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Vorschnelle Urteile

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04.01.2004
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Vorschnelle Urteile

"Daniel, schau mal, ist das nicht eine Orchidee?", Alexandra deutete nach oben. Daniel blieb stehen, legte den Kopf in den Nacken und blinzelte. Einzelne Sonnenstrahlen tanzten sich ihren Weg zwischen den Blättern und dem sanften Wind hindurch. In dem Spiel des Lichts konnte Daniel einen bunten Fleck erkennen.
"Schon möglich", murmelte er. Ihm war ziemlich egal, wie die exotischen Pflanzen und Tiere hier hießen, seine Freundin würde ihm alles schon erklären.
"Wie kann man dieses einmalige Ökosystem nur zerstören?", seufzte Alexandra mindestens zum zehnten Mal.
"Ja, ist schon faszinierend", gab er zu. Er atmete tief ein, die Luft war angenehm warm, roch ein wenig nach Moder und gleichzeitig erstaunlich frisch! Dieses Meer aus Grüntönen, das Gezwitscher unbekannter Vögel, Natur pur. Was konnte es aufregenderes geben als durch den Regenwald zu wandern?

Da dröhnte das Gebrüll eines Tieres durch den Dschungel. Daniel zuckte zusammen.
"Was war das?", fragte er.
"Hm, könnte ein Tiger sein", antwortete Alexandra in ruhigem Ton.
"Was, es gibt hier Raubtiere?", Daniel lief es kalt den Rücken hinunter. "Davon hast du mir nichts erzählt!"
"Ach, das war nur ein Scherz!", lachte Alexandra.
Daniel warf ihr einen bösen Blick zu, doch sie ging zielstrebig weiter und er trottete hinterher. Der Schreck war ihm in die Knochen gefahren. Ängstlich blickte er sich um. Die Vegetation war so dicht, dass man nur die nächsten fünf Meter des schmalen Pfades sehen konnte. Hinter jedem Baum könnte ein wildes Tier lauern. Raschelte es da rechts nicht verdächtig? Plötzlich gellte ein spitzer Schrei durch das Dickicht. Was für Gefahren gab es hier wohl? Der Regenwald und die seltenen Tiere mochten ja schützenswert sein, aber Daniel wollte ihn jetzt so schnell wie möglich verlassen. Der Weg führte sie bergab und das Rauschen eines Flusses wurde immer lauter. Es klang, als würde das Wasser vor Schmerzen stöhnen.

Glücklicherweise waren sie bald am Waldrand angekommen und Alexandra trat als erste auf die Lichtung. Als das Sonnenlicht Daniels Augen traf, musste er erst wieder blinzeln. Dann sah er kurz vor ihnen zwei Weiße, eine kleinere Frau in einer blau-weißen Uniform und einen großen Mann in einem olivgrün geflecktem Tarnanzug. Er redete offensichtlich auf sie ein und gestikulierte dabei heftig, während sie rückwärts ging und die Arme schützend hob. Auf einmal rief Alexandra: "Du Dreckskerl!", und rannte los. Erst jetzt sah Daniel, dass der Mann die Frau auf den Boden warf und auf ihr kniete. Als sie schrie, erkannte Daniel das Geräusch von vorhin wieder. Kaum war Alexandra bei den Kämpfenden angekommen, fuchtelte sie mit den Armen herum und plötzlich lag der Fremde am Boden.
"Endlich kann ich mal meine Judo-Griffe sinnvoll einsetzen!", sagte sie zu der Fremden. Doch diese rappelte sich ohne ein Wort des Dankes zu verschwenden auf, lief den Abhang ein Stückchen hinunter, holte hinter einem Felsen ein Kästchen hervor, schrie: "In Deckung!", drückte auf einen Knopf und warf sich zu Boden. Bevor die Wanderer reagieren konnten, gab es einen ohrenbetäubenden Knall, ihnen wurde der Boden unter den Beinen weggerissen und eine dicke Staubwolke regnete auf sie herab. Nachdem sie sich hustend wieder aufgerappelt hatten, sahen sie, dass die Explosion eine Reihe von Häusern, die am Flussufer standen, in Trümmer verwandelt hatte. Die Frau schaute offensichtlich zufrieden auf die Ruinen. Daniel schüttelte seinen Kopf. Einen Moment lang glaubte er zu träumen. Was hatte die Frau getan, lebten in den Häusern denn keine Menschen?
"Wir werden hier einen Staudamm bauen", erklärte sie, bevor er seine Frage formuliert hatte. "Den Platz hier brauchen wir für unsere Baumaschinen. Dort drüben wird die Staumauer entstehen. Die Häuser werden bald sowieso unter Wasser stehen und die Bewohner haben an einem anderen Ort neue, komfortablere Unterkünfte bekommen."
"Aha", sagte Daniel erleichtert.
"Das ist nur die halbe Wahrheit!", mischte der Mann sich ein, der sich inzwischen zu ihnen gesellt hatte. "Die Zwangsumsiedlung bringt die Ureinwohner in eine Großstadt, in der sie ihren Sitten und Gebräuchen nicht mehr nachgehen können. Sie vegetieren in Elendsquartieren vor sich hin, verfallen dem Alkohol, werden kriminell oder beides!"
"Ihre Organisation kämpft doch sonst immer für umweltfreundliche Energie!", erwiderte die Frau. "Hier entsteht ein Wasserkraftwerk!"
"Ja, aber der Strom wird doch nur für die Sägewerke gebraucht...!"

