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- 04.08.2001
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Vorübergehende Amaurose
Als E. Ashcroft erwachte, war er blind.
Er lag minutenlang im Bett, versuchte gleichmäßig zu atmen und dachte über seine Lage nach. Dann zwinkerte er mit den Augen und spürte endlich den Verband, der sie bedeckte. Schließlich fiel ihm die Operation ein, die zwei Tage her war und deren Verlauf, wollte man dem Arzt Glauben schenken, günstig gewesen war. Sein Herz beruhigte sich und er bekam allmählich auch die Atmung in den Griff.
Wie er sich nach und nach fasste, fielen ihm die Details wieder ein und das Bild klärte sich.
Der Arzt hatte gestattet, dass man ihn nach Hause brachte und so musste er in seinem eigenen Bett liegen. Er tastete mit der Hand über die Bettdecke. Weiter hinunter zu dem kühlen Holz des Rahmens. Ja, das war sein Bett, in seinem Herrenhaus, draußen in Sussex. Kaum auszudenken, wenn er in der Klinik gelegen hätte. Er hasste Fremde, auch wenn sie ihm zu Diensten waren.
„Percy!“ Er griff zur Seite neben dem Kopfende und zog mit Macht an der Klingelschnur. Jetzt war er zufrieden. Für die paar Tage, die er den Verband tragen musste, würde er ohne sein Augenlicht auskommen. Percy würde ihm helfen, sonst gab es niemanden hier.
Er hatte Durst, der Belag auf der Zunge machte ihn schier wahnsinnig. Also griff er nach links, wo sein Nachttischchen stehen sollte. Ächzend musste er sich aufrichten und fand das schwere Glas, das bereitstand. Seine Befriedigung wuchs und man konnte kaum glauben, dass er seines seiner Sinne beraubt war. Er führte das Glas zum Munde und stürzte den Inhalt herunter.
Eigentlich sollte es Wasser sein, das er da trank – ganz sicher hätte es das sein müssen. Percy wusste genau, dass er jedes andere Getränk verabscheute, es sei denn, man konnte sich damit betrinken. Doch das hier schmeckte nach Zitrone.
Das war ungewöhnlich. Er hatte seinen Butler in dieser Angelegenheit genau instruiert und Percy wusste, dass es tödlich war, dagegen zu verstoßen.
„Percy!“ Verdammt, wo blieb der Halunke? Das hatte sich der Bursche noch nicht getraut.
“Percy, verflucht! Wenn Sie nicht gleich hier sind!“
Er ließ vorerst offen, was seinem Diener drohte und stemmte sich hoch. Er legte den Kopf schief und lauschte, ob er ihn kommen hörte. Doch da war nichts – absolute Stille.
Seit einem Jahr war der Schwarze in seinen Diensten, und bis jetzt hatte er keinen Grund, sich über ihn zu beschweren. Er hatte ihn von seinen Reisen durch die Kolonien mitgebracht und war sicher gewesen, dass Percy ihm dafür dankbar war.
Ashcroft lehnte sich noch einmal zu dem Klingelzug hinüber und zerrte mit solcher Macht daran, als sei der Diener oben festgezurrt und es gelte, ihn herunter zu ziehen.
„Peeeercyyyy!!!!!!“
Er spürte, wie sein Stirnader schwoll. Ausgiebige Ruhe hatte der Arzt verordnet.
Er drehte sich mühsam und rollte aus dem Bett. Unsicher kam er auf die Füße und stand eine Weile still, in der er sich zu orientieren suchte.
Links von ihm das Bett, rechts, ganz nah – in Reichweite quasi – der Kleiderschrank. Er streckte die Hand aus und ertastete die feinen Verzierungen; er glitt mit den Fingerspitzen daran herunter und erreichte den Schlüssel. Das beruhigte ihn, er unterdrückte den Drang, den Verband vom Gesicht zu reißen und wandte sich in die Richtung, in der er die Tür vermutete. Unsicher tapste er am Schrank entlang und setzte dabei einen Fuß vor den anderen. Er erreichte den Ausgang und drückte sofort die schwere Klinke herunter. Die Tür sprang auf und ein angenehmer Luftzug umwehte ihn.
