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Vorsatz

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28.08.2006
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Vorsatz

Weiß war ihr Haar. Dünn, kärglich und beinahe nicht mehr vorhanden. Jetzt klebte es nass an ihrer Kopfhaut. Der schmächtige Körper steckte in durchweichten Acryl-Maschen. Kraftlose Finger umklammerten den Henkel ihrer weißen Lederimitattasche. Als sie vor der Tür stand und fror, regnete es.
Sie sagte: „Es regnet“, als ihre besorgte Tochter sie hineinließ, und fuhr fort, ohne auf deren Antwort zu warten. „Die hat keine Zeit gehabt – da bin ich gegangen – hab’ – hier –“, sie streckte der Tochter einen Beutel Schmutzwäsche entgegen, „kannst du waschen.“ Herzergreifendes Schlottern begleitete ihre Erzählung. „Die hat Besuch gehabt von ihren Enkeln. Hat ja nie Zeit. – Da bin ich los. – Die besuchen die immer.“
„Wen meinst du denn jetzt schon wieder mit die?“
„Na diese komische Dicke.“ Missmut über die Nachfrage.
„Wie heißt sie denn? Wie ist denn ihr Name?“
Große Augen. Sich unwillig kräuselnder Mund. „Ach, ist doch egal.“ Die Mutter wendete sich ab.
Schnippisch, würde die Tochter gewöhnlich denken: patzig. Hier aber dachte sie nur darüber nach.
Ihre Mutter lief Richtung Küche.
„Nein, es ist nicht egal. Die Frau hat einen Namen. Sie heißt Helga. H-E-L-G-A. Das musst du dir doch langsam merken können.“
„Ich hab’ da noch Geschirr im Keller. Teller, Tassen. Kannst dir mal holen kommen.“
Die Tochter dachte nach über Kommunikation, über bewusste Gesprächsführung: Absichtlich. Berechnend. Konnte das sein? Das nasse Haar war inzwischen trocken gerubbelt worden; heißer Tee in Arbeit.
„Heute Morgen – du warst zuhause! Du hast gesagt, du bist arbeiten. Aber dein Auto stand hier.“
„Ich habe das Fahrrad genommen. Bist du etwa wieder ums Haus geschlichen? Ich möchte nicht, dass du uns auflauerst. Das habe ich doch schon so oft gesagt. Du brauchst uns nicht zu kontrollieren.“
„Ich war auf dem Friedhof. Hat wieder jemand geklaut. Können wir mal neue kaufen gehen für Papas Grab.“
„Neue was denn? Neue Blumen?“
„Die klauen viel da. Hab’ heute geträumt von Papa. Hat gesagt: ‚Bald bist du auch hier’.“
Plötzliches Mitleid. Verständnis. Für Einsamkeit.
„Sollte einfach Rattengift schlucken. Hab’ ich noch im Keller.“ Verzweiflung ins Gesicht geschrieben.
Ins Gesicht geheuchelt. Mime. Heischerei. Plötzliches Mitleid war plötzlich weg. Die Tochter dachte nicht mehr nach. Sie dachte an Absicht und an Vorsatz: Wer redete von Unmündigkeit.
Ihre Mutter: „Die klauen viel da. Das hat Dings auch gesagt, der vom Garten. – Die ist ja nie zuhause. Kommen die Enkel und holen sie. – Da war ich auf dem Friedhof. – Hab’ ich ihr auch gesagt, dass ich noch welches habe. Kann sie sich holen, wenn du nicht willst. Kannst mal vorbeikommen und das nehmen. – Müssen wir noch einkaufen fahren. – Hui, ganz schön, wie das regnet…“

 

Hallo Linnea,

musste deine Geschichte erst zweimal lesen, hatte zunächst Verdauungsschwierigkeiten mit dem Stil. Dennoch irgendwie beklemmend, so realistisch, dass man unverkennbar merkt, du weisst ganz genau worüber du schreibst. Geht unter die Haut, definitiv.

Weiter so,

LG,

N

 

Hallo Linnea,

interessantes Thema hast Du Dir für Deinen Einstand ausgesucht. Wie bewusst gestalten wir unsere Kommunikation, macht die Mutter das absichtlich, oder unbewusst? Gut beschrieben, wie sie ihren Gegenüber eigentlich gar nicht wahrnimmt, es findet kein wirklicher Austausch statt. Dialoge, wie sie in der Realität oft vorkommen. Findet man oft bei Menschen, die sehr selten in den Genuß von Kommunikation kommen und dann erst mal alles loswerden müssen, was sich angestaut hat.

Für eine Geschichte war mir das dennoch zu wenig. Ich hätte gerne mehr über die Mutter erfahren, über die Tochter. Mehr Erzählung um die Dialoge herum, um sowohl den ORt als auch die handelnden Personen besser vor Augen zu haben.

Eins noch:

Hier aber dachte sie nur nach darüber nach.
Den Fehler erkennst Du selbst ;)

Liebe Grüße und noch viel Spaß hier,
Juschi

 

Hallo,

zunächst einmal vielen Dank für die Anmerkungen. Bin beinahe ein wenig erleichtert, dass auch außenstehende Leser scheinbar etwas mit meiner "Geschichte" anfangen können...

Juschi schrieb:
Für eine Geschichte war mir das dennoch zu wenig. Ich hätte gerne mehr über die Mutter erfahren, über die Tochter. Mehr Erzählung um die Dialoge herum, um sowohl den ORt als auch die handelnden Personen besser vor Augen zu haben.

Ja, ich stimme dir eindeutig zu. Allerdings war dieser Text (abgesehen von einigen "literarischen" Werken im Grundschulalter) sozusagen das erste Stückchen Prosa, das ich je geschrieben habe. Ursprünglich, also als ich die ersten Sätze schrieb, waren noch wesentlich mehr Hintergrundinformationen geplant. Im Laufe des Schreibprozesses habe ich dann jedoch gemerkt, wie ich mich mehr und mehr verhedderte, sodass ich irgendwann einfach noch einmal von vorne begonnen und das Ganze etwas simpler gehalten habe. Ich schätze, ich muss einfach noch etwas üben. War allerdings auch mehr so eine Art Selbstversuch, um ehrlich zu sein.

Nochmals Danke und liebe Grüße,

Linnea

 

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