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- 02.02.2006
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Warten auf Rosanna
Warten auf Rosanna
Seit sie gegangen ist warte ich auf sie.
Warte auf Rosannas Rückkehr.
Laufe ruhelos durch die Zimmer oder starre die hellen Quadrate auf der leicht vergilbten Tapete an, als könnten diese mir sagen, wann sie wiederkommt.
An Tagen wie heute, die scheinbar nicht enden wollen, durchdringt mich die Sehnsucht nach ihr mit einer solchen Gewalt, dass ich ihren Namen herausschreien möchte.
Immer und immer wieder.
Wie gerne würde ich jetzt rauchen.
Als sie ging, hat sie mich nicht angesehen. Eine Träne lief ihr über die Wange und ihr Blick war abwesend.
"Geh nicht weg von mir", habe ich leise geflüstert, doch sie ging hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Ihre Schritte verhallten im Flur und hinterließen dieses Echo in meinen Eingeweiden.
Ich friere, aber daran habe ich mich schon gewöhnt. Allein durch ihre Anwesenheit hat Rosanna Wärme in die Räume gebracht.
Wie oft habe ich gelächelt über die manchmal recht kitschig anmutenden Dinge, mit denen sie nach ihrem Einzug anfing die Wohnung zu schmücken. Ich habe ihr gegenüber nie zugegeben, dass es mir im Grunde gefiel, wie sie die nüchternen Räume mit ihrer Persönlichkeit einfärbte.
Jetzt erkenne ich die Räume kaum wieder. Manchmal sind sie mir regelrecht fremd. Dann schließe ich meine Augen halb und leicht verschwommen sehe ich Rosanna mit mir auf dem Sofa rumalbern. Sehe dann deutlich vor mir, wie sich ihre kleine Nase kräuselte. Auf diese unwiderstehlich süsse Art, dass ich sie einfach zu mir heranziehen und küssen musste.
So oft hatte sie seit jenem Tag geweint, von dem mir heute immer noch Erinnerungen fehlen.
Immer wieder habe ich versucht mich zu erinnern, was geschehen war, bevor ich nach Hause zurückkehrte und Rosanna völlig aufgelöst vor fand.
Ich streichelte ihr Haar und flüsterte beruhigende Worte in ihr Ohr. Stundenlang. Tagelang. Bis sie irgendwann in Embryonalhaltung einschlief und ich neben ihr sitzen blieb und über ihren Schlaf wachte. Doch ihr Lächeln kehrte nicht mehr zurück. Meist saß sie nur am Fenster, teilnahmslos und starrte mit leeren Blick hinaus.
Ich höre Schritte im Hausflur. Nein, es sind nicht Rosanna`s Schritte. Diese würde ich unter Tausenden heraushören.
Es sind die Schritte von mehreren Personen.
Das Klirren der Schlüssel sind ein Störgeräusch für mich. Ich versuche es zu ignorieren.
Wortfetzen dringen aus der Küche zu mir rüber und die Stimmen kommen näher.
"Und ich könnte wirklich zum nächsten ersten schon einziehen?", fragt eine helle Frauenstimme mit freudigem Unterton.
"Das wird kein Problem sein", antwortet die sonore Stimme meines Vermieters und mir wird übel.
Plötzlich wird das dunkle Loch in meiner Erinnerung von Licht durchflutet, als hätte jemand die Jalusien geöffnet, muss ich die Augen zukneifen, weil mir leicht schwindelig wird.
Mein eigener Anblick kehrt zu meinem inneren Auge zurück und lässt mich ungewöhnlich ruhig und gelassen werden. Ich sehe, wie ich dalag, blutüberstömt, mein rechtes Bein unnatürlich um 180 Grad verdreht und meine Augen starr und leer ins Nichts schauend.
Irgendwie wusste ich es. Die ganze Zeit. Ich habe schon immer gerne Dinge verdrängt, die nicht in mein Konzept passten.
Was würde ich jetzt nicht für eine Zigarette geben.
Rosanna – meine süsse, kleine Rosanna.
Wie konnte sie nur annehmen, daß ich sie jemals verlassen würde?
© Sylvie Caputo