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Novelle Warm und nass

Seniors
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02.01.2011
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Warm und nass

Samstag
Die Räder meines Fahrrads quietschten, als würden sie vor Schmerzen schreien – ich raste die Hauptstraße runter, fuhr mitten auf der Straße, mit einer irren Geschwindigkeit – Leuchtreklamen von Dönerbuden flogen an mir vorbei, rote Ampeln, Straßenlaternen. Ich traute mich nicht, zurückzublicken, das würde bloß Zeit kosten; Zeit, in der die Bullen mich einholen könnten.
Ich glaube, ich war bloß acht, neun Minuten dort auf der Hauptstraße unterwegs, aber es kam mir vor wie Stunden – irgendwann, als ich schon ziemlich nahe am Stadtrand und vor dem kleinen Waldstück war, fingen meine Beine das Krampfen an, ich bekam kaum mehr Luft.
Dann wurde die Straße plötzlich erdig und immer durchfressener von Baumwurzeln – ich taumelte, keuchte, verlor schließlich das Gleichgewicht und zack! lag ich irgendwo mitten in der Dunkelheit des Waldes.
Ich drehte mich zur Seite und schaute in die Richtung, aus der ich gekommen war: nichts. Kein Blaulicht. Keine Polizei.
Ein paar Minuten vergingen, in denen ich wie betäubt dalag, schnaufte und hoch auf die Decke aus Ästen und Blättern blickte; alles wackelte und winkte mir zu.
Als ich wieder zu mir kam, war mir kotzübel. Ich stand auf, holte eine der Flaschen aus Seppis alten Army-Rucksack heraus und nahme in paar scharfe Züge. Klar, es fühlte sich falsch an, zu trinken, aber das war mir egal; alles war mir egal. Nichts würde mehr so sein, wie es einmal war – da lastete etwas auf meinen Schultern, das mich erdrückte, wie ein Sack voller Steine oder sowas.
Ich nahm noch einen Schluck, aber es half nicht gegen dieses absolut beschissene Gefühl in mir drin.
Ich fragte mich, wie es so weit kommen konnte – ich hatte früher immer gedacht, dass man merkt, wenn man irgendwo falsch abbiegt, wenn ein großer Haufen Scheiße auf einen zurollt. Aber so war das nicht.
Ich dachte an Ben und an Seppi und an Jessi, und es brach mir das Herz. Irgendwie wusste ich, dass es mit uns nie wieder so werden wird, wie es noch Freitag gewesen war – die Welt kam mir plötzlich ziemlich groß vor, und ich war verdammt klein. Da begann ich zu heulen – einfach so, ich konnte nicht anders. Ich zog mein Handy aus meiner Hosentasche und starrte bestimmt fünf Minuten lang ihren Namen an: wie sie mir gestern in die Augen gesehen hatte, so tief wie noch niemand zuvor, alles hatte gekribbelt; ja, sie war wohl die einzige, mit der ich mich jetzt besser fühlen würde, die einzige, die mich von dieser Last befreien könnte. Es läutete.


Freitag
„Eins fünfzig“, sagte er, und ich stand da, kramte in meinem Geldbeutel herum und schob ihm Centstück für Centstück unter die Nase. Er war nervös, ich spürte es; er blinzelte immer wieder an mir vorbei, nach hinten, dort wo Ben und Seppi sich gerade herumdrückten.
„Hastes bald?“
„Ja, ja, gleich ...“
Shit, was machen die so lange, dachte ich; langsam wurde mir heiß, mein Herz hämmerte und brachte alles zum Beben. Der Tankwart war neu, den konnte ich nicht einschätzen – das machte die ganze Sache noch schweißtreibender. Ich hörte Ben und Seppi hinter mir tuscheln, und das war schlecht, verdammt schlecht, der Opa starrte sie nun direkt an, mit einem Blick, als wäre er ein scheiß Löwe, der gerade eine Gazelle gesichtet hat.
„Kann ich auch mit Karte zahlen?“, fragte ich.
„Mit Karte?“
Jetzt hörte ich, wie die Tür aufgerissen wurde und Schuhe nach draußen schlurften; der Alte folgte ihnen mit seinen Augen und kniff die Lippen zusammen.
„Nee, mit Karte erst ab zehn Euro.“
„Gut, dann halt so ...“
Ich zählte die restlichen Centstücke ab, nahm meine Kaugummis und ging raus. Die anderen waren schon vorgelaufen. Das war auch gut so, der Opa durfte nicht sehen, dass wir zusammengehörten.

„Ach du Scheiße!“, rief ich, als ich an der Brücke ankam und den kleinen Hügel zum Bach hinunterrannte. „Was zum Teufel habt ihr da so ewig gemacht?“
Ben und Seppi hatten beide eine Kippe im Mundwinkel hängen, lagen auf dem Gras und grinsten wie bescheuert.
„Voilà“, sagte Seppi, öffnete den Rucksack und zog eine Flasche heraus. „Zwei Bier und 'nen Whiskey. Das is' neuer Rekord!“
Mir fiel die Kinnlade herunter; ich nahm den Schnaps in die Hand, hob ihn hoch und betrachtete ihn, als sei er ein Pokal oder sowas.
„Fuck it“, sagte ich, „nicht schlecht. Der alte Sack hat's gemerkt, ich sag's euch, wie der geguckt hat ...“
Ich riss das Cellophan ab, drehte am Deckel und steckte meine Nase hinein.
„Riecht geil“, sagte ich und nickte dabei mit dem Kopf.
„Erst mal das Bier?“, fragte Ben, und wir waren alle einverstanden. Jetzt begann auch ich zu grinsen wie ein Bescheuerter.

„Franzi kommt nachher auch in den Park“, sagte Ben und blies Rauch aus seiner Nase, als sei er ein wütender Drache oder so. Er nippte an der Flasche und gab sie an Seppi weiter.
„Oh-oh, F-F-Alarm“, sagte ich und erst begannen Seppi und ich leise zu kichern, dann schrien wir vor Lachen, Tränen liefen über unsere Wangen: „F-F-Alaaarm!“
„Ha, ha“, sagte Ben mit genervtem Unterton, versuchte sich ein Grinsen aufzusetzen, schaffte es aber nicht. „Ganz schön witzig, ihr Penner.“
Ben schaute aus wie ein verpickelter Buddha und seine Ische war nicht weniger korpulent als er, wir nannten sie F-F, fette Franzi. Sie lief uns in der Schule andauernd über den Weg, und irgendwann haben wir angefangen, „F-F-Alarm!“ zu schreien, wenn wir sie sahen; haben uns immer richtig bepisst vor Lachen, auch Ben. Dann kam er auf einmal händchenhaltend mit ihr angeschlurft, ich und Seppi blickten uns an und meinten so: „Hääää, Alter, was geht'n jetzt ab?!“
Naja, seitdem hatte Buddha sein Zölibat gebrochen und spielte ständig Zungenkungfu mit seiner
F-F.

Seppi reichte mir das Bier rüber. Ich setzte an, nippte, und es schmeckte scheußlich; es war so bitter wie dieser scheiß Rucola, den mir meine Mutter ständig in den Salat unterjubelte, weil sie meinte, es sei gesund. Ich fand es behindert, jetzt an meine Mutter zu denken, also nahm ich noch einen Schluck und gab die Flasche an Ben weiter.
„Ich hab's mit ihr gemacht“, sagte der plötzlich.
„Wie?“, fragte Seppi, „was hast du gemacht?“
Das Gelächter von gerade eben war wie weggeweht.
„Naja, ihr wisst schon ...“ Ben gluckste, lutschte am Bier, blickte uns an und formte dann mit Daumen und Finger einen Kreis, durch den er seinen Zeigefinger schob. „Sex.“
„Was?“, sagte ich, und schluckte; ich sah zu Seppi, aber der konnte mir auch nicht helfen; er machte ein Gesicht, als ob er gerade die schlimmste Verstopfung seines Lebens hätte.
„Du hast die F-F gebumst?“, sagte Seppi mit großen Augen.
„Jo.“ Ben lachte, nuckelte an der Flasche und irgendwie konnte ich mir vorstellen, wie er aussehen musste, wenn er an F-Fs Fetttitten herumsabberte. Ich legte mich zurück ins Gras und merkte, dass ich Ben irgendwie bewunderte – ich meine, wir ließen echt keine Gelegenheit aus, uns gegenseitig Scheiße ins Gesicht zu werfen, und seitdem er mit seiner Seekuhkönigin durch die Gegend robbte, flog das Meiste in seine Richtung – aber er nahm sein Mädchen immer an die Hand, lief mit ihr herum und küsste sie. Wenn ihn dabei einer von uns schief anschaute, sagte er bloß sowas wie: „Is' irgendwas?“ oder: „gibt's 'n Problem?“
Ich atmete tief ein.
„Und wann habt ihr's gemacht?“, fragte ich.
„Vorgestern“, sagte Ben. „Da hatte sie Geburtstag. Durfte bei ihr pennen.“
Ich fühlte mich scheiße; ich hatte noch nicht mal eine geküsst und dieser fette Buddha stocherte schon mit seinem Pimmel in den Girls herum.
„Und ... und wie isses so?“, fragte Seppi nach einiger Zeit.
„Mhm“, sagte Ben, und wir starrten alle vor uns hin, auf den Bach, der dahinplätscherte und eine Fantadose davontrug. „Warm.“
„Warm?“
„Ja. Warm und nass.“
Die Dose verschwand hinter einem Busch und ich sah Ben an. „Warm und nass?“
Er nickte und grinste so beschissen wie er es immer tat, seine Augen wurden zu glänzenden Schlitzen: „Warm und nass.“
Wir würgten noch einen Schluck Rucolasaft hinunter und gingen dann in den Park, der gleich hinter der Brücke lag.

Die Sonne hing hoch oben am Himmel und schüttete ihre gelbe Magie über alles; über die Wiese, den Spielplatz, das Klettergerüst, über uns. Wir kicherten doof herum, während wir über die Kieselsteine zu der Bank schlenderten, an der wir ständig abhingen. Ben und Seppi schrien und lachten, als sie versuchten, sich gegenseitig vom Weg zu schubsen. Ich zündete mir eine Zigarette an; irgendwie war ich verdammt gut drauf.
Schon von weitem sah ich sie auf dem Klettergerüst liegen, die Arme hinter dem Kopf verschränkt; das tat sie immer so, wenn sie da oben war. Mit jedem Schritt erkannte ich mehr von ihrem dürren Körper und den halblangen dunklen Haare, die sie zum Zopf gebunden trug. Jessi war Seppis Halbschwester und die anderen fanden sie scheiße, die meinten, sie sei total gaga-plemm-plemm drauf, weil sie ständig alleine auf dem Klettergerüst rumhing; wenn sie da oben nicht irgendwas auf ihrem Handy zockte oder Kippen in Kette paffte, starrte sie einfach nur in den Himmel; aber nicht melancholisch oder so, sondern einfach, weil es genau das war, worauf sie gerade Bock zu haben schien. Sie hatte immer ein Päckchen Zigaretten bei sich, die gab ihr ihr Stiefvater mit; Seppi war ziemlich neidisch darauf, glaube ich. Wenn er von seinem Alten redete, sagte er immer bloß: „Mein Alter, nee nee“, schüttelte den Kopf, blickte auf den Boden und nuschelte dann noch mal sowas wie: „Weiß auch nicht, ey.“
Aber auf gratis Kippen wollten wir auf keinen Fall verzichten, und so hing Jessi manchmal mit uns ab, Seppi kümmerte das irgendwie nicht.

Wir kamen an der Bank an und setzten uns. Allzu groß war der Park nicht, man hatte von hier aus alles gut im Blick. Das war wichtig, weil wir irgendwie ziemlich paranoid waren und überall Zivilpolizisten oder unsere Eltern vermuteten, die uns erwischen könnten; das machte uns verdammt große Sorgen. Wir waren fast alleine im Park, also riss Seppi seinen Rucksack auf und wir ließen die Flasche hin- und herwandern; es war schlimmer als Bier, es schmeckte nach Kloreiniger und brannte mir bis in den Magen. Aber wir nahmen es hin, weil wir wussten, wenn wir das Zeug erst mal drin hatten, würden wir auf Watte laufen. Ich nahm noch einen Hit, war nicht zu bremsen. Wir fühlten uns großartig; da hing etwas in der Luft, als ob alles möglich wäre.
Ich trippelte währenddessen herum, und musste immer wieder zum Klettergerüst schielen; ich erwischte mich ständig dabei, dass ich an sie dachte; an ihren verträumten Blick und an das Grinsen, das sich bei jeder Gelegenheit in ihrem Gesicht ausbreitete; an die Art, wie sie in den Himmel schaute und wie weich sich ihre Haut anfühlte, wenn wir uns manchmal zufällig berührten. Ich dachte irgendwie echt oft an sie, sogar am Abend zuvor, als ich mir ein bisschen in der Hose herumspielte, und es hatte sich gar nicht schlecht angefühlt. Ich schloss die Augen und sah, wie die beiden vor mir stehen würden: Seppi würde sein blasses Rattengesicht verziehen, sich seine Fettsträhnen hinter die Ohren streifen, zu Ben blinzeln und dann schreien: „Waaas, die? Der kleine Freak?! Ha ha ha!“
Die Vorstellung machte mir schwitzige Hände. Ich schaute wieder zum Gerüst und sah, wie Jessi sich zu uns umdrehte, lächelte und winkte. Ich hob reflexartig den Arm und beobachtete, wie sie in den Sand sprang und zu uns herüberschlenderte.
„Ach herrje“, sagte Ben, „der kleine Freak is' ja auch da.“
„Wenigstens gratis Kippen“, sagte ich und zuckte mit den Schultern.

„Hi“, sagte sie und grinste.
„Hi“, sagten wir im Chor.
„Was steht an, Jungs?“
„Unsere Kippen sind fast alle“, sagte ich, und als ich mich das sagen hörte, fand ich meine Antwort irgendwie ziemlich bescheuert.
„Mhm. Sowas ist scheiße“, sagte sie, schob die Unterlippe nach vorne und nickte mich an.
„Wir feiern heute 'ne Party, Schwesterchen“, sagte Seppi und machte den Reißverschluss seines Rucksacks auf. Jessi lugte hinein.
„Eins-A Stoff“, sagte Seppi, spuckte auf den Boden und streifte sich durch die Haare. „Willste auch?“
„Mhm, nee“, sagte sie und quetschte sich neben mich auf die Bank. Wir saßen da und ich hätte gerne etwas gesagt, sie was gefragt, aber mir fiel einfach nichts ein; ich hatte keine Ahnung, über was man mit einem Mädchen sprechen könnte, über was ich mit Jessi sprechen könnte. Ich verteilte meine letzten Kippen und wir pafften und spuckten vor uns hin. Auch Jessi züchtete ihre eigene Pfütze, und das gefiel mir irgendwie. Ich dachte kurz darüber nach, ob ich ihr erzählen sollte, dass Ben jetzt fickt, fand das dann aber doch eine scheiß Idee.

F-F watschelte von der anderen Seite des Parks wie ein aufgeblasener Pinguin zu uns herüber, mit diesem dümmlichen Lächeln im Gesicht; und hinter dem halben Liter Schminke verbarg sich auch nicht mehr: Dieses Lächeln war alles, was sie zu bieten hatte. Sie stand immer neben Ben herum, sagte kein Wort, und wenn man ihr in die Augen sah, kam es einem so vor, als würde man in zwei leere Becher blicken. Ich beobachtete F-Fs Gang und versuchte mir vorzustellen, wie Jessi wohl nackt aussehen würde; ich fragte mich, ob ihre kleinen Titten dann noch kleiner wären, so ganz ohne T-Shirt und BH außenrum; und was würde eigentlich passieren, wenn ich Jessi jetzt sofort, ohne Vorwarnung, meinen Finger in ihre Fotze stecken würde, fragte ich mich; ist das dann auch warm und nass oder braucht das da unten eine Aufwärmphase, so wie ein Zigarettenanzünder im Auto? Die Welt war voller Geheimnisse, Mysterien, Brüste und Ärsche und Muschis, von denen ich zwar keine Ahnung hatte, die mir aber dafür das Blut zum Denken aus dem Schädel zogen und engsitzende Hosen zu einem fürchterlichen Folterinstrument machten. Ich schielte etwas nach links und versuchte meine Titten-Theorie durch einen kleinen Spitzer in Jessis Ausschnitt zu überprüfen; sie drehte sich zu mir um und lächelte. Ich schreckte auf und riss meinen Blick wieder hoch, in ihr Gesicht.
„Was feiert ihr denn heute Schönes?“, fragte Jessi, und die Sonne, die in ihren dunklen Augen glitzerte, lenkte mich ab, verknotete mein Hirn.
„Och ... äh ...“, sagte ich. „Nix. Sommerferien halt.“
Ich begann stark zu schwitzen, kratzte mich am Hals und versuchte woanders hinzublicken. Ich sah auf die Wiese, wo sich Ben und F-F umschlangen und Körperflüssigkeiten austauschten. Das machte die Sache nicht besser. Die Beule in meinem Schritt schwoll zu einer ungesunden Größe an und drückte gegen die Hose wie ein Küken gegen die Eierschale.
„Los, den kriegen wir!“, schrie Seppi, grinste, zog eine Erbsenpistole aus seinem Rucksack, rannte los und beschoss den gigantischen Arsch vom knutschenden Buddha.
„Angriff! Nimm dir auch 'ne Knarre!“, schrie mir Seppi zu. Ich rutschte hin und her, sah auf den pulsierenden Kopf meiner Hosenschlange, den man schon im Sitzen viel zu offensichtlich erkannte.
„Passt schon, Mann! Ich chill' hier!“
Seppi blickte mich an, blinzelte rüber zu Jessi, verdrehte die Augen und wurde dann von Ben über die Wiese gejagt. Ich schaute den beiden bei ihrem Kampf zu, zog ein paar gute Schleimklumpen hoch und fütterte meinen Spuckesee mit frischer Rotze.
„Magst du mich nicht mehr oder so?“, fragte Jessi plötzlich.
Ich drehte mich zu ihr um und war irgendwie total schockiert.
„Hä, wie kommste jetzt da drauf?“
„Weiß nicht. Du redest heute gar nix mit mir.“
„Sorry, wir haben schon was getrunken, das macht mich immer 'n bisschen kirre in der Rübe.“ Ich blinzelte ihr zu und grinste blöd dabei, weil ich mir vorstellte, dass das cool aussehen würde. Jessi lachte.
„Du bist irgendwie anders als Ben oder mein Bruder“, sagte sie.
„Klar“, sagte ich, „sonst wären wir ja Drillinge.“
Jetzt grinste ich noch blöder; ich fand mich ziemlich witzig. Jessi lachte wieder, mit so einem dreckigen Unterton: „Ha ha ha ha ha! Schau“, sagte sie, „die anderen beiden sind nicht so lustig wie du.“
Ich fühlte mich gut, ich konnte Jessi neben mir riechen; ihre Haut roch nach Deo und Sonnencreme, ihr Atem wie ein Pfefferminzkaugummi in einem Aschenbecher. Ben kriegte Seppi nicht, dafür hatte er zu viel zu schleppen; aber er gab nicht auf, er rannte mit rotem Kopf über den Rasen und schrie Seppi allerhand zu, was er mit ihm machen würde, wenn er ihn fangen würde. Seppi lachte und ballerte weiter auf Angry-Buddha.
„Warum hängst du eigentlich immer ganz alleine rum?“, fragte ich Jessi schließlich. Sie sah mich einige Sekunden lang an; dann schaute sie auf den Boden und zuckte mit den Schultern. „Ich kann die anderen Mädchen halt nicht so leiden.“
Ich musterte sie und irgendwie tat sie mir auf einmal leid, sie strahlte da so eine Traurigkeit aus, die ich bei ihr noch nie gesehen hatte.
„Die ganzen Weiber ... ich meine, die können mich mal. Echt. Immer nur bla bla bla, Schminke, Jungs, keine Ahnung, ey, und wenn ich was sage, sind die immer so ...“
Ihr Kinn begann zu zittern und ich fragte mich, auf was für einen Knopf ich da gerade gedrückt hatte.
„Hey, ist ja schon gut, ich meine –“
„Ja, ja, ist schon wieder gut.“ Jessi wischte sich über die Augen, kramte ein Päckchen Zigaretten aus ihrer Hosentasche und hielt mir eine hin. Ich griff zu und gab uns Feuer. Jessi nahm einen tiefen, hungrigen Zug.
„Weißt du“, sagte sie, lächelte schwach und sah mich mit gläsernem Blick an, „wenn's draußen dunkel ist, sieht eine Kippe irgendwie fast wie ein Glühwürmchen aus. Ist dir das schon mal aufgefallen?“
Sie hielt mir die Glut vors Gesicht und wackelte damit herum. „Stell dir vor, es wäre dunkel ... wie 'n Glühwürmchen. Voll lustig oder?“
„Ja“, sagte ich, ohne verstanden zu haben, was gerade passiert war. „Voll lustig.“