„Percy, verdammter Hurensohn!“, brüllte er so laut, dass es schallte. Schweigen antwortete ihm.
Ihm fiel ein, dass er noch nicht einmal wusste, welche Tageszeit war. Gut möglich, dass es stockfinster war und er machte hier einen Höllenlärm. Egal, dachte er sich, Percy sollte wissen, wie es um mich bestellt ist.
Es regte sich noch immer nichts, und allmählich dämmerte es Ashcroft, dass Percy vielleicht gar nicht im Haus war. Dass er ganz allein in seiner eigenen Finsternis umhertappte und irgendwann die Treppe hinunterstürzte und sich das Genick brach.
Dieser Gedanke machte ihn noch wütender, und er schob sich mit Bedacht nach vorn. Wenn man aus seinem Zimmer trat, gelangte man nach einigen Schritten an die Balustrade, die den Flur von der weiten Eingangshalle im Erdgeschoss trennte. Vorsichtig, vorsichtig, sagte er sich und arbeitete sich Zentimeter für Zentimeter nach vorn, bis schließlich seine ausgestreckte Hand das Holzgeländer erfasste.
Er beugte sich darüber und rief noch einmal nach seinem Butler.
Es klang nicht mehr so laut, doch für einen kurzen Moment hatte er den Eindruck, dass der Schwarzeihm von Ferne antwortete. Ganz leise vermeinte er eine Stimme zu vernehmen, doch je mehr er sich anstrengte, er konnte es nicht noch einmal hören.
Das sah dem Neger ähnlich, dass er sich davonmachte, während er – sein Herr und Friedensrichter im Distrikt Sussex – hilflos niederlag, hingeschmettert von einer billigen Augenoperation, deren Wert zweifelhaft war. Falscher Hund!
Er hangelte sich weiter am Geländer entlang. Seine baren Füße tasteten sich über den Teppich.
Richtig getraut hatte er Percy nie; wenn der Schwarze sich unbeobachtet fühlte, hatte Ashcroft schon öfter einen verschlagenen Ausdruck in seinen Augen entdeckt. Ein Blick wie ein panisch Suchender.
Er hatte sich getäuscht, niemand war da, der ihm hätte antworten können, es herrschte noch immer totale Stille.
Dann hörte er das Geräusch, als er eben die erste Stufe nehmen wollte. Er hielt inne und blickte sich um, obwohl er natürlich nichts sah. Kein Zweifel, dieser seltsame Ton kam aus einem Winkel hinter ihm. Er hörte ein leises Grummeln, ein dunkles, gelangweiltes Knurren, das wegen seiner Tiefe von einem beachtlichen Resonanzraum zeugte. Ashcroft spürte, wie sich eine Gänsehaut auf seinen Armen bildete. Er stand reglos in einer unmöglichen Pose und versuchte, keinen Laut von sich zu geben. Er wollte sich nicht vorstellen, was da in seinem Rücken lag und diese bedrohlichen Töne von sich gab. Und es machte den Eindruck, als käme es näher.
Langsam, überaus bedächtig drehte er sich um und begann sachte, eine Stufe nach der anderen zu nehmen. Sofort wurde das Grollen lauter.
Er musste fort!
Mit der Hand fuhr er vorsichtig das Geländer entlang und er hatte tatsächlich das Gefühl, dass das Holz warm wäre. Warm und pulsierend. Die Oberfläche des Handlaufes war rau, fast schuppig, so dass sich immer wieder kleine Fetzen davon lösten. Sie lösten sich und fielen ab. Als wäre es Haut, warm und lebendig.
Von da ab bis zur Erkenntnis, was er da berührte, war es ein kleiner Schritt. Er strich mit den Fingern über eine Schlange, eine fette, riesige Schlange. Und gerade jetzt bewegte sie sich!
Er stieß einen Schrei aus und stolperte nach hinten. Dabei verfehlte er mit dem Fuß die Stufe und geriet ins Schwanken. Er ruderte hilflos mit den Armen, versuchte ohne Erfolg Halt zu finden. Doch er stürzte ab.
