- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 6
Wald...
Wieso nur ist er in diesen Wald gegangen? Diese Idee war schlicht und ergreifend dämlich. Benny Linz, mittelgroß, breiter und etwas schüchtern hätte nie zusagen sollen, im Wald ein paar Kastanien zu suchen. Aber seine Mutter hatte darauf bestanden. Es sei ja für seine Schwester bla, bla, bla. Bei dem Gedanken an seine Schwester wurde er wütend. Sie wusste genau, dass er sich im Wald fürchtete. Aber das konnte er nicht zugeben, vor allen Dingen nicht, wenn seine Schwester ein paar ihrer Freundinnen dabeihatte. Er war immerhin 14.
Also machte er sich brummig auf in den Wald. Er ging durch ein Gebüsch, in dem er auf dem Boden eine Plastiktüte fand. Puh, dachte er, dann waren hier vor ihm auch schon Menschen. Dieser Gedanke beruhigte ihn und etwas wagemutiger machte er sich mit seinem Rucksack tiefer auf in den Wald. Er ging vorbei an Spinnen, Bäumen, Löchern in der Erde, noch mehr Bäumen und sammelte immer weiter Kastanien ein. Ein bisschen eintönig war das schon, aber irgendwann gefiel ihm es, diese Stille, diese frische Luft. Er bedauerte es fast, dass er nicht schon früher in den Wäldern umhergestreift ist. Als er meinte, genug Kastanien gesammelt zu haben (das Gewicht seines Rucksacks zerquetschte ihn fast), machte er sich auf den Heimweg. Da bemerkte er etwas weiter im Wald, in den Bäumen eine Art Haus. Na ja, eher ein paar schnell zusammengenagelte Bretter. Hatte hier tatsächlich jemand ein Baumhaus gebaut? Er ging, leicht ängstlich, aber voller Neugierde zu dem Baumhaus. Als er angekommen war, sah er, dass eine verwitterte Strickleiter herunterhing. Ein kleiner Blick kann sicherlich nicht schaden, dachte er sich. Also legte er seinen Rucksack ab, denn der war zu schwer, um mit ihm hochzuklettern und machte sich auf zum Baumhaus. Schritt für Schritt, ganz vorsichtig, denn er wusste nicht, ob die Strickleiter sein Gewicht hält, wenn er hoch läuft. Als er oben angekommen war, sah er, dass gar kein Fenster eingebaut war. Er konnte nur den kleinen Eingangsbereich erkennen. Benny wollte wieder nach unten klettern, denn in seinem Rucksack hatte er eine Taschenlampe. Doch als er sich auf dem Holz abstützen wollte, um nach unten zu klettern, klickte es auf einmal unter seiner linken Hand. Hinter sich hörte er ein Geräusch, und als er sich umsah, sah er, dass auf einmal zwei Stricke aus dem Himmel ragten. Und an den Stricken hingen zwei Leichen. Zumindest konnte man das vermuten. Denn sie waren schon so schwarz und verfault, dass es auch Kohlestücke in Menschenform hätten sein können. Aber er schloss die zweite Möglichkeit aus und fing an zu schreien. Er konnte gar nicht mehr aufhören. Irgendwas Schreckliches ging hier vor sich. Schnell kletterte er nach unten und dann passierte das, was er zu hoffen nicht gewagt hatte. Die Strickleiter riss. Er fiel auf den Rücken und bekam keine Luft mehr. Er kämpfte mit Luftholen und bei Bewusstsein bleiben. Doch irgendwann wurde um ihn herum alles dunkel.
Stöhnend wacht er auf. Sein Rücken schmerzte und das Atmen fiel ihm noch immer schwer. Langsam begann er sein Umfeld wahrzunehmen und bemerkte auf einmal, dass er in einem Netz in einer Hütte gefangen war. Auf einem Stuhl saß ein grimmig aussehender Mann, der vollkommen in Schwarz gekleidet war. Auf einmal kam der Mann auf ihn zu. Doch als er gerade das Netz anheben wollte, hörte er draußen ein Geräusch. Wütend, aber immer noch vollkommen still wendete er sich ab. Benny schrie hinterher: „Warten Sie!“ Doch der Mann drehte sich nur einmal kurz um, sah in an und verschwand draußen. Benny sah sich die Hütte genauer an. Dann fing er an zu schreien. Die ganze Hütte war voller Köpfe. In jeder Ecke lagen welche. Kinder, Erwachsene, Alte, Junge, alle lagen sie hier herum. Er musste hier raus. Der Typ war entweder ein Kannibale oder ein Psychopath, aber beide Gedanken missfielen ihm logischerweise. Zum Glück hatte er ein Taschenmesser in der Hose. Er zerschnitt das Netz und befreite sich. In der Hütte hielt er nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau. Durch die Tür war ausgeschlossen, dann würde ihn der schwarze Mann sehen. Aber das Fenster stand offen und praktischerweise stand darunter ein Tisch. Also stieg er auf den Tisch. Als er gerade aus dem Fenster springen wollte, rutschte er auf einer Blutlache auf dem Tisch aus, die er vorher nicht gesehen hatte, weil es so dämmerig war. Mit viel Krach fiel er vom Tisch und landete unsanft auf dem Boden, direkt neben dem Kopf eines Mädchens. Er musste Brechreiz und Schreien unterdrücken. Er rappelte sich auf und wollte gerade wieder auf den Tisch klettern, als die Tür aufging und der Mann dort stand. Der Lärm musste ihn hierher gelockt haben, schlussfolgerte Benny. Er sprang schnell auf den Tisch und sprang aus dem Fenster, bevor der Mann reagieren konnte. In der Dunkelheit konnte der Mann ihn nicht finden. Gerettet, dachte Benny.
Doch seine Freude währte nicht lange. Als er in weglief, stolperte er über eine Wurzel und fiel kopfüber in ein tiefes Loch. Wo bin ich, dachte er, und auf einmal sah er den Mann oben am Loch stehen. „Na klasse“, sagte er, „Weißt du wie schwierig es ist, jedes Mal die Köpfe zu holen, ohne selbst in die Grube zu springen?“ Die Worte machten für Benny keinen Sinn, doch als er sich umdrehte, verstand er den Satz doch. Vor ihm hatte sich eine Bestie aufgerichtet, wie sie im Buche stand. Gelber Geifer tropfte von den Zähnen, struppiges schwarzes Fell und Augen mit roten Pupillen. Sie hatte etwas Ähnlichkeit mit einem Bär und einem Tiger, auf jeden Fall mochte sie ihn, jedoch nicht als Spielkamerad. „Brutus lässt die Köpfe immer liegen und wenn sie zu lange in der Grube liegen, wird er fuchsteufelswild. Hätte ich dich vorher schnell und schmerzlos getötet, müsstest du nicht mehr lebend in die Grube. Aber bitte, wenn es dir so lieber ist.“ Und als Benny sich erneut umdrehte, riss die Bestie gerade ihr Maul auf.