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Warten auf den Satz

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08.01.2005
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Warten auf den Satz

Warten auf den Satz

Es beginnt fast immer auf die gleiche Weise. Er steht da, mit einem Gesicht, daß fatal an einen Cockerspaniel erinnert, und sagt mit einer Grabesstimme, die gar nicht zu dem gezwungenen Lächeln passen mag:
“Ich muß mit dir reden” oder “Ich habe über einiges nachgedacht”.
Und nun beginnt für sie das Warten auf das Unvermeidliche, auf diesen anderen Satz, diese vier Worte, welche an Grausamkeit höchstens noch durch gewisse Waschmittelwerbungen zu überbieten sind, der Auslöser für eine genetische Zeitbombe, die Gott wohl in einem Anflug sehr seltsamen Humors in den Menschen einbaute....
Tick... Tick... Tick...Tick... Tick... Tick...
Aber ich greife vor.
Am Anfang waren Adam und Eva. Ob bei denen ein solches Gespräch jemals stattgefunden hat, weiß keiner so genau, allerdings ist es in Anbetracht der fehlenden Alternativmöglichkeiten eher unwahrscheinlich, dass Eva jemals Trennungsängste hatte. Dementsprechend klammerte sie wohl auch nie so sehr an Adam, um ihn einen Grund dafür zu geben, sich eingeengt zu fühlen (wo hätte er auch hin sollen). Und was Gott so kuppelte, hatte dann wohl bestand.
Seitdem hat sich einiges geändert. Nichts hält mehr für die Ewigkeit (außer mit Sekundenkleber bestrichene Teile, die an die falsche Stelle gedrückt werden, aber das ist ein anderes Thema). Selbst die Kirche lässt einen mit der Mords-Klausel “Bis das der Tod euch scheidet” die Hoffnung, das im Leben nach dem Tode wirklich alles besser werden kann. Freilich will nicht ein jeder so lange warten, und auch im Diesseits sind die Auswahlmöglichkeiten beachtlich gestiegen seit dem Rausschmiss aus dem Paradies. So kommt es immer häufiger vor, dass der neuzeitliche Adam auf erniedrigendste Art und Weise versucht, seinem Freiheitsdrang Platz zu verschaffen. Er schnappt sich die gepiercte Eva, sucht sich einen Ort in Ausschluss der Öffentlichkeit und beginnt mit dem peinlichsten Ritual, dass die Menschheit zu bieten hat.
Tick...Tick...Tick... Tick... Tick...
“Ich muss mit dir reden.” Allein für diesen Satz gehört dem Homo das Sapiens gestrichen. Was erwartet er, dass sie nun denk? Das er ihr von seinem letzten Skatabend erzählen will? Sonst konnte er doch auch mit ihr reden, ohne es vorher anzukündigen. Spätestens nach diesem Satz ist also klar, worauf er, nennen wir ihn ruhig weiter Adam, hinaus will. Doch anstatt ihm gleich eine zu watschen, setzt sie, welche wir Eva taufen, sich mit zitternden Knien auf den ihr angebotenen Platz und hofft, dass es nicht das ist, wonach es sich anhört. Das ist so, als würde sie ihren Kopf in eine Guillotine stecken, uns sich sagen: “Ein Trick, es ist bestimmt nur ein Trick, der Blutende Kopf da im Korb ist nur eine gutgemachte Puppe, und das seine Augenlider noch Zucken hat bestimmt nichts zu sagen...” Doch im Gegensatz zur Guillotine macht es Adam nicht kurz und schmerzvoll. Neeeeein. Um Eva zu schonen, holt er weeeeit aus. Es sei ja alles gar nicht das, wonach es aussehe, er wolle es ja eigentlich gar nicht tun, ob sie sich noch an diesen Abend vor drei Wochen erinnere, da habe das alles angefangen...
Tick...Tick... Tick... Tick...
Die kleinen Tatsachen, dass Es durchaus das ist, wonach Es aussieht, er Es durchaus im begriff ist, aus freien willen zu tun, und Eva krampfhaft versucht, zu verdrängen, was Es denn nun ist, verliert er dabei ein wenig aus den Augen. Und so redet und redet er zwischen einer halben Stunde und einer dreiviertel Nacht um den heißen Brei herum, während Eva das geistige Fallbeil immer näher kommen spürt, den Luftzug, als es sich aus der Halterung löst, dieses Zischen der zerteilten Luft, dass sich in Zeitlupe wie ein wahrer Orkan anhören muss, während ihre innere Stimme immer noch brüllt: “Ein Trick. Es muss ein Trick sein. Er würde dir doch nie weh tun.”