"Ich glaube, wir verschwinden wieder", sagte Daniel zu Alexandra. Sie nickte nur und die beiden gingen weiter zum Fluss und schauten in das schäumende Wasser. Der Streit der anderen war hier nicht mehr zu hören.
"Wer hat denn nun Recht, was ist die Wahrheit?", fragte Alexandra den Fluss. "Ich wollte nur einer Frau in Not helfen. Habe ich jetzt mit dazu beigetragen, den Regenwald zu zerstören?"
Daniel stellte sich neben sie, legte den Arm um sie und wartete darauf, dass der Fluss antworten würde.

 

Hallo tamara,

was ist richtig, was ist falsch? Hat man in unserer komplexen Welt überhaupt noch eine Chance, die Dinge zu durchschauen? Auf welcher Grundlage lassen sich heutzutage überhaupt noch Entscheidungen treffen, wer kann die Folgen seines Tuns abschätzen? Diese Fragen wirfst du mit deiner Geschichte gekonnt auf. Aus meiner Sicht hat die Frau richtig gehandelt, da sie einem Menschen in Not geholfen hat. Alle weiteren Konsequenzen ihres Handelns konnte sie in diesem Moment nicht kennen. Hat mir sowohl sprachlich als auch inhaltlich gut gefallen deine Geschichte, nur an einigen Stellen wirkte sie auf mich ein wenig zu moralisch.
Ein Satz ist mir aufgefallen:

Da erkannte Daniel, dass der Mann die Frau im auf den Boden warf und sie auf sie kniete.
Du erkennst glaube ich selbst, was hier falsch ist ;)

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Juschi,
vielen Dank fürs Lesen und die nette Kritik, freut mich natürlich immer, wenn es gefällt! Ja, ich denke auch, dass wohl jeder die Situation genauso eingeschätzt hätte. Und für die langfristigen, nicht absehbaren Folgen unseres Handelns können wir nicht verantwortlich gemacht werden. Doch leider haben wir oft ein schlechtes Gewissen. Wo ist dir die Geschichte zu moralisch? Denn das wollte ich nicht! Waren das die Urteile der beiden Wanderer (Du Dreckskerl etc.) oder ist das Thema zu plakativ? Danke auch für den Hinweis auf den Fehler, das ist so ein typischer Fall von Verschlimmbesserung bei einer Überarbeitung!
Gruß
tamara

 

Hi Tamara,

wie Juschi schon sagte, falsch und richtig, liegt im Sinne des Betrachters.

Das Alexandra der Frau in Not half, Klar, das war richtig.
Muß die Vergangenheit der Zukunft, dem Fortschritt weichen? Ja, ist wohl so, sonst kämen wir nicht weiter.

