Waffeln und Bilder
"Waffeln sind scheiße."
"Ich find sie okay."
"Nein. Sie bleiben dir im Hals stecken wenn du sie nicht richtig kaust, die machen fett und sind labberig und an sich einfach unnütz, das Grauen schlechthin und sowieso total beschissen, welcher Arsch hat die bitte erfunden?"
"Restlos ALLES bleibt dir im Hals stecken, wenn du es nicht richtig kaust."
"Apelmus nicht."
"Apfelmus magst du auch nicht."
"Woher willst du das denn wissen?"
"Letzte Mal war`s das Apfelmus. Letzte Mal hast du gefragt, welcher Arsch das Apfelmus erfunden hat."
Das gab Mia tatsächlich zu denken.
"Aber Waffeln sind schlimmer."
"Ich find sie okay."
Zwei Mädchen, älterlich schwer einzuschätzen, Mädchen eben, zwischen 14 und 19. Eine Küche mit mittelblauen, bekritzelten Wänden, ein Waffeleisen und ziemlich viel Style. Es war Sonntag Abend und dazu einer dieser Sonntagabenden, an dem völlig verschiedene, 12-19jährige Mädchen aus irgendeinem Grund zusammentreffen, um das Unangebrachteste überhaupt zu tun: Sie trafen sich, um Waffeln zu backen.
Der eigentliche Grund sah ziemlich anders aus, sie wussten das beide, doch sie waren gleichzeitig immer noch gleich genug, um diesen Gedanken ebenfalls gleichzeitig im selben Winkel ihrer verdammt verschieden denkenden Gehirne zu deponieren. Ganz hinten. Ungefähr so, dass sie nicht bei bei jedem Ei, das bei diesen merkwürdigen Waffelbacktreffen aufgeschlagen wurde, an ihn , -den Grund-, erinnert werden mussten.
Draußen war es ekelhaft, drinnen dafür umso gemütlicher, vor allem in einer Küche, die förmlich aus Lichterketten bestand. Überall hingen sie, überall hingen dazu irgendwelche Kleinkindbilder, überall traf man auf Erinnerungen, die zu aufwendig gewesen wären abzunehmen. Sie hingen einfach. Sie konnten so unglaublich viel auslösen, doch für Mia und Mary taten sie nur eins: Hängen.
"Und? Wie geht`s dir so?" Die Frage sollte eher beiläufig klingen.
Dabei war alles weder beiläufig, noch war es einfach nur hängend. Die Gleichgültigkeit war gespielt und somit zum Kotzen.
Mia hatte sich im Schneidersitz auf den schrecklich kleinen Ikea-Esstisch gepflanzt, trug währenddessen rotgetupfte Stricksocken und strich sich zwei ihrer blonden Dreads aus dem Gesicht. Sie tat so, als wär ihr die Antwort egal. Wie war das noch mal mit der Gleichgüktigkeit?
"Ach, ganz gut. Ich glaub, mir geht`s ganz gut." Mary war kleiner als Mia. Und jünger, dazu vielleicht ein bisschen schüchterner und jemand, der sich nie im Leben in rotgetupften Stricksocken auf einen halbfremden Miniküchentisch pflanzen würde.
"Und dir? Wie geht`s dir?"
Sie fragte das, während sie dem Waffeleisen das letzte Stück Teig entriss und es auf ein bereits von anderen Stücken Teig belagertes Eisendings legte. In der Tat, es waren eher Teigstücke anstatt Waffeln. In diesen Situationen, in Situationen, in denen liebevolles Backen nicht Hauptpunkt der Gedankenwelt ist, wird sowas eh nie was.
"Ich weiß nicht."
Ausschlag. Alarm. Es hatte angefangen. Der Grund. Tätäräta.
"Was heißt, ich weiß nicht?" Mary nahm das Eisendings und holte auf dem Weg zum Esstisch Puderzucker aus dem Schrank, dann setzte sie sich auf einen der beiden weißen Ikeaklappstühle. Gegenüber von Mia. Diese hatte sich dazu aufgerafft, vom Tisch an den Tisch zu kommen, womöglich, weil sie wusste, dass jetzt der elementare Teil des Waffeltreffens folgen würde.
Natürlich ließ sie es sich nicht anmerken. Mary ja auch nicht. Gleichgültigkeit.
"Ich weiß nicht, ob es mir gut geht. Ich vermisse."
"Du vermisst?"
"Ja."
Sie vermisst. Ah ja.
"Soll ich raten, was du vermisst?"
"Haha."
Mia nahm sich eine Waffel. Eigentlich fand sie denjenigen gar nicht so schrecklich, der sie erfunden hatte.
"Weißt du Kleine, dir ist klar wie`s mir geht."
"Ja, Mia."
Stille. Essen. Sie schmatzten nicht, sie machten die ganz banalen Essgeräusche der jeder macht, wenn`s ganz leise ist fällt sowas aber irgendwie besonders auf.
"Du bist jetzt 14, Mary."
"ja. Seit heute. Ich weiß. Hach."
"Es ist 3 Jahre her."
