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Von Vater und Sohn
Gleichgültig aber doch froh: so kommt er von der Arbeit Heim, duscht den Dreck und Staub von sich und aus seinen Haaren, küsst Mutter, lobt ihr Essen, zieht sich erneut um, und stiefelt in den Keller zu weiteren Arbeiten. Er reißt Wände ein, baut anderswo welche auf, haut Fenster in unser Haus, und trinkt nur spärlich Wasser zum Klang eines Radios.
Er will es eines Tages mal gemütlich haben, sagt er. Und Mutter auch, und dann geht er joggen, durch den Wald und über die Felder, an seiner Arbeit vorbei ohne mit der Wimper zu zucken, und isst zu Hause ein Vollkornmüsli bis er noch ein Mal duscht.
Wie er das nur macht und schafft, frage ich mich, und falle in die Bierpullen vor meinem Bett. Dann gehe ich duschen. Eine Dusche tiefer höre ich wie er sich über erfrischendes Wasser freut, ziehe meine Lederhose und die Lederjacke an, und stelle das Wasser heiß. Unter mir erschreckt er sich wie jeden Tag, und das Leder strafft, und fühlt sich an wie Brennnesseln auf meiner Haut, auf das ich wach werde oder verglühe. Wie ein Korsett liegt es an mir, unten ist er längst fertig und denkt daran wie viel Wasser ich doch verschwende. Übertrieben laut drehe ich dann die Musik, und er isst mit Mutter zu Abend; sie sehen einen Film, und ich bin schon lange betrunken, warte auf das Leben und dass es beginnt, telefoniere, und vielleicht fahr ich mich noch zu Tode heute, wer weiß. Oder ich fall aus einer Bar, könnte ihm schon wieder einen guten Morgen wünschen, habe Bands gesehen und Mädchen und eigentlich hasse ich sie alle.
Er hört mich stöhnen des Nachts, und manchmal auch die Mädchen. Bevor ich sie ihm und Mutter vorstellen kann, sind sie schon wieder weg. Weil sie mich nicht ertragen konnten und hassen gelernt haben, so wie er es auch tun sollte.
Manchmal schauen wir Fußball. Etwas, das uns noch verbindet, inmitten der auseinanderdriftenden Philosophien von Arbeit, Freiheit und Glück.
Mein Telefon schweigt beständig diesen Abend, während er seins schon nicht mehr hört, ist taub geworden von den Maschinen.
Öfters bekommt das Schlagzeug meine Wut zu spüren, und ich trete den Bass zum Takt seines Vorschlaghammers, den er schwingt, um die Wände einzureißen. Dann schaut er hinein, und sieht mich, denkt, ich sei glücklich, lächelt mich an, und hat noch Hoffnung mit mir.
Manchmal, wenn ich vor ihm stehe, der Alkohol aus meinen Augen quillt, und er gerade zerzaust vom Arbeiten ist, dann schüttelt er den Kopf und fragt sich und gelegentlich auch mich, was ich hier überhaupt noch machen würde, ob ich keine Freundin hätte oder gar kein Interesse und was mit mir los sei, in dieser Welt, die so viel mehr und weiter ist, als es seine je gewesen ist.
Nicht einmal die Welt, sondern das Herz eines Mädchens müsste es sein, das es für mich zu erobern gilt, ein mittelmäßiges Abitur, ein vernünftiger Auftritt mit der Band, ein sehenswertes Tor auf dem Bolzplatz, ein Veilchen von einer Rauferei: das wären angemessene Lebenszeichen, die ihm zeigen würden, dass ich überhaupt noch Kenntnis am Leben habe.
Wenn wir aufeinandertreffen in unserem Haus, welches so klein ist aber doch so viele dunkele Winkel zum verkriechen hat, dann reden wir aneinander vorbei, und unsere Worte, die uns so ungewollt manchmal entfleuchen, scheinen an unseren Egos abzuprallen, treffen aber in Wahrheit den Nerv und ins Schwarze, und deswegen gehen wir uns aus dem Weg. Wir wären beide Sturköpfe, sagt Mutter.
Ich weiß nicht, ob er es noch weiß, aber einst hatte ich mal dieses Lachen auf meinem Gesicht; wenn ich dem Ball hinterhergejagt bin oder er mir abends eine Geschichte von Bären, Hasen, Füchsen und dem Wald erzählt hat bis ich eingeschlafen war.
Heute wache ich auf des Nachts und habe wieder einmal von seiner Beerdigung geträumt, und scheine ihm noch in den Tod nachschreien zu wollen „ich liebe dich!“.
Und dann stürze ich die Treppen runter, falle in seine Wohnung, und will es ihm sagen, doch sehe nur seinen Blick, und weiß, dass es noch zu früh wäre, er es mir noch nicht glauben würde. Zu oft fließen Lügen und luftige Versprechen aus meinem Mund.
Für einen Vater