Mit Getöse, das ihm selbst in den Ohren dröhnte, kollerte er die Treppe hinunter. Dabei knallte er mehrmals gegen die Wand, und es gelang ihm nicht, seinen Fall zu stoppen. Er nahm jede Stufe mit, schlug schmerzhaft auf und unten, am Fuß der Treppe, blieb er schließlich still liegen.
Der erste Reflex, als er wieder zu sich kam: er riss den Verband vom Kopf, um endlich der Gefahr ins Auge sehen zu können. Mit heftigen Bewegungen zog er an dem Mull und atmete auf, als er endlich die Binde entfernt hatte. Er kniff die Augen zusammen, dann öffnete er sie.
Zu seinem Entsetzen stellte er fest, dass er trotzdem noch immer nicht sehen konnte. Grau war es um ihn herum, durchzogen mit Schlieren und Wirbeln. Er konnte nichts wahrnehmen.
Die Worte des Arztes fielen ihm wieder ein: „Dass der Verband einige Tage angelegt bleibt, ist eine Schutzmaßnahme, sehen können Sie eh noch nicht!“
Ashcroft stöhnte auf. In der nächsten Sekunde hielt er die Luft an und lauschte auf das Knurren oben auf der Treppe. Natürlich kam es näher, was immer dieses Geräusch verursachte, es kam langsam auf ihn zu.
Er richtete sich auf und spürte sofort die Prellungen und Beulen, die er sich bei dem Sturz zugezogen hatte. Ohne auf die Schmerzen zu achten, koch er den Marmorfußboden weiter von der Treppe fort. Wenn er die Richtung beibehielt, würde er an die Ausgangstüre kommen. Egal was passierte, er blieb nicht länger allein im Haus mit diesem Wesen!
Er stutzte. Ein Duft nach feiner Kakao-Suppe stieg in seine Nase. Seine Mutter hatte ihm die immer gekocht, wenn es ihm schlecht ging, aber das war fünfzig Jahre her. Er musste sich täuschen.
Doch der Geruch war so stark, so durchdringend, dass sich Wasser in seinem Mund sammelte und süße Erinnerungen in ihm hochkamen.
Was zum Teufel ging hier vor? Spielten seine Sinne verrückt, waren sie überreizt, weil sie ohne den Gesichtssinn auskommen mussten? Er krabbelte schneller.
Endlich erreichte er die Tür und richtete sich daran auf. Er drückte den schweren Knauf nieder und musste erneut stöhnen. Die Tür war verschlossen.
Mit einem Wimmern lehnte er sich dagegen und ließ sich langsam zu Boden gleiten. Weshalb kam Percy nicht, um ihm zu helfen? Was für ein Tier lauerte am Fuß der Treppe, weshalb war das Treppengeländer eine Schlange?
Plötzlich ein neuer heller Laut. Eine glockenklare Stimme sang weit entfernt eine Melodie. Es musste sich um einen Knaben handeln, der eine Weise vortrug. Doch er war zu leise, als dass man den Text verstehen konnte. Die ganze Halle war erfüllt von diesem Gesang. Ashcroft wandte den Kopf, doch er erfuhr nicht, woher genau das Lied kam.
Eine zweite Stimme gesellte sich dazu, eine tiefe Männerstimme. Sie ergänzte sich perfekt mit dem Sopran, sie trug und umschmeichelte ihn, als wolle er ihn verführen. Die beiden Stimmen schienen wie füreinander geschaffen. Was war es nur für ein Lied, das sie da sangen?
„Percy!“
Noch bevor er sich darüber klar war, dass es sein Butler war, der mit dem Jungen sang, hatte Ashcroft dessen Namen ausgerufen. „Percy, verdammt!“
Da verstummten die Beiden und die Stille, die jetzt herrschte, war kaum zu ertragen. Das war nicht seine Absicht gewesen!
„Percy!“, flehte er noch einmal. „Percy! Du musst mir helfen.“
Er fühlte sich elend, fast jeder Zentimeter seines Körpers schmerzte. Er wollte in sein Bett, doch dazu hätte er an der Kreatur vorbeigemusst.