"Warum bist du weggegangen?"
Es war immer dieselbe Frage. Es war die Hauptfrage dieser Waffelbacktage, dieser Geburtstage, jedes Jahr dasselbe und jedes Jahr gab es keine Antwort.
Richtig. Mary war jetzt 14. Das Waffelbacken hatte erst angefangen, als sie 11 wurde, es war also das Dritte und dafür, dass es erst das Dritte war, schon ziemlich ernüchternd... gleich, wie immer...
"Warum bist du weggegangen?"
"Du kennst den Grund, Mary!"
"Nein! Ich kenn ihn nicht! Ich will endlich ne Erklärung, nur eine ganz kleine."
"Du weißt, was passiert ist."
"Das, was passiert ist, ist kein Grund."
Mary hatte keine Angst, dass sie anfangen würde zu weinen, dazu war Mia ihr zu vertraut, bei diesen Geburtstagswaffelbackaktionen wurde meistens sowieso geheult. Unbewusst, Heulen war was ganz Normales an diesen Tagen. Man wusste im Nachhinein gar nicht mehr, ob geheult wurde oder nicht, es war viel zu nebensächlich.
"Du hast mich alleine gelassen und jetzt hassen wir uns."
Es wurd verdammt schnell dunkel draußen, sodass man das grausige Wetter nicht mehr erkennen konnte. Sie hatten bis jetzt genau 3 Herzen heruntergekriegt, der Rest der Waffeln lag noch immer bergeweise und unberührt aufeinander und konnte sich darauf freuen, im Nachhinein sowieso wieder weggeschmissen zu werden. Man kann nichts essen. In so Situationen.
"Ich hab dich nicht alleine gelassen... ich hasse dich auch nicht..."
"Doch. Wir müssen uns hassen. Du bist die, die abgehauen ist, du bist die, die ich hassen soll, weil ich sie nur an meinem Geburtstag sehe, gezwungener Maßen und nur am Geburtstag."
Mary hasste es, mehr als 3 Sätze unglaublich schnell hintereinander und dazu ohne Pause runterzubrabbeln, sie atmete also kurz durch, um dann in alter Frische weiterzureden.
"Es ist eigentlich gar nicht so gezwungen, das wissen wir beide, ich hab dich noch lieb Mia, verdammt lieb, ich vermiss dich und du vermisst mich auch. Und nur weil sie weg ist muss nicht unsere ganze abgefuckte Familie auseinander brechen."
Sie sahen sich die Bilder an. Die hingen nicht mehr einfach so. Die hatten die ganze Zeit nicht einfach so gehangen und jetzt war es endlich erlaubt, die Erinnerungen rauszuholen. Aus den Bildern. Sie beide hatten sie gemalt in der Zeit, die am schönsten war und Wert, sich daran zu erinnern. Die Zeit, bevor es passiert ist. Bzw er - der Grund. Der Unfall, der prinzipiell alles kaputt gemacht hat.
"Wie geht`s Papa?", fragte Mia nach 3 Seiten Stille und tat währenddessen das, was zu erwarten gewesen war: Sie feuerte die Waffeln hübsch graziös in den Billigmülleimer neben dem Tischbein.
"Dem gehts so wie dir. Vermissen."
"Er vermisst mich?"
"Nein. Obwohl, weiß nicht. Vielleicht auch dich."
"Er vermisst Mama?"
"Ja."
Es ist scheiße, einen toten Menschen zu vermissen.
"Vermisst du sie auch, Mary?" Mia guckte das kleine Etwas am anderen Ende des Tisches an, sie guckte Mary einfach nur an und wusste nicht, welcher Blick ihr am meisten zeigen würde, dass sie ihr immer noch genauso wichtig war wie früher.
"Ja. Aber dich vermiss ich mehr. Dich zu vermissen bringt ja noch was."
Es tat weh. Es tat weh, dass sie so was sagte. Aber sie hatte Recht. Sie hatte Recht und jagte ihrer großen Schwester damit ein unglaublich schlechtes Gewissen ein.
"Kommst du zurück, Mia?" Mia antwortete nicht.
"Bitte."
"Du weißt, dass Papa mich hasst..."
"Bitte, Mia. Bitte, für mich!" Sie heulte jetzt tatsächlich.
"Verdammt scheiße, bitte, Mia! Du bist meine große Schwester!"
"Ich bin 19 und das würd nichts bringen."
Sie hörte auf zu heulen. Sie hatte es sich abgewöhnt für Dinge zu heulen, aus denen eh nichts werden würde.
"MIR würd`s schon was bringen, Mia."
"Ich glaub, ich muss jetzt gehen."
Mia stand auf, bereit zu gehen. Bereit zu gehen, um erst im nächsten Jahr wieder zu kommen. Sie hatten fast eine Stunde gemeinsam verbracht und das einzige, was sie jetzt noch wollte, war aufzustehen und alles Hochgekommene wieder zu verdrängen.
"Tut mir Leid, Mary. Ich meld mich mal bei dir."
"Wann denn? Nächstes Jahr?"
Die Bilder hingen einfach nur.