Mitglied
- Beitritt
- 19.02.2007
- Beiträge
- 3
Vorstellungsgespräch
Er hat sich schick gemacht. Wie im Konfirmationsanzug sitzt er im Warteraum. Dann wird er gerufen und folgt – ohne Widerspruch oder Frage. Seine Begrüßung und sein Benehmen sind maßgeschneidert, wie sein Anzug. Er hat sich vorbereitet. Er weiß um die Firmengeschichte, die neuesten Geschäftszahlen, die aktuelle Tagespolitik. Er ist vorbereitet. Nach zahlreichen Einstellungstests hat man ihn eingeladen. Man weiß von ihm alles, man hat schließlich seinen Lebenslauf gelesen – 18 Jahre auf einem DIN A4 Blatt, ordentlich getippt, tabellarisch, wie es sich gehört. Der Vorsitzende des Einstellungskomitees stellt die Fragen. Ob er Schwächen hätte, er verneint. Ein anderes Mitglied des Einstellungskomitees gähnt gelangweilt. Ob er der Richtige für diesen Job sei, er bejaht. Mit einem Lächeln im Gesicht, dass er vor dem Spiegel geübt hatte. Ein Lächeln so nichtssagend, wie seine graue Krawatte. Er will die Ausbildungsstelle, so verkauft er sich zumindest. Er ist sich der möglichen Überstunden und der unsicheren Arbeitsmarktsituation bewusst. Man liest ja viel. Nach vierzig Minuten ist das Gespräch beendet. Der Nächste steht bereits parat, es läuft wie am Fließband, ökonomisch, logistisch, emotionslos. Er verlässt das Gebäude, in dem die Arbeiter wie Maschinen umherirren. Durch die Drehtür. Hinaus. Er will gerade ordentlich – wie es sich gehört – die Straße überqueren. Den Firmentransporter bemerkt er nicht; er ist zu sehr mit dem Gespräch beschäftigt und mit der Frage, ob er bekommt, was er verdient hat. Er wird überfahren, vom Firmentransporter, bei 5,7 Tonnen hat er keine Chance. Und dabei hatte er sich doch so gut vorbereitet, vorgestellt und gelächelt.