Er schalt sich einen Narren und richtete sich wieder auf. Auch wenn er nicht sehen konnte, so waren doch seine Ohren, seine Nase, die Fingerspitzen und der Geschmackssinn hervorragend in Schuss. Diese ganze verdammte Sache erinnerte ihn an das Jahr 93 in Borneo, als seine Einheit im dichtesten Dschungel vom Hauptkorps abgeschnitten gewesen war. Sie hatten sich nur nachts fortbewegt, um den feindlichen Reihen zu entgehen. Scheiße noch mal, bis auf einige Kratzer hatte er diese Sache auch überstanden.
Er tastete sich unsicher die Wand entlang und erreichte, wie er es vorausgesehen hatte, eine Tür. Das war die Küche!
Er drückte die Klinke nach unten und war erleichtert, dass sie aufsprang. Die Küche! Er würde einen Happen essen und vor allem etwas trinken.
Ashcroft schob sich in den Raum und fiel hinein.
Gleichzeitig und mit aller Macht strömten die Sinneseindrücke auf ihn ein. Am stärksten war das Gekreische. Es war hier drinnen ein Höllenlärm, Tiere brüllten, Vögel schrieen – alles durcheinander. Dabei herrschte eine Gluthitze und es stank erbärmlich. Er fiel weich und sofort als er zur Ruhe kam, spürte er, wie kleine Tierchen über seine Haut wuselten. Verblüfft kam er zu dem Schluss: Er war im Dschungel!
Von Überraschung und Panik übermannt sprang er auf und schüttelte die Insekten ab.
„Was ist das für eine gottverdammte Scheiße!“, brüllte er und augenblicklich herrschte Totenstille im Urwald. Er schwitzte. Er konnte förmlich spüren, wie der Dunst aus dem feucht-warmen Boden nach oben stieg. Irgendein Insekt biss ihn am Hals, reflexartig schlug er es tot. Ein Moskito? Er war im Dschungel, sagte er sich: Heilige Scheiße, in seiner Küche breitete sich dichtester Regenwald aus. Das konnte nur ein Albtraum sein!
Er drehte sich um und torkelte mit vorgestreckten Armen in Richtung Tür. Er schluchzte auf, als er tatsächlich das Holz der Zarge unter seinen Fingern spürte, hastete durch die Öffnung und knallte die Tür mit letzter Kraft zu. Die Urwaldkulisse verstummte.
Mindestens fünf Minuten stand er an die Wand gelehnt und zitterte am ganzen Körper. Hilflos riss er die Augen auf, doch er vermochte noch immer nichts zu erkennen.
Als er einen annähernd klaren Kopf hatte, setzte er seine Reise fort. Er würde Percy suchen, er hatte ihn vorhin gehört, da war er sicher. Oder er fand einen Weg, der nach draußen führte. Irgendein Fenster, eine Kellertür, die nicht verriegelt war. Er musste verschwinden aus diesem Höllenhaus.
Mit den Händen an der Wand schob er sich voran, Schritt für Schritt in die Hall, weg von der Küche mit der Buschlandschaft, weg vom verriegelten Ausgang und vor allem fort von dem Tier, das wohl immer noch an der Treppe lag.
Er wusste, dass die Wände hier unten schwere Tapeten trugen, mit einem groben, erhabenen Muster. Als er die Maserung ertastete und erkannte, fühlte er sich ein wenig wohler und er bekam Zuversicht. Kleine Rosenknospen an dicken, dornenbewehrten Stängeln, die sich bis nach unten zum Boden zogen.
Gesehen viele Male am Tag, doch nie gefühlt. So war es eine neue Erfahrung für ihn, mit dem blinden Gesicht vorgereckt, Schritt um Schritt, eben jenes Blumenmuster als Orientierung zu nutzen.
Die Wand war warm, er wunderte sich. Und die Musterung veränderte sich allmählich; das waren keine Rosen, die er dort fühlte. Keine Rosen mehr! Was aber dann? Das Schema wurde unregelmäßig, wild. Hier Erhebungen, die sich zogen und dann plötzlich, ohne Übergang, eine Vertiefung, der jeglicher Sinn abging.
