Vorteil
…“so, jetzt aber ab ins Bett!“
Lisa drehte ihren Kopf und schaute mich mit ihrem, im Laufe der Zeit fast zur Perfektion gebrachten, liebevollen „Unschulds-Hundewelpen-Gesicht“ an.
Sofort wandte ich mich ab um nicht Gefahr zu laufen „weich“ zu werden.
„Du brauchst mich gar nicht so anschauen kleines Fräulein, jetzt wird geschlafen“.
Gleich würde Lisa bestimmt, wie jeden Abend, diesen Satz sagen….
…dieser Satz, ausgesprochen von einem kleinen Kind, vor dem sich jeder Vater und jede Mutter so fürchten.
Natürlich wusste ich, dass es auch für ein Kind nicht leicht ist, mit knurrendem Magen in den Schlaf zu finden. Ich bin mir sicher, dass auch alle anderen Väter auf dieser sterbenden Welt ihr letztes Hemd… und wenn es sein muss, auch ihr Leben hergeben würden, um ihrem geliebten Kind die Qualen des Hungerns zu ersparen.
Diese Schuldgefühle, diese ständigen Vorwürfe die man sich jeden Tag von neuem macht: Ich habe ein Kind in diese Welt gesetzt, wusste um die Verantwortung die sich daraus ergibt….und ich schaffe es noch nicht einmal diesem kleinen Mädchen genug Nahrung zu besorgen.
Um mein Gewissen zu beruhigen, rede ich mir immer wieder ein, dass ich nicht Schuld bin an dieser Situation.
„Die verdammten Banker und diese Scheiß-Politiker…die sind an allem Schuld!“
Was hätte unsereins denn schon machen können?
Als normaler Malocher hat man doch eh nix zu sagen. Die Politiker machen doch sowieso was sie wollen. Deswegen bin ich auch nie zu irgendwelchen Wahlen gegangen. Meine Kreuze auf diesen Wahlzetteln hätten an dieser heutigen Situation auch nix geändert.
….“Schuld sind diese unfähigen Politiker….die haben alles in Schuld …und auch die dicken mächtigen Tiere in der Industrie…diese raffgierigen Geldsäcke.“
„Papa, ich hab so einen Hunger. Mein Bauch tut schon ganz doll weh“.
„Hey, meine kleine Prinzessin,
wenn du morgen aufwachst liegt neben dir ein Brötchen….belegt mit diesem leckeren Schokoaufstrich, den du so gerne magst.“
Lisas Gesicht erhellte sich schlagartig.
„Echt jetzt Papa?“
„Ja, versprochen. Je schneller du jetzt einschläfst, desto eher kannst du morgen in das leckere Brötchen beißen.“
Ich nahm die alte Decke, die vom Dreck schon teilweise verkrustetet war und dementsprechend „duftete“, schüttelte sie einmal kräftig aus und deckte den kleinen Körper damit zu.
„Gute Nacht mein Schatz…und träum was Schönes.“
„Gute Nacht Papa…ich hab dich lieb.“
Als ich einige Stunden später wieder in Lisas Gesicht blickte, dämmerte es schon.
Was hatte ich doch für ein Glück. Vielen anderen in dieser Situation würde es schlechter gehen… die hatten nicht soviel Glück.
„Die armen Leute“, dachte ich noch so zu mir…
Ein aufgesetzter Kopfschuss aus meiner Pistole beförderte Lisa in den Himmel. Ihre Mama würde bestimmt schon auf sie warten…und ich bin auch gleich da.