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Von Traum und Wirklichkeit

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18.11.2001
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Von Traum und Wirklichkeit

„Wenn du kannst, lauf doch!“ schrie sie ihn an. „Lauf doch!“ Aber er konnte nicht laufen.
„Hure!“ keuchte er und schnappte nach Luft. Sie lächelte leicht.
„Du siehst blaß aus, mein Lieber. Ich könnte deinem Leiden ein für alle Mal ein Ende setzen...“ Dann legte sie den Kopf schief und sah ihn aus ihren großen, grünen Augen mitleidig an, ehe sie den Zeigefinger hob und ihm auf die Nase tippte. Sie lachte. „Ich will aber nicht!“
Das Gesicht des jungen Mannes war verzogen vor Schmerz und Blut lief seine Schläfen hinunter, als sie sein Kinn anhob und ihn zwang, sie anzusehen. „Ich hatte dich gewarnt, aber du wolltest nicht auf mich hören“, sagte ihre kindliche Stimme, in der ein Hauch von Wahnsinn schwang. „Und jetzt willst du noch nicht einmal mehr mit mir reden.“ Sie schüttelte den Kopf. „Sprich mit mir“, verlangte sie, doch er regte sich nicht. Ihre Züge wunden ärgerlich und sie schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. „Rede!“ schrie sie und bohrte ihre Fingernägel in seinen Hals.
Er röchelte. „Was.... was....“
„So ist’s gut, weiter so. Rede!“
„Lass... lass mich gehen und dir ... dir passiert nichts!“ presste er hervor.
Sie begann leise zu lachen, wurde dann immer lauter. „Du weißt nicht, dass es kein Traum ist, oder? Wirst es auch nie erfahren, aber das ist mir egal. Du bist kein schönes Spielzeug mehr.“ Sie holte einen kleinen, hübschen Dolch aus dem schwarzen Nichts, das sie umgab. „Ist der nicht schön?“ Mit einem Finger strich sie über die Klinge und ein Tropfen ihres Blutes rann daran herunter. „Nein, er ist nicht allein für dich. Es gab viele vor dir und es wird noch viele nach dir geben, die ihn spüren dürfen. Allein für dich ist nichts“, sagte sie und nahm seinen rechten Arm. „Doch, da ist etwas“, fiel es ihr ein. Sie setzte die Klinge an und durchtrennte seine Pulsadern mit einem Schnitt. Es tat zu weh, um zu schreien. „Der Schmerz, den du jetzt fühlst, der ist ganz allein für dich.“ Sie stellte sich wieder aufrecht hin, gab ihm einen leichten Kuss auf die Stirn und ließ ihn dann zurück, allein im dunklen Nichts, gefesselt auf einem Stuhl und langsam verblutend.