Was – was sollte das sein? Er blieb stehen, um sich auf seine Eindrücke zu konzentrieren. Unruhig fuhr er mit der Hand hin und her, auf der Tapete entlang. Das konnte nicht sein! Die Verdickungen, von denen er angenommen hatte, es seien Stängel gewesen, pulsierten ganz leicht; ganz sanft konnte er es unter seinen Fingern spüren, dass diese Linien sich zusammenzogen und wieder weiteten, zusammen und weiter. Ganz so, als ob in ihrem Inneren etwas transportiert, etwas gepumpt würde. Wie – wie Blutgefäße! Arterien, die frisches, warmes Blut beförderten.
„Oh Gott!“ Die Wand war ein Organismus geworden, das Haus, es lebte! Es hatte ihn verschlungen und gab ihn nicht mehr frei! Er war in einem Wesen gefangen!
Hörte er da ein Lachen? Nein, er wandte den Kopf und versuchte zu lauschen. Doch sein Herz schlug so mächtig, dass er sich nicht konzentrieren konnte.
Er stolperte weiter, fort nur von der Wand, von dem Fleisch, dem warmen, das ihn umgab! Ohne Ziel lief er, die Hände ausgestreckt und die blinden Augen voller Tränen.
Er stieß gegen etwas und schrie auf vor Schreck. Es polterte, er wagte, das Ding zu befühlen – ein Stuhl. Welch beruhigende Entdeckung in diesem Meer des Wahnsinns. Ein Möbel, das er kannte, das er schon oft benutzt hatte. Er meinte, einen alten Freund getroffen zu haben.
Er glitt mit den Händen über die Lehne, immer hin und her, als liebkoste er das Stück. Er drückte es und streichelte wieder und wieder über den Rand der Lehne. Viel zu spät merkte er, dass etwas nicht stimmte. Das Holz war viel zu schmal, der Rand fühlte sich eigentümlich scharf an!
Dann stellte er fest, dass die Stuhllehne, über die er die ganze Zeit hin- und hergestrichen war, schmal war und scharf, wie eine Rasierklinge. Er war darauf entlanggefahren und er spürte, dass die Klinge durch das Fleisch schon fast bis auf den Knochen gedrungen war.
Mit einem Stöhnen stürzte er zu Boden.
Die blutigen Hände vors Gesicht geschlagen, in der Hocke kauernd wie ein kleines Kind, war er noch immer nicht in der Lage, die Reize zu ignorieren, die seine Sinne malträtierten.
Rechts von sich, ganz nah und unnatürlich deutlich, hörte er einen Mann leise lachen. Er kauerte sich noch mehr zusammen, doch das Lachen ließ sich nicht ausblenden. Es war nicht einmal ein unfreundliches Lachen, es klang eher beiläufig und höflich.
Dann nahm er wahr, dass sich dieses Gelächter bewegte; der Mann musste um ihn herumgehen. Es kam jetzt von links und bewegte sich weiter um ihn nach rechts, weiter nach links, immer im Kreis, rundherum um Ashcroft, der sich mehr und mehr duckte und versuchte, sich noch kleiner zu machen.
Immer schneller raste das Lachen herum, ungestüm und wild, und Ashcroft wurde schwindelig davon, obwohl er nicht sehen konnte. Herum und herum, immer weiter gelacht! Und dann fiel es ihm plötzlich auf:
„Percy!“
Die Stimme erstarb abrupt und ebenso alle Sinneseindrücke für Ashcroft. Es war, als würde der Vorhang fallen. Nur ein leiser Luftzug umwehte ihn noch, während er saß und lauschte.
„Percy?“
„Ja, Sir. Ich bin hier.”
„Percy, Gott sei Dank! Was ist hier los, was soll das Ganze?“
„Es geht Ihnen gut Sir!“
Er wurde wütend. „Es geht mir nicht gut! Mir geht es verdammt schlecht, ich fühl mich beschissen, Percy! Und das ist ein gutes Stück deine Schuld! Wo warst du die ganze Zeit, wo hast du dich rumgetrieben?!“
„Ich war hier, Sir.“
„Blödsinn!“
Plötzlich erscholl von allen Seiten Urwaldgedröhn. Die Affen schrieen wieder, mit einem Male war es schwül-heiß und es stank abscheulich. Ein Krabbeln auf seiner Haut – Hunderte von Tierchen waren wieder unterwegs.