Die anderen kamen zur Bank zurück, Ben gab Seppi ein paar Fäuste auf die Schulter, und damit schien ihr Schmerzen-zugefügt-Konto wieder ausgeglichen zu sein.
„Ooh-oh, sind die nicht putzig, die zwei“, sagte Seppi, und lächelte hämisch, „die Turteltäubchen: unser Nico und die kleine Miss Freak!“
Ben gluckste und F-F lächelte mich an.
„Ach, halt die Fresse“, sagte ich, und spürte meine Hände nass werden; Jessis Blick sank nach unten.
„Ohje, wieso wird da denn jemand so schnell gereizt?“, sagte Seppi, mit diesem Teufelsgrinsen im Gesicht; plötzlich hatte ich überhaupt keinen Bock mehr, neben Jessi zu sitzen, ich wollte gar nicht mehr wissen, wie ihr Loch da unten funktioniert oder wie ihre Titten ausschauen.
„Halt's Maul, Alter“, sagte ich, „gib mal lieber 'nen Drink rüber.“
Wir checkten den Park nach potentiellen Zivilbullen ab und ließen dann die Flasche kreisen; auch Jessi nippte. Ich spürte, wie ich mich immer leichter, leerer, tauber fühlte; es gefiel mir. Eine aufgebrezelte Oma mit Dackel und zu viel Lippenstift kam den Weg entlanggeschlichen. Ihr Blick blieb an uns kleben, sie musterte uns ausgiebig. Ich nahm noch einen Hit, extra für sie, um ihr recht zu geben. Der Schluck tat kaum mehr weh, da war bloß noch ein Kratzen, das mir in die Nase stieg. Als die Oma an uns vorbeiging, schüttelte sie den Kopf und versuchte uns nicht anzusehen; aber ihr scheiß Köter kläffte uns an, fletschte richtig die Zähne; sie schaffte es kaum, ihn von uns wegzuzerren.
„Na Oma“, sagte ich überlaut, „auch 'n Schluck?“
Sie schleifte das Drecksviech an uns vorbei.
„Komm schon, oder soll ich Ihrer Hoheit erst mal den Stock aus'm Arsch zieh'n?!“
Jetzt bekam die Alte Panik, und wollte Tempo aufnehmen; das sah so aus, als ob sie mit Fußfesseln davontrippeln würde.
„Ha ha ha“, grölte Seppi; und auf einmal platzte es aus uns allen heraus, wir lachten bestimmt eine Stunde lang, kein Scheiß, wir schaukelten uns hoch, in Ekstase; irgendwann kugelte sich Seppi auf der Wiese, F-F stand herum, lachte so ganz piepsig: „Hi hi hi hi hi!“, und auch Jessi lachte mit, und es war schön, sie lachen zu sehen.

Kurz bevor die Sonne die grauen Plattenbauten küsste und die Älteren aus der Mukkiebude kamen, von denen man immer nur slawische Wortfetzen und das Klimpern von Flaschen hörte, lagen wir auf der Tischtennisplatte, starrten in den Himmel und alles fühlte sich gut und warm und richtig an.
„Ich geh' dann mal“, sagte Jessi, und mir fiel auf, dass wir verdammt lange stumm dagelegen waren. Ich sprang von der Platte und hatte so beschissen weiche Beine, dass ich mich festhalten musste, als ich murmelte: „Jo, ich muss dann auch mal ...“
„So so“, sagte Ben, und zwinkerte Seppi zu, „muss er wohl mit dem kleinen Freak verschwinden!“
„Fick dich“, sagte ich, „fick dich einfach.“
Ben schaute mich komisch an und plötzlich spürte ich mein Herz klopfen.
„Fick dich, nimm deine fette Hure und spiel Trampolin, du Spast!“
Jetzt stand Ben auf und stierte mich an. „Sag das noch mal!“
„Leck mich“, sagte ich. Hätte ich geahnt, dass das unser letzter echter gemeinsamer Abend gewesen war, hätte ich ihn wohl nicht so enden lassen; aber ich war blind und sah das Gewitter nicht kommen, obwohl es bereits nieselte. Ich nahm Jessi und zog sie mit. Wir gingen aus dem Park, liefen über die Brücke und sagten kein Wort. Erst als wir auf der Hauptstraße waren, merkte ich, dass ich noch immer ihre Hand hielt. Ich hatte das gar nicht realisiert; ich torkelte und hatte genug mit mir selbst zu tun. Ich ließ sie los.
„Sorry, wollte dich nicht zerren oder so ...“
„Schon gut“, sagte sie.
„Wirklich, wollte dir nicht weh tun.“
„Ich glaub's dir ja.“
Wir standen da und sahen uns an. Schwiegen.
„Ich will dir nicht weh tun. Echt jetzt. Nie.“ Ich schluckte. „Ich will dir nie weh tun.“
Jessi sagte nichts, sie blickte mir bloß weiter in die Augen, ohne sich zu bewegen; es war so, als ob sie durch meine Pupillen direkt in meinen Kopf hineinschauen könnte, in mein Gehirn, in meine Gedanken. Irgendwie glaubte ich in diesem Augenblick alles an ihr zu verstehen, und ich war mir sicher, dass auch sie alles an mir verstehen würde. Eine Laterne auf der anderen Straßenseite fing zu blinken an und warf einen schwachen Lichtkegel auf den Gehsteig. Alles fühlte sich unecht und verschwommen an, wie im Traum.
Irgendwas brach in mir, ich konnte es fast knacken hören; dann sah ich, wie ich sie an mich heranzog und meine Lippen auf ihre presste; ich hatte mich immer gefragt, wie das wohl mit den Nasen funktionieren würde, woher man wissen sollte, ob man sie nach links oder rechts drehen muss, um nicht aus Versehen einen auf Eskimo zu machen; zu meinem Erstaunen klappte es, ohne dass ich darüber nachdenken musste. Zuerst zog sie ihren Kopf zurück, drückte mich leicht weg, aber dann gab sie nach; ich steckte ihr meine Zunge rein, schleckte im Pfefferminzaschenbecher herum. Es war weich und feucht, fühlte sich verdammt gut an. Sofort wachte mein Schwanz auf, fing an zu kribbeln und zu zucken, so, als wolle er mir von da unten zuwinken und schreien: „Heeey, Großer, lass mich raus, ich will auch!“
Ich umschlang sie noch fester, ließ meine Hände runter zu ihrem Arsch gleiten und begann zu kneten. Das Ding in meiner Hose drehte vollkommen durch. Da nahm sie meinen Kopf, riss ihn von sich weg und stieß mich um. Ich hörte sie heulen, als sie wegrannte. Noch einige Zeit saß ich auf dem Gehsteig und starrte auf die Straßenecke, hinter der sie verschwunden war.

Als ich zu meinem Fahrrad kam, hatte ich Schwierigkeiten, das Schloss zu öffnen; alles drehte sich, und nichts ergab mehr Sinn. Ich musste weit fahren, um nach Hause zu kommen. Der Park lag auf der Seite der Stadt, wo alles grau war; wo man die Männer aus den Fenstern ihrer Betonsärge Zigaretten paffen sah, wo es nichts als Pinten und Casinos und Dönerbuden zu geben schien, und wo immer irgendeine Gruppe Halbstarker herumlungerte, die dich unter ihren Kapuzen beobachteten. Das Viertel, aus dem ich kam, war anders: Jede Familie hatte dort ihr eigenes Haus, und sie schauten alle gleich aus; sie waren weiß und sauber und ohne Risse, sie strotzten vor Kraft und Gesundheit. Oft kam es mir so vor, als ob es auf der Straße vor unserem Haus nie nach etwas riechen würde; nicht nach Gebüsch und nicht nach Erde; nicht nach Autos oder Scheiße oder Blumen oder Menschen; ich war froh, wenn ich dort wegkam.

Ich hatte noch Schlagseite, als ich daheim ankam; jetzt folgte der nervigste Part. Meine Eltern hockten immer zwischen der Tür und meinem Zimmer, glotzten Fernsehen, und ich stank nach Sprit und Rauch und musste da vorbei. Ich hatte prophylaktisch ein Deo und ein paar Kaugummis im Müllhäuschen versteckt; also stopfte ich mir drei in den Mund, sprühte mich ein und tänzelte ein bisschen über den Vorhof, um den Duft einwirken zu lassen. Als ich die Tür öffnete, holte ich tief Luft. Der Fernseher dröhnte bis in den Gang; irgendeine dieser Diskussionsrunden, ätzend. Ich ging ein paar Schritte und wartete darauf, dass die übliche Prozedur über mich ergehen würde; ich würde ins Wohnzimmer kommen, meine Mutter würde sagen: „Wo warst du denn so lange, Jung'?“, dann würde mein Vater sagen: „Lass das Kind doch mal!“, meine Mutter würde laut seufzen und beide hätten sich nicht mal die Mühe gemacht, von der Scheibe wegzusehen. Wenn ich zu unvorsichtig gewesen wäre, würde meine Mutter in der Gegend rumschnüffeln und sagen: „Mensch Franz, riechst' das auch?“, und Franz würde aufstehen und sagen: „Nico! Du stinkst ja wie ein ganzes Wirtshaus! Wo treibste dich denn 'rum, hä?!“, und ich würde sagen: „War in 'nem Wirtshaus“, und dann würde er mir einen bösen Blick zuwerfen, sich wieder hinhocken, weiter glotzen, und ich könnte in mein Zimmer gehen und mich wütend in den Schlaf wichsen. Ich hasste die beiden, ich hasste alles an ihnen: ich hasste ihre Gesichter und ihre Stimmen, ich hasste die Art wie sie liefen und lachten, ich hasste es, dass sie mich anschauten und einen kleinen Jungen sahen, ich hasste es, dass sie mich nie nach den wirklich wichtigen Dingen fragten; ich hasste es, dass wir immer bloß über unserem Mittagessen hingen und uns anschwiegen. Die Tage, an denen wir dasaßen und ich erzählte, dass ich ein paar Einsen geschrieben oder gegen Ben ein Tischtennistunier gewonnen hatte, die Tage, an denen ich ihr Sohn war und wir zusammen Wetten, dass? schauten und lachten und uns wirklich etwas zu sagen hatten, diese Tage verkümmerten zu einer dieser Erinnerungen, die einem irgendwann so unwirklich erscheinen, dass man sich schwer damit tut, sie für wahr zu halten.
Als ich eintrat, geschah nichts von alldem. Mein Vater lag schnarchend auf dem Sofa und Maybrit Illner brüllte ihn an. Meine Mutter war nicht mehr da.

Ich lag im Bett und schloss die Augen. Alles drehte sich; mir war verdammt schlecht. So wollte ich nicht einschlafen, also entschied ich mich dazu, noch eine kleine Spritztour zu wagen. Seitdem ich herausgefunden hatte, was man so alles mit seiner Nudel anstellen konnte, litt ich an einer neurotisch-pubertären Zwangsstörung, die Massen von Möchtegernmännern schon immer in den Irrsinn getrieben hat: chronische Geilheit. Manchmal verbrachte ich den ganzen Tag im Bett und tat echt nichts anderes, als Mütze-Glatze zu spielen; ich konnte mich kaum zum Essen oder Pissen aufraffen, ohne mir in der Hose herumzufummeln. Ich brach ständig meine eigenen Rekorde, schaffte es drei- oder viermal hintereinander, tat es irgendwann nicht mal mehr des Gefühls wegen, sondern nur noch, um nach dem Orgasmus das kurze Zeitfenster zu genießen, in dem ich endlich klar denken konnte, ohne überall Titten und Ärsche und Muschis zu sehen. Aber spätestens, wenn das Biest in mir wieder zu brennen begann, ging der Wahnsinn von vorne los und alles bestand nur noch aus Brüsten, Brüsten, Brüsten. Solche Tage taten mir nicht gut, die zogen mir jegliche Kraft aus den Knochen und ließen mich am nächsten Morgen wie ein Zombie mit Hämorrhoiden durch die Welt humpeln.
Als ich mir in die Hand spuckte und anfing, den Kleinen wachzuschütteln, dachte ich an Ben; dieses warm-und-nass-Ding ging mir nicht mehr aus dem Schädel: warm und nass?! Ich dachte nach, stand auf, ging ins Bad und drehte am Wasserhahn herum. Als ich die perfekte Temperatur gefunden hatte, packte ich ihn aus und taufte meine Vorstellung auf den Namen Jessi. Es fühlte sich erstaunlich gut an, ging leicht von der Hand. Warm und nass, warm und nass, ich war nah dran, schloss die Augen, sah ihre kleinen Titten ...
Plötzlich blitzte ein anderes Bild auf meine Leinwand: die Jessi mit dem traurigen Blick, die Jessi, die schluchzend davonrennt. Irgendetwas stimmte nicht, entweder mit ihr oder mit mir. War sie gaga-plemm-plemm oder ich ein beschissener Küsser, ein perverser Vierzehnjähriger, der die kleinen Girls begrapscht? Ich schüttelte ihn, weil ich nicht wollte, dass er so kurz davor den Kopf wie eine verängstigte Schildkröte einzieht.
Die Tür ging auf, ich zuckte zusammen, rutschte fast aus; mein Vater erschrak genauso; er riss die Augen auf und durchstach mich mit einem ungläubigen Blick; er schien wohl kurz darauf zu warten, dass er aus einem beschissenen Albtraum aufwacht. Ich stand da, war paralysiert; Adrenalin raste durch meinen Körper. Schweigen. Das Plätschern des Wassers war das einzige Geräusch, das diese eklige Stille zu durchbrechen versuchte. Wir schauten uns weiter an. Niemand von uns beiden schien eine Idee zu haben, wie man sich aus dieser Situation am billigsten davonschummeln könnte. Ehe ich etwas sagen konnte, zog mein Vater die Augenbrauen hoch, warf mir so einen ach-was-machst-du-denn-da-Junge-Blick zu, seufzte, drehte sich um, nickte den Boden an und schloss die Tür hinter sich. Ich keuchte, drohte in den Fliesen zu versinken, sie waren Treibsand. Ein Schwall drückte mir im Hals, schoss nach oben, quoll mir aus dem Mund. Ich beugte mich vor, rülpste den Dreck heraus und erkannte die Whiskeynote; als ich fertig war, hob ich den Kopf, schaute in den Spiegel und sah mich an: Das war er also, sein Sohn; der mit den roten Augen und dem vollgekotzten Shirt, der mit dem Schwanz in der Hand und dem kleinen Freak in der Birne.


Samstag
Seppi und Jessi wohnten in der Nähe vom Park, in einem braunen Betonklumpen mit Fenstern und Balkonen; ich war nie oft bei ihnen gewesen, irgendwie hatte sich das nie ergeben. Wenn ich Seppi fragte: „Heey, Bock was auszuchecken?“, schlug er immer sofort etwas vor, was man nur draußen oder bei mir oder Ben machen konnte; das fand ich irgendwie ziemlich schade, weil ich mir heimlich vorstellte, dass Jessi drinnen in Hotpants rumlief oder so.
Ich stieg vor dem Wohnhaus ab und schob mein Fahrrad in den Hof hinein; Wäscheleinen, überquellende Müllcontainer und ein paar zahnlose Alte mit Baskenmützen, die herumalberten und Karten auf einen Pappkarton schmissen. Ich klingelte bei Seppi; irgendwie begann ich mich unwohl zu fühlen, ich spürte da etwas meinen Nacken kitzeln. Als ich mich umdrehte, erschrak ich: Da stand er, auf dem Balkon, über mir, Herr Lötzsch, Seppis Alter, er stierte mich an. Ich hatte fast vergessen, dass es ihn gab; die paar Male, als ich hier gewesen war, saß er immer in derselben steifen Position da oben, im Unterhemd, starrte stumm, kalt, wütend auf den Hof herunter, mit diesem vernarbten Gesicht und der Säufernase. Herr Lötzsch gab nie einen Laut von sich, selbst als ich mal „Hallo!“ nach oben gerufen hatte, durchlöcherte er mich als Antwort bloß mit seinen Blicken. Ich schaute schnell wieder weg, drückte noch mal auf die Klingel und kurz darauf stand Seppi vor mir.
„Hi Nico“, sagte er, aber mit so einem komischen Unterton, irgendwie ängstlich.
„Hey“, sagte ich, „was geht ab?“ Ich blinzelte ihm zu, weil ich herausfinden wollte, ob er das Zeug auftreiben konnte und unser kleiner Partymarathon weitergehen würde. Seppi schaute mich an, schluckte, wurde blass und sagte dann: „Komm, lass losgeh'n.“
Wir liefen ein paar Schritte, da durchschnitt ein kratziger Schrei die Luft. Sogar die Alten auf der anderen Seite des Hofs stoppten ihr Kartenspiel und drehten sich zu uns um.
„Sebastian!“
Seppi zuckte zusammen, blieb sofort stehen und rührte sich nicht.
„Schau' mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede, Sebastian!“
Seppi drehte sich ruckartig um und haspelte: „'schuldigung, Papa, ich –“
„Ja? Was?“
„Ich, ich ... äh ...“
„Wo gehst du hin, Sebastian?“ Der alte Lötzsch zündete sich eine Zigarette an, starrte uns unbeirrt von seinem Thron aus an und pustete den Rauch so heraus, als wolle er uns auf den Kopf spucken. Seppi schien keine Worte zu finden, er nuschelte bloß unverständliches Zeug: „Ich ... äh wi-wir .. geh'n ...“
„Ist das der junge Breitner?“, fauchte er vom Balkon herunter und nickte mich an.
„J-Ja, isser.“ Seppi warf mir kurz einen Blick zu, so, als wolle er checken, ob ich auch eine gute Figur vor seinem Vater abgeben würde. Jetzt musterte mich der Alte. Er hatte einen verdammt klaren Blick drauf, so, als ob ihm nichts entgehen würde, als ob er mich bloß anzusehen brauchte, um alles über mich zu wissen. Seine Mundwinkel zeigten weiterhin nach unten und die Kippe in seiner Hand glühte vor sich hin.
„Gut“, sagte der alte Lötzsch und stierte mich immer noch an. „Komm' nicht zu spät, Sebastian.“
Seppi rührte sich nicht, bis sein Vater uns noch mal auf den Kopf gespuckt hatte und sagte: „Ihr könnt jetzt gehen.“
Die Kartenspieler fingen wieder an herumzublödeln und wir latschten schnell davon.
„Der Alte hat gestern 'nen Großeinkauf gemacht“, sagte Seppi, als wir unsere Fahrräder ein Stück weit die Straße abwärts geschoben hatten. „Der ganze Keller steht mit Selbstgebranntem voll; würde 'nen Besen fressen, wenn der das checkt.“ Seppi begann mich anzugrinsen, bekam wieder etwas Farbe im Gesicht und tätschelte gegen seinen Rucksack.
„Jo, besser als der Stress mit der Tanke“, sagte ich. Plötzlich klimperten die Flaschen ziemlich laut und wir beide begannen herumzukichern.