Und das alles nur, um Eva zu schonen.
Tick...Tick...Tick...
Wenn dann der schneidende Satz fällt, er endlich den Mut findet, die Worte “Es ist aus” zu sagen und damit die Beziehung endgültig enthauptet, so ist es fast schon eine Erleichterung.
Kopflos bricht Eva in Tränen aus, die Innere Stimme beißt sich ein Monogam in den Hintern, und die Gefühle Hass, Wut, Schmerz, Liebe und verletzter Stolz beginnen in ihr einen Kampf um die Vorherrschaft.
Doch damit nicht genug, über dem frisch geexten Paar brauen sich schon neue Worte zusammen, die genetische Zeitbombe, welche die Menschen zu diesem absonderlichen Verhalten zwingt, halt noch lange nicht ausgetickt.
Tick... Tick...
Adam, gefangen in seinem schlechten Gewissen, weiß nicht, was er nun tun soll mit der weinenden, schluchzenden und ihn ungläubig anstarrenden Eva. “Das ist alles nur deine Schuld” scheinen ihre Augen zu sagen, und ihre Blicke bohren sich tief in sein Ehrgefühl. Sie tröstend in den Arm zu nehmen, das recht scheint er nun verspielt zu haben. Aber sie einfach so sitzen lassen, nein, das kann er auch nicht. Und so wählt er die dritte, denkbar schlechteste Alternative.
Den Satz.
Vier Worte, welche im krassen Gegensatz zum berühmten “Ich liebe nur Dich” stehen und an Grausamkeit kaum zu übertreffen sein dürften. Vier Worte, die gleich einem “Wollt ihr den totalen Krieg” durch das Schluchzen donnern. Vier Worte, die ehrlich, aber gerade deshalb selten dumm sind.
Tick...
“Lass uns Freunde bleiben.”
BOOOOOM.
Freundschaft? Na klar, Adam. Du hast ihr gerade das Herz aus dem Leibe gerissen, ihre Seele durchbohrt, ihr Vertrauen zerbrochen. Eva hat zu diesem Zeitpunkt genau zwei Grundbedürfnisse: A: Dich niederzuknutschen. B: Dir in die Weichteile zu treten. Freundschaft lässt keines von beiden zu. Der perfekte Augenblick für so einen Vorschlag, und bestimmt äußerst tröstend.
Doch was macht Eva? Anstatt ihm die Worte dahin zu stecken, wohin die Sonne niemals scheint, geht sie darauf ein.
Als ob der Satz der Gegensätze auch nur die geringste Chance hätte, unter diesen Umständen Erfüllung zu finden. Ohne die Möglichkeit, ihren Frust in einem ordentlichen Wutausbruch abzureagieren, wird Eva sich in Hoffnungen ergehen, ihn zuerst anhimmeln (solange er solo ist), dann hassen (sobald er neu vergeben ist) und irgendwann vergessen (nachdem sie heimlich in seine Wohnung geschlichen ist, genüsslich seine Unterhosen verbrannt und die Hosenbeine all seiner Jeans zugenäht hat). Freundschaft ist bei all diesen angestauten Gefühlen ohne Ventil einfach nicht drin.
Da helfen auch die zahlreichen Variationen des Satzes wenig. Weder “Ich ruf Dich an” noch “Ich bin immer für Dich da”, “Wir bleiben in Kontakt” oder “Wir können ja weiterhin miteinander Schlafen” sind eine echte Lösung. Nein, all ihr Adams da draußen (und auch ihr Evas, viel geschickter ist das sensible Geschlecht da auch nicht), tut der beziehungsgebeutelten Menschheit einen Gefallen, tragt euren Beitrag zur weltweiten Entspannung. Wenn dieser Satz sich den Weg durch euer Gehirn über den Penis hinauf zum Sprachzentrum macht, schluckt ihn wieder runter, dreht euch um, bückt euch und sagt: “Lass doch deinen Absatz in meinem Hintern stecken.” Eva bekommt ein Ventil für ihre Gefühle, ihr eure Lektion und sie lebten vielleicht sogar in Freundschaft bis an ihr Lebensende. Wenn auch nicht unbedingt ewig. Aber das ist eine andere Geschichte...