Die Tür öffnete sich mit einem leisen Knarren und ein wenig Licht von draußen fiel herein. Sie erkannte seine Statur und hielt die Luft an. Wer das tat, so redete sie sich ein, war immer ein wenig näher am Tod als am Leben.
Er kam näher; sie rührte sich nicht.
„Ich weiß, dass du da bist. Glaubst du, ich rieche dich nicht?“ Seine Stimme hallte in ihrem Kopf nach, fiel wie ein schwarzer Stein in die Ruhe ihrer Hoffnung, stieß sie in Erschütterung und die Angst breitete sich in weiten Kreisen in ihr aus, bis sie ihren Körper völlig erfüllte.
„Du zitterst ja.“ Er nahm ihren Arm und zerrte sie aus dem Bett. „Dumme, kleine Hure.“ Ein Schlag ins Gesicht. „Du weißt, dass ich es so mag, nicht wahr?“
Sie konnte seine Augen nicht sehen, doch sie wusste, dass sie in diesen Augenblicken aufblitzten, dass ihnen alles menschliche entwich und seine Gesichtszüge sich so sehr veränderten, dass er mehr einem Tier glich, einer grausamen Bestie.
„Du zitterst immer noch“, sagte er kalt und seine Hände legten sich um ihren Hals. Er drückte sie gegen die Wand, seine Finger hinterließen blutige Spuren auf ihren Schultern, in ihrem Gesicht. Ihr Atem stockte; jetzt bloß nicht schreien.
„Na, willst du mir kein Zeichen geben?“ Er riss sie zurück und schleuderte sie erneut gegen die Wand in ihrem Rücken, auf den Boden, trat sie, verletzte sie, zerschnitt ihr die Haut mit den Scherben einer gläsernen Figur, die er zu Boden geworfen hatte.
„Hure, verfluchte Hure!“ Er zog sie an den Haaren vom Boden hoch. „Nun schrei endlich, schrei! Ich will dich schreien hören! Ich will, dass du mich um Gnade anflehst!“ Seine Hand legte sich unter ihr blutiges Kinn, zwang sie, ihn anzusehen. Ihre grünen Augen waren ausdruckslos, keine Träne darin.
Er schnaubte. Noch mehr Schläge.
Kein Schrei.
Als er sie verließ, lag sie regungslos am Boden. „Und heute Nacht, Hure, träumst du wieder von mir. Ich weiß, dass du es gern hast!“ Dann schloss er die Tür mit dem gleichen Knarren, mit dem er sie geöffnet hatte.
Sie schlug die Augen auf, sah nichts, nur Dunkelheit und ihr eigenes, warmes Blut. Immer noch kein Schrei in ihr, nur Stille. Die Wogen der Hoffnung glätteten sich allmählich, die Angst strömte mit ihrem Blut nach draußen. So war es gut. So hatte sie es gewollt, immer gewollt, und nun war es so, endlich war es so.
Nie wieder würde es passieren.
Nackt, geschändet, doch nicht zerbrochen...
Ihre Augen schlossen sich.

„Wo du dich befindest, gibt es kein Halten, keinen Anfang und kein Ende, nichts zum Entkommen. Oder siehst du da etwas? Nein, du siehst gar nichts.“
Wie hübsch er dastand, sich umblickte, ein paar Schritte lief, in irgendeine Richtung, um gleich wieder stehen zu bleiben und sich umzusehen, ob ihm auch niemand folgte, ob da jemand war, der ihm hätte sagen können, wo er sich befand. Aber da war nichts, das heißt, vielleicht war da doch etwas, außer der alles verschlingenden Dunkelheit und dieser Stimme, dieser kindlichen Stimme.
„Wovor fürchtest du dich denn?“ erklang sie wieder. „Ja, du fürchtest dich. Das solltest du auch. Jeden Augenblick könnte etwas auf dich zukommen, das dich angreift, das dir weh tut, dir die Knochen bricht, die Haut zerkratzt, das dich vielleicht sogar tötet. Und soll ich dir etwas sagen?“ Vor ihm lichtete sich plötzlich ein wenig dir Dunkelheit und eine Gestalt kam auf ihn zu. „Sie sehen sogar in der Dunkelheit“, sagte sie und hob den Kopf. Ihre grünen Augen funkelten ihm so hell entgegen, dass er die Flucht ergriff und einfach rannte, rannte, nur weg.
„Erinnerst du dich nicht mehr? Du kannst nicht laufen. Du bist doch hier. Sieh!“ Wieder der Dolch vor seinen Augen, die Fesseln an seinem Körper, das lähmende Gefühl der Hilflosigkeit, die grünen Augen seines Gegenübers, ihr ausdrucksloses Gesicht, wie sie spielerisch blutige Linien zog auf seiner Brust.
„Ja, jetzt bist du wieder ganz bei mir.“ Er blickte in ihre Augen, in dem Moment, als sie die Adern der anderen Hand durchschnitt. Keine Träne. Nur ein Schrei.
Sein Schrei.

 

@Anna: Du bist ja ein richtiger Schatz! ^_^*
Demnächst gebe ich mir denne auch mehr Mühe... *peinlich*

 

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