Ben saß auf der Lehne unserer Bank, hatte die Hände vor sich gefaltet und ließ einen Spuckefaden zwischen seine Füße sinken. Neben ihm saß eine ziemlich aufgetakelte Tussi, die sich die Augen wie ein Panda angemalt hatte und Haare wie Heu trug; der Ausschnitt ging ihr knapp bis über die Nippel und ihre Titten waren so verdammt groß, dass es aussah, als wollten sie von ihrem Körper wegspringen; solche Euter bei einer in unserem Alter zu sehen war genauso selten wie ein Vierzehnjähriger mit Rasputinbart und Flugzeugführerschein. Ben schien sie nicht weiter zu beachten, er schien niemanden zu beachten; er starrte nach unten und manövrierte weiter Rotze zwischen seine Schuhe.
„Alter“, sagte Seppi, und in seinen Augen blitzte eine Mischung aus Geilheit und Wahnsinn, „schau dir mal die Braut an! Was will die 'n da?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Was weiß ich, vielleicht hat sich die F-F endlich mal das Fett umsaugen lassen.“
Wir glucksten blöd herum und kamen der Bank immer näher. Das Mädchen begann uns anzulächeln und ich war verwundert; eigentlich hätte mein Schwanz schon lange an seinen Gitterstäben rütteln müssen, aber irgendwie war er gerade am Pennen.
„Hey Ben!“, rief Seppi, streifte sich die Haare hinter die Ohren und steckte die Hände in die Hosentaschen. Ben hob den Kopf und warf uns einen flüchtigen Blick zu.
„Was geht ab, Jungs ...“, sagte er, und steckte sich eine Fluppe an. „Das is' die Mel, 'ne Freundin von der Franzi.“
„Hey“, sagte Seppi, so dämlich pseudocool. Mel nickte ihm zu, dann sah sie mich an; ihre Backen schoben sich zu ein paar Schminkegrübchen zusammen: „Heeey.“
„Die Franzi wollte eigentlich auch noch kommen“, sagte Ben und blinzelte auf sein Handy. „Schon vor 'ner halben Stunde, kein Plan ...“
Kurz schwiegen wir; Ben pustete den Rauch aus seinen Backen und starrte dabei in die Ferne. Seppi schaute Mel so an, als wolle er sie auffressen, und Mel stierte mich an; sie hatte graue, nichtssagende Augen, genauso grau und nichtssagend wie der Kieselweg oder eine Betonmauer. Irgendwie musste ich an die Augen denken, die mich gestern so tief und durchdringend angesehen hatten, die in mich hineingelangt und irgendetwas gestreichelt hatten; mir wurde warm, als ich daran dachte. Ich schielte zum Gerüst, aber da war niemand.
„Wie heißte denn?“, fragte mich Panda-Augen-Mel und schmatzte auf ihrem Kaugummi herum wie eine Kuh auf Gras.
„Nico“, sagte ich. „Und das ist der Seppi.“
„Mhmmm“, machte Mel und glotzte mich weiter an.
„Na dann kann's ja losgehen“, sagte Seppi, klatschte in die Hände, schwenkte seinen Blick mal durch den Park und holte dann eine Pulle aus seinem Rucksack.

Ben gab mir die Flasche rüber; ich nahm sie und versuchte einen Hit zu nehmen, aber es war schwierig; diese Irre hatte sich einfach auf meinen Schoß gesetzt und rutschte die ganze Zeit vor und zurück; natürlich war mein Schwanz dadurch wachmassiert worden, war von Wurm zu Kobra mutiert und pulsierte jetzt in die Arschbacken von dieser Mel hinein.
„Hey, hör mal“, sagte ich zu Ben; ich wollte es schnell hinter mich bringen, denn wer wusste schon, wie lange ich noch genug Blut in der oberen Körperhälfte hatte, um einen geraden Satz über die Lippen zu bringen. „Das gestern, weißte, das war nich' so gemeint, ich war besoffen und –“
Ben schaute mich an, aber irgendwie schien ihm meine Entschuldigung keine bessere Laune zu machen; er hatte Augenringe, blickte mich müde, kaputt, verschlafen an, und sagte nichts, sondern tippte bloß weiter auf seinem Handy herum. Mel laberte irgendwas mit Seppi und gluckste dabei; sie rieb ihren Arsch weiter vor und zurück – ich schluckte das scharfe Zeug hinunter, spürte ihren Körper auf mir, aber er gab mir nichts, er war ein Zellhaufen mit zu viel Schminke; das Gerüst war immer noch leer.

Es dämmerte bereits und die Mukkiebudentypen lungerten bei der Tischtennisplatte herum; man hörte sie lachen und anstoßen. Die Pulle hatte ein paar Kreise gezogen und war nur noch halb voll; da war er wieder, dieser taube, leichtfüßige, kribblige Nebel, der sich um uns zog und alles so unreal erscheinen ließ. Die Alte hatte sich mittlerweile umgedreht und saß jetzt so auf mir drauf, dass ich alle Mühe damit hatte, ihr meine Nase nicht zwischen die Titten zu stecken; ich musste meinen Kopf richtig unbequem verrenken, so nah war sie mir. Seppi erzählte ihr die ganze Zeit irgendeinen Stuss, von wegen, was er so Witziges in der Schule erlebt hatte, keine Ahnung; Kuhfressen-Mel lachte übertrieben laut: „Hä hä hä hä hä“, und hoppelte auf mir herum; irgendwann ging mir ein kleiner ab, glaube ich – ich bin mir nicht ganz sicher, auf jeden Fall klebte danach was in der Hose. Auch Ben witzelte wieder ein bisschen mit, blinzelte auf sein Handy und verteilte Kippen.

Wir hatten wegen irgendwas gelacht, auf jeden Fall hoppelte Mel gerade auf mir herum, da stand sie plötzlich vor mir; zuerst glaubte ich nicht, was ich sah. Ich wartete ein paar Sekunden ab, dann nickte ich ihr zu, weil ich irgendwie nicht wusste, wie man ein Mädchen begrüßen sollte, das heult, wenn man sie küsst.
„Hey Jungs“, sagte Jessi, schaute mich kurz an und riss ihren Blick dann schnell wieder weg.
„Hey ...“, murmelten die anderen; Mel glotzte Jessi von oben bis unten an und drehte sich dann zu mir um; sie versuchte sich ein Lachen zu verkneifen und pustete dabei ihre Backen so bescheuert auf.
„K'nnt ihr die?“, fragte mich Mel so laut, dass es alle hören konnten.
„Ähm ja“, sagte ich, „ist Seppis Schwester.“
Jessi setzte sich neben Ben auf die Bank; eine Weile schwiegen wir, bloß Mel rutschte auf mir herum; sie schwankte mittlerweile sehr.
„Ohh“, stöhnte sie auf einmal, „euer Alkohol br'nnt mir voll im M'nd.“
Ihre Worte klangen verwaschen; sie griff sich die Flasche, drehte den Deckel ab und nippte. „Ohh, das br'nnt!“
Jetzt schaute sie mich mit ihren Betonmaueraugen an, ihr Kopf wackelte hin und her. „Komm schon Schnucki, lösch' mei'e Lippen.“
„Was?“ Ich schluckte; ich meine, von sowas hatte ich während meiner Mütze-Glatze-Tage vierundzwanzig Stunden lang geträumt, und in Sachen Küssen war ich ja mittlerweile auch bewandert – aber ich konnte nicht, ich wollte meine Lippen nicht in dieses Gesicht drücken.
„Alter, jetz' küss sie halt endlich!“, stöhnte Ben, tippte auf seinem Handy herum und verdrehte die Augen. Plötzlich beugte sich Mel zu mir herunter und alles wurde dunkel; ich schmeckte dieses scharfe Zeug und fühlte ihre glibbrige Zunge, die sich wie ein Blinder in meinem Mund umhertastete. Danach schwiegen wir alle; Seppi sagte nichts mehr, ich sagte nichts mehr, Jessi rauchte eine nach der anderen und Ben drückte weiter auf seinem Handy herum.
„Ich geh' dann mal“, sagte Jessi, trat ihre Kippe aus und stand auf.
„Jetzt schon?“, fragte ich. „Ist doch noch nicht mal ganz dunkel.“
„Ja“, sagte sie, ohne mich anzusehen, und lief los, über die Wiese. Mein Herz hämmerte, ich fühlte mich fürchterlich; da kribbelte etwas in mir, das einfach nur aufspringen, loslaufen, mit ihr wegrennen wollte, aber ich konnte nicht, die anderen würden es nicht verstehen, die würden lachen.
„Was is' denn mit der los?“, fragte Mel und kicherte wieder so bescheuert rum. Seppi zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung“, sagte er, „die is' halt so.“
Ich ertrug es kaum, sie gehen zu sehen; ihr Rücken wurde immer kleiner und ich verbrannte; da lief sie, den Kopf gesenkt, die Hände in den Hosentaschen – es stach in meinem Bauch, tat weh. Mels Panda-Gesicht und ihre Beton-Augen schoben sich zwischen mir und Jessi, ich spürte ihren heißen Atem, hörte Seppi spucken und Ben auf den Tasten seines Handys herumdrücken – ihre Fresse kam näher, wurde immer größer; ich wollte es nicht, es war falsch, es brachte mich fast um, meine Hände schwitzten. Als ich Mels Lippen spürte, platzte es aus mir heraus; ich packte sie und schmiss sie von mir herunter; sie knallte auf den Kieselsteinweg, jaulte, Ben und Seppi zuckten zusammen, aber es war mir egal. Ich rannte los, über die Wiese, so schnell ich konnte, hörte die anderen irgendetwas rufen, ich verstand es nicht.

Sie stand hinter einem Gebüsch und ihre nassen Wangen glitzerten im Licht der Straßenlaterne. Da war sie wieder, diese Traurigkeit, die mir bei ihr so fremd vorkam. Ihr Kinn zitterte.
„Hey“, sagte ich und keuchte. „Hey.“
Jessi sagte nichts, sondern starrte mich bloß an. Dann fuchtelte sie mit ihrer Kippe herum.
„Hab ich's nicht gesagt: wie 'n Glühwürmchen.“
„Ja“, sagte ich, aber ich glaubte ihr nicht mehr, es war eine Fassade, eine Lüge. Wieder standen wir da und taten nichts als uns anzuschauen, aber es war keine nichtssagende Stille.
„Tut mir leid“, sagte ich dann, „das mit der ist nicht so, wie du denkst, weißte.“
„Du hattest es versprochen“, sagte sie und schluchzte. „Weißt du, das gestern, ich kann sowas einfach nicht abhaben ...“
Ein paar Minuten standen wir einfach so da; ich schlug ihr vor, ein bisschen rumzulaufen. Dann erzählte sie es mir, ich meine echt einfach alles, von ihrem Stiefvater und von ihren Halbschwestern, die es zwar wussten, sie aber nur dafür hassten, weil er ihr damals so viele Geschenke machte; von Seppi, der danach immer zu ihr ins Bett kam und sie solange in den Arm nahm, bis sie einschlief; von ihrer Mutter, deren Arme so vernarbt waren, dass sie keine T-Shirts mehr tragen konnte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also nickte ich bloß; ich glaube, ich hätte gerne mitgeheult, aber ich konnte nicht, da brannte zu viel Wut in meinem Bauch.

Als wir zurückkamen war es fast dunkel; Jessi meinte, dass es egal sei, wann sie nach Hause käme und mir war es auch egal, was wollte ich schon dort. Wir liefen an dem Gebüsch vorbei auf die Wiese, als ich einen Schrei, nein, vielmehr ein Jaulen hörte; erst erkannte ich nichts, ich sah bloß einen Schatten vor unserer Bank knien und hörte ein Krächzen.
„Warte hier“, sagte ich zu Jessi; meine Lungen fingen zu pumpen an, ich spürte das Adrenalin durch meinen Körper rasen und war plötzlich wieder stocknüchtern; ich begann zu rennen, hin zu diesem Schatten: Ich ahnte was gerade geschah, wollte es aber nicht wahrhaben.
„Du Sau!“, schrie er mit dieser kratzigen Stimme, „du Sau! Du blöde Sau!“
Ich rannte und rannte, meine Arme und Beine wurden taub. Jetzt erkannte ich ihn; das eingefallene Gesicht, die Säufernase. Ich hörte es knallen, wieder und wieder, sah seinen Arm nach unten schleudern; Seppi lag wie eine Puppe auf dem Boden, zuckte nicht mal mehr, Ben lag eingesunken auf der Bank, aus seinem Mund und seiner Nase quoll Blut; er sah mich mit trüben, leeren Augen an und schnaufte stark.
„Du Sau! Du elendige Sau!“, krächzte der alte Lötzsch wieder und wieder, „willste vielleicht so werden wie ich?!“
Ich rannte noch immer und als ich Seppis Gesicht erblickte, stach es in meiner Brust; ich erkannte ihn fast nicht wieder, da war kaum mehr als roter Matsch und Hautlappen übriggeblieben. Der Alte sah mich nicht kommen; ich dachte nicht darüber nach, was ich tat; ich schleuderte ihm einfach mit aller Kraft meinen Schuh gegen die Nase – es krachte und er fiel zurück, blieb kurz liegen und durchlöcherte mich dann mit diesem klaren Blick und den weit aufgerissenen Augen. Der alte Lötzsch sprang blitzschnell auf, krallte seine Pranken um meinen Hals, hob mich hoch und warf mich auf den Boden; ich hörte es unter mir klirren, spürte den Schmerz aber nicht – ich bekam kaum mehr Luft. Als der alte Lötzsch seine Faust ballte und sich zu mir herunterbeugte, da fühlte ich die Flasche bei meiner Rechten – ich griff zu und streckte ihm das abgebrochene Ding entgegen; der Alte kam zu schnell herunter, er stieß einen fürchterlich grellen Schrei aus, und ich spürte das warme Blut auf mich spritzen. Der alte Lötzsch zog den Kopf nach oben und riss mir so die Flasche aus der Hand; er schrie noch ein paar Mal, wurde immer stiller und blieb schließlich regungslos liegen; Scherben ragten aus seinem Gesicht. Ich atmete schwer, bekam keine Luft mehr, meine Hände zitterten; ich bemerkte, dass die Russen von der Tischtennisplatte um uns herum standen und telefonierten.
„Der Junke hat ihn umkepracht!“, schrie der eine und fuchtelte in meine Richtung, „der hat den Alten umkepracht!“
„Ist alles gut ...“, murmelte Ben, ohne sich dabei zu bewegen; er saß immer noch eingesunken auf der Bank und starrte blutverschmiert vor sich hin. „Ist alles gut ... alles gut ...“
Ich stand auf, hatte Seppis Rucksack um die Schulter; „der Junke hat ihn umkepracht!“
Ich schubste den Russen zur Seite und rannte, so schnell wie ich noch nie in meinem Leben gerannt war, über die Brücke, zu meinem Fahrrad.


*​

Der Mond schien hell in dieser Nacht und das Moos machte mir allmählich einen nassen Arsch; Jessi kannte die Stelle hier im Wald, vor zwei Jahren hatte sie Seppi mal auf den Fahrrädern mit zur großen Eiche genommen, als wir uns ein Päckchen Zigaretten organisiert hatten und uns noch nicht trauten, irgendwo in der Stadt zu qualmen. Schon damals war sie mir aufgefallen: Sie konnte über Witze lachen, über die wir uns als zwölfjährige Idioten bepisst hatten; das war ungewöhnlich – alle Mädchen, die ich kannte, interessierten sich für Ponys oder Harry Potter und nicht für Fürze und das A-Team.
Ich hörte ihr Fahrrad quietschen; ich stand auf und versuchte ihr Gesicht zu lesen, aber es war zu dunkel. Sie stieg ab, blieb vor mir stehen und sah mich an.
„Hi“, sagte sie.
„Hey“, sagte ich.
„Seppi ist jetzt im Krankenhaus“, sagte sie, „die haben gemeint, ihn hat's schwer erwischt, aber er wird's schaffen.“
Ich atmete durch und spürte eine große Last von meinen Schultern fallen; aber es drückte noch immer in meinem Bauch, mir war schwindelig, schlecht, kalt.
„Das ist gut“, sagte ich, und nickte dabei, „ist gut.“
Der Wald war ungewöhnlich still in dieser Nacht; die Blätter raschelten über unseren Köpfen und der Mond hing über uns und starrte auf uns herab.
„Und wie geht's dir?“, fragte ich.
Sie zuckte mit den Schultern und blickte nach unten. „Weiß auch nicht. Geht schon. Bin einfach abgehauen – die Mom ist jetzt eh bloß beim Seppi.“
Ich nickte und sog die frische Waldluft durch meine Nasenlöcher.
„Und ... dein ... dein Vater?“
Wieder zog sie die Schultern hoch. „Keine Ahnung. Die wissen noch gar nix.“
„Mhm.“
Ich ließ mich an der Eiche nach unten gleiten, auf das nasse Moos, alles tat mir weh; was passiert war, kam mir wie ein schlechter Albtraum vor – es ist nie passiert; der Schnaps brannte mir im Hals. Sie setzte sich neben mich.
„Du hast das Richtige gemacht“, sagte sie. Ich starrte einfach nur vor mich hin.
„Ich weiß nicht mal, ob ich will, dass er's schafft“, sagte sie dann und ihre Wangen begannen wieder zu glitzern. Ich nickte. Irgendwie verstand ich sie; ich wehrte mich dagegen, aber ich fühlte genauso. Ich wusste nichts mehr: nicht, was falsch war und nicht, was richtig war. Ich fühlte mich verloren.
„Ich versteh' dich“, sagte ich, „wirklich. Irgendwie versteh ich dich.“
„Nimmst du mich mal in den Arm?“
„Echt?“
„Ja.“
Ich legte meinen Arm um sie und drückte sie fest an mich heran; ich roch sie wieder: Sie roch nach Zigaretten und Sonnencreme und Deo und Jessi; Wärme breitete sich in mir aus.
„Ich habe immer eine scheiß Angst, wenn ich jemand anderen an mir fühle“, sagte sie, „dann spüre ich ihn immer auf mir liegen.“
„Ich habe auch Angst davor“, sagte ich. Sie blickte mich fragend an.
„Wie meinste das jetzt?“
„Naja, davor, dass mich eine da unten anfasst. Du weißt schon. Ich meine, ich will das ja und so, aber irgendwie hab' ich auch Schiss davor. Dass es weh tut oder so.“
„Ich will nicht, dass du Angst davor hast“, sagte sie dann.
„Und ich will auch nicht, dass du Angst vor mir hast“, sagte ich. Dann küssten wir uns und später setzte sie sich auf mich, ich spürte ihre warme, weiche Haut und wir ließen einander nicht los. Ben hatte recht: Es war warm und nass, aber es war viel mehr, es durchzog meinen ganzen Körper und ließ mich einen Meter über dem Boden schweben.

