Forschen, entwickeln, sich mit Antrieben auseinandersetzen. Das war seine Welt. So packte er den Augenblick beim Schopf und schrieb sich umgehend in Braunschweig ein. Er wollte an einer der besten Universitäten studieren, Braunschweig bot ihm die Gelegenheit dazu. Eine Woche lang lief der eigentliche Langschläfer alle 124 Stufen des Treppenhauses in windeseile hinunter, doch musste sie enttäuscht und träge wieder hoch schlendern. Am neunten Tag lief er nicht mehr ganz so schnell. Am zehnten wartete er bis seine Oma vom Einkaufen kam, sie würde die Post sowieso mitbringen. Am elften Tag vergaß er den ersehnten Brief, doch zwei Tage später hämmerte morgens plötzlich jemand aufgeregt an seiner Zimmertür, seine Schwester. „Steh auf, steh auf!“, schrie sie, „du hast Post aus Braunschweig.“ Sekunden später riss er die Tür auf, nahm ihr den Brief aus der Hand und öffnete rasch den Briefumschlag. „Sehr geehrter Herr Dirks, wir möchten Sie an der Technischen Universität Braunschweig im Studiengang Maschinenbau herzlich willkommen heißen..“ JUBEL! Freude. Er hatte es geschafft. Seinem Ziel glücklich zu sein, einem Job, der ihm Spaß macht zu haben, ein schönes zu Hause, eine Familie zu haben, die er versorgen kannte, all das stand ihm zum Greifen nahe.

Sein Studium hat er mit Bravour gemeistert. Mittlerweile arbeitet der 27jährige für das ESTEC (European Space Research and Technology Centre) und lebt in einem kleinen ländlichen Haus in Noordwijk in den Niederlanden mit seiner Frau. Er hat es geschafft. Er hat seine Vergangenheit, sein Umfeld und die negativen Gefühle hinter sich gelassen. Er ist erfolgreich und glücklich. Das war sein Ziel.

 

Hallo Tohuwabohu,
machst Du bitte ein paar Absätze rein, so kann ich das nicht lesen. Dann schaue ich mir Deine Geschichte später an. Und noch eine kleine Bitte, immer nur eine Geschichte einstellen und erst mal die besprechen. Hier geht es ja um Textarbeit , zwei Geschichten gleichzeitig zu bearbeiten, ist auch für einen Autor schwierig.
Ach ja, herzlich willkommen!
Grüßle, Gretha

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo tohuwabohu,

auch von mir ein herzliches Wilkommen im Forum. Gretha hat Recht mit dem was sie zu den Absätzen und zur Konzentration auf eine Geschichte sagt. Du solltest auch mal drauf achten, dass Du nicht in den Zeiten springst.
Ich fang jetzt mal bei dieser Geschichte an. Ich hab sie gewissermaßen "dienstlich" gelesen, weil die Jugendrubrik mein Schützling ist und ich wissen wollte, ob die Geschichte hier reinpasst. Tut sie nicht, denn sie richtet sich nicht an ein junges Zielpublikum. Also nehm ich den Tag mal raus. Hätte ich sie rein "privat" gelesen, wäre ich sicher nicht bis zum Ende gekommen. Das liegt daran, dass dieser Text, ich sag's jetzt mal ganz geradeaus, langweilig ist. In der Rahmenhandlung - ein Mann und eine Frau, die in einem ungewissen Verhältnis zueinander stehen, treffen sich in einem Café, der Mann erzählt der Frau seine Lebensgeschichte - passiert im Grunde gar nix Spannendes. In der eingebetteten Handlung, seiner Lebenserzählung, passiert total viel, aber das wird nicht auf spannende Weise vermittelt, sondern als nüchterner Bericht heruntergerasselt. Damit man irgendeinen Zugang zu den Figuren entwickelt, müsste man das lebendig und szenisch darstellen. Eine komplette Lebensgeschichte kann man so in einer Kurzgeschichte aber nicht präsentieren.

Der gebürtige Russe reiste 1993 in Deutschland ein und begann sein neues Leben in Gütersloh, einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen. Seine Familie und er wurden von einer Notwohnung in die nächste geschickt. Dann kam irgendwann die Beständigkeit, mehr oder weniger. Zwei Jahre war sein Zuhause ein Klassenzimmer, das aus einem Waschbecken und zwei Hochbetten bestand. Seine Schwestern und er hatten jeweils ein Bett, seine Eltern teilten sich eins, wobei er überaus stolz erzählte, dass er das obere Bett beziehen durfte. Mit fünf Jahren ging er das erste Mal in den Kindergarten. Deutsch konnte er nicht, doch viel brauchen Kinder nicht, um sich zu verständigen. Trotzdem spielte er lieber mit den russischen Kindern aus den Notwohnungen. Sein bester Freund war Herr Costi, der Hausmeister, mit dem er ständig an Dingen herumschraubte, die Herr Costi hinter der alten Schule, die sie bewohnten, deponierte. „Schon damals habe ich es geliebt an Sachen zu werkeln und herumzuschrauben.“, erzählt er.
Wenn Du das als Geschichte präsentieren würdest, uns dieses Leben mit Atmosphäre, eindringlichen Beschreibungen, spannenden Figuren, Handlungen und Dialogen nahe bringen würdest, fände ich das schon sehr interessant. Es wäre aber ein völlig anderer Text. Ich sag das nicht oft und nicht gerne, aber ich würde diesen Text hier nicht verbessern, sondern ihn einfach beiseite legen und nochmal ganz von vorne anfangen. Wenn Du in einer Kurzgeschichte zeigen willst, dass jemand sich aus schwierigen Umständen hochgearbeitet hat, muss man sich wirklich was Cleveres einfallen lassen. So ein einfacher Report funktioniert nicht. Ich würd im Zweifel eher den Fokus verengen, auf eine Situation aus der Jugend, wo sich exemplarisch zeigt, hey, der Kleine kann was. Summarisches Erzählen eignet sich für Kurzgeschichten nur in sehr begrenzten Rahmen, etwa als kurzer! Rückblick, einer ansonsten szenischen Vordergrundgeschichte. Da muss aber das Verhältnis von Bericht und Szene quasi umgekehrt sein.
Tut mir leid, dass ich dazu erstmal nichts Positiveres sagen kann. Lies Dich vielleicht einfach noch ein bisschen um hier, vielleicht findest Du so ein paar Anregungen, wie man eine Handlung lebendiger verpacken kann.

lg,
fiz

 

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