„Percy!“
Diesmal klang es nicht wütend, er flehte. „Was soll das?“
Die Dschungelkulisse fiel in sich zusammen, als hätte man einen Schalter umgelegt.
Schweigen zwischen den beiden Männern. Ashcroft hatte sich an seine Blindheit so sehr gewöhnt, dass er ahnte, wo sich sein Butler befand.
Er fragte in diese Richtung: „Wo bin ich, Percy?“
„In Ihrem Bett, Sir.“
Er schnellte nach vorn und kriegte den Hals des Schwarzen zu fassen. „Elender!“, zischte er. „Dich werd’ ich lehren, deinen Herrn anzugreifen! Ich bring dich um!“
Doch er war geschwächt und Percy mindestens zwanzig Jahre jünger. Der Schwarze entwand sich seinem Griff mühelos und schleuderte ihn zurück aufs Bett.
Ashcroft stöhnte wieder.
Er hörte wie der Butler zu ihm herankam und ganz nah über seinem Gesicht ertönte die Stimme: „Lassen sie mich gehen, Sir!“
„Was?“
„Ich will nach Hause. Das wollte ich, seit ich hier bei Ihnen bin. Ich hatte nie eine Motivation, in Ihr Land zu kommen, Sie haben mich einfach mitgenommen. Wie eine Ziege, die man vom Markt mit nach Hause bringt. Ich will in meine Heimat und dafür brauche ich Geld!“
Ashcroft erholte sich in dem Maße, in dem seine Wut stieg.
„Was bildest du dir überhaupt ein, was denkst du dir? Wo wärst du, wenn ich dich nicht befreit hätte? Du würdest noch immer mit deiner Sippe ums Feuer tanzen und irgendwelche Götter beschwören, Schwachsinn! Du würdest durch den Urwald streifen, auf der Suche nach einem kleinen Nager, um überhaupt etwas zu essen zu bekommen. Du bist undankbar, Percy!“
„Ich will das, was mir zusteht, Sir. Und wenn Sie es mir nicht geben, so brauche ich Gewalt.“
„Gewalt!“ Er musste lachen. Dabei verrutschte sein Verband ein wenig, doch er wunderte sich nicht. „Ich bin Friedensrichter, du wirst es nicht wagen, einen Friedensrichter anzugreifen!“
„Sie sind Friedensrichter in Ihrer Welt, Sir. Aber wir sind in meiner. Ich will nach Hause, dafür brauche ich Geld und Legitimation.“ Seine Stimme wurde leiser und gewann damit an Bedrohlichkeit. „Und wenn ich es nicht bekommen, wird das, was Sie bis jetzt erlebt haben, ein Spaziergang gewesen sein!“
Plötzlich wieder die Urwaldatmosphäre, mit aller Macht, brüllend laut und eindringlich. Er warf den Kopf herum, doch es war überall.
Dann Grabesstille und das Fehlen jeglicher Reize. Er hielt die Luft an.
Und wieder die Dschungelkulisse, überwältigend und betäubend.
Stille.
Lärmendes, stinkendes, heißes Ambiente.
Die Zustände lösten sich ab, immer schneller, immer weniger Zeit, sich darauf einzustellen. Die Nerven wurden nur noch an ihren äußersten Enden gereizt, keine Ruhe, nicht verschnaufen.
Brüllen
Stille
Kreischen
Schweigen
Er schrie und schrie und schrie.
Nachdem Ashcroft sich von seiner Augenoperation erholt hatte und sein Sehvermögen wieder hergestellt war, machte er sich auf die Suche nach einem neuen Butler. Er tat dies bei Agenturen, die einheimische Leute vermittelten.
Seinen vormaligen Diener, ein großer Farbiger mit stechendem Blick, hatte er entlassen, ganz plötzlich, noch bevor er wieder hatte sehen können.
Dunkelheit versuchte er in Zukunft zu meiden.