„Warte mal“, sagte sie, als wir gerade aus dem Waldstück herausgefahren waren und ich die ersten Sonnenstrahlen am Horizont sah. Ich bremste und drehte mich zu ihr zurück.
„Was is' denn?“
„Bitte vergiss mich nicht.“
Ich runzelte die Stirn und verstand nicht. „Wie meinste das jetzt?“
„Keine Ahnung. Ich glaub' irgendwie, dass wir uns nicht mehr oft sehen werden.“
„Ach Quatsch“, sagte ich, in der Hoffnung, wenn ich es bloß oft genug sagen würde, würde es schon stimmen. „Quatsch.“

Als ich zuhause ankam, war es bereits hell; die Vögel zwitscherten und der Tau glitzerte auf dem Gebüsch vor unserem Haus. Gleich nachdem ich die Tür geöffnet hatte, standen meine Eltern vor mir: meine Mutter mit roten Augen, die Haare zerzaust, und mein Vater mit geballten Fäusten und Augenringen. Dann platzte es aus mir heraus, ich konnte nichts dagegen tun: Ich heulte und die Rotze lief mir nur so aus der Nase, sie vermischte sich mit einer Menge Tränen und baumelte mir am Kinn herum. Ich fiel ihnen in die Arme und erzählte alles, was mir einfiel: von den Flaschen, von der Bank, von Seppi und seinem zermöbelten Gesicht, vom alten Lötzsch und von der Scherbe, die ihm aus dem Auge ragte. Sie nickten und nickten und hörten mir das erste Mal seit langem wieder zu; und plötzlich hasste ich ihre Gesichter und ihre Stimmen gar nicht mehr, es tat gut, sie zu sehen, sie zu hören. Meine Eltern waren nicht sauer. Ich glaube, sie waren einfach nur froh darüber, dass ich wieder bei ihnen war.

Die nächste Zeit war grauenhaft: Ich aß und schlief zwei Tage lang nicht, ich hatte furchtbare Angst davor, was mich in meinen Träumen erwarten würde; ich lag nur im Bett herum, wälzte mich von einer auf die andere Seite, schwitzte, fror, und starrte auf die Mattscheibe meines Fernsehers, ohne wirklich aufzupassen, was da gerade geschah. Ich traute mich nicht, Ben oder Seppi oder Jessi anzurufen; was ist, wenn Seppi mittlerweile tot ist? Was, wenn ich den alten Lötzsch umgebracht habe? Jeden Morgen schlich ich heimlich in die Küche und schlug die Zeitung auf, Todesanzeigen; und jeden Morgen starb ich fast selbst dabei, als ich die Seiten zitternd umblätterte; aber keiner hieß Lötzsch. Der einzige Mensch, den ich in dieser Zeit sah, war meine Mutter; sie brachte mir immer Tee mit Honig ans Bett, das half mir ein bisschen, es fühlte sich wie eine warme Umarmung an.
Nach drei Tagen stand er dann plötzlich in meinem Zimmer, ich hatte es gar nicht klingeln hören; auch er sah mitgenommen aus, sein Gesicht war blass, mit angeschwollenen Augen, Blutergüssen und Pflastern.
„Hey“, sagte Ben.
„Hey“, sagte ich.
„Schaust scheiße aus“, sagte Ben. Ich musste ein bisschen schmunzeln.
„Du aber auch, Alter.“
„Er ist wieder da.“
Ich schluckte; ein Stein sackte in meinen Magen und zog mich nach unten.
„Wie meinste das?“
„Seppi. Er hat's überstanden. Liegt jetzt in der Wachstation.“
Ich nickte und musste schwer schnaufen.
„Gut“, sagte ich.
„Ja ... der Alte liegt auch wach. Kann sich aber an nichts erinnern, so besoffen war der.“
Wir sahen uns kurz an und nickten, schwiegen.
„Sie hat mit mir Schluss gemacht“, sagte er dann.
„Wie meinste das jetzt?“
„Na die Franzi. Hat mit mir Schluss gemacht.“
„Oh“, sagte ich, weil ich irgendwie nicht wusste, was ich dazu sagen sollte. „Tut mir leid, Mann.“
„Mhm“, brummte Ben.

Jessi sollte recht behalten; ich sah sie noch ein einziges Mal wieder, als wir Seppi besuchten. Es war ein komischer Besuch: Wir alle schienen irgendwie zu spüren, dass es ein Abschied war, es lag in der Luft. Jessi und Seppi zogen zwei Wochen später mit ihrer Mutter nach Hamburg. Der alte Lötzsch wanderte wieder in den Knast. Ben sah ich kaum noch; wir gingen nicht mehr in den Park, niemand von uns beiden hatte den anderen je wieder gefragt, ob er Lust dazu gehabt hätte. Ben hing dann mit so anderen Typen im Pausenhof ab, ich kannte sie nicht, ich sah sie bloß von weitem immer herumalbern. Ein Jahr später wechselte er aufs Gymnasium, dann sah ich auch ihn nicht wieder.

 

Hey zigga,

es freut mich, dass du so schnell und ausführlich auf meine Kritik reagiert hast. Es ist schön zu sehen, dass dich meine Detailarbeit weiterbringt und meine Zeilen auch bei dir ankommen, da ist die Zeit, die man investiert, nicht verloren. Hat mich echt gefreut, deine Gedanken zu meinen Gedanken zu lesen, auf ein zwei, drei Dinge möchte ich dir kurz noch antworen:

Ja fuck. Ich war echt froh, dass das von niemandem bemängelt wurde, weil ich ziemlich schiss hatte, dass das hier wie angeklebt erscheint. Ich hatte ursprünglich eine riesige Elternstory schreiben wollen, habe dann aber relativ schnell gemerkt, dass das total vom roten Faden weggehen würde, und hab's dann hier nur kurz angekratzt; aber das geht dir schon zu weit weg. Kein Plan. Ich werde man darüber nachdenken, aber ich denke nicht, dass ich das jetzt noch wegstreichen kann oder so, gerade, weil die Eltern später nochmal auftauchen. Ich wollte nicht billig eine Elternproblematik reinbringen, aber gerade für einen jugendlichen Prot fand ich es sehr wichtig, sein Elternhaus zu beleuchten, weil das ja schon verdammt prägend ist in dieser Zeit; gegen was man sich auflehnt, was für Vorstellungen man von allem hat, und so, du weißt schon. Deswegen hab ich's reingebracht.
Später in der Antwort, nachdem du meine Begründung gelesen hast, wirkst du etwas einsichtiger, und ich fordere ja nicht, dass du das rausnimmst mit den Eltern, ich finde das schon wichtig, aber einfach ein bisschen abschwächen, nur ein bisschen vielleicht. Dadurch gewinnt dein Text noch einmal mehr, finde ich. Wenn du da was änderst, kannst du ja Bescheid geben, dann gucke ich mir das an.

M. Glass schrieb:
Das ist echt dumm, so etwas zu machen, aber was hältst du davon, wenn die Kippe in seinem Mund so aussieht, als würde er auf einem Glühwürmchen herumbeißen. Das ist auch gar nicht meine Idee, das ist ein Bild, was noch nachhallt von der Szene früher, ich fände das passend.
Weiß jetzt auch nicht genau, was du dumm findest: den alten Lötzsch, das Flaschenklauen, oder die Ausdrucksweise? Ist eine nette Idee, wäre sehr metaphorisch, ich denke mal drüber nach!
Oh, nein! Ich finde an der Stelle gar nichts dumm, das ist alles wunderbar, ich meine, es ist dumm von mir, so einen Vorschlag zu machen, weil das ja schon mehr als eine Anregung ist.

Ui, nette Deutung, aber ich glaube da hast du dich verlesen: die Becheraugen gehörten zu F-F.
Oh, sorry, das ergibt aber auch viel mehr Sinn!

„Ich versteh' dich“, sagte ich, „wirklich. Irgendwie versteh ich dich.“
„Nimmst du mich mal in den Arm?“
„Echt?“
„Ja.“
Manchmal ist er echt dumm.
Das checke ich jetzt nicht, Markus!
Na, wie er nachfragt. Sie fragt ihn, ob er sie in den Arm nehmen kann, und er fragt ECHT? – das fand ich dumm von ihm.

Und das mit dem Alten und Seppi hab ich echt nicht so gut verstanden, jetzt, wo du das noch einmal klar gestellt hast alles. Ich war mir überhaupt so unsicher bei der Kampfszene, ob der jetzt nur einen bearbeitet oder beide, also ich konnte dem nicht so gut folgen, auch weil der Kampf ja nahtlos in den zweiten übergeht. Vielleicht liegt es ja auch an mir.


Mhm, mhm ... ich lasse mir das durch den Kopf gehen. Wollte jetzt irgendwie nicht noch eine ausgewalzte Sexszene, das wäre mir zu effekthascherisch gewesen! Aber anscheinend würde es für dich genau da passen. Weiß auch gerade nicht, ob ich das mögen würde oder nicht; gib mir ein paar Tage Zeit.
Zu dem warm und nass am Ende: Das muss ja keine ultralange Sexszene werden, aber es ist doch unzureichend, wenn das Fazit, dass es mehr als bloß warm und nass ist, ein bisschen über dem Boden zu schweben. Einfach eine knappe Beschreibung, wie geil es ist. Oder eben einfach nur „so viel mehr“ – ich wiederhole mich da noch einmal, weil ich das als enttäuschenste Szene empfand. Gab ja sonst keine. :)

Danke für den tollen Kommentar und die Zeit, die du da reingesteckt hast. Dein Kommentar hat mich auf jeden Fall weitergebracht!
Schön, dass mein Kommentar so gut angekommen ist. Da kommentiert man gerne!

Beste Grüße
markus.

 

Hi zigga,

ich bin froh, dass ich diese Geschichte gelesen habe bei meinem Samstag-kurz-vor-Fertig-Marathon. Ich habe dich bisher als Autor nicht wahrgenommen (Zeitmangel; keine Ignoranz), aber ich habe ja schon gesehen, dass du Kg.de gut frequentierst und momentan hier ein aktiver Posten bist.

Ja, gefallen haben mir viele Details, die deine Geschichte so authentisch machen. Du bist sehr nahe an den Protagonisten dran, ich glaub' dir alles, was du mir hier als Autor auftischst.

Sehr gut beschrieben fand ich auch das hormonelle Ausgeliefertsein in dieser pubertären Phase. Da rutscht eine Mel auf dem Schoss rum, die Geilheit blinkt, gleichzeitig kommt die aktuelle Traumfrau in die Szene rein und er ist so hormonell benebelt, dass er es nicht rafft, Mel ins off zu bringen, damit die Traumfrau beruhigt sein kann. Genauso überaus leidensfähig reagiert Jessie, indem sie das Gerammel auch noch ausgiebig ansieht bzw. einfach nicht geht. Aber genau solche Situationen habe ich in verschiedenen Rollen auch erlebt und von daher hattest du mich auf ganzer Breite als Leserin. Ich habe mich mehrfach doppelt (als ehemaliger Teenager mit déjà-vues und als Mutter von zwei mittlerweile 17/19-Jährigen) in den Situationen wiedergefunden.

Das einzige, was mich anfangs etwas irritiert hat, war das nicht definierte Alter der Protagonisten. Ich habe erst mit 16-17jährigen gerechnet, aber als mir dann klar wurde, dass es um erste Alk- und Sexerfahrung ging, musste ich doch zwei-drei Jahre zurückdrehen. Dann bin ich so bei 13-15-jährigen gelandet. War das so das Alter, was du im Kopf hattest beim schreiben?

Oft musste ich auch grinsen. Vergleiche von Bier zu Rucola; die Szene, als er mit Pfefferminz und Deo heimkam (alles auch schon mitgemacht, wobei das Deo noch kein Thema war) und Eltern nur Scheisse sind; das Zugeständnis, mit jemandem zusammen zu sein, der nicht in das "Schön"-Schema passt. Da gibt es vieles, was ich aufzählen könnte.

Dein Schreibstil mag ich auch. Gute Formulierungen; nichts, über das ich gestolpert bin. Und - pflege die Semikolons unbedingt weiter :D. Ich bin auch ein Fan von ihnen.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo,

alles was in meinem Hirn kreiste, war:
alles, was

„Hastes bald?
Ich mag das nicht. Hast'es wär okay für mich. Ich weiß nicht, ob sich meine Abneigung dagegen natürlich gebildet oder weil ich seit ein paar Jahren solche Formen im Forum lese als gewählte Marotte.

Hm,
ich konnte mit der Geschichte nichts anfangen. Ich hab vielleicht das Thema schon zu oft gelesen oder hab die einzelnen Bestandteile schon zu oft gelesen. Und in der Version kam mir das vor, wie die „harte“ Ausgabe davon. Ich mochte die Figuren nicht, ich mochte nicht, wie die miteinander umgehen, ich mochte nicht, wie sie sich selbst sehen, ich mochte nicht, dass da ein Mißbrauch schon wieder entlang telefoniert wird, ich mochte die Sprache nicht mit dem „und-“Mangel, ich mochte nicht, wie die darüber reden, Spuckepfützen zu züchten.

Ich hab vielleicht eine Frage, die objektivierbar ist: In welchem Verhältnis steht der Erzähler zur erzählten Zeit? Das ist definitiv ja keine Gleichzeitigkeit, sondern es finden sich Sätze wie: Wie paranoid wir damals waren. Dann das stand-by-me-Ende: Ben wurde zu einem weiteren Gesicht auf dem Pausenhof. Und auch andere Blicke, wenn sich der Erzähler da mit Selbstekel betrachtet oder wie das so ist. Da merkt man schon, da ist Distanz da. Auf der anderen Seite aber null Distanz, wenn dann so geschildert wird, wie das und das ist, da ist dann die Gleichzeitigkeit wieder da.
Ich find das immer schwierig, mich dann auf eine Geschichte einzulassen, in der der Ton so offenkundig manipuliert ist.
Mich stört an der Geschichte, dass ich keine Figur kriege. Also der Ich-Erzähler ist so eine typische Figur, die da ein Stück „slummen“ geht, zu Hause ist alles okay, er hat wohl gute Noteb und macht jetzt so eine Rebellen-Phase. Aber z.b. in der Figur auch, der wird ja von seiner eigenen Sexualität richtig überrascht „Oh ich mach's mir 4mal hintereinander – ist das jetzt zu viel? Ist das noch normal?“ Oder wenn er da neben dem Mädchen eine Erektion kriegt und dann bei Mel sogar durch das Dry Humping zu einem kleinen Orgasmus kommt: Wenn man das als Thema „ernst“ nimmt, würde der darüber nicht nachlesen? Oder sich damit beschäftigen? Bei so einer Figur? Man weiß halt so wenig über ihn. Ist der clever? Liest der gerne? Hat der Internet? Welche Möglichkeiten hat er, sich mit seinem Problem zu konfrontieren? Weiß der, dass Milliarden Jungs vor ihm in den unmöglichsten Situationen einen Ständer hatten oder denkt er, er hat das alleine? Hat er mal einen Jay und Silent Bob-Film gesehen? Ich hab das Gefühl, der Geschichte hier reicht es, so mutig zu sein, dieses Thema anzugehen, aber wenn man das als zentrales Thema für die Figur wählt, dann würd ich mir da schon „mehr“ wünschen – da sind dann Versatzstücke aus „anderen Geschichten“, aus einem anderen „Leben“ in dem Text: Wenn er da kotzt und ihn sein Vater sieht oder so – was würde der Geschichte fehlen, wenn die Stellen raus wären? Wie aktiv soll der Erzähler in der Geschichte hier sein? Wie sehr soll das seine Geschichte werden? Und wie sehr die von Jessi oder Sepp? Das ist für mich die entscheidende Frage.

Dann die zweite Figur, seppi, das ist auch so .. .das ist halt so ein bisschen das stand-by-me-Personal. Der Junge mit dem schweren Elternhaus, der teilt sich ja gar nicht mit, sondern nur in dieser „Ich hau auf den Dicken“: Ich find Figuren mit so einem traumatischen Mißbrauchs/Problemelternhaus … das sind literarisch überstrapazierte Motive. Da würd ich mir auch wünschen, das mit so einem Motiv dann etwas passiert. So Mißbrauch/verrohtes Elternhaus/ Angst vor den eigenen Eltern – das sind so gigantische Themen, die man doch schon in x verschiedenen Variationen gesehen und sich mit beschäftigt hat, und wenn das dann so als „Accesoire“ auftaucht: Die 2. Figur hat das und die Schwester auch.
Also warum hier z.b. nicht näher auf das Verhältnis zwischen Jessie und Seppi eingehen. Maria hat mal vor Jahren einen Text geschrieben über ein Mädchen, das von ihrem Vater gequält wird, und das dann eine Affäre mit einer Schulfreundin anfängt und die dann auch quält in der Beziehung.Das war jetzt auch nicht gottweißwie ausgereift, aber da ist mit dem Motiv was passiert. Vielleicht stemmt Seppi Eisen, um stark genug zu werden, um seinem Vater aufs Maul zu hauen. Vielleicht hat ihn der Mißbrauch eng an seine Schwester geschweißt und die haben ein besonderes Verhältnis entwickelt. Vielleicht passiert da irgendwas.

Dann hier „Jessie“ - ja, gut. Das ist auch so ein Motiv: Das perfekte Mädchen mit dem Problem, dessen Verletzlichkeit sie vielleicht begehrenswert macht. So wie ein Mädchen mit Anorexie durch die Krankheit dann irgendwas „Erhabenes“ bekommt, so eine Größe im Leiden, das Mysterium des Morbiden. Wie im Zauberberg Clawdia, die um so heißer ist, je näher sie dem Tot kommt. So ist das hier mit Jessie ja auch ein bisschen: Die ist da so geheimnisvoll, die ist immer alleine und raucht und ist so dürr – Uh. Ich frag mich dann: Okay, das ist ein Motiv. Was macht die Geschichte damit? Dann braucht sie eine Szene, um das Motiv zu etablieren. Und wie viel Szenen hat Jessie? 2. Gut, dann geht es wohl auch nicht um Jessie in der Geschichte. Das ist halt schwierig, wenn man vielleicht 8 Szenen in einer Geschichte hat und so viele Motive und Figuren.

Dann die nächste Figur Ben, das ist so eine Schablonen-Figur: Wie könnte es anders sein? Wie wäre es, mit sich im Reinen zu sein und eine Frau zu haben. In die Welt dieses Motives gehört Mel z.B.: Ich hab eine willige Freundin, mit der ich machen kann, was ich will. Das ist eine Abwechslung von einem Motiv, dass ausgerechnet der Quoten-Dicke mal ein Mädchen kriegt. Was passiert mit Ben und seiner Freundin? Nix. Die haben in der Geschichten nix zu tun, die traditionelle Rolle der 3. männlichen Figur: Einfach nix machen, Sidekick sein. Der dicke Junge aus Stand by me hatte auch nix zu tun. Der ist halt dazu da, damit die anderen sich über ihn lustig machen können und über die Freundin und so. Und dann in einem stillen Moment wird er auch dafür bewundert … ja. Der ist eigentlich nur da, um eine Option aufzuzeigen, die sich dann später mit Mel präsentiert.

Dann die Eltern des Erzählers, die Eltern von Seppi, Mel, die noch als Figur auftritt: Die haben jeweils nur eine oder eine halbe Szene … ich find das schwierig. Das ist eine Geschichte, die vom Ansatz her so eine „Ich blicke auf meine Jugend zurück/ich stelle das Personal meiner Jugend vor“-Richtung hat. So waren wir, so war mein Zeit von 8 bis 16. Und dann ist halt das große Problem des Erzählens heute: Es ist kein Platz da. Es wird dem Leser nicht zugemutet, Figuren kennenzulernen, sondern es werden „fertige“ Figuren genommen, von denen der Leser dann im Prinzip doch die ganze Biographie kennt, nämlich aus anderen Werken. Wie viel Figuren sind das hier? 3 Hauptfiguren, dann im weiteren Feld nochmal 6. Und
dann sind die Hälfte der Szenen aber Solo-Szenen.

