Wahn und Sinn
~~~~~~~~~~Wahn & Sinn~~~~~~~~~~
Morgens halb acht im Büro. Der Kaffe ist heiß und bitter. Ich suche den Zucker, doch alles Süße hier ist zu einer tranähnlichen, sumpfig-stickigen Masse morphiert. Ich schlucke den Dreck ohne Zusatz herunter, um die Müdigkeit in den Knochen zu verjagen. „Buh“ rufe ich. Einmal, zweimal, endlos. Doch das Müde bleibt. Geht nicht von dannen. Ich habe das Gefühl, dass jedes „Buh“ die Müdigkeit noch stärker in mir verankert, dass es irgendwann mehr Müdigkeit als mich gibt – aber vermutlich ist das bereits der Fall, ich bin nur schon zu träge, um diese Veränderung überhaupt noch wahrzunehmen.
Auf einmal klopft es an meiner Tür. Ich setze ein künstliches, perfekt antrainiertes Lächeln auf und sage: "Herein". Aber das hätte ich nicht tun müssen. Die Klopferin betritt das Büro bevor der Schall seinen Produktionsort vollständig verlassen hat. Mein Grinsen gefriert mir im Gesicht. Die Klopferin ist eine Schwätzerin. Mein dröhnender Kopf wird mit Worten bombardiert die nichts sagen und doch alles an anderen Gedanken durch ihre Penetranz auslöschen. „Sie braucht es“ sage ich mir! „Sie braucht es!“ Aber braucht sie es wirklich? Warum? Will sie sich selbst repräsentieren, ihrer Sinnlosigkeit durch Worte einen Sinn geben. Hat sie das erkannt? Die Sinnlosigkeit jeglicher Existenz? Ist sie eine Weise? Oder denkt sie die Flüchtigkeit der Worte sei durch immer wieder neue Worte zu bekämpfen? Wie ein Fluss, der immer Fluss, immer gleich zu sein scheint, obwohl er sich ständig verändert, jeder Wassertropfen nur einmal dieselbe Stelle passiert. Ich weiß es nicht. Das einzige, was ich weiß, ist, dass sie es wohl braucht. Was „es“ ist weiß ich allerdings nicht.
Ich resigniere, nicke und sage „jaja“. Dabei frage ich mich, ob der bittere Kaffee die bittere Situation in der ich mich befinde noch verschlechtert oder ob er nun weniger bitter schmeckt, da im Negativen, das weniger negative beinahe positiv wirkt.
Auf einmal bin ich fort. Gedanklich. Mein Körper sitzt noch da am Tisch. Braune Kaffeezunge, gebeugter Bürostuhlkörper, ein ständiges Nicken zu sinnlosen Worten mit einem so dümmlich anmutenden Grinsen, dass ich kotzen müsste, wäre ich nicht gerade der Körperlichkeit entflohen.
Und dann ist er auf einmal da. Mein Bruder André. Er schaut mir in die Augen und sagt : „Ich glaube an die künftige Auflösung der beiden äußerlich so widersprüchlichen Zustände - Traum und Wirklichkeit - in einer Art von absoluter Wirklichkeit.“
„Absolute Wirklichkeit? Was ist das mein Freund?“ frage ich ihn. Er öffnet seinen Mantel und zieht ein langes, mächtiges Gewehr daraus hervor. „Fühle und lasse fühlen“ flüstert er mir scharfsüßlich ins Ohr.
Ich spüre das kalte, glatte Metall in meinen Händen. Es fühlt sich gut an. Es kitzelt mich. Es gefällt mir. Ich schaue auf. Andre ist nicht mehr da, aber die Stimme. War sie überhaupt weg? Ich schaue auf und grinse. Diesmal ist mein Grinsen ehrlich, offen, aufrichtig, ein breites Lächeln. Der Rückstoß ist geringer als erwartet.