Die Alteingesessenen müssen darunter leiden. Werden umquatiert, müssen ihr Leben neu ordnen.
Einige von ihnen werden "verkommen". Andere den Weg aus dem Elend finden.
Zwei Generationen weiter, werden nur noch Geschichten, oder gar Legenden von dem Leben im Regenwald übrig bleiben.
Alles im Leben kann man von mindestens zwei Seiten betrachten.
Was ist richtig? Was ist falsch? Tja ... :dozey:

Einen guten Gedanken hast du in deiner KG verarbeitet. :)

Noch eine Frage: War Alexander schon öfter im Regenwald? Wie konnte sie sonst den Weg so Mühelos finden? :hmm:

lieben Gruß, coleratio

 

Liebe Coleratio,
auch dir vielen Dank fürs Lesen und Kritisieren!
Du hast mal wieder ganz neue Perspektiven in meiner Geschichte gefunden: Ich persönlich finde es schrecklich, wenn der Regenwald abgeholzt wird, weil das Auswirkungen auf das globale Klima hat. Aber du hast Recht: Alles hat zwei Seiten. Wer weiß, was langfristig wofür gut ist? Und es freut mich, dass ich in diesem Punkt doch nicht zu moralisch war!
Ich habe mir vorgestellt, dass der Pfad gut erkennbar ist, aber es ist natürlich auch möglich, dass sie schon einmal da war.
liebe Grüße
Charlotte

 

Hallo Tamara

Insgesammt gefällt mir die Geschichte ganz gut, aber da positive Kritik keinen Vortschritt bringt gibts auch nicht mehr Lob.

"Daniel blieb stehen, legte den Kopf in den Nacken und blinzelte. Einzelne Sonnenstrahlen tanzten sich ihren Weg zwischen den Blättern und dem sanften Wind hindurch."
Irgendwie kann ich mir nicht so vorstellen, wie Licht durch Wind tanzen soll. Wind beeinflusst Licht in keiner Weise.

Die Situation halte ich auch ein wenig für zu gekünstelt und unrealistisch. Eine einzelne Frau die alleine im Urwald ganz ohne Sprengkommande eine Siedlung sprengt und ein Umweltaktivist, der sie zu Boden wirft und über ihr kniet, als ob er sie vergewaltigt. Dazu kommt die Frage, wie es die Frau alleine geschafft hat, die Anwohner aus den Häusern zu vertreiben, wenn diese nicht freiwillig gehen wollen. Wie man das anders machen könnte habe ich gerade keine Idee.

Gruß EinMensch

 

Hallo tamara,

nochmal zum Thema, ob die Geschichte zu moralisch ist. Nun, selbstverständlich war das nur mein subjektiver Eindruck, der ja keinesfalls maßgeblich ist. Aber z.B. diese Stelle:

"Man wollte nur verhindern, dass die Eingeborenen hier gegen das Bauvorhaben protestieren. Und die Zwangsumsiedlung bringt sie in eine Großstadt, in der sie ihren Sitten und Gebräuchen nicht mehr nachgehen können. Sie vegetieren in Elendsquartieren vor sich hin, verfallen dem Alkohol, werden kriminell oder beides!"
und die Sätze, die sich anschließen. Da hab ich einfach beim Lesen den erhobenen Zeigefinger und eine eindeutige Verurteilung des Abholzens gespürt. Aber wie coleratios Kommentar zeigt - alles Ansichtssache ;)

Beim erneuten Lesen ist mir noch ein Fehler ins Auge gesprungen:

"Was war das?", frage er.

Liebe Grüße
Juschi

 

@EinMensch: Ich stimme dir zu, konstruktive Kritik gefällt mir immer besser als ein pauschales "schön"! Deshalb auch dir vielen Dank!
Die von dir zitierte Textstelle sollte poetisch klingen, ist vielleicht nicht so ganz gelungen! :dozey: Darüber werde ich noch einmal nachdenken.
Die Geschichte ist konstruiert, stimmt auch. Bei dieser steht für mich die philosophische Aussage im Vordergrund, sozusagen so etwas ähnliches wie eine Fabel, die man auf andere Situationen übertragen kann. Aber ich muss einfach zugeben, dass mir nichts besseres eingefallen ist. Vielleicht kommt das noch!? Dann schreibe ich komplett neu!

@Juschi: Interessant, dass du im Gegensatz zu Coleratio meine Meinung heraus gelesen hast! Na ja, ich wollte eben darstellen, dass die Frau letztendlich etwas unterstützt hat, was sie nicht wollte.
Danke auch für den nächsten Fehler! Hoffentlich war's das! ;)
Gruß
tamara

 

Hallo tamara,

Leider hat mir hat deine Geschichte nur zum Teil zugesagt.