Aber gut, so kann man natürlich vielen Geschichten etwas vorwerfen. Das resultiert vielleicht einfach aus meiner Müdigkeit diesem Genre und dieser Art einer Geschichte gegenüber. Mir ist die Geschichte zu breit und zu flach und sie hakt zu viele Checkboxen bei „tragische Jugendgeschichte“ ab. Ich finde hier in dem Text gibt es vier Themen, die man erzählen könnte: 1. Jessie – Warum stehen Jungs auf Mädchen, die offenbar kaputt sind – da könnte man dann ein „normales“ Mädchen entgegenstellen. 2. Das Verhältnis von Jessie und Seppi zueinander – da wär der Erzähler viel passiver, die beiden Figuren und der Vater bekämen viel mehr Raum, es gäbe keinen Ben, es gäbe kein Elternhaus des Erzählers nichts. 3. Die Hypersexualität des Erzählers – da könnte man Jessie und Seppi rauswerfen. 4. Dieser Schablonenentwurf mit Ben: Warum ist der eigentlich glücklich, obwohl er dick und seine Freundin hässlich ist; während ich Sit-ups mach und auch eine Freundin hab, aber die lässt mich nie ran und wenn, dann ist es total anstrengend.

Ich denke das „Schwierige“ bei Kurzgeschichten ist es, dass die Idee, ein Handlungsstrang, ein Motiv, eine Idee sei genug, uns aus dem Erzählen, das wir sonst haben, völlig unbekannt ist, sondern das sind immer dann große Wimmelbilder. Mehr Figuren, mehr Motive, mehr Motivwelten, mehr Handlungsstränge; Ich bin da auch ein Fan von. Aber in einer Kurzgeschichte führt das dazu, dass man vier Handlungsstränge hat und alle sind flach.

Okay, das waren jetzt nur meine Gedanken, du hast ja mit der Geschichte hier die Challenge gewonnen und sie ist auch empfohlen worden, also gibt es auf jeden Fall auch viele Leute, die genau diese Art zu erzählen dann mögen. Ich biet dir halt jetzt nur mal meine Meinung als Gegenentwurf an.

Gruß
Quinn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi bernadette,

ich bin froh, dass ich diese Geschichte gelesen habe bei meinem Samstag-kurz-vor-Fertig-Marathon.
ja da bin ich auch mal froh! ;)

Ja, gefallen haben mir viele Details, die deine Geschichte so authentisch machen. Du bist sehr nahe an den Protagonisten dran, ich glaub' dir alles, was du mir hier als Autor auftischst.
Das ist ein tolles Kompliment, vielen Dank.

Sehr gut beschrieben fand ich auch das hormonelle Ausgeliefertsein in dieser pubertären Phase. Da rutscht eine Mel auf dem Schoss rum, die Geilheit blinkt, gleichzeitig kommt die aktuelle Traumfrau in die Szene rein und er ist so hormonell benebelt, dass er es nicht rafft, Mel ins off zu bringen, damit die Traumfrau beruhigt sein kann. Genauso überaus leidensfähig reagiert Jessie, indem sie das Gerammel auch noch ausgiebig ansieht bzw. einfach nicht geht. Aber genau solche Situationen habe ich in verschiedenen Rollen auch erlebt und von daher hattest du mich auf ganzer Breite als Leserin. Ich habe mich mehrfach doppelt (als ehemaliger Teenager mit déjà-vues und als Mutter von zwei mittlerweile 17/19-Jährigen) in den Situationen wiedergefunden.
Das ist natürlich sehr schön, wenn sich der Leser in den Texten irgendwie wiederfinden kann bzw. wenn dir aus deinem eigenen näheren Umfeld dir Dinge bekannt vorkamen, das macht Texte sehr unmittelbar, wenn das klappt, finde ich. Schön.

Das einzige, was mich anfangs etwas irritiert hat, war das nicht definierte Alter der Protagonisten. [...] Dann bin ich so bei 13-15-jährigen gelandet. War das so das Alter, was du im Kopf hattest beim schreiben?
Ja, das war das Alter, was ich im Kopf hatte; irgendwo wird mal erwähnt, dass der Prot 14 ist, und ich hatte gehofft, dass der Leser irgendwie auch durch das Szenario, Verhaltensweisen, Erfahrungen (wie du schon sagtest) für die Kids auch so das Alter vor Augen hat: hattest du ja auch, da bin ich beruhigt. Habe mir schon öfters gedacht, ob ich das Alter von ein paar Sidekicks noch mal mit wo reinbringen sollte, bin mir da aber noch unsicher, ich denke mal drüber nach.

Oft musste ich auch grinsen. Vergleiche von Bier zu Rucola; die Szene, als er mit Pfefferminz und Deo heimkam (alles auch schon mitgemacht, wobei das Deo noch kein Thema war) und Eltern nur Scheisse sind; das Zugeständnis, mit jemandem zusammen zu sein, der nicht in das "Schön"-Schema passt. Da gibt es vieles, was ich aufzählen könnte.
Ja wunderbar, so einen Grinsetext wollte ich irgendwie auch schreiben, ich steh da selbst total drauf!

Dein Schreibstil mag ich auch. Gute Formulierungen; nichts, über das ich gestolpert bin. Und - pflege die Semikolons unbedingt weiter . Ich bin auch ein Fan von ihnen.
Toll, dass dir der Stil so zugesagt hat; und die Semikolons bleiben mit Sicherheit die nächste Zeit bisschen drinnen, ich mag einfach den Leserhytmus, den man mit ihnen hat

Ja, bernadette, vielen Dank für's Lesen und für dein Feedback, habe mich über dein Lob gefreut und ist natürlich toll, dass der Text so schön für dich geklappt hat.

Grüße!

Hi Quinn,

„Hastes bald?
Ich mag das nicht. Hast'es wär okay für mich. Ich weiß nicht, ob sich meine Abneigung dagegen natürlich gebildet oder weil ich seit ein paar Jahren solche Formen im Forum lese als gewählte Marotte.
Mhm, deine Variante wäre wohl rein Rechtsschreibmäßig die richtige, da hast du schon recht; werde bei Gelegenheit den Text mal darauf durchleuchten.

Hm,
ich konnte mit der Geschichte nichts anfangen.
Jo, was jetzt kommt ist wohl ein klassischer Totalverriss :D Aber ich möchte dir im Voraus sagen, dass ich keineswegs ein Typ bin, der da irgendwie persönlich beleidigt oder so darauf reagiert. Ich habe mir zu jedem Punkt deiner Kritik Gedanken gemacht und das mal so aufgenommen, vieles hast du auch begründet, anderes blieb mir bisschen unklar, wahrscheinlich weil paar Dinge unter Geschmackssache oder so fallen könnten, weiß nicht, will das jetzt nicht in die Sparte einfach wegdegradieren; kein Plan. Aber im Einzelnen:

Ich hab vielleicht das Thema schon zu oft gelesen oder hab die einzelnen Bestandteile schon zu oft gelesen. Und in der Version kam mir das vor, wie die „harte“ Ausgabe davon.Ich mochte die Figuren nicht, ich mochte nicht, wie die miteinander umgehen, ich mochte nicht, wie sie sich selbst sehen, ich mochte nicht, dass da ein Mißbrauch schon wieder entlang telefoniert wird, ich mochte die Sprache nicht mit dem „und-“Mangel, ich mochte nicht, wie die darüber reden, Spuckepfützen zu züchten.
Ja, mhm, ist natürlich schade, wenn das so ist. Aber ich nehme das jetzt mal so hin, ich denke, aus dem Grund, dass du schon viel über die einzelnen Themen gelesen hast, hatte die Story keinen Reiz mehr für dich. Scheint halt einfach nicht dein Geschmack zu sein, wenn du die Schreibart nicht magst und die Art, wie die Figuren sind. Ich nehem das mal auf, bin dir auch nicht undankbar für diese Kritik, jetzt weiß ich, dass es Leute gibt, denen das nicht gefällt. Aber ich weiß jetzt auch nicht, was ich groß mit der Story machen könnte, um dir entgegenzukommen; scheint halt einfach nicht dein Ding zu sein. Ist aber okay für mich. Es ist halt bisschen verblüffend für mich, weil normal unter Storys schon so eine Konsensmeinung der Leser herrscht, die mal nach oben oder unten bisschen abweicht, aber im Tenor eigentlich viel Schnittmenge hat. Kein Plan, die Vorkommentatoren haben jetzt das ganze Ding ganz anders aufgenommen und bewertet, du fällst da echt hart raus, das irritiert mich halt eben bisschen. Aber gut, wenn du die Story so empfunden hast ist's halt so, ich bin da auch nicht angepisst oder so.

Ich hab vielleicht eine Frage, die objektivierbar ist: In welchem Verhältnis steht der Erzähler zur erzählten Zeit?
Ja. Das ist noch ein kleines Manko an der Geschichte; ursprünglich war sie so konzepiert, dass ein älterer Erzähler aus seiner Vergangenheit erzählt, dass fand ich dann aber irgendwann scheiße und habe das rausgestrichen; ab und zu klebt dieser Vergangenheitszähler noch in manchen Sätzen bisschen dran, in manchen Szenen ist man näher dran und in manchen wieder weiter weg, verstehe die Kritik schon, wobei das viele Leser jetzt nicht groß gestört hat, mich stört es auch nicht besonders, aber vllt ist mein Leserauge da zu unscharf, ich weiß es nicht. Ich werde das nochmal durchgehen und versuchen wegfeilen.

Mich stört an der Geschichte, dass ich keine Figur kriege.
Das ist hart, weil es einfach so konträr zu vielen anderen Lesermeinungen ist, und auch zu meinem eigenen Empfinden, weil es mir schon plastisch und so scheint.

Aber z.b. in der Figur auch, der wird ja von seiner eigenen Sexualität richtig überrascht „Oh ich mach's mir 4mal hintereinander – ist das jetzt zu viel? Ist das noch normal?“ Oder wenn er da neben dem Mädchen eine Erektion kriegt und dann bei Mel sogar durch das Dry Humping zu einem kleinen Orgasmus kommt: Wenn man das als Thema „ernst“ nimmt, würde der darüber nicht nachlesen? Oder sich damit beschäftigen? Bei so einer Figur? Man weiß halt so wenig über ihn. Ist der clever? Liest der gerne? Hat der Internet? Welche Möglichkeiten hat er, sich mit seinem Problem zu konfrontieren? Weiß der, dass Milliarden Jungs vor ihm in den unmöglichsten Situationen einen Ständer hatten oder denkt er, er hat das alleine? Hat er mal einen Jay und Silent Bob-Film gesehen? Ich hab das Gefühl, der Geschichte hier reicht es, so mutig zu sein, dieses Thema anzugehen, aber wenn man das als zentrales Thema für die Figur wählt, dann würd ich mir da schon „mehr“ wünschen – da sind dann Versatzstücke aus „anderen Geschichten“, aus einem anderen „Leben“ in dem Text: Wenn er da kotzt und ihn sein Vater sieht oder so – was würde der Geschichte fehlen, wenn die Stellen raus wären? Wie aktiv soll der Erzähler in der Geschichte hier sein? Wie sehr soll das seine Geschichte werden? Und wie sehr die von Jessi oder Sepp? Das ist für mich die entscheidende Frage.
Mhm ... ich weiß nicht, ob man da wirklich was nachliest und ich weiß auch nicht, ob der Icherzähler dieses ganze Sexualitätsding so als etwas Fremdes, Neues wahrnimmt, von dem er total überfordert ist bzw. sich da "Hilfe" suchen will, weil er damit nicht klarkommt, in Form von Ratgebern oder Internetdingern halt. Keine Ahnung, ich fand das irgendwie auch nicht so wichtig, beim Schreiben war er in meinen Augen einfach ein Durchschnittstyp, der jetzt nicht denkt, dass er irgendwie krank oder krass anders ist, aber der halt von diesem ganzen Hormonding noch bisschen überrumpelt ist, und aber gleichzeitig ganz ehrlich und direkt erzählt, wie es ist. Irgendwie hat das halt für mich geklappt, so sind Jugendliche heute, da gibt es Internet und Pornos, ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Vierzehnjähriger Mastrubation jetzt total als Alien sieht und sich fragt, ob das normal ist, weil man eben ständig und überall mit Sex zugebombt wird, sei es im Internet(-pornographie), Klassenkameraden, Werbung, keine Ahnung. Aber weiter unten schreibst du den Kern deiner Kritik: Es werden zu viele Handlungsstränge angebrochen, und deswegen bleiben für dich alle Stränge zu flach; mhm, ich weiß nicht, wenn du jetzt nicht der einzige wärst, der das so findet, würde ich mir ernsthaft Gedanken machen, weil das auch einer meiner Bedenken war, dass einfach zu viel angerissen wird, aber irgendwie hat das zum Schluss für mich funktioniert, und für viele andere ja auch. Ich wollte hier die Geschichte erzählen, wie eine Clique auseinanderbricht, und habe halt verschiedene Handlungsstränge dafür versucht zu verbinden, auch, um einen Einblick in die Welt von Teenagern zu geben; für dich ist das zu viel für eine Kurzgeschichte, du hättest dir gewünscht, bloß ein Ding auszuerzählen, gut, verstehe ich, aber ehrlich gesagt gefällt mir der Text, wie er jetzt aufgebaut ist. Weiß auch nicht, hört sich blöd an, aber: Geschmackssache? Ich werde mal drüber nachdenken.

Dann die zweite Figur, seppi, das ist auch so .. .das ist halt so ein bisschen das stand-by-me-Personal. Der Junge mit dem schweren Elternhaus, der teilt sich ja gar nicht mit, sondern nur in dieser „Ich hau auf den Dicken“: Ich find Figuren mit so einem traumatischen Mißbrauchs/Problemelternhaus … das sind literarisch überstrapazierte Motive. Da würd ich mir auch wünschen, das mit so einem Motiv dann etwas passiert. So Mißbrauch/verrohtes Elternhaus/ Angst vor den eigenen Eltern – das sind so gigantische Themen, die man doch schon in x verschiedenen Variationen gesehen und sich mit beschäftigt hat, und wenn das dann so als „Accesoire“ auftaucht: Die 2. Figur hat das und die Schwester auch.
Mhm, ja, das ist ein gigantisches Thema, vllt auch überstrapaziert. Ich habe jetzt noch nicht so viele Variationen davon gesehen, dass ich wirklich davon angekotzt wäre, wenn ich jetzt einen Film darüber sehen würde, keine Ahnung. Und es passiert ja schon was mit dieser Vergangenheit: Dem Prot rennt das Mädchen weg, der Vater prügelt sich mit der Clique und löst somit den entscheidenden Faktor aus, dass die Gruppe auseinanderbricht, und der Prot danach die Welt mit anderen Augen sieht. War zumindest so meine Intention. Wie gesagt, wahrscheinlich sind für dich die verschiedenen "Geschichten in der Geschichte" störend, du hättest gerne eine Handlung, weniger Prots, und diese eine Handlung führt dann wohin und hat schließlich einen Bruch oder sowas. Ist halt hier anders, ist deswegen auch bisschen länger ... Ich persönlich mag das halt, vllt ist das auch am Rand des Genres Kurzgeschichte und irgendwie einfach eine Geschichte, vllt hast du auch einfach recht und ich irre mich, keine Ahnung.

Dann hier „Jessie“ - ja, gut. Das ist auch so ein Motiv: Das perfekte Mädchen mit dem Problem, dessen Verletzlichkeit sie vielleicht begehrenswert macht. So wie ein Mädchen mit Anorexie durch die Krankheit dann irgendwas „Erhabenes“ bekommt, so eine Größe im Leiden, das Mysterium des Morbiden. Wie im Zauberberg Clawdia, die um so heißer ist, je näher sie dem Tot kommt. So ist das hier mit Jessie ja auch ein bisschen: Die ist da so geheimnisvoll, die ist immer alleine und raucht und ist so dürr – Uh. Ich frag mich dann: Okay, das ist ein Motiv. Was macht die Geschichte damit? Dann braucht sie eine Szene, um das Motiv zu etablieren. Und wie viel Szenen hat Jessie? 2. Gut, dann geht es wohl auch nicht um Jessie in der Geschichte. Das ist halt schwierig, wenn man vielleicht 8 Szenen in einer Geschichte hat und so viele Motive und Figuren.
Mhm ja, irgendwie kann ich deine Kritik schon nachvollziehen. Aber wenn ich dann wieder drüber nachdenken, weiß auch nicht, dann mag ich die Story halt immer noch irgendwie, mich persönlich stört das nicht. Ich als Leser hätte mir da jetzt nicht noch tiefere Einblicke in das Mädchen gewünscht, die hat der Prot auch nicht, er hat auch bloß diese drei intensiven Szenen mit ihr am Wochenende, vllt kennt er sie schon vorher bisschen, keine Ahnung, aber an diesem Wochenende geht ihre Beziehung halt tiefer; der Prot wird danach auch nicht wissen, wieso und wie und wann, das, was ihm Jessi erzählt, ist alles, was auch er hat. Und dann geht sein Leben halt weiter, so ist's manchmal ... ich finde, als Leser kann man auch von Eisbergspitzen manchmal so Gefühlsmäßig viel erschließen, ohne dass man jetzt groß darüber nachdenkt; vllt ist das bei diesem Text jetzt hoch gegriffen, aber weiß auch nicht. Sollte halt wie gesagt keine Story über Vergewaltigung werden, sondern eine, in der eine Clique auseinanderbricht, in der ein Teenager aus seiner Bahn geworfen wird, Verknalltsein, alles ausprobieren, auf die Schnauze fallen, dann die Welt mit anderen Augen sehen; so ein irres Wochenende, das man manchmal in der Zeit hat. Sowas wollte ich schreiben.