 

Moin Nachtpoet,

Deine Geschichte hat mir leider nicht wirklich gefallen.

Stilistisch find ich es okay, liest sich flüssig (wenn für meinen Geschmack auch ein paar Sätze arg und unnötig verkompliziert formuliert sind und sich der ein oder andere Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen hat), aber inhaltlich war mir das Ganze einfach zu glatt, zu distanziert. Deine Protagonisten sind vollkommen beliebig, was du vermutlich beabsichtigt hast, was allerdings bei mir dazu geführt hat, daß mich das Geschehen ziemlich kalt läßt. Hättest du den beiden "echte" Namen und Charaktere gegeben und nicht so deutlich gemacht, daß es sich eben nur um beliebige Beispiele handelt, hätte ich mich vielleicht mehr mit dem guten Adam identifizieren können. So hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, die beiden getrennt durch eine Glasscheibe zu beobachten, wenn du verstehst, was ich meine.
Dazu kommt, daß du hier über ein Thema schreibst, das zwar jeder kennt und sich somit somit als Stoff anbietet, das allerdings aus genau dem Grund, daß es eben jeder kennt, sich meines Erachtens nur dann als Stoff für eine humorvolle Geschichte eignet, wenn man es mit einer gewissen Originalität rüberbringt. Und die habe ich in deinem Text ehrlich gesagt nicht gefunden. Okay, der Ansatz mit der Zeitbombe und jener mit der Guiloutine, die haben mir ganz gut gefallen, aber ansonsten fand ich den Text recht beliebig. Drüber lachen konnte ich leider auch nicht, wobei das mit dem Humor natürlich immer eine reine Frage des Geschmacks ist. Bei mir zündet ein Text entweder, oder er zündet nicht - deiner hat leider nicht gezündet.
Es war ganz nett zu lesen, für mich aber leider auch nicht mehr. Zu distanziert für meinen Geschmack.

 

Tja ich weiß nicht so recht. Es ist ein bisschen so, wie wenn man im Fernsehen einen dieser vielen neuen Comedians sieht: Er stellt sich da hin und erzählt, während man vorm Fernseher sitzt und es einfach nicht schafft dem ein Etwas abzugewinnen.
Ich könnte aber nicht wie gnoebel so konkretisieren, warum. Wäre ich besagter Comedian, würde ich die beiden vielleicht auch Adam und Eva nennen, damit klar wird, dass es überall und jedem passieren kann. Man hätte auch Mann und Frau sagen können... Also überzeugt hat es mich nicht. Dazu hätte es mir schon ein Schmunzeln abringen müssen, das hat es nicht geschafft... :hmm:

 

Seid gegrüßt zusammen.

Och. Ich finde sie gar nicht so schlimm. Mir gefällt die Geschichte eigentlich ganz gut. Nur leider in der völlig falschen Rubrik. Bei "Romantik" wäre sie deutlich besser aufgehoben, wenn man dafür auch ein paar halbwegs gelungene Gags rausnehmen sollte (den Sekundenkleber zB).
Daß die Geschichte aus der Distanz geschrieben ist, empfinde ich als Plus. Es geht nun einmal darum, das die Personen austauschbar sind. Und glaubwürdig charakterisierte Protagonisten erwecken vermutlich selten den Eindruck von Austauschbarkeit. Daß die Geschichte damit ein Stück weit aufhört, Geschichte zu sein, und mehr in Richtung "Studie" geht, ist natürlich wahr.

(@ gnoebel: Als ich bemerkte, worum es ging, habe ich den Versuch abgebrochen, mich mit einem Potagonisten zu identifizieren. Dann liest sich die Geschichte auch mit einer anderen Erwartungshaltung.)

Schön beschrieben fand ich auch, wie sie auf diesen Satz wartet, hoffend daß es nicht das sei, was sie befürchtet. Ich glaube: genau so ist es. Die ganze Situation. Genau so.
Stilistisch einwandfrei, einige Rechtschreibfehler sind drin, aber nicht so übermäßig. Ein heikles Thema schön erzählt obendrein.

Im Ganzen eine sehr hübsche Geschichte, die, ein wenig überarbeitet, in "Romantik" sehr gut aufgehoben wäre.

Grüße
ElTriste

 

Wenn dieser Satz sich den Weg durch euer Gehirn über den Penis hinauf zum Sprachzentrum macht, schluckt ihn wieder runter, dreht euch um, bückt euch und sagt: “Lass doch deinen Absatz in meinem Hintern stecken.”
Romantik :hmm: ?
Nee, lass mal in Humor. Den Sekundenklebergag fand ich schon ganz lustig.
Das war auch so mein Eindruck. Ab und zu ein lustiger Einwurf, dann wieder trockene Vortragsstimmung bis zum nächsten auflockernden Einschub.
Ich empfand auch so eine gewisse Distanz, wie sie gnoebel treffend mit einer Glasscheibe beschrieben hatte.

Er schnappt sich die gepiercte Eva, sucht sich einen Ort in Ausschluss der Öffentlichkeit und beginnt mit dem peinlichsten Ritual, dass die Menschheit zu bieten hat.
der war weniger gut.

Und so redet und redet er zwischen einer halben Stunde und einer dreiviertel Nacht um den heißen Brei herum, während Eva das geistige Fallbeil immer näher kommen spürt, den Luftzug, als es sich aus der Halterung löst, dieses Zischen der zerteilten Luft, dass sich in Zeitlupe wie ein wahrer Orkan anhören muss, während ihre innere Stimme immer noch brüllt: “Ein Trick. Es muss ein Trick sein. Er würde dir doch nie weh tun.”
Obwohl nicht im eigentlichen Sinne lustig, fand ich diesen Monstersatz stark. Auch, da er am Schluss den vorherigen Gedanken erneut aufnahm.

Kurz: Solid geschrieben, hat einige Längen drin, nicht der Brüller aber mindestens ein Schmunzler.

Gruss dotslash

 

Bravo! Einfach nur Bravo! :D

Ich bin zwar nicht vom Stuhl gekippt vor Lachen, aber das Schmunzeln hielt noch eine Ganze Weile an.

*LG* Fnypsi

 

Wie sagt man so schön: Eine der schwersten Herausforderungen ist es, lustig zu schreiben.

Erstmal danke in die Runde für die Kritik. "Warten auf den Satz" ist einer der Highlights auf meinen Lesungen, und es ist ausgesprochen interessant, wie unterschiedlich die Reaktionen sind, wenn sie 'nur' in geschriebener Form vorliegt.

Ich bin dotslashs Meinung, was die Distanz und Glasscheibe angeht. Es handelt sich hier nicht um die Beschreibung zweier spezieller Personen, sondern einer Situation, welche die meisten Menschen in ähnlicher Form schon durchlebt haben. Es geht mir um das, was dabei bei den meisten Menschen gleich abläuft, nicht um die individuellen Unterschiede zwischen ihnen, von daher wäre eine charakterisierung von Adam und Eva abträglich. Vielmehr sind sie als Mann und Frau zu verstehen, was die 'Namen' ja schon implizieren.

Das Einordnen in die richtige Kategorie ist tatsächlich schwierig. Humor, Satire, Romantik, Alltag, Gesellschaft, sie hätte in allen Bereichen wohl ihre Berechtigung. Da der humorvolle Anteil jedoch den Vorrang hat, fand ich sie hier ganz gut aufgehoben.

Was ich auch bemerkenswert finde, ist die Erwartungshaltung auf einem Kurzgeschichten-Forum, die ich beim einstellen nicht bedacht habe. Der Augenmerk liegt wirklich auf der klassischen Kurzgeschichte, mit Charakterisierung und Handlung. In beidem wird "WadS" nicht wirklich bestehen können. Spaßig das 8^)

Wie gesagt, danke für die Kritiken, und immer her damit. Werde mir alle duch den Kopf gehen lassen, und mal sehen, was daraus wird *g*

 

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