Da dröhnte das Gebrüll eines Tieres durch den Dschungel. Daniel zuckte zusammen.
Tempus
"Was war das?", fragte er.
Hm, könnte ein Tiger sein", antwortete Alexandra in ruhigem Ton.
"Was, es gibt hier Tiger?", Daniel zuckte zusammen
. Wortwiederholung

Der Regenwald und die seltenen Tiere mochten ja schützenswert sein, aber Daniel wollte ihn jetzt so schnell wie möglich verlassen.
Glücklicherweise waren sie bald am Waldrand angekommen und Alexandra trat als erste auf die Lichtung. Als das Sonnenlicht Daniel ungestützt
ungeschützt
Wortwiederholung

Dann sah er kurz vor ihnen zwei Weiße,
Warum muss hier die Hautfarbe betont werden?
'Warum tanzen sie am helllichten Tage hier herum?", fragte Daniel sich.
Ich mich auch
Auf einmal rief Alexandra: "Du Dreckskerl!", und rannte los. Da erkannte Daniel, dass der Mann die Frau auf den Boden warf und auf ihr kniete. Als sie schrie, erkannte
Wortwiederholung

Kaum war Alexandra bei den Kämpfenden angekommen, fuchtelte sie mit den Armen herum und der Fremde lag am Boden.
"Endlich kann ich mal meine Judo-Griffe sinnvoll einsetzen!",
Tempus

Bevor die Wanderer reagieren konnten
,

Würde ich streichen

"Sie Mörderin!", rief Daniel. "Was haben sie nur getan?"
Doch die Fremde sah ihn völlig gelassen an und fragte ruhig: "Wieso Mörderin? Sehen sie hier irgendwelche Toten?"
"Aber in den Häusern lebten doch sicherlich Menschen?"
Diesen ganzen Absatz würde ich streichen und ersetzen mit der Frage:
Warum haben Sie das getan?


"Ach so ist das", sagte Daniel. "Dann bitte ich um Entschuldigung!"
Wäre dann auch zu streichen.

Ab

Glauben sie ihr kein Wort!", mischte der Mann sich ein, der sich inzwischen zu ihnen gesellt hatte. "Man wollte nur verhindern, dass die Eingeborenen hier gegen das Bauvorhaben protestieren. Und die Zwangsumsiedlung bringt sie in eine Großstadt, in der sie ihren Sitten und Gebräuchen nicht mehr nachgehen können. Sie vegetieren in Elendsquartieren vor sich hin, verfallen dem Alkohol, werden kriminell oder beides!"
"Ihre Organisation kämpft doch sonst immer für umweltfreundliche Energie!", erwiderte die Frau. "Hier entsteht ein Wasserkraftwerk!"
"Ja, aber der Strom wird doch nur für die Sägewerke gebraucht, in denen der abgeholzte Regenwald verarbeitet wird!"
"Und woher bekommen die Kühlschränke in der Stadt den Strom?"
"Schon mal was von Solarstrom..."

kommst du mit der Geschichte in Erklärungsnot. Schreibst zu sperrig über die Beweggründe der Kontrahenten.

Ab hier finde ich die Geschichte wieder stark:

Ich glaube, wir verschwinden wieder", sagte Daniel zu Alexandra. Sie nickte nur und die beiden gingen weiter zum Fluss und schauten in das schäumende Wasser. Der Streit der anderen war hier nicht mehr zu hören.
"Wer hat denn nun Recht, was ist die Wahrheit?", fragte Alexandra den Fluss. "Ich wollte nur einer Frau in Not helfen. Habe ich jetzt mit dazu beigetragen, den Regenwald zu zerstören?"
Daniel stellte sich neben sie, legte den Arm um sie und wartete darauf, dass der Fluss antworten würde.

Liebe Grüße
Goldene Dame

 

Hallo goldene Dame,
vielen Dank für die konstruktiven Hinweise auf die Textstellen, an denen es hakt. Ich habe es mir durch den Kopf gehen lassen und die meisten deiner Vorschläge umgesetzt. Die Hautfarbe bleibt, um zu zeigen, dass es sich bei den beiden eben nicht um die betroffenen Ureinwohner handelt. Ich glaube, jetzt wirkt es nicht mehr ganz so plump. Der Leser versteht auch so, worum es geht. Unrealistisch ist die ganze Situation leider immer noch. Demnächst schreibe ich wieder Geschichten, die auf wahren Begebenheiten beruhen. *seufz*
Es freut mich besonders, dass dir der Schluss gefallen hat, ich hatte ein bisschen befürchtet, dass er zu kitschig ist. Ich glaube, du weißt, was ich damit sagen will.
liebe Grüße
tamara

 

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