Dann die nächste Figur Ben, das ist so eine Schablonen-Figur: Wie könnte es anders sein? Wie wäre es, mit sich im Reinen zu sein und eine Frau zu haben. In die Welt dieses Motives gehört Mel z.B.: Ich hab eine willige Freundin, mit der ich machen kann, was ich will. Das ist eine Abwechslung von einem Motiv, dass ausgerechnet der Quoten-Dicke mal ein Mädchen kriegt. Was passiert mit Ben und seiner Freundin? Nix. Die haben in der Geschichten nix zu tun, die traditionelle Rolle der 3. männlichen Figur: Einfach nix machen, Sidekick sein. Der dicke Junge aus Stand by me hatte auch nix zu tun. Der ist halt dazu da, damit die anderen sich über ihn lustig machen können und über die Freundin und so. Und dann in einem stillen Moment wird er auch dafür bewundert … ja. Der ist eigentlich nur da, um eine Option aufzuzeigen, die sich dann später mit Mel präsentiert.
Ja, das mit der Option stimmt schon. Ben und seine erste Liebe sind nach der Story auch getrennt - nach dem Streit an der Tischtennisplatte. Ich finde, da läuft schon so auch seine Lovestory die ganze Zeit bisschen mit ... und ich dachte mir: Wenn Ben und seine Freundin nach der Prügelei noch zusammenwären, wenn davor nicht dieser Graben zwischen dem Prot und Ben nach ihrem Streit gegraben wäre, würde die Clique dann wirklich komplett auseinanderbrechen? Gut, du findest das eine Schablonen-Figur, das ist hart, mhm, ja, wenn du das so siehst, kann ich nichts machen, ich fand ihn irgendwie schon greifbar beim Schreiben, er war der einzige, dessen Elternhaus ich nicht näher beleuchtet habe, aber das wäre too much gewesen, fand ich. Ja, er ist so ein Sprungbrett oder sowas für die Mel-Szene, weil er diese andere Option aufzeigt. Schade, wenn es dich nicht überzeugen konnte, aber kann man nichts machen, du magst halt die Geschichte und die Schreibart im Allgemeinen nicht, mir würde jetzt nichts einfallen, wie ich da an dem Text etwas ändern könnte, der scheint einfach nicht dein Ding zu sein :D

Und dann ist halt das große Problem des Erzählens heute: Es ist kein Platz da. Es wird dem Leser nicht zugemutet, Figuren kennenzulernen, sondern es werden „fertige“ Figuren genommen, von denen der Leser dann im Prinzip doch die ganze Biographie kennt, nämlich aus anderen Werken. Wie viel Figuren sind das hier? 3 Hauptfiguren, dann im weiteren Feld nochmal 6. Und dann sind die Hälfte der Szenen aber Solo-Szenen.
Mhm naja ... ich habe für dein Empfinden wohl zu viele Kisten aufgemacht, das will einfach nicht für dich zünden, du hättes die Figuren wohl auf Romanlänge gemocht, wenn was mit ihnen durchmachst und du sie so kennenlernst, du hättest dich für diese Story auf einen Handlungsstrang beschränkt, dir ist zu viel angerissen. Ich muss sagen, dass mich dieses Angerissene irgendwie nicht stört, keine Ahnung wieso, ich würde gern bisschen Einsicht zeigen oder so, ist echt nicht so, aber für mein Empfinden finde ich die Figuren schon vorstellbar, weiß auch nicht. Meinst du mit "fertige Figuren" solche, die fertig im Sinne von kaputt sind, oder solche, die bereits fertig konstruiert sind, und dem Leser als Endprodukt vor die Nase gehalt werden? Das ist mir gerade nicht so eingänglich, deswegen weiß ich nicht genau, wie ich darauf Anworten soll. Ersteres: Ja, das sind fertige Figuren, aber ich habe versucht, die schon szenisch zu charakterisieren, und irgendwie hat es ja auch für sau viele geklappt, ob das wirklich nur so ist, weil sie die Figuren aus anderen Werken kennen, mhm, möglich, aber ich denke die haben schon Eigenheiten und individuelle Arten an sich. Ist halt selbst so, wenn man von, weiß nicht, einem Lehrer oder einem Arzt liest, da hat man klar fertig Assoziationen vor Augen, die werden dann durch die Story und sowas verändert, ... mhm, du meinst, hier wird lediglich mit diesen fertigen Bildern im Kopf gearbeitet; ich lasse das mal sacken und denke mal drüber nach, ich weiß gerade nicht, was ich dazu sagen sollte, so antwortmäßig. Ja, vllt spielt der Text damit, aber auf die Länge das alles auszuformulieren ist halt auch nicht möglich, was wieder zu deiner Grundkritik zurückführt: zu viele Handlungsstränge. Und ich finde das halt nicht, ich finde das so irgendwie okay. Ich weiß, über die Definition von Kurzgeschichte wird viel diskutiert und du hast da sicherlich mehr Ahnung als ich, du bist schon viel länger dabei und so, weißt du selbst, aber ich habe in dieser Story eben versucht, einfach einen "prägenden" Ausschnitt von einem Teenagerwochenende zu zeigen, einfach wie es ist, ungeschönt, direkt. Und an so einem Wochenende laufen halt viel verschiedene wichtige Handlungsstränge nebeneinander her, bei dem läuft die und die Geschichte ab, bei dem die und die, zusammen machen sie dies und das, und manchmal laufen dann halt alle Dinge, die im Hintergrund so abgehen, zusammen und es kommt zum Knall. Das war so der Hintergedanke, hat für dich nicht gezündet, ich weiß, wollte das bloß mal so für dich erläutern, ohne das jetzt als Rechtfertigung oder sowas hinstellen zu wollen.

Aber gut, so kann man natürlich vielen Geschichten etwas vorwerfen. Das resultiert vielleicht einfach aus meiner Müdigkeit diesem Genre und dieser Art einer Geschichte gegenüber. Mir ist die Geschichte zu breit und zu flach und sie hakt zu viele Checkboxen bei „tragische Jugendgeschichte“ ab.
mhm ja, schade, wahrscheinlich ist das einfach nicht deine Art von Geschichte.

Ich finde hier in dem Text gibt es vier Themen, die man erzählen könnte: 1. Jessie – Warum stehen Jungs auf Mädchen, die offenbar kaputt sind – da könnte man dann ein „normales“ Mädchen entgegenstellen. 2. Das Verhältnis von Jessie und Seppi zueinander – da wär der Erzähler viel passiver, die beiden Figuren und der Vater bekämen viel mehr Raum, es gäbe keinen Ben, es gäbe kein Elternhaus des Erzählers nichts. 3. Die Hypersexualität des Erzählers – da könnte man Jessie und Seppi rauswerfen. 4. Dieser Schablonenentwurf mit Ben: Warum ist der eigentlich glücklich, obwohl er dick und seine Freundin hässlich ist; während ich Sit-ups mach und auch eine Freundin hab, aber die lässt mich nie ran und wenn, dann ist es total anstrengend.

Ich denke das „Schwierige“ bei Kurzgeschichten ist es, dass die Idee, ein Handlungsstrang, ein Motiv, eine Idee sei genug, uns aus dem Erzählen, das wir sonst haben, völlig unbekannt ist, sondern das sind immer dann große Wimmelbilder. Mehr Figuren, mehr Motive, mehr Motivwelten, mehr Handlungsstränge; Ich bin da auch ein Fan von. Aber in einer Kurzgeschichte führt das dazu, dass man vier Handlungsstränge hat und alle sind flach.

Jo, das sind die einzelnen Handlungsstränge, ich habe dazu ja schon viel geantwortet; du magst es, dich auf einen zu konzentrieren, ich habe hier viele verschiedene, die dann in den Bruch der Clique zusammenlaufen ... das gefällt dir nicht, mhm, blöd. Aber irgendwie bin ich halt damit zufrieden, ich mag das, ich finde schon, dass die Story vieles hergibt und jetzt nicht nur in abgelatschten Klischees tappt und dann vorhersehbar endet; ich meine das jetzt nicht böse, ist halt meine objektive Meinung, vllt ändert die sich in fünf Jahren, wenn ich all das Zeug gelesen habe, was du gelesen hast, und mich das dann auch ankotzt, noch so einen abgekauten Schinken schlucken zu müssen :D

Okay, das waren jetzt nur meine Gedanken, du hast ja mit der Geschichte hier die Challenge gewonnen und sie ist auch empfohlen worden, also gibt es auf jeden Fall auch viele Leute, die genau diese Art zu erzählen dann mögen. Ich biet dir halt jetzt nur mal meine Meinung als Gegenentwurf an.
Jo, ich denke auch, dass es Leute gibt, die eben diese Art zu erzählen mögen, ich mag sie halt auch ... ich denke jetzt auch nicht, dass sie grundlegend falsch ist bzw. dass sie wirklich grundlegend einfach scheiße ist, einfach, weil ich bis jetzt eigentlich ausschließlich positives Feedback dafür bekommen habe, nicht nur hier auf kg.de durch die Challenge, keine Ahnung ...
Aber: Trotzdem danke für deinen Kommentar, für's Lesen und Gedankenmachen und so. Zeigt mir, dass es Leute gibt, die diese Art zu erzählen eben nicht mögen, dass man auch mit einem fokussierten Handlungsstrang erzählen kann/soll/whatever, ist schon okay. Schade, dass dir meine Story nicht zusagt, mir gefällt sie halt schon ziemlich gut, so wie sie jetzt ist.

Grüße!

 
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Hallo Zigga,

ich ackere gerade die letzten Jugendgeschichten durch, und da hat mich Deine besonders interessiert, weil die in der Challenge so gut abgeschnitten hat und ich auch am Rande mitbekommen habe, dass Du viel Lob dafür bekommen hast.

Ich weiß, dass Du nichts persönlich nimmst, aber trotzdem schon mal vorab: Alles was ich sage, ist ganz subjektiv und nur eine persönliche Rückmeldung. Ich glaube es wichtig für einen Autor, Feedback von den unterschiedlichsten Lesern zu bekommen.

Als Prolog: Ich habe große Schwierigkeiten mit der Geschichte, so große, dass ich sie nicht bis zum Ende gelesen hätte, wenn es mir nicht um die Auseinandersetzung mit dem Text als solchen gegangen wäre. Ich weiß nicht, ob ich zu einer besonderen Spezies Leser gehöre, aber mich jagst Du mit diesem Text in die Flucht und zwar nicht, weil Du nicht gut schreiben könntest, sondern weil mich die Techniken abschrecken, die Du benutzt.

Ich versuche das mal in einzelne Themenkreise zu ordnen

1) Der Erzähler ist (mir) unsympathisch – Dein Erzähler liefert mir zwar Innenansichten, aber primär solche, auf die ich verzichten kann, denn es fehlt ihnen an Witz, Charme und Intelligenz. Dafür gibt es vulgären Mist satt. Es ist mir beinahe unerträglich, dieser Stimme zuzuhören.

Okay, es ist ein Kid. Viele Kids sind ein bisschen daneben, weil sie von der Pubertät und den sonstigen Veränderungen in ihrem Leben überfordert werden. Aber Kids sind auch auf lustige oder charmante oder interessante Weise verwirrt. Man lernt etwas über sich selbst, wenn man ihnen zuhört.

Für mich ergibt sich die Frage, wo das Problem hier liegt. Du tauchst als Autor in diese Figur und stattest sie mit Attributen aus. Du willst authentisch zeigen, wie naiv, orientierungslos und verletzlich dieses Kind ist. Okay, aber Deine Technik besteht darin, dass Du den Leser zwingst, all das halbgare Gebrabbel seitenlang mitanzuhören. Die Defizite dieses Jugendlichen sind über-präsent und damit nimmst Du ihm auch etwas von seiner Würde, finde ich.

2) Ein beschränkter Erzähler benutzt eine beschränkte Sprache – Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass Du mit Sprache umgehen kannst. Das ist klar. Aber Du tauchst ja hier als Erzähler in das Ego dieses beschränkten Protagonisten und das vermurkst auch die Sprache.

"… ich meine, wir ließen echt keine Gelegenheit aus, uns gegenseitig Scheiße ins Gesicht zu werfen, und seitdem er mit seiner Seekuhkönigin durch die Gegend robbte …" Ich finde das wirklich schlimm.

"… wollte gar nicht mehr wissen, wie ihr Loch da unten funktioniert …" Tja.

"ließen mich am nächsten Morgen wie einen Zombie mit Hämorrhoiden durch die Welt humpeln. " Hm. Also diese Sprache finde ich furchtbar, flach, vulgär und einzig auf ein paar billige Lacher abzielend. Ich finde, wenn man das als Autor so durchexerziert, schadet man der Entwicklung eines guten Stils.

Es ist ja natürlich eine Frage, was Du so vorhast beim Schreiben. Mit dieser Sprache kannst Du nur Geschichten eines sehr sehr kleinen Themengebiets behandeln. Zu Geschichten mit einer ernsthaften, ernstzunehmenden, poetischen oder intelligenten Stimme taugt diese Sprache nicht.

3) Die Handlung zerbröselt – Mich haben all diese Kalauer so Thema abgelenkt, dass ich vor lauter Titten, Fotzen, Ärschen, Muschis, Löchern, Pimmeln, Rotze den Handlungsstrang nicht mehr gesehen habe. Es kam mir so vor als würde die Handlung nur von einer Idiotie in die nächste schlingern.

Das ist grundsätzlich ein Problem: Wenn Sprache und Szenen in ihrer Drastik überborden, verliert man als Leser schnell den Blick für Fortgang der Ereignisse.

Und noch ein Hinweis zum Schluss, weil ich das schon häufiger gesehen habe: Umgangssprachliches "Nein" wird "Nee" geschrieben und nicht "Ne", denn das bedeutet "eine" oder soll (siehe Wikipedia) "den Gesprächspartner meist zu Zustimmung oder Ablehnung des Gesagten bewegen".

Fazit: Du kannst gut mit Sprache umgehen, aber in diesem Text machst Du daraus eine Jauchegrube. Du hast ein Auge für Details und die Figuren wirken authentisch, aber wie die miteinander umgehen ist mies und es macht mir keinen Spaß diesen ganzen Blödsinn anzuschauen.

Mich würde interessieren, was Du meinst, was diese Geschichte interessant macht. Dann würde ich besser verstehen, weshalb Du diese Techniken gewählt hast.

Aber: Bitte lass Dich von meiner harten Kritik nicht irritieren. Sicher ist das eine Einzelmeinung. Ich werde jetzt mal die anderen Kommentare anschauen und sehen, was die anderen gesagt haben.

Beste Grüße
Achillus

 
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Hey Achillus,

Du kannst gut mit Sprache umgehen, aber in diesem Text machst Du daraus eine Jauchegrube.
:D Ich musste echt irgendwie grinsen, als ich diesen Satz gelesen habe; nicht, weil ich deine Rezension gering schätze oder so, aber weil dieser Satz einfach so schön zeigt, dass du einfach gar nichts mit der Story anfangen konntest. Ist aber okay, als ich das Ding geschrieben habe, hatte ich mich schon darauf gefasst gemacht, dass die Geschichte bei vielen hier gar nicht ankommen würde. Und ich war dann überrascht, dass ich bis vor zwei Wochen ausschließlich sehr positives Feedback dafür bekommen habe. Ja, du hast recht: die Story ist vulgär, direkt, voller Pimmeln und Ärschen und Muschis und Spuckepfützen - und es ist nicht verwerflich, wenn das Leser nicht mögen. Du sagst selbst, dass die Figuren authentisch wirken, und ich glaube das ist der Knackpunkt, es gibt eben eine Phase in der Jugend, da denken die Kids einfach vulgär, und die Gedanken sind voller Pimmel und Ärsche und dabei spucken sie herum und verhalten sich wie Idioten. Aber wenn man in so ein Extrem geht, ist das eben totale Geschmackssache, glaube ich: Die einen mögen das, finden es witzig, das zu beobachten, anderen ist das zu viel, die vermissen literarische Qualität und so. Bin ich dir gar nicht böse.

2) Ein beschränkter Erzähler benutzt eine beschränkte Sprache – Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass Du mit Sprache umgehen kannst. Das ist klar. Aber Du tauchst ja hier als Erzähler in das Ego dieses beschränkten Protagonisten und das vermurkst auch die Sprache.
Es ist ja natürlich eine Frage, was Du so vorhast beim Schreiben. Mit dieser Sprache kannst Du nur Geschichten eines sehr sehr kleinen Themengebiets behandeln. Zu Geschichten mit einer ernsthaften, ernstzunehmenden, poetischen oder intelligenten Stimme taugt diese Sprache nicht.
Wie gesagt - das ist eben die Sprache der Kids hier, und ich glaube, es gibt viele Kids, die eben so sprechen, denken. Ich wollte hier eben mal versuchen, total direkt und unmittelbar und ohne wertende auktoriale Instanz die Gedankenwelt von einem ein bisschen verlorenen Teenager aufschreiben, einfach geradeaus so, wie er denkt.

3) Die Handlung zerbröselt – Mich haben all diese Kalauer so Thema abgelenkt, dass ich vor lauter Titten, Fotzen, Ärschen, Muschis, Löchern, Pimmeln, Rotze den Handlungsstrang nicht mehr gesehen habe. Es kam mir so vor als würde die Handlung nur von einer Idiotie in die nächste schlingern. Das ist grundsätzlich ein Problem: Wenn Sprache und Szenen in ihrer Drastik überborden, verliert man als Leser schnell den Blick für Fortgang der Ereignisse.
Mhm, die Handlung zerbröselt ... ich weiß gerade auch nicht, was ich dazu schreiben könnte. Das habe ich jetzt als Feedback noch nicht gehört, wahrscheinlich hat dich tatsächlich der Erzählstil einfach dermaßen überfordert/gestört, dass du von der Handlung abgelenkt warst. Ich finde schon, dass man der Handlung folgen kann, der Prot durchläuft ein Wochenende, in der seine Clique langsam auseinanderfällt.

Und noch ein Hinweis zum Schluss, weil ich das schon häufiger gesehen habe: Umgangssprachliches "Nein" wird "Nee" geschrieben und nicht "Ne", denn das bedeutet "eine" oder soll (siehe Wikipedia) "den Gesprächspartner meist zu Zustimmung oder Ablehnung des Gesagten bewegen".
Alles klar, werde ich umsetzen!

Mich würde interessieren, was Du meinst, was diese Geschichte interessant macht. Dann würde ich besser verstehen, weshalb Du diese Techniken gewählt hast.
Habe das glaube ich oben schon geschrieben: Ich habe hier versucht die Gedankenwelt und die Sprache eines Jugendlichen einfach total unverfälscht und direkt und unmittelbar abzufischen und aufzuschreiben, ohne wertende Instanz, ohne auktorialen Erzähler oder so was, das fand ich interessant; und in der Gedankenwelt eines 14, 15, 16jährigen geht es halt bei einigen/manchen/den meisten so ab, würde ich jetzt mal vermuten, da überlagern die eigenen Probleme, die man mit sich rumschleppt, vieles, da denkt man bloß an Mädchen und versucht das alles zu verstehen ... und man denkt halt auch nicht: Mhm, die Jutta, das ist aber ein holdes Mädchen, sie gefällt mir, ich würde gerne mit ihr ins Kino gehen! Wenn man ehrlich ist, starrt man Mädchen in der Zeit einfach nur an, denkt sich: Geeeil, hat die Alte Möpse!, oder so was, und dann stellt man sich als Typ schweinische Sachen vor, so Zeug halt ... kann natürlich sein, dass du da ganz anders bist/warst, oder vielleicht willst du so was in einer Story einfach nicht lesen, keine Ahnung, vielleicht willst du tatsächlich nur literarisch "hochwertige" Prosa lesen, kann ja sein, ist ja auch nichts verwerfliches daran; aber für eine Jugendgeschichte war es mir eben wichtig, einfach mal total direkt und ehrlich zu schreiben, mit dem Hinblick darauf, dass sich Leute darin wiedererkennen, und dieses: ach Mann, so war's wirklich, auch wenn ich mich nie getraut hätte, das so zuzugeben sollte dann zur Unterhaltung beitragen ... ansonsten habe ich noch versucht, Themen zu wählen, die für Teenager einfach wichtig sind: Stress mit den Eltern, das andere Geschlecht, Alkohol, Zigaretten, Zeittotschlagen, die erwachende Sexualität, sowas. Für dich hat's nicht geklappt, für viele andere schon, mir gefällt die Geschichte auch so wie sie ist, aber sei's drum!

Danke dir auf jeden Fall für's Lesen und Kommentieren und Gedankenmachen und so, ich bin für jedes Feedback dankbar, ehrlich Meinungen sind mir lieber als gelogenes Honig um den Mund schmieren.

Grüße!

 

Hi Zigga,

beim ersten Absatz dachte ich, dass die Geschichte nichts für mich ist. Irgendwie hat mich die Szene nicht so richtig angesprochen und ich fand es sprachlich auch nicht so rund.

Sobald du dann allerdings mitten im Geschehen bist, hat es mir richtig gut gefaleln.
Ich mag an deiner Geschichte auch, dass sie eben auch wirklich eine Geschichte erzählt. Das ist nicht nur ein Fragment oder ein Text, der bis ins letzte durchkomponiert ist, sondern - eine Geschichte. Und das finde ich echt große klasse. Immer wenn ich so etwas lese, dann habe ich das Gefühl, dass ich mich sofort hinsetzen und auch etwas schreiben möchte. :)

Deine Geschichte war insgesamt auch sehr stimmig - die Jugendlichen, ihre Albereien, ihre Gedanken, ihre Zankereien etc. - das alles war sehr authentisch und ich fand auch die Sprache des Protagonisten ziemlich passend.
Dein Text fängt für mich auch das ein, was "Jugendlicher sein" eigentlich bedeutet - dieses ständige cool sein und cool tun, während man in Wirklichkeit überhaupt nicht weiß, was man tun soll. Auch dieses "sexuell überladene" hat für mich sehr gut gepasst.

Zur Erzählung selbst will ich gar nicht soviel sagen - es war traurig, aber mir hat es wirklich gut gefallen und das Lesen hat mir Spaß gemacht.

Ein paar Textanmerkungen:

Als die Straße erdig wurde und sich immer mehr Baumwurzeln durch sie fraßen, begann ich zu taumeln, verlor schließlich das Gleichgewicht, fiel vom Fahrrad, aber es schmerzte nicht; ich drehte mich zur Seite und schaute in die Richtung, aus der ich gekommen war: nichts. Kein Blaulicht. Keine Polizei.

Die letzten beiden Worte könntest du für mein Gefühl weglassen. Ich finde, das ist aus dem Zusammenhang klar.

„Ach du Scheiße!“, rief ich, als ich an der Brücke ankam und den kleinen Hügel zum Bach hinunterrannte.

Der Ausruf "Ach du Scheiße" passt hier nicht so gut, finde ich. Das sagt man doch nur (also ich jedenfalls), wenn gerade in DIESEM Moment etwas scheiße läuft bzw. ich es in diesem Moment entdecke. Dein Protagonist hingegen bezieht sich mit seinem Ausruf aus etwas, das bereits vorher geschehen ist. Ich finde, er müsste eher sagen: "Was sollte die Scheiße?"

Allzu groß war der Park nicht, man hatte von hier aus alles gut im Blick. Das war wichtig, weil wir ziemlich paranoid waren und überall Zivilpolizisten oder unsere Eltern vermuteten, die uns erwischen könnten, und das machte uns verdammt große Sorgen.

Das wäre jetzt auch wieder so eine Stelle, dich ich streichen würde. Es ist aus dem Zusammenhang ersichtlich, dass ihnen das Auftauchen von Eltern/ Zivilpolizisten Sorgen bereitet.

Eine Laterne auf der anderen Straßenseite fing das Blinken an und warf einen schwachen Lichtkegel auf den Gehsteig

schöner: ... Straßenzeite fing an zu blinken und warf ...

Das Viertel, aus dem ich kam, war anders: Jede Familie hatte dort ihr eigenes Haus, und sie schauten alle gleich aus, sie waren weiß, sauber, ohne Risse, sie strotzten vor Kraft und Gesundheit.

Ich finde das etwas komisch im Zusammenhang mit Häusern von "Kraft und Gesundheit" zu sprechen. Hier könntest du für meinen Geschmack nach dem "sauber" einfach aufhören.

Mel laberte irgendetwas mit Seppi, gluckste, rieb ihren Arsch weiter vor und zurück; ich schluckte das scharfe Zeug hinunter, spürte ihren Körper auf mir, aber er gab mir nichts, er war ein Zellhaufen mit zu viel Schminke; das Gerüst war immer noch leer.

Ich finde die ganze Szene mit dieser Mel so ein bisschen seltsam. Kann ich mir irgendwie nicht so richtig vorstellen. Ich halte es nicht für unmöglich, aber irgendwie nehmen das auch deine Protagonisten alle als "normal" hin und das finde ich auch etwas komisch.

Wieder standen wir da und taten nichts als uns anzuschauen, aber es war keine nichtssagende Stille.

Allgemeiner Kritikpunkt: Du neigst oft dazu, dem Leser so viel vorzukauen. Vieles ist aus dem Zusammenhang klar, aber dann setzt du noch eins drauf und fasst nochmal alles zusammen. Das finde ich ein bisschen schade. Hier musst du deinem Leser vielleicht einfach noch ein bisschen mehr vertrauen.

Liebe Grüße
die Bella

 

Hi Bella!

Erstmal danke für's Lesen und Kommentieren, ist ja schon ein längerer Schinken.

beim ersten Absatz dachte ich, dass die Geschichte nichts für mich ist. Irgendwie hat mich die Szene nicht so richtig angesprochen und ich fand es sprachlich auch nicht so rund.
Ja heftig, der sollte als Cliffhanger dienen, weil ich befürchtete, dass man sonst nach sieben Seiten dasteht und sich denkt: Wo führt das ganze hin? Hat bis jetzt noch niemand kritisiert, aber okay, ich nehme es zu Kenntnis; jeder Leser ist eben verschieden. Wobei ich jetzt nicht glaube, dass ich es raus streichen werde, oder so; aber danke für die Info, ich behalte es im Hinterkopf.

Sobald du dann allerdings mitten im Geschehen bist, hat es mir richtig gut gefaleln.
Ich mag an deiner Geschichte auch, dass sie eben auch wirklich eine Geschichte erzählt. Das ist nicht nur ein Fragment oder ein Text, der bis ins letzte durchkomponiert ist, sondern - eine Geschichte. Und das finde ich echt große klasse. Immer wenn ich so etwas lese, dann habe ich das Gefühl, dass ich mich sofort hinsetzen und auch etwas schreiben möchte. :)
Freut mich, dass du so grün wurdest mit der Geschichte, ehrlich. Und ich kenne das selber, wenn man Storys liest, die einem so richtig gut gefallen, kribbelt es einem selbst in den Finger; das ist ein großes Kompliment von dir!

Dein Text fängt für mich auch das ein, was "Jugendlicher sein" eigentlich bedeutet - dieses ständige cool sein und cool tun, während man in Wirklichkeit überhaupt nicht weiß, was man tun soll. Auch dieses "sexuell überladene" hat für mich sehr gut gepasst.
Das ist sehr cool, wenn ich das für dich geschafft habe, dieses Feeling einzufangen, das bedeutet mir schon sehr viel, wenn das für dich geklappt hat.

Der Ausruf "Ach du Scheiße" passt hier nicht so gut, finde ich. Das sagt man doch nur (also ich jedenfalls), wenn gerade in DIESEM Moment etwas scheiße läuft bzw. ich es in diesem Moment entdecke. Dein Protagonist hingegen bezieht sich mit seinem Ausruf aus etwas, das bereits vorher geschehen ist. Ich finde, er müsste eher sagen: "Was sollte die Scheiße?"
Stimmt; ich überdenke das mal. Du musst wissen, dass ich den Text jetzt schon circa zehntausendmal gelesen habe, und einfach überhaupt keinen objektiven Abstand zur Zeit dazu habe, auch wenn das schon acht Wochen her ist; aber ich werde in ein paar Wochen nochmal drüberlesen und deine Verbesserungsvorschläge durcharbeiten, da hast du schon mit vielem recht; ich hoffe du verstehst das.

Allgemeiner Kritikpunkt: Du neigst oft dazu, dem Leser so viel vorzukauen.
Das ist tatsächlich eine sehr scharfe Beobachtung von dir! Ich bemängel das immer gerne bei anderen Autoren, aber bei meinem eigenen Zeug sehe ich das oft nicht, oder denke mir: Nee, das ist schon gut so, wenn man das nochmal hinschreibt. Aber du hast total recht; wie gesagt, wenn ich die Geschichte jetzt lese und diese Mängel heraussuchen wollen würde, würde das nur schwer klappen; aber in ein paar Wochen werde ich das sicher machen. Versprochen.

Bella, viele Dank für deinen schönen Kommentar, hat mich sehr gefreut!

Grüße

 

Hallo zigga,

wow! Was für eine lange, aber an keiner Stelle langweilige Geschichte. Toll geschrieben. Am Ende liste ich dir all die Sätze auf, die ich genial gut fand. Schreiben kannst du.

Das letzte Drittel deiner Geschichte enthielt leider kaum noch etwas, was mich sprachlich umhaute. Keine Ahnung, wieso das so war. Ich hatte nicht den Eindruck, dass du dort anders geschrieben hast, dein Niveau ist gleichbleibend gewesen.

Bewundernswert fand ich, dass du keine Hänger dazwischen hattest und das bei dieser Geschichtenlänge. Respekt!

Die von dir unter den Jugendlichen geschaffene Atmosphäre wies keine Lücken auf. Alles dicht und milieufest. Diese düstere Stimmung, dieses Zeittotschlagen, Alkohol und Sex ausprobieren, sich latent ständig im Wettbewerb zu den anderen befinden, dieses sich nur um sich selbst drehen, das ewige An-Sex-Denken, das wirkt sehr stimmig und dicht.

An einer Stelle fand ich es allerdings too much des Milieus:

Ein paar Minuten standen wir einfach da; ich schlug ihr vor ein bisschen rumzulaufen. Dann erzählte sie es mir, ich meine echt einfach alles, von ihrem Stiefvater und von ihren Halbschwestern, die es zwar wussten, aber sie nur dafür hassten, weil er ihr damals so viele Geschenke machte; von Seppi, der danach immer zu ihr ins Bett kam und sie solange in den Arm nahm, bis sie einschlief; von ihrer Mutter, deren Arme so vernarbt waren, dass sie keine T-Shirts mehr tragen konnte. Ich wusste nicht was ich sagen sollte, nickte immer bloß, hätte gerne mitgeheult, aber ich konnte nicht, da brannte zu viel Wut in meinem Bauch.

Da überdekorierst du Jessi heftig, sie hätte einfach nur eine Superdürre sein können, das muss nicht auch noch mit Missbrauch garniert werden und auch die Mutter mit den vernarbten Armen, da haust du einfach zu viel Lokalkolorit in die Figuren.
Diese Überdosis brauchst du hier gar nicht.

An einer weiteren Stelle ist mir der Erzähler zu auktorial, was ungewöhnlich für dich ist, denn es kommt dann im Verlaufe der weiteren Geschichte nicht mehr vor.

Nach genau solchen Momenten suchten wir die ganze Zeit: Unbeschwertheit, Abenteuer, Spaß; einfach sein, die Welt erforschen, erleben, erobern. Wir fühlten uns großartig, da hing etwas in der Luft, als ob alles möglich wäre.
Ich würde das streichen. Entweder man erfasst genau diese Aussage im Laufe deiner Geschichte oder aber man glaubt dir nicht.

Deine Figuren sind allesamt plastisch genug geworden, lebendig genug, um sie für sich selbst sprechen zu lassen.

Was ich dir allerdings gestehen muss, ist dass ich solche Geschichten über Jugendliche, ihre Sinnsuche, den ganzen Scheiß, den sie auf dem Weg in ihre Zukunft als Erwachsene fabrizieren, nicht so unterhaltsam finde, wie jede Menge andere Plots.

Von daher hatte ich immer ein wenig die Schere im Kopf. Einerseits habe ich mich unterhalten gefühlt in deiner Geschichte, ganz ohne Frage hattest du sehr viel zu bieten und zu erzählen, andererseits mochte ich die Figuren nicht, fand sie alle unappetitlich, ihre Verhaltensweisen nervig und konnte mit keinem so richtig warm werden. Ich mochte den Erzähler leider auch nicht.

Bitte schreibe das aber nicht dir zu, sondern ich bin einfach nicht die Zielgruppe für diese Geschichte.
Sehr wahrscheinlich hätte ich, wenn ich nicht Flieges Geschichte gelesen hätte, die ja auf deine verweist, mich nicht weiter in deine Geschichte reinbegeben.

Allerdings wären mir dann deine begnadeten Formulierungen nicht unter die Augen gekommen und allein dafür hat es sich echt gelohnt, zu lesen.

Die Sonne hing hoch oben am Himmel und schüttete ihre gelbe Magie über alles

gelbe Magie schütten!

wenn man ihr in die Augen sah, kam es einem so vor, als würde man in zwei leere Becher blicken.
Das mit den zwei leeren Bechern ist zwar kein Vergleich, der bildlich wie ein Foto oder ein Film funktioniert, aber du transportierst eine besondere Stimmung damit. Ich finde den Satz gelungen.

ihr Atem wie ein Pfefferminzkaugummi in einem Aschenbecher.
Perfekt. Sofort hat man den Geruch und den Geschmack zu fassen.

Der Park lag auf der Seite der Stadt, wo alles grau war; wo man die Männer aus den Fenstern ihrer Betonsärge Zigaretten paffen sah, wo es nichts als Pinten und Casinos und Dönerbuden zu geben schien, und wo immer irgendeine Gruppe Halbstarker herumlungerte, die dich unter ihren Kapuzen beobachteten.
Wunderbar, wie du mit sehr wenigen Strichen diese Gegend beschreibst und die Menschen darin. Von deiner Begabung hätte ich gern was ab. :)

ich hasste es, dass wir immer bloß über unserem Mittagessen hingen und uns anschwiegen.
Über dem Mittagessen hängen, ist so sehr treffend, man kann sich diese Tristesse vorstellen.

Mein Vater lag schnarchend auf dem Sofa und Maybrit Illner brüllte ihn an.
Dein Humor gefällt mir sehr gut. Ich mag die Illner nicht, die immer so den Kopf klugscheisserisch schief legt, wenn sie ihre Diskussionspartner niederfragt.

Solche Tage taten mir nicht gut, die zogen mir jegliche Kraft aus den Knochen und ließen mich am nächsten Morgen wie einen Zombie mit Hämorrhoiden durch die Welt humpeln.
Hier ist aber mal eine Formulierung, die mir gar nicht gefallen hat. Jegliche Kraft aus den Knochen. Das erinnerte mich fatal an die dämlichen Gerüchte aus meiner frühesten Kindheit, in welcher den Jungens mitgeteilt wurde, dass sie vom Wichsen Rückenerweichung bekämen. Wir Mädchen wurden damit nicht bedroht, keine Ahnung, wieso, 'nen Rücken haben wir ja auch. Es ging mehr wohl um den Saft, der dann aus dem Rücken gezogen wird durchs Wichsen. Ich weiß nicht, das schwingt hier so wuchtig mit, dass ich diese Knochenformulierung blöd finde. Sorry.

Aber nun geht es weiter mit deinen treffenden Formulierungen:

das diese eklige Stille zu durchbrechen versuchte.
eklig mit Stille zu verpaaren, das hat was. Super.

solche Euter bei einer in unserem Alter zu sehen war genauso selten, wie ein Vierzehnjähriger mit Rasputinbart und Flugzeugführerschein.
Herrlich komisch.

und fühlte ihre glibbrige Zunge, die sich wie ein Blinder in meinem Mund umhertastete.
Das ist so eine Aussage des Erzählers, den kann man eigentlich nur wegen seiner teils menschenverachtenden Art ablehnen. Aber, wenn man sich auf ihn und sein Weltbild einlässt, dann ist dieser Satz einfach gelungen.

Lieber zigga, es war ein Erlebnis, deine Geschichte zu lesen!


Lieben Gruß

lakita

 

Hi lakita,

wow! Was für eine lange, aber an keiner Stelle langweilige Geschichte. Toll geschrieben. Am Ende liste ich dir all die Sätze auf, die ich genial gut fand. Schreiben kannst du.
Das sind sehr nette Worte und tolle Komplimente, das freut mich sehr :)

Das letzte Drittel deiner Geschichte enthielt leider kaum noch etwas, was mich sprachlich umhaute. Keine Ahnung, wieso das so war. Ich hatte nicht den Eindruck, dass du dort anders geschrieben hast, dein Niveau ist gleichbleibend gewesen.
Du bist tatsächlich die erste, der das auffällt ... aber ja, das war so geplant, irgendwie. Im letzten Drittel wird es ja dann "hart", da kommt ja dann dieser "Bruch"... also so war das zumindest geplant: Dass da die unschuldige, spaßige Jugendwelt zusammenbricht, und der Prot lernt, dass das Leben nicht nur aus Spaß besteht. Und das wollte ich auch sprachlich unterstützen, und im letzten Drittel die Bilder, die die Welt halt so schön und witzig und unbeschwert zeichnen, weglassen ... ich weiß nicht, ob das so rübergekommen ist, und ob das geklappt hat, aber so war das zumindest bisschen geplant.

Bewundernswert fand ich, dass du keine Hänger dazwischen hattest und das bei dieser Geschichtenlänge. Respekt!
Das ist natürlich die größte Angst, die man bei längeren Texten hat - dass der Leser irgendwann aussteigt. Schön, dass das bei dir nicht der Fall war.

Die von dir unter den Jugendlichen geschaffene Atmosphäre wies keine Lücken auf. Alles dicht und milieufest. Diese düstere Stimmung, dieses Zeittotschlagen, Alkohol und Sex ausprobieren, sich latent ständig im Wettbewerb zu den anderen befinden, dieses sich nur um sich selbst drehen, das ewige An-Sex-Denken, das wirkt sehr stimmig und dicht.
Das ist toll!

An einer Stelle fand ich es allerdings too much des Milieus: [...] Da überdekorierst du Jessi heftig, sie hätte einfach nur eine Superdürre sein können, das muss nicht auch noch mit Missbrauch garniert werden und auch die Mutter mit den vernarbten Armen, da haust du einfach zu viel Lokalkolorit in die Figuren.
Diese Überdosis brauchst du hier gar nicht.
Ja, ist gut möglich. Ich wollte dem Prot hier vor der Prügelszene noch mal eine nachvollziehbare Motivation geben, wieso er sich so heftig mit dem Stiefvater von Jessi prügelt - ich hatte da auch Schiss, dass ich zu viele Kisten aufreiße, auch mit der Vergewaltigung und sowas; kann schon sein, dass das da etwas dick aufgetragen ist!

An einer weiteren Stelle ist mir der Erzähler zu auktorial, was ungewöhnlich für dich ist, denn es kommt dann im Verlaufe der weiteren Geschichte nicht mehr vor. [...] Ich würde das streichen. Entweder man erfasst genau diese Aussage im Laufe deiner Geschichte oder aber man glaubt dir nicht.
Ja, bei diesem Satz denke ich schon längere Zeit nach, ob ich den nicht streichen würde. Mir hat mal einer außerhalb dieses Forums gesagt, der klingt fast wie aus einer Werbung oder so; das hat mir schon zu denken gegeben

Deine Figuren sind allesamt plastisch genug geworden, lebendig genug, um sie für sich selbst sprechen zu lassen.
Ja schön!

Was ich dir allerdings gestehen muss, ist dass ich solche Geschichten über Jugendliche, ihre Sinnsuche, den ganzen Scheiß, den sie auf dem Weg in ihre Zukunft als Erwachsene fabrizieren, nicht so unterhaltsam finde, wie jede Menge andere Plots.

Von daher hatte ich immer ein wenig die Schere im Kopf. Einerseits habe ich mich unterhalten gefühlt in deiner Geschichte, ganz ohne Frage hattest du sehr viel zu bieten und zu erzählen, andererseits mochte ich die Figuren nicht, fand sie alle unappetitlich, ihre Verhaltensweisen nervig und konnte mit keinem so richtig warm werden. Ich mochte den Erzähler leider auch nicht.

Das macht gar nichts. Also ich bin keiner, den das kränkt oder sowas. Ich kann auch nachvollziehen, dass solche Figuren wie in dieser Story hier auf viele Menschen sehr unsympathisch wirken, einfach, durch das was sie machen und denken. Das ist schon okay. Aber irgendwie hast du die Geschichte doch interessiert gelesen, das freut mich dann doch, dass du auch durchgehalten hast, obwohl du die Figuren nicht mochtest ;)

Allerdings wären mir dann deine begnadeten Formulierungen nicht unter die Augen gekommen und allein dafür hat es sich echt gelohnt, zu lesen.
Das ist ein tolles Kompliment. Ich weiß nicht, ob sich das doof anhört, aber diese Vergleiche und so waren für mich beim Schreiben damals gar nicht so ein großer Aufhänger für die Geschichte, eher so ein witziger Nebeneffekt. Deswegen bin ich überrascht gewesen, dass das dann viele so hoch geschätzt haben. Ich hab solche Vergleiche z.B. bei meiner Maskenballstory (die du auch kommentiert hast) fast komplett weggelassen, und ich persönlich fand das nicht unbedingt störend; viele haben dann wieder gemeint: stilistisch fehlt da was!

Hier ist aber mal eine Formulierung, die mir gar nicht gefallen hat. Jegliche Kraft aus den Knochen. Das erinnerte mich fatal an die dämlichen Gerüchte aus meiner frühesten Kindheit, in welcher den Jungens mitgeteilt wurde, dass sie vom Wichsen Rückenerweichung bekämen.
Ach, verrückt. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Ich hab auch schon mal gehört, dass man den Jungs früher sowas erzählt hat, aber das hatte ich beim Schreiben gar nicht im Hinterkopf. Mit aus den Knochen meinte ich einfach, dass der Prot sich so richtig körperlich geschlaucht fühlt

Dein Humor gefällt mir sehr gut. Ich mag die Illner nicht, die immer so den Kopf klugscheisserisch schief legt, wenn sie ihre Diskussionspartner niederfragt.
Ich mag Illner auch nicht besonders!

und fühlte ihre glibbrige Zunge, die sich wie ein Blinder in meinem Mund umhertastete.
Das ist so eine Aussage des Erzählers, den kann man eigentlich nur wegen seiner teils menschenverachtenden Art ablehnen.
Naja ... menschenverachtend? Das finde ich jetzt irgendwie nicht

Lakita, vielen Dank für deinen sehr netten Kommentar, es hat mich gefreut!

Grüße

 
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Hallo zigga,

So, jetzt komm ich endlich auch zu dieser Geschichte.

als sei er ein Pokal, oder sowas.

Warum Komma an der Stelle? Hast du sonst auch nicht. Für mich fühlt sich das falsch an. Das kommt immer so dahergesagt und bisschen unüberlegt und rausgehauen daher, dieses "oder so.." Wenn man dann noch ein Komma hinstellt ... das killt doch den ganzen Effekt.

Und es ist glaub auch grammatikalisch falsch.

Er meinte, er würde wahrscheinlich sterben oder so.

Wir brauchen einen Baseballschläger oder sowas.

Entweder laufen wir oder wir fahren mit dem Bus.

Alles ohne Komma.

Hab ich grad im Netz gefunden bei Texterstellung:

http://texterstellung.officestopp.com/rechtschreiberegeln/komma-bei-entwederoder-bzw-sowohlals-auch

Zunächst besagt eine Regel der deutschen Rechtschreibung, dass kein Komma zu setzen ist, wenn gleichrangige Wörter, Wortgruppen und Teilsätze mit dem Wort „oder“ verbunden werden. Gleiches gilt auch für „und“ „sowie“ und ähnliche Wörter.

Kein Komma braucht man nach den Worten „oder“, „sowohl/als auch“, „entweder/oder“ und „weder/noch“ zu setzen.

Ein typisches Beispiel hierfür ist der Satz:
„Das Geld wurde ihr von Verwandten und Bekannten geschenkt oder es wurde ihr geliehen“.

Erhalten bleibt jedoch das Komma vor „aber“ und „sondern“. Handelt es sich jedoch um das Zusammenfügen von selbständigen Sätzen, die durch „oder“, „entweder/oder“ bzw. „sowohl/als auch“ verbunden werden, kann nach der neuen deutschen Rechtschreibung ein Komma gesetzt werden, um die Satzgliederung zu verdeutlichen. Allerdings kann jetzt auch in diesem Fall das Komma entfallen.

Folgendes Beispiel verdeutlicht die zuletzt genannte Regelung:
Hast du die Arbeit bereits erledigt, oder wirst du dies erst am Abend tun?

Das Komma vor dem Wort oder ist hier erlaubt, kann jedoch auch entfallen.

„Oh-oh, F-F-Alarm“, sagte ich und erst begannen Seppi und ich leise zu kichern, dann schrien wir vor Lachen, Tränen liefen über unsere Wangen: „F-F-Alaaarm!“
„Ha, ha“, sagte Ben mit genervtem Unterton, versuchte sich ein Grinsen aufzusetzen, schaffte es aber nicht. „Ganz schön witzig, ihr Penner.“
Ben schaute aus wie ein verpickelter Buddha und seine Ische war nicht weniger korpulent als er, wir nannten sie F-F, fette Franzi. Sie lief uns in der Schule andauernd über den Weg, und irgendwann haben wir angefangen, „F-F-Alarm!“ zu schreien, wenn wir sie sahen; haben uns immer richtig bepisst vor Lachen, auch Ben. Dann kam er auf einmal händchenhaltend mit ihr angeschlurft, ich und Seppi blickten uns an und meinten so: „Hääää, Alter, was geht'n jetzt ab?!“
Naja, seitdem hatte Buddha sein Zölibat gebrochen und spielte ständig Zungenkungfu mit seiner
F-F.

Das klingt auf jeden Fall authentisch.

„Naja, ihr wisst schon ...“ Ben gluckste, lutschte am Bier, blickte uns an und formte dann mit Daumen und Finger einen Kreis, durch den er seinen Zeigefinger schob. „Sex.“

lol


„Mhm“, sagte Ben, und wir starrten alle vor uns hin, auf den Bach, der dahinplätscherte und eine Fantadose davontrug. „Warm.“

Ja, das hab ich auch noch im Gedächtnis, echt, genau die gleich Szene, genau das gleiche Wort ...
Und wie ist es so??: Warm!
Warm?
WARM!

„Sorry, wollte dich nicht zerren, oder so ...“

Das soll wohl so eine Sprechpause implizieren, das Komma, so ein verzögertes "oder so". An der Stelle passt es besser, ich mags trotzdem nicht, ist so halb halb-
„Sorry, wollte dich nicht zerren … oder so.“

So fände ich's besser. Weil das Jugendliche, Verpeilte, Dahergesagte und so ... das kommt besser rüber. Das ist jetzt kleinlich vielleicht, aber ja … ist halt so :)

„Ich will dir nicht weh tun. Echt jetzt. Nie.“ Ich schluckte. „Ich will dir nie weh tun.“

O je, jetzt wird's kitschig. :) Also es fällt mir schwer, irgendeine Haltung zu den Figuren zu finden ... meistens schmunzele ich, manchmal nerven sie ... sind halt dumme Teenager irgendwie. :)


Das Viertel, aus dem ich kam, war anders: Jede Familie hatte dort ihr eigenes Haus, und sie schauten alle gleich aus; sie waren weiß und sauber und ohne Risse, sie strotzten vor Kraft und Gesundheit. Oft kam es mir so vor, als ob es auf der Straße vor unserem Haus nie nach etwas riechen würde; nicht nach Gebüsch und nicht nach Erde; nicht nach Autos oder Scheiße oder Blumen oder Menschen; ich war froh, wenn ich dort wegkam.

Ja, das passt ganz gut zum Bild des Erzählers, das ich habe.

d ich könnte in mein Zimmer gehen und mich wütend in den Schlaf wichsen

"in den Schlaf wichsen" gefällt mir

Wo kommt diese Mel mit den dicken Titten her? Hat Ben die gekauft oder so? Um dem Kumpel die Liebe kaputt zu machen?

Also ich finde die Geschichte ziemlich gut. Da ist richtig Zug drin, etwas Kompromissloses im Erzählen, das ich unhemlich mag. Auch das Ende, dass es dann kracht - also du ziehst hier halt voll durch, man merkt das richtig, und das finde ich gut.
Sprachlich auch ... also abgesehen von den Kommas vor "oder so", die auf mich gestelzt wirken, die bunten verpeilten Bilder mit dem Küken in der Hose und dem Zungenkungfu und dem Aschenbecher ... echt gut. Also für mich passt das auch voll zum Thema und zur Zeit und frischt das Ganze ordentlich auf.
Der erste Absatz hat mir irgendwie auch nicht so toll gefallen, bin erst später rein gekommen, ist mir halt zu lange nichtssagend, sein Herz klopft, und der Mund ist trocken und Wind in den Haaren, und die Uhr tickt, und Panik und und und- ist alles gut, aber irgendwie ein Tick zu viel, ohne dass da ein konkretes Bild oder Gedanke aufkommt.
Ich fand den Konflikt mit Ben interessant, dieses Konkurrenzding ... und dann vor allem die Gedanken und die Sprüche und so bisschen das Feeling, das rüberkommt, ich kann jetzt auch nicht sagen, dass mir die Figuren total sympathsich wären, dazu sind sie mir alle irgendwie zu sehr in ihrer kleinen Teeniewelt gefangen und permanent mit Bullshit beschäftgt, aber all dem haftet halt was total Authentisches und Kompromissloses an, das es immer wieder lesenswert macht. Also ich kauf dir das ab.
Klar, manchmal ist es überspitzt, der Plot ist jetzt vielleicht nicht der Originellste oder so ... aber du erzählst es durch, völlig ungeniert, und das macht es wieder okay. Ich würde mir diese Art zu erzählen unbedingt beibehalten. Lieber triffst du mal einen falschen Ton als dass du gar keinen triffst.
Es hat vielleicht insgesamt etwas Wimmelbildermäßiges an sich, mit vielen verschidenen Baustellen, generell würde ich auch eher dazu raten, sich einem Thema richtig zu widmen, anstatt super vieles ein bisschen anzuschneiden, das ist vielleicht geschmackssache auch ... also generell: egal, was du machst: mach's richtig.
Es ist natürlich schon so: wenn du hier richtig in die Tiefe gehen willst mit all den Figuren, dann kannst du hier den Rahmen sprengen, und einen Roman oder eine Novelle erzählen. Das sind immer so Probleme und Gedanken, wie gehe ich mit dem Stoff um.
Hier und da könntest du vielleicht schon etwas mehr auf die Figuren eingehen, das stimmt - also klingt vielleicht erschreckend, weil du hier echt viel gemacht hast, aber du könntest tatsächlich noch mehr tun. Ist aber bei Kurzgeschichten dieser Art sehr häufig der Fall, ich würde mir da im Endeffekt keinen Kopf machen, das fällt natürlich auch vor allem Autoren auf, die dann auch mitdenken und Plot-Möglichkeiten und Konfliktpotential und so was überall erkennen.

Also insgesamt funktoniert die Geschichte auf jeden Fall, das ist eine tolle Jugendstory, finde ich, hier und da ein Tick überspitzt, was eigentlich schon wieder zum Thema passt, da ein Tick weniger oder ein Tick mehr, okay ... aber das verzeiht dir der Leser alles, wenn man ihm was bietet, das ist doch das Wichtigste, und das ist hier auf jeden Fall der Fall. Das haut rein und es wird was gezeigt und gesagt und es geht ein bisschen ab und ist lebendig und das ist total gut.
Hat mich unterhalten, ich mags.

MfG,

JuJu

 

Hey Juju,

es freut mich, dass du dich so lange nach der Jugendchallenge noch zu dieser Geschichte äußerst. Ich bin da die letzten Tage noch mal drübergegangen, und es interessiert einen natürlich als Autor doch immer, was Leute (auch von älterem) Zeug halten.

Warum Komma an der Stelle?
Ja danke für deine Anmerkung zu den Kommas, ich bin mir da selbst nicht sicher gewesen, ob die an der Stelle angebracht sind oder nicht. Ich kenne auch keine einzige Kommaregel, wenn ich ehrlich bin, sondern mache das eigentlich immer so nach Bauchgefühl - ich werde das Komma von den oder so's streichen, du hast schon recht. Ich bin da übrigens auch selbst bisschen spitzfindig, auch gegenüber meinen eigenen Sachen, ich will schon, dass das von der Zeichensetzung passt, mich haut das manchmal raus, wenn ich solche Fehler in anderen Texten sehe und das nimmt mir dann auch manchmal den Spaß.

Das klingt auf jeden Fall authentisch.
Das ist schön, dass das bei dir klappt. Ich wollte auf jeden Fall etwas Authentisches schreiben, ungeschönt und direkt.

„Mhm“, sagte Ben, und wir starrten alle vor uns hin, auf den Bach, der dahinplätscherte und eine Fantadose davontrug. „Warm.“
Ja, das hab ich auch noch im Gedächtnis, echt, genau die gleich Szene, genau das gleiche Wort ...
Und wie ist es so??: Warm!
Warm?
WARM!
:D

„Sorry, wollte dich nicht zerren, oder so ...“
Das soll wohl so eine Sprechpause implizieren, das Komma, so ein verzögertes "oder so". An der Stelle passt es besser, ich mags trotzdem nicht, ist so halb halb-
„Sorry, wollte dich nicht zerren … oder so.“
So fände ich's besser. Weil das Jugendliche, Verpeilte, Dahergesagte und so ... das kommt besser rüber. Das ist jetzt kleinlich vielleicht, aber ja … ist halt so
Ja, wie gesagt, ich werde da noch mal drüberarbeiten

„Ich will dir nicht weh tun. Echt jetzt. Nie.“ Ich schluckte. „Ich will dir nie weh tun.“
O je, jetzt wird's kitschig. Also es fällt mir schwer, irgendeine Haltung zu den Figuren zu finden ... meistens schmunzele ich, manchmal nerven sie ... sind halt dumme Teenager irgendwie.
Ach schade, dass das kitschig wirkt. Eigentlich wollte ich sowas gar nicht schreiben, was Kitschiges. Ich mag andere Texte mit kitsch eigentlich auch nicht. Weiß auch nicht, was da in mich gefahren ist :D Aber irgendwie passt das schon zu der Zeit, finde ich.

Das Viertel, aus dem ich kam, war anders: (...)
Ja, das passt ganz gut zum Bild des Erzählers, das ich habe.
Das ist schön.

Wo kommt diese Mel mit den dicken Titten her? Hat Ben die gekauft oder so? Um dem Kumpel die Liebe kaputt zu machen?
Okay, vllt ist das nicht so rübergekommen, weil ich es nicht explizit geschrieben habe: Ben wartet ja auf F-F, seine Freundin. Und dann sagt Ben: Mel ist eine Freundin von F-F. Mein Gedanke dahinter war, dass diese Mel sich halt mit F-F verabredet hat, aber F-F kommt halt nicht, deswegen sitzen die beiden jetzt ein bisschen hilflos nebeneinander

Also ich finde die Geschichte ziemlich gut. Da ist richtig Zug drin, etwas Kompromissloses im Erzählen, das ich unhemlich mag. Auch das Ende, dass es dann kracht - also du ziehst hier halt voll durch, man merkt das richtig, und das finde ich gut.
Das freut mich!

Sprachlich auch ... also abgesehen von den Kommas vor "oder so", die auf mich gestelzt wirken, (idie bunten verpeilten Bilder mit dem Küken in der Hose und dem Zungenkungfu und dem Aschenbecher ... echt gut. Also für mich passt das auch voll zum Thema und zur Zeit und frischt das Ganze ordentlich auf.
Ja schön, super, wenn du das so einstufst

Der erste Absatz hat mir irgendowe auch nicht so toll azfgefallen, bin erst später rein gekommen, ist mir halt zu lange nichtssagend, sein Herz klopft, und der Mund ist trocken und Wind in den Haaren, und die Uhr tickt, und Panik - ist alles gut, aber irgendwie ein Tick zu viel, ohne dass da ein konkretes Bild oder Gedanke aufkommt.
Ja, mir geht das mittlerweile auch so. Also ich finde den jetzt nicht grauselig schlecht, den ersten Absatz, aber er ist schon bisschen heiße Luft, da ist was dran. Aber ich finde, den Absatz braucht es doch irgendwie (deswegen streiche ich ihn auch nicht), so als Cliffhanger, als Köder, damit man die nächsten dreißig Seiten als Leser durchhält. Meine Angst war halt ein bisschen, dass der Plot so vor sich hinplätschert, dass der Leser da kein Ziel sieht, auf das sich die Geschichte hinbewegt.

Ich fand den Konflikt mit Ben interessant, dieses Konkurrenzding ... und dann vor allem die Gedanken und die Sprüche und so bisschen das Feeling, das rüberkommt, ich kann jetzt auch nicht sagen, dass mir die Figuren total sympathsich wären, dazu sind sie alle irgendwie zu sehr in ihrer kleinen Teeniewelt gefangen und permanent mit Bullshit beschäftgt, aber dem haftet halt was total Authentisches und Kompromissloses an, das es immer wieder lesenswert macht. Also ich kauf dir das ab.
Cool!

Klar, manchmal ist es überspitzt, der Plot ist jetzt nicht der Originellste oder so ... es hat etwas Wimmelbildermäßiges an sich, generell würde ich auch tendenziell eher dazu raten, sich einem Thema richtig zu widmen, anstatt super vieles ein bisschen anzuschneiden, das ist vielleicht geschmacksmäßig auch ... also es ist schon so: wenn du richtig in die Tief gehen willst mit all den Figuren, dann kannst du hier den Rahmen sprengen, und einen Roman oder eine Novelle erzählen.
Ja ... die Kritik haben Achillus und Quinn auch gebracht, dass das etwas wimmelbildmäßig ist, es werden Themen angeschnitten, aber dann nicht tiefer behandelt bzw die angeschnittenen Konflikte werden zum größten Teil nicht befriedigend gelöst. Ich hab mir das gemerkt und versucht, in folgenden Geschichten das zu vermeiden. Nachträglich an dieser Geschichte ändern kann ich das halt nicht. Aber ich werde es mir merken

könnte hier und da etwas "sauberer" sein, im Grunde könnte das Ende länger sein, für meinen Geschmack, und hier und da könntest du noch mehr auf die Figuren eingehen untereinander, das stimmt - also klingt vielleihct erschreckend, weil du hier echt viel gemahct hast, aber du könntest tatsächlcih sogar noch mehr tun. Ist aber bei Kurzgeschcichten dieser Art sehr häufig der Fall, ich würde mir da keinen Kopf machen, das fällt natürlich dann auch vor allem Autoren auf, die dann auch mitdenken und Plot-Möglichkeiten und Konfliktpotential und so was überall erkennen.
Ja, theoretisch, von den Konflikten her, die angeschnitten werden, könnte man da bestimmt eine Novelle oder ein Roman draus machen. Dieses Jugendstoryding ist eh mein Genre, also zur Zeit (behaupte ich jetzt einfach mal), aber mit meinen derzeitigen Schreibfähigkeiten traue ich mich noch nicht so recht an eine Novelle oder gar an einen Roman - vllt wächst da ja in zwei, drei Jahren was draus, wenn ich an der Stange bleibe, keine Ahnung. Klingt auch irgendwie scheiße, sowas anzukündigen, finde ich.

Also insgesamt funktoniert die Geschichte auf jeden Fall, das ist eine tolle Jugendstory, finde ich, hier und ein Tick überspitzt, da ein Tick weniger sein, das verzeiht dir der Leser alles auch, wenn man halt was geboten bekommt, das ist doch das Wichtigste, und das ist hier auf jeden Fall der Fall. Das haut rein und es wird was gezeigt und gesagt und das ist total gut.
Hat mich unterhalten, ich mags.
Vielen Dank für dein Lob!

Juju, danke für's Vorbeischauen und Lesen und Kommentieren

Viele